Am Sabbat des 16. Oktober 1943 führten drei Hundertschaften SS-Polizeikräfte eine umfassende Judenrazzia in Rom durch. Die Aktion war geheim vorbereitet worden. Die meisten Juden waren ahnungslos. Sie wurden in ihren Wohnungen verhaftet und zwei Tage später vom römischen Bahnhof Tiburtina direkt nach Auschwitz deportiert. Von den über eintausend Deportierten kehrten nach dem Krieg nur fünfzehn Männer und eine Frau zurück.
Das Trauma dieser Razzia ist in der jüdischen Gemeinde Roms schmerzhaft lebendig. Es ist auch ein Trauma für den Vatikan, denn das Verhalten Pius XII. während der Aktion steht nach wie vor unter heftiger Kritik.
Nachdem die Regierung Badoglio für Italien mit Wirkung vom 8. September 1943 einseitig einen Waffenstillstand mit den Alliierten ausgehandelt hatte, übernahm Hitler gewaltsam die Macht in Rom und ganz Italien. Seit dem Sturz des Duce am 25. Juli sechs Wochen zuvor, hatte Hitler schon mit einem Ausstieg seines Bündnispartners gerechnet und starke Verbände über die Alpen geschickt. Noch am Abend des 8. Sept. wurde das Codewort „Fall Achse“ für die Machtübernahme ausgelöst.
Für den OB Süd, Feldmarschall Albert Kesselring, hatte die Einnahme Roms höchste Priorität. Er ließ die Stadt von Süden und von Norden durch eine Fallschirmjäger- und eine Panzer-Grenadierdivision besetzen. Einzelne italienische Verbände und Freiwillige leisteten zum Teil heftigen Widerstand. Doch schon am 10. September mussten die Italiener die Waffen strecken und Rom übergeben. Der Vatikan blieb unbesetzt. Kesselring und das Reichsaußenministerium in Berlin gaben förmliche Erklärungen ab, dass die Souveränität des Vatikanstaates respektiert werde.
Gleich nach der Erlangung der Kontrolle in Italien gab Hitler seinem SS-Reichsführer Himmler mündlich den Befehl, die Juden Roms schnellstmöglich zu deportieren und liquidieren zu lassen. Mitte September wurde der Befehl ebenfalls mündlich aus dem Feldhauptquartier Himmlers an den SD- und Sipo-Chef Roms, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, durchgegeben. Wegen der Brisanz dieser Order verlangte Kappler eine schriftliche Bestätigung. Sie kam via Fernschreiben als „geheime Reichssache“ am 24. September direkt aus dem RSHA in Berlin. In dem Schreiben wurde Kappler angewiesen ohne Verzögerung eine allgemeine Judenaktion in Rom durchzuführen und die Gefangenen zwecks Liquidierung nach Norden zu deportieren.1
Berlin schätzte rund 8000 Juden in der Stadt. Niemand kannte jedoch die genaue Zahl. In Rom hielten sich besonders 1943/44 viele jüdische Flüchtlinge im Untergrund auf. Und täglich war ein Kommen und Gehen. Der größte Teil davon war illegal oder nicht registriert.
Roms SS-Polizeichef Kappler hatte starke Vorbehalte gegen eine Judenaktion zu diesem Zeitpunkt. Die Sicherheitslage in der gerade besetzten Stadt war zu angespannt. Dringlicher war für ihn die Lösung des Problems der bewaffneten königstreuen Carabinieri. Außerdem wollte er Unruhen unter der Bevölkerung wegen einer großen Judenrazzia vermeiden.
Der streng geheime Führerbefehl für eine Judenaktion landete aus Versehen auf dem Schreibtisch des frisch ernannten Stadtkommandanten General Reiner Stahel. Sein Hauptquartier hatte er anfangs in der Deutschen Botschaft Villa Wolkonski, wo Kapplers Büro war. Auch Stahel hegte Vorbehalte gegen eine Razzia. Er nahm sofort Kontakt auf zum Statthalter in der Botschaft, Konsul Eitel F. Moellhausen.2 Botschafter Rahn war in Norditalien bei Mussolini. Stahel fragte Moellhausen nach diplomatischen Interventionsmöglichkeiten und nannte die geplante Razzia eine „Schweinerei“. Der Konsul machte dem General wenig Hoffnung, doch er wolle versuchen, was möglich sei.
