Die im Jüdischen Museum von Bratislava, Hauptstadt der Republik Slowakei, im Nebensatz hingeworfene Bemerkung verblüffte mich so, dass ich nachfragte, ob ich das richtig verstanden habe: Es hat in der Armee der Slowakei im Zweiten Weltkrieg „jüdische Arbeitsbataillone“ gegeben?
Später fand ich in einer Prager Buchhandlung ein noch druckfeuchtes Buch über diese Armee[1], in dem keine Details enthalten waren, aber wenigstens ein Bild dieser Arbeitsbataillone mit einer informierenden Unterschrift: „Mitglieder der Arbeitseinheiten. In diese Einheiten wurden politisch unzuverlässige Leute eingezogen, Juden und Zigeuner. Die Einheiten wurden beim Bau militärischer Objekte und Befestigungen eingesetzt und waren militärischer Aufsicht unterstellt. Die Kopfbedeckungen dieser Einheiten waren nur Ariern vorbehalten, Juden und Zigeuner trugen runde Kappen, die Matrosenmützen ähnelten“. Was geschah mit slowakischen Juden im Zweiten Weltkrieg?
Slowaken und Juden
Die Slowakei entstand als Staat im März 1939 – als Ergebnis der endgültigen Zerschlagung der Tschechoslowakei und ausgestattet mit einer Souveränität von Hitlers Gnaden. Der Antisemitismus war in der Slowakei in doppelter Weise immer präsent gewesen, als Ideologie der slowakischen Nationalisten, versammelt in „Hlinkas Slowakischer Volkspartei“ (HSL’S), und als Doktrin der katholischen Kirche, die die Juden als „Volk der Gottesmörder“ denunzierte. Solange die Tschechoslowakei noch bestand, spielte das keine große Rolle, da in dieser säkularen Demokratie Nationalisten und Klerikale kaum Einfluss besaßen. Das änderte sich nach dem Münchner Abkommen, durch das im September 1938 das (überwiegend von Deutschen besiedelte) Sudetenland dem Deutschen Reich zugeschlagen wurde. Dadurch ermutigt und von Hitler direkt angewiesen, stellte auch Ungarn territoriale Forderungen, die im „Ersten Wiener Schiedsspruch“ am 2. November 1938 von Italien und Deutschland positiv beschieden wurden: Ungarn bekam den ganzen slowakischen Südteil zugesprochen (10.423 km², 895.885 Einwohner), dazu weitere Territorialverluste in der Karpato-Ukraine. Diese Entscheidung empfand die Führung der „autonomen Slowakei“ (6. Oktober 1938 – 14. März 1939) als ihre „erste außenpolitische Niederlage“, für die die „antislowakischen“ Juden als Sündenbock büßen sollten. 7.500 von ihnen wurden in die Gebiete abgeschoben, die an Ungarn abzutreten waren und in denen bereits 40.000 Juden ansässig waren.[2] Im Herbst 1938 hieß es auf Plakaten slowakischer Nationalisten: „Slowaken, Christen! Die Juden sind schon immer eure Ausbeuter gewesen. Heute müssen sich alle Nichtjuden zu einem einzigen antijüdischen Block zusammenschließen. Kauft nicht mehr beim Juden! Nur der Juden wegen mussten nach 20 Jahren 276.000 Slowaken wieder an Ungarn abgetreten werden“.
Laut Volkszählung von 1930 lebten in der Slowakei 136.737 Juden, von denen sich 65.385 zur „jüdischen Nationalität“ bekannten, 44.019 zur tschechoslowakischen und 9.945 zur deutschen. Es handelte sich also um eine relativ kleine Gruppe von 4,11 Prozent der Gesamtbevölkerung, die nur in gut der Hälfte aller slowakischen Gemeinden und Städte, nämlich in 1.435 von 2.658, anzufinden war und durch die neueren politischen Umwälzungen zusätzlich fragmentiert wurde. Das gab der dritten Spielart des slowakischen Antisemitismus, dem ökonomisch motivierten, weiteren Auftrieb. Bis 1918 hatte die Slowakei zu Ungarn gehört, was eine demographische Scheidung der Bevölkerung nach sich zog: Die Slowaken lebten überwiegend auf dem Land, was sie vor dem harschen Magyarisierungsdruck der ungarischen Behörden schützte; Ungarn und Deutsche stellten das urbane Element, und die Juden waren in allen Schichten vertreten – auf dem Lande als Händler und Gastwirte, in den Städten als mittelständische Kleinunternehmer. Sprachlich und kulturell passten sie sich ihrer jeweiligen Umgebung an und sprachen untereinander jiddisch, mit ihrer Umwelt ungarisch, deutsch oder (seltener) slowakisch. Noch vor Entstehung des slowakischen Staates änderte sich das: Bereits im Januar 1939 entstand eine „Regierungskommission zur Lösung der Judenfrage“, in der kein Jude präsent war.
Judenfrage im slowakischen Staat
Slowakischer Präsident war der Priester Jozef Tiso (1887-1947, Bild), der als gemäßigt galt und die „Judenfrage“ per Numerus clausus in allen Lebensbereichen „lösen“ wollte. Das geschah anfänglich durch „Regierungsverordnungen“, die die Zahl jüdischer Ärzte, Apotheker, Journalisten etc. begrenzten, jüdische Unternehmer zwangen, per „freiwilliger Arisierung“ nichtjüdische Miteigentümer zu akzeptieren und ähnliches mehr. Das waren in gewisser Weise noch Konzessionen, denn die neue Verfassung vom 25. September 1939 bot schon jede Handhabe, die Juden völlig auszugrenzen, und das neue Verteidigungsgesetzt vom 18. Januar 1940 verbot ihnen den Dienst in der Armee.
Im Juli 1940 trafen sich Hitler und Tiso in Salzburg, wonach es zu radikalen Änderungen in der Slowakei kam. Deutscher Druck verschaffte slowakische Radikalen größten Einfluß, z.B. Šaňo Mach (1902-1980), dem nationalistischen Ideologen und Führer der paramilitärischen Hlinka-Garden, der Innenminister wurde, und Vojtech Tuka (1880-1946), der zum Premierminister avancierte. Nun konnte von „gemäßigten“ Lösungen keine Rede mehr sein, vielmehr beauftragte der Snem – 1938 als Landesparlament der autonomen Slowakei geschaffen, im Juli 1939 zum gesetzgebenden Organ der souveränen Slowakei promoviert – die Regierung, binnen eines Jahres die Judenfrage zu lösen, wofür er ihr alle Vollmachten einräumte. Schon lange galt also, was der sog. „Judenkodex“ vom 9.9.1941, offiziell eine Anordnung über die Rechtsstellung der Juden, so bestimmte: „Die einzelnen Organe des slowakischen Staates gehen kompromisslos und konsequent gegen die größte Tyrannei der Slowakei, gegen die Juden, vor, um so dem slowakischen Volk den wohl größten, markantesten und notwendigsten Dienst zu leisten“.
Kraft der Vereinbarungen von Salzburg waren in nahezu alle slowakischen Ämter deutsche „Berater“ eingezogen, unter ihnen Dieter Wisliceny (1911-1948, Bild), der für die „Judenfrage“ zuständig war.[3] Deren „Lösung“ erschien ihm höchst einfach: Jüdischer Besitz wird „arisiert“, Juden selber werden deportiert. Das geschah 1942 nicht nur im großen Umfang, die Slowakei war darüber hinaus der einzige Verbündete Hitlers, der die Deportation der Juden aus eigener Kasse bezahlte: 500 Reichsmark pro Kopf plus Verpflegung für vierzehn Tage. Gegen diese Radikalität protestierte unausgesetzt der Vatikan, kam aber gegen eine dreifache „Front“ nicht an: Die regierenden Nationalisten, obschon kirchentreu bis zur Bigotterie, ignorierten diese Mahnungen, die allmächtigen deutschen Berater kümmerten sich nicht um sie und die Bevölkerung tolerierte sie, da sie durch diese Politik in den Besitz „arisierten“ jüdischen Eigentums kam.[4]
Im September 1940 wurde das „Zentrale Wirtschaftsamt“ geschaffen, das der Regierung Tuka direkt unterstand und für alle mit der Arisierung verbundenen Fragen zuständig war. Dabei ging es um einen Besitz, der per se nicht sonderlich groß war, in der armen Slowakei aber rund 38 Prozent des „nationalen Reichtums“ ausmachte: 12.000 jüdische Firmen im Gesamtwert von 530 Mio. Slowakischen Kronen (Ks, 11,62 Ks = 1 Reichsmark), Gesamtwert jüdischen Eigentums 3,15 Mrd. Ks, jüdische Immobilien 950 Mio. Ks, jüdische Bankeinlagen 350 Mio. Ks etc. Im Innenministerium wurde die 14. Abteilung eingerichtet, die die Deportationen der Juden organisierte. Alle Juden wurden zur Mitgliedschaft in der (am 26. September 1940 geschaffenen) „Judenzentrale“ verpflichtet, die die alleinige Repräsentantin der slowakischen Juden war und ihnen alle antijüdischen Verfügungen der Regierung und der einzelnen Ministerien bekannt gab.
Ausgrenzung und Deportation
Seit September 1941 mussten die slowakischen Juden einen gelben sechsstrahligen Stern auf ihrer Kleidung tragen. Bis dahin waren sie aus dem öffentlichen Leben bereits völlig verdrängt, denn „Der Jude ist unser Feind“ (wie es selbst Graffitis an Häuserwänden verkündeten, vgl. das nebenstehende Bild). Für Juden galten abgesonderte Klassen in Volksschulen; Verbot des Besuchs von Ober- und Hochschulen; Aufenthaltsverbot in Parks, Schwimmbädern und bestimmten Straßen (z.B. Adolf-Hitler-Straßen); Verbot, Radiogeräte, Fotoapparate, Autos etc. zu besitzen; morgendliche und abendliche Polizeistunden; Einkaufmöglichkeiten nur zu bestimmten Zeiten etc.
Diese Einschränkungen führten, im Verbund mit der „Arisierung“, zu einer sozialen Verelendung der slowakischen Juden. Selbige wurde ausgerechnet vom Innenministerium detailliert belegt, das damit seine Absicht unterstrich, eine allgemeine jüdische Arbeitspflicht einzuführen. Am 1. April 1942 lebten 88.951 Juden in der Slowakei, die etwa 22.000 Haushalte bildeten. Erwerbstätig waren 32.527 Personen, wozu weitere 4.000 kamen, die von eigenen Rücklagen zehrten. Ohne Einkommen und Überlebensmöglichkeit verblieben 16.000 jüdische Familien. Bis Anfang 1942 hatte die „Judenzentrale“ gewisse Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen für insgesamt 10.000 Personen betrieben, diese dann aber einstellen müssen.
Die Begründung des Innenministeriums, die erwähnte Arbeitspflicht, war nur Augenwischerei, denn diese bestand längst. Bereits zum 29. Mai 1940 wurde per Gesetz eine „zeitweilige Arbeitspflicht für Juden und Zigeuner“ verfügt, am 2. April 1941 waren „Arbeitszentren“ für arbeitsfähige Juden geschaffen worden, zum 4. Juli 1941 dekretierte ein Gesetz die allgemeine Arbeitspflicht für arbeitsfähige Juden zwischen 18 und 60 Jahren. Das war dann auch die Geburtsstunde der eingangs erwähnten jüdischen „Arbeitsbataillone“ (robotný prápor). Erfasst wurden die Jahrgänge 1918 bis 1921, in dunkel gefärbte Uniformen gesteckt, mit Hacken und Schaufeln ausgestattet und für schwerste Arbeiten in Steinbrüchen, Entwässerungsgebieten etc. herangezogen. 1942 wurden die Bataillone mit dem Einsetzen forcierter Deportationen wieder aufgelöst und dem Innenministerium übergeben. Dieses internierte die Angehörigen in den westslowakischen Sammellagern Nováky und Sered’ und im südslowakischen Vyhne, von wo aus sie nach Auschwitz deportiert werden sollten. Von dort gelang vielen die Flucht, die sich zuerst in den Bergen versteckten und sich später den Partisanen im Slowakischen Nationalaufstand vom August 1944 anschlossen.
Das Innenministerium wollte in Wahrheit nichts gegen jüdisches Elend tun, vielmehr dieses als Mittel zum Zweck der Deportation herausstellen. Damit reagierte es auf „Angebote“, die Wisliceny und Hans Elard Ludin (1905-1947, Bild), seit Januar 1941 deutscher Botschafter in der Slowakei, im Februar 1942 unterbreiteten, 20.000 arbeitsfähige Juden aus der Slowakei zu übernehmen. Dieses Angebot wurde akzeptiert und bis Anfang April 1942 erweitert (wie Ludin nach Berlin berichtete): Die Deutschen sollten doch alle Juden übernehmen, aber sie auch mit eigenen Zügen transportieren. Im Juni 1942 erklärte die slowakische Regierung erstmals ihre Bereitschaft, für die Deportationen zu bezahlen – was die Sache in etwas anderem Licht erscheinen lässt. Wer hat damals eigentlich wem „Angebote“ gemacht? Waren es die Deutschen oder die Slowaken? Letztere waren durch den deutsch-slowakischen Schutzvertrag vom Dezember 1938 verpflichtet, Arbeitskräfte „ins Reich“ zu schicken – die sie später gar nicht entbehren konnten. 20.000 Juden, die zu schwerer körperlicher Arbeit fähig waren, konnten sie auch nicht finden. Die Dokumente sind reichlich verworren, die Historiographen schwanken in ihrem Urteil, aber der Verdacht bleibt bestehen, dass die slowakische Seite „mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen“ wollte – deutsche Wünsche nach Arbeitskräften befriedigen, die Juden außer Landes bringen, den Deutschen Organisation und Transport überlassen (gegen die erwähnte Bezahlung pro Deportierten).
Die praktischen Vorbereitungen der Deportationen begannen schon Ende 1941 und sie bestanden vor allem darin, die Juden genauestens zu erfassen und sie rechtzeitig in Sammellager zu bringen. Am 25. März 1942 startete der erste „Transport“ – 25 Güterwaggons, jeder mit 40 Mädchen und jungen Frauen von 15 bis 30 Jahren gefüllt, die am frühen Morgen des 26. März bereits auf der schrecklichen Rampe von Auschwitz-Birkenau standen. So begann die slowakische „Aktion DA“ (für „David“), die bis zum 17. April sechs Transporte mit insgesamt 5.836 jungen Juden aus der Slowakei nach Auschwitz brachte. Am 10. April traf Heydrich in Bratislava ein und vereinbarte mit Tiso, dass die Transport nicht nur aus den Sammellagern, sondern gleich aus den Bezirksstädten abgehen sollten. Bereits am Tag danach begannen die sog. „Familientransporte“, die in rascher Folge insgesamt 5.799 Personen in die KZs brachten, wo bis auf sehr wenige Überlebende alle Deportierten vergast wurden. Jan Mlynárik, Verfasser einer Geschichte der Juden in der Slowakei (Anm. 4) schreibt: „Das intensivste Tempo der Deportationen wurde im April und Mai 1942 erreicht, als aus der Slowakei 45.000 Juden gewaltsam verschleppt wurden“.
Am 25. Juni 1942 trafen sich Tuka und Ludin, denen Wisliceny berichtete, aus der Slowakei seien bereits 52.000 Juden deportiert, 35.000 lebten noch dort dank gewisser „Ausnahmegenehmigungen“, die dringend zu „revidieren“ seien. Wislicenys Vorgesetzter Eichmann verlangte eine Lösung der „Judenfrage“ bis Ende 1942, spätestens aber bis Juni 1943. Das wurde immer schwieriger: Die Slowakei war nicht besetzt, die Deutschen konnten also nichts befehlen; selbst in der obersten Staatsführung, dem Staatsrat, kamen Zweifel auf, ob eine Deportation aller Juden im Einklang mit Verfassung und „göttlichem Recht“ sei; ähnliche Zweifel bestanden in der Kirche, und die Führer der „Judenzentrale“ merkten, dass sie die slowakischen Juden nicht schützen konnten, riefen das Ausland um Hilfe an und erstellten in eigenen Arbeitsgruppen genaue Berechnungen, wie schädlich die Deportationen für die slowakische Wirtschaft seien. Im Grunde war nur Innenminister Mach für restlose Deportation, da sie zum Sieg Deutschlands im Krieg beitrüge – „wenn Deutschland nicht siegt, siegen die Bolschewiken, also die Juden“.
Ab Juli 1942 gingen die Transporte allmählich zurück, am 14. Januar 1943 berichtete das slowakische Verkehrsministerium über den Verlauf der „Aktion DA“. Zwischen dem 25. März und dem 20. Oktober 1942 wurden 57 Transporte mit 57.752 Juden abgefertigt, von denen 38 mit 39.006 Juden ins KZ Lublin, 19 mit 18.746 Juden ins KZ Auschwitz gingen. Für die lokale Vorbereitung, den Grenzübertritt und die Benutzung der deutschen Reichsbahn musste die „Judenzentrale“ über 24 Mio. Ks zahlen. Bereits am 21. Dezember 1942 hatte die Slowakische Nationalbank dem Finanzministerium berichtet, dass sie gemäß der Abmachung, 500 RM pro Deportierten zu zahlen, der Reichsbank 28.814.000 RM schulde, also fast 335 Mio. Ks, die sie nicht aufbringen könnte. Folglich wurden nur 100 Mio. Ks überwiesen – womit die Deutschen zufrieden waren und nicht auf weitere Zahlungen drängten.
Neue Transporte 1944
Im März 1943 schlug die berüchtigte 14. Abteilung des Innenministeriums vor, die Deportationen wieder aufzunehmen, und bereitete dafür vier Transporte mit jeweils 1.000 Menschen vor, die Ende April abgehen sollten. Die Regierung nahm das zur Kenntnis, willigte aber nicht ein – aus überzeugenden ökonomischen Motiven, an denen auch Innenminister Mach nicht vorbeikam. Er schlug darum Präsident Tiso vor, die Juden in Arbeitslagern zu konzentrieren, wenn Regierung und „maßgebende Wirtschaftskreise“ schon der Ansicht seien, auf diese Arbeitskräfte nicht verzichten zu können.
Präsident Tiso steckte noch in einem persönlichen Dilemma: Da er Priester war, konnte sein Vorgehen gegen die Juden auf die katholische Kirche insgesamt zurückfallen, was Rom – neben anderen und humanen Motiven – in beträchtliche Unruhe versetzte. Der päpstliche Nuntius Giuseppe Burzio entwickelte enormen Überzeugungseifer, um die Gefahr erneuter Deportationen zu bannen.
Unter diesen Umständen willigte Tiso ein, bis zum 1. April 1944 rund 18.000 Juden in KZs zu isolieren, dazu weitere 10.000 Juden, die irgendwann zum christlichen Glauben konvertiert waren, was ihnen aber nichts helfen sollte. In der Slowakei war der deutsche Druck etwas geringer geworden, da Wisliceny und andere „Berater“ für Judendeportationen aus Griechenland und später aus Ungarn benötigt und darum aus der Slowakei für lange Monate abgezogen wurden. Gerade die Deportationen aus Ungarn hatten im Ausland ein solches Aufsehen erregt, dass sie im Juli 1944 eingestellt wurden. Bis dahin aber hatten so viele Transporte aus Ungarn die Slowakei durchquert, dass auch dort die Unruhe zunahm.
Mitte Mai 1944 kam es zu erneuten Transporten von insgesamt 2.900 Juden, die allerdings nur innerhalb der Slowakei umgesiedelt wurden, welche Maßnahmen zudem durch zahlreiche Ausnahmegenehmigungen – für Ärzte, Tierärzte, Apotheker, Juden mit nichtjüdischen Ehepartnern etc. – gemildert waren.
Im August 1944 brach der erwähnte Nationalaufstand aus, dessen Hauptkampfgebiete in der Südslowakei und in der Nähe der geplanten Konzentrationslager lagen – was von den Deutschen als neuer Beweis für die Gefährlichkeit von Juden angesehen wurde (wie Himmler bei einem Besuch in Bratislava Tiso erklärte). Das glaubte in der Slowakei zwar kaum jemand, aber ein Zeichen für nahende Kriegsgefahr war der Aufstand gewiss. Um dieser Gefahr zu begegnen, wurden Regierung und ihr Apparat gestrafft: Im September 1944 wurde Stefan Tiso (1897-1959) neuer Premierminister und im Innenministerium beseitigte man die 14. Abteilung und übergab deren Kompetenzen an die Sicherheitsabteilung des Verteidigungsministeriums.
Für die Juden war damit nichts gewonnen, im Gegenteil: Die 14. Abteilung hatte man hintergehen, ihren Leiter Anton Vašek (1905-1946) bestechen können etc., was nun mit den Militärs nicht mehr möglich war. Die wussten, dass sie mit den Deutschen standen oder fielen, und entsprechend harsch griffen sie durch. Allen Juden von Bratislava wurde befohlen, sich am 29. November 1944 im Stadtzentrum einzufinden, von wo aus sie ins südslowakische Lager Sered’ gebracht wurden.
Dort hatte mittlerweile der deutsche „Berater“ Alois Brunner (1912 – nach 1992, Bild) das Kommando übernommen und machte aus Sered’ umgehend ein Vernichtungslager. Zudem begannen die Deportationen erneut: Am 30. September 1944 ging der erste Transport mit 1.860 Menschen nach Auschwitz ab, dem bis zum 12. November vier weitere mit insgesamt 7.436 Deportierten folgten. Von Ende September 1944 bis März 1944 erfolgten 11 Transporte mit 12.306 Juden. Von diesen kamen 7.936 nach Auschwitz, 2.732 in KZ in Deutschland und 1.638 ins das Ghetto Theresienstadt (Terezín). So wenigstens besagen es Mindestzahlen, mit denen manche Holocaustforscher nicht einverstanden sind; nach ihren Berechnungen wurden 13 Transporte mit 13.500 Juden, von denen 10.000 umkamen, registriert. Die volle Wahrheit wird man nie erfahren, da z.B. bei Transporten, die nach Theresienstadt gingen, nicht nur Juden erfasst waren.
Das Elend der slowakischen Juden ging auch nach Kriegsende für mindestens zwei Jahre weiter. Vor den neuen Behörden, zumeist stark kommunistisch unterwandert, mussten sie ihre Staatsbürgerschaft beweisen, und wenn sie sich irgendwann einmal als Ungarn oder Deutsche deklariert hatten, dann wurden sie nunmehr wie Deutsche oder Ungarn behandelt – bestraft, vertrieben, der Lynchjustiz überantwortet. Es hat 1945/46 in der Slowakei mindestens 14 antijüdische Pogrome gegeben, das erste und schwerste im September in Topol’čany, bei denen jüdische Wohnungen ausgeraubt und Juden verletzt wurden. „Daran sind die Juden selber schuld“, war der Standpunkt der Regierung, die sich durch entsprechende Dekrete von Präsident Beneš abgesichert wusste.
Autor: Wolf Oschlies
Anmerkungen
[1] Charles K. Kliment, Břetislav Nakládal: Slovenská Armáda 1939-1945 (Die slowakische Armee 1939-1945), Prag 2006
[2] Eduard Nižňanský: Židovská komunita na Slovensku 1938-1945 (Die jüdische Gemeinde in der Slowakei), in: www.holocaust.cz
[3] Katarina Hradská: Nemeckí poradcovia na Slovensku v rokoch 1940-1945: Prípad Dieter Wisliceny (Deutsche Berater in der Slowakei 1940-1945: Der Fall D.W.), in: www.dejiny.sk/eknihy/hrad1.htm
[4] Ján Mlynárik: Dejiny Židů na Slovensku (Geschichte der Juden in der Slowakei), Prag 2005