Umgang mit dem kriminellen Erbe
Kisten über Kisten, übereinandergestapelt, in Reihe gestellt, findet man im ersten Stock des Jüdischen Museums, in einer Sonderausstellung zu Raub und Restitution. Die Transport- und Lagerkiste zieht sich als sinniges Ausstellungsdisplay und -mobiliar durch die textlastige Ausstellung. In ähnlichen Kisten fanden die alliierten Soldaten die von den Nazis in Bergwerken und andernorts eingelagerten Kunstgüter. Die Enteignung, der vom NS-Staat legitimierte Diebstahl von Besitz jüdischer Familien, ist ein kaum abschließbares Kapitel. Erstens sind die meisten ehemaligen Besitzer auf deutschen Befehl ermordet worden und haben oft keine Erben, oder diese sind nicht bekannt. Viele der arisierten Kunstgüter haben die Besitzer gewechselt und ihr Weg, die Provenienz, lässt sich nur schwer verfolgen bzw. zurückführen. Viele Käufer haben nach 1945 einen regulären Deal gemacht und einen marktgängigen Preis gezahlt und wussten nicht immer, woher das Werk stammt. Schützt das Nichtwissen oder Nichtfragen vor einer möglichen Restitution? Wie viele ehemals jüdische Besitztümer befinden sich heute noch in den Museen, oder in Privatbesitz, ohne dass eine Restituierung angestrebt wurde? Das sind alles nur ein paar der Aspekte, die in dieser Ausstellung mit vielen Dokumenten ergründet, belegt und anschaulich gemacht werden.
In den über 60 Jahren nach dem Ende des deutschen Faschismus wurde vor allem in den letzten drei Jahrzehnten viel für das Erinnern und Gedenken an die Millionen Menschen getan, die fabrikationsmäßig von den deutschen Planern und Tätern und ihren Helfershelfern ermordet wurden. Der beispiellose bürokratische Aufwand, der für die Erfassung, Ausgrenzung und schließlich für das Vernichten der Menschen aufgewandt wurde, hatte gleich nach der Machtübergabe an die Nazis eine wesentliche Vorstufe. Unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 begann die schrittweise und auf vielen perfiden Paragraphen fußende Enteignung, die schließlich mit der endgültigen Ausgrenzung endete, die für wenige „Glückliche“ die Exilierung bedeutete und für sehr viele Menschen die Ermordung in den Vernichtungslagern. Vom Teller bis zum Wandschrank aus deutscher Eiche, vom Teppich bis zur Wäschegarnitur, alles wechselte für wenig Geld die Besitzer. Interessanter jedoch als das Hab und Gut des täglichen Bedarfs der mehrheitlich armen jüdischen Bevölkerung, das sich die unmittelbaren „arischen“ Nachbarn mit großer Begeisterung unter den Nagel rissen, waren die Besitztümer der wohlhabenden jüdischen Bürger wie Unternehmer, Ärzte, Juristen etc. In erster Linie konzentrierten sich die Nazis auf die Unternehmen und Banken selber. Doch damit nicht genug. Wie üblich im gehobenen Bürgertum, hatten sich auch die jüdischen Bürger oftmals über viele Jahre hinweg Sammlungen von Malerei, Skulpturen, Porzellan, Münzen oder ähnliches zugelegt, auf die sich nun das Interesse der Parteibonzen (z.B. Göring, der Kunstliebhaber, der sich ja auch Werke sogenannter „entarteter“ Kunst unter den Nagel riß) richteten. Über sehr viele Erlasse, Gesetze wurde die schrittweise Enteignung der jüdischen Bevölkerung scheinbar juristisch legitimiert. Zuerst schränkte man die Arbeit in den verschiedenen Berufsgruppen ein oder erteilte gleich ein Berufsverbot. Der renommierten, von Julius und Max Stern betriebenen Kunstgalerie Stern in Düsseldorf z.B. wurde bereits 1933 die Durchführung von Kunstauktionen grundsätzlich untersagt. Im August 1935 schließlich teilte die „Reichskammer der bildenden Künste“ Max Stern in einer verquasten Amtssprache mit, dass er aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht der Kammer angehören könne, was aber wiederum die Voraussetzung für einen Galeriebetrieb war. Damit war für Max Stern endgültig das Berufsverbot verhängt und er war genötigt, seine Bestände über das Kölner Kunsthaus Lempertz versteigern zu lassen. Der Zwang zur Versteigerung hatte Auswirkung auf den Preis und konnte in den meisten Fällen von den Erwerbern als Schnäppchen betrachtet werden. Weiterverkäufe von Werken durch die unrechtmäßigen Besitzer in der Nachkriegszeit unter Verschweigen der Provenienz der Werke schufen nun neue Tatsachen, die die Restitution oft erschweren. Viele Erwerber berufen sich darauf, das entsprechende Werk mit korrektem Preis erworben zu haben. Dennoch waren diejenigen, die veräußern mussten, nicht frei, denn sie waren ja vom NS-Staat in eine ökonomische Notlage gebracht worden. Erst 2006 hat der damalige Kultursenator, Thomas Flierl mit ausdrücklichem Verweis auf die Konferenz von Washington, die 1998 Grundsätze zur Restitution von Kunstwerken festlegte, die umstrittene Rückgabe des Ernst-Ludwig Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“ in die Wege geleitet. Denn im Ergebnis sah die Konferenz eine Umkehr der Beweislast an. Somit haben die Museen in solchen Fällen nachzuweisen, dass sie das Werk zweifelsfrei fair erworben haben. Das Kirchner-Bild gilt als eines der wichtigsten Werke des deutschen Expressionismus und gehörte dem im Schweizer Exil verstorbenen Alfred Hess. Seine Witwe sah sich 1936 gezwungen, das Bild zu verkaufen. Ob die damals angeblich gezahlten 3.000 Reichsmark wirklich geflossen sind, konnte nicht geklärt werden. 1980 hatte das Land Berlin das Gemälde für 900.000 € erworben und dem Brücke-Museum übergeben. Nachdem es gegen den Protest u.a. auch von Bündnis 90/Die Grünen und den Freunden des Brücke-Museums zurückgegeben worden war, erzielte es bei Sotheby’s fast 30 Millionen €. In vielen anderen Fällen mussten die Erben viele Bitten und Gesuche über Jahre hinweg verstreichen lassen, ehe sie dann doch ihre Sammlung zurückerhielten.
Die Ausstellung zeigt die personelle Kontinuität in der Museumslandschaft vor und nach 1945. Viele Kunsthistoriker, die freudig die durch Arisierung geraubten Kulturgüter einheimsten, wollten nach 1945 nichts davon wissen und verteidigten „ihre“ Sammlung. Auch die DDR spielte ein mieses Spiel und verweigerte die Restituierung wie z.B. im Fall der Erben von Victor von Klemperer (nicht verwandt mit dem Romanisten). Im Wissen, dass die von Klemperers die rechtmäßigen Besitzer sind, schlug Außenminister Oskar Fischer vor: „Zur Vermeidung von Hetz-und Verleumdungskampagnen gegenüber der DDR sollte hier kein Rechtsanspruch der DDR auf diese Vermögenswerte geltend gemacht werden.“ Stattdessen wurde die Rückgabe bürokratisch einfach mit dem Verweis auf das Kulturschutzgesetzt der DDR vom 3. Juli 1980 verweigert. Dieses Vorgehen fand die persönliche Unterstützung von Erich Honecker, wie ein Dokument in der Ausstellung beweist.
Autor: Matthias Reichelt
Ausstellung
Jüdische Museum Berlin: Raub und Restitution: Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute bis 25. Januar 2009
Katalog: Wallstein Verlag, Frz. Broschur, 328 Seiten, mit 135 überwiegend farbigen Abbildungen 24,90 €