Moellhausen nahm direkten Kontakt mit SD-Chef Kappler und Feldmarschall Kesselring auf. Kappler war bereit, die Razzia nicht weiter zu verfolgen, wenn auch OB Kesselring dagegen sei. Zwar wollte sich Kesselring bei einem gemeinsamen Treffen der drei nicht festlegen, aber er signalisierte seine Ablehnung. Er sei bereit, ersatzweise einen Zwangsarbeitseinsatz der Juden zu Schanzarbeiten zu befürworten – so wie in Tunesien. Konsul Moellhausen schrieb daraufhin zwei aufeinander folgende Telegramme (6. und 7. Okt.) an Außenminister Ribbentrop. Im Telegramm vom 6. Oktober zitierte Moellhausen sinngemäß den Razziabefehl: Kappler habe die Order erhalten, die Juden Rom zwecks „Liquidierung“ zu deportieren. Der Stadtkommandant und der Feldmarschall hätten Bedenken gegen die Razzia. Sie würden die „Tunesische Lösung“ unterstützen und die Juden zu Schanzarbeiten verpflichten. Das kurze Telegramm vom 7. Okt. war inhaltlich ähnlich. Moellhausen verstärkte die Ablehnungshaltung Kesselrings. Der Feldmarschall habe Kappler gebeten, die Razzia zurückzustellen und vorerst nur Schanzarbeiten in Erwägung zu ziehen.3
Das erste Telegramm vom 6. Oktober wurde eines der meist zitierten Dokumente der Shoa, da in einem hochrangig amtlichen Schriftstück ein Razziabefehl beschrieben und mit Bezug darauf das Wort „liquidieren“ zitiert wurde. Eine Kopie des Telegramms schickte Moellhausen übrigens auch an das Führerhauptquartier Wolfsschanze.
Außenminister Ribbentrop war aufgebracht über die Indiskretion mit dem Begriff „liquidieren“. Das Wort durfte im diplomatischen Schriftverkehr nicht auftauchen. Zudem war die Depesche hoch abhörgefährdet über den Äther gesendet worden. Ribbentrop ließ umgehend antworten, dass sich die örtlichen Dienststellen tunlichst aus der SS-Aktion heraushalten sollten. Außerdem bekam Moellhausen einen Verweis für das Liquidations-Wort. Ribbentrop machte vor, welchen Sprachgebrauch man verwenden konnte: Er bezeichnete die zu deportierenden Juden als „Geiseln“, die nach Mauthausen zu verbringen seien.4
Die Sorge in Berlin vor dem feindlichen Mithören war berechtigt. Das Telegramm Moellhausens fiel sowohl den Engländern (Bletchley-Park) als auch dem US-amerikanischen Geheimdienst (Bern/OSS) in die Hände.5
Der Botschaftsrat Albrecht von Kessel (Vatikanbotschaft), der mit Moellhausen befreundet war, versuchte über einen Schweizer Mittelsmann der jüdischen Gemeinde eine Warnung zukommen zu lassen. Doch nach Aussage Kessels nahmen weder der Mittelsmann noch die Führung der jüdischen Gemeinde die Warnung sonderlich ernst.6 Zu einer weiteren Warnung kam es nicht, da SS-Sicherheitschef Kappler mit einer eigenmächtigen Golderpressung den Wind aus den Segeln nahm.
Am 26. September bestellte er die Vorstände der jüdischen Gemeinde Roms zu sich und verlangte binnen 36 Stunden die Abgabe von 50 kg Gold.7 Andernfalls würde er zweihundert Geiseln in den Osten deportieren lassen. Diese Golderpressung setzte die nicht sehr wohlhabende Gemeinde unter großen Druck. Durch eine rasch gestartete Aktion wurden Goldutensilien aller Art wie Schmuck, Ketten, Ringe, Münzen, Tabakdosen u.ä. gesammelt. Da nicht genug zusammen zu kommen drohte, wandte man sich an den Vatikan um Hilfe. Papst Pius XII. versprach einen Kredit in jeder Höhe, um fehlendes Gold nachkaufen zu können (man rechnete etwa 15 Kilo). Diese Zusage brauchte aber nicht in Anspruch genommen zu werden. Am Ende kam genug Gold zusammen, vor allem durch breite Hilfe der römischen Bevölkerung, darunter Pfarrgemeinden.
Kappler ließ das Gold akkurat nachwiegen und schickte es per Flugzeug ins RSHA direkt an dessen Chef Ernst Kaltenbrunner. Kappler hoffte, mit der jüdischen Goldabgabe zumindest einen Aufschub der Razzia zu erreichen. In Berlin war man aber an dem Gold nicht interessiert – es blieb unangetastet bis es russische Truppen in einem Aktenschrank im RSHA fanden. Kaltenbrunner rüffelte per Telegramm vom 11. Oktober Kappler in Rom und verlangte die sofortige und gründliche Ausrottung der Juden in Italien. Je länger man warte, desto mehr Juden könnten in Verstecke abtauchen. Auch dieses Telegramm wurde von den alliierten Geheimdiensten abgefangen.8
Mittlerweile hatte Adolf Eichmann im RSHA den Sand im römischen Getriebe bemerkt. Rasch beorderte er seinen Mann fürs Grobe, SS-Hauptsturmführer Theodor Dannecker, zur Durchführung der Razzia nach Rom. Dannecker kam mit einem kleinen Kommando in der ersten Oktoberwoche in Rom an. Er machte sich sofort an die streng geheime Planung einer umfassenden Judenrazzia.9
Die Adressen der registrierten Juden bekam Dannecker über eine Bürodurchsuchung bei der jüdischen Gemeinde und über die Stadtverwaltung. Für den Tag der Razzia stellte er eine Liste zusammen („Liste Dannecker“), die flächendeckend in ganz Rom alle bekannten Juden-Adressen enthielt. Die Bestandsaufnahme war allerdings nicht einfach. Die offiziellen Listen waren lückenhaft. Es gab weder eine strenge kommunale Wohnhaftmeldedatei, noch eine vollständige Mitgliederliste bei der jüdischen Gemeinde. Dessen Büro erfasste in der Regel nur Beitragszahler.
Als dem Stadtkommandanten General Stahel die Anwesenheit eines SS-Vorbereitungskommandos in der Stadt gemeldet wurde, sondierte er beim Vatikanbotschafter Ernst von Weizsäcker zwecks diplomatischer Hilfe. Er schickte Leutnant Kunkel aus seinem Ia-Stab mit der schriftlichen Bitte zu Weizsäcker, ob der Botschafter nicht über das Reichsaußenministerium etwas gegen die geplante Razzia unternehmen könne. Doch Weizsäcker winkte ab. Er könne in dieser Sache nichts machen, war seine umgehende Antwort.10
Dannecker setzte die Aktion auf den 16. Oktober fest, einem Sabbat. Er forderte dafür vom Stadtkommandanten Stahel alle Sicherheitskräfte, die er in Rom entbehren konnte. Insgesamt bekam er 365 Mann aus vier SS-Polizeikompanien zur Verfügung gestellt. Die Razzia begann gegen 5.30 Uhr. Mit dem Großteil seiner Polizeikräfte ließ Dannecker das alte Ghetto im Herzen Roms abriegeln und Straßenzug für Straßenzug durchkämmen. Die meisten Juden wurden aus dem Schlaf hoch geschreckt und zum Sammeln auf die Straße gejagt. Auf Mütter mit Neugeborenen, auf Greise, Gebrechliche oder schwer Kranke wurde keine Rücksicht genommen. Nur wenige persönliche Sachen und Verpflegung durften eingepackt werden. Der Brennpunkt der Räumung lag in den Straßen hinter der großen Synagoge, die an der Uferstraße direkt vor der Tiberinsel lag.11
Die verhafteten Juden wurden zum Hauptsammelpunkt am Porticus der Octavia bei der Ruine des Marcellustheaters getrieben. Es gibt erschütternde Augenzeugenberichte über die Brutalität, die Angst und die Verzweiflung während der Aktion. Am Porticus wurden die Verhafteten von Lastwagen abgeholt und zum einstweiligen Internierungsort gefahren, einer leer stehenden Militärschule auf der anderen Seite des Tiber.
Neben der flächendeckenden Razzia im alten Ghetto gab es überall in Rom Einzelverhaftungen durch fliegende SS-Kommandos. Dannecker hatte Rom in 26 Sektoren eingeteilt. Bis in die Mittagszeit fuhren die Verhaftungskommandos kreuz und quer durch Rom zu Adressen von Juden auf der Liste Dannecker. War ein Lastwagen voll, wurde er im Collegio entladen. Der Zeitzeuge Debenedetti behauptet, dass einige Fahrer beim Ansteuern des Collegio einen kurzen Umweg am Petersplatz vorbei machten, um einen Blick auf den Vatikan werfen zu können. Dabei hätten die verhafteten Juden nach dem Papst um Hilfe gerufen.12
Gegen 14 Uhr war die Razzia beendet. Das alte Ghetto war geräumt, der Hauptsammelpunkt leer und die Liste Dannecker in Rom abgearbeitet. Insgesamt waren 1259 Menschen verhaftet worden. Die SS hatte sich mehr erhofft, aber angesichts der schwierigen Umstände war man zufrieden. Im Vollzugstelegramm nach Berlin werden die Schwierigkeiten benannt: zu geringe SS-Polizeikräfte für ganze Straßenabsperrungen (daher zahlreiche Fluchtmöglichