In einem Interview von 1988 hat sich der schwarze Grand Seigneur des Jazz, Archie Shepp, gegen den Begriff Jazz gewehrt und sprach stattdessen lieber von afro-amerikanischer Instrumentalmusik. Dass der Ursprung des Jazz eng mit dem Blues verknüpft und schwarzer Herkunft ist, ist gemeinhin bekannt. Der Fokus bei der Kulturgeschichte des Jazz lag bislang eher auf den Musikern, den Sessions und eventuell noch auf den Radiostationen. Die Frage, welche Menschen hinter den Plattenverlagen, den Jazzlabels standen, mittels derer der Jazz die Chance einer Weiterverbreitung über seine Zeit hinaus und in die Welt hatte, geriet erst in den letzten Jahren ins Zentrum der Forschung. In der wohl bislang immer noch größten Ausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“, die 1988 in Darmstadt gezeigt wurde sowie in dem voluminösen Katalog spielten die Plattenlabels keine wichtige Rolle und auch das Blue Note Label erfährt dort keine Würdigung.
„The Finest in Jazz since 1939“ lautete der Werbeslogan im Logo von Blue Note, benannt nach der typischen Note des Blues, die herkömmlichen Musikschemata fremd war. Blue Note verschrieb sich damit in einer Zeit eines hegemonialen Rassismus in den USA einer originär schwarzen Musik, die mit eindeutiger Zuschreibung als „Race Music“ gleichwohl stigmatisiert und ghettoisiert wurde. Auch wenn sich der Jazz gerade in weißen Kreisen großer Beachtung erfreute, bekamen seine Interpreten den alltäglichen Rassismus zu spüren, der nicht nur vor den Jazzlokalen regierte. Blue Note positionierte sich aber nicht nur durch eine musikalische Programmatik sondern durch eine faire Zusammenarbeit mit den Musikern. John Coltrane, Eric Dolphy, Dexter Gordon, Hank Mobley und vor allem Thelonious Monk nahmen neben vielen anderen bei Blue Note unter hervorragenden Bedingungen ihre Platten auf. Dort begegnete man ihnen auf Augenhöhe, und noch viel wichtiger, bot ihnen sowohl eine hohe technische Aufnahmequalität als auch eine gerechtere Bezahlung an, die sogar die Proben berücksichtigte. Die Ursprünge dieses ungewöhnlichen Labels liegen jedoch nicht in den USA sondern in der Gegend um den Lützowplatz in Berlin. Dort wurden die beiden deutschen Juden Alfred Lion (1908–1987) und Jakob Franz (Francis) Wolff (1907–1971) geboren und wuchsen auf. Der Besuch eines Konzerts von Sam Wooding and his Chocolate Kiddies 1925 im Admiralspalast legte bei Albert Lion den Grundstock für die lebenslange Obsession, die er mit seinem Freund Francis Wolff teilte. Wichtig war für ihn nur eins: It must schwing! Lions Arbeit für eine Import-Export-Firma in New York erleichterte ihm und seiner Mutter die Emigration kurz nach der Machtübergabe an die Nazis. Über Chile kamen sie schließlich 1936 in New York an. Am 6. Januar 1939 nahm Alfred Lion mit den Boogie-Woogie-Pianisten Albert Ammons und Meade Lux Lewis seine erste Platte auf, für die er Blue Note Records gründete. Im selben Jahr nutzte Francis Wolff die letzte Chance und folgte seinem Freund nach New York. In Berlin hatte er sich noch zum Fotografen ausbilden lassen, wovon Blue Note profitieren sollte. Lion und Wolff waren beide Mitglieder des „Hot Club“ Berlin, einem Kreis der Jazz-Enthusiasten, dem auch Günter von Drenkmann angehörte, der mit Wolff befreundet war. Von Drenkmann war viele Jahre später in Westberlin Kammergerichtspräsident und wurde 1974 nach dem Hungerstreiktod von Holger Meins von der Bewegung 2. Juni ermordet.
Nach Wolffs Ankunft in New York arbeitete er gemeinsam mit Lion für das Blue Note Label. Francis Wolff fotografierte die Musiker während der Proben und zum Leidwesen seines Kompagnons auch während der Tonaufnahmen. „Stop klicking on my record“ rief ihm dann Lion in seinem sehr harten deutschen Akzent zu, wenn er mal wieder eine Aufnahme abbrechen musste.
Blue Note ist nun eine Ausstellung im Jüdischen Museum gewidmet, die neben biografischen Dokumenten vor allem die Fotografien von Francis Wolff sowie seines Nachfolgers Jimmy Katz (geboren 1957) zeigt. Wolffs nicht zu bändigende Leidenschaft, die Musiker zu portraitieren und die Sessions fotografisch zu verewigen, verdankt die Jazzgeschichte einzigartig intim wirkende Aufnahmen von John Coltrane und Miles Davis, die vom legendären Grafiker Reid Miles für die charakteristischen und modernen Cover genutzt wurden. Blue Note arbeitete mit dem Tonstudio von Rudy van Geldern zusammen, der in den 50er Jahren noch das Wohnzimmer seiner Eltern in Hackensack als Aufnahmeort nutzte. Auf einigen Fotos sind deshalb im Hintergrund Couch, Sessel und Fernseher zu sehen.
1966 verkaufte Alfred Lion Blue Note an Liberty Records und zog sich aus dem Jazz-Geschäft zurück. Für wenige Jahre verschwand das Label und wurde erst 1984 wiederbelebt. Heute existiert es unter der Ägide von EMI und wird künstlerisch vom bekannten Produzenten Michael Cuscuna betreut, der sich liebevoll um Neuauflagen alter Aufnahmen kümmert und auch neue Produktionen verantwortet.
Autor: Matthias Reichelt
It must schwing. Blue note – Fotografien von Francis Wolff und Jimmy Katz
Jüdisches Museum Berlin
Bis 7. Februar 2010
Täglich 10–20 Uhr
www.jmberlin.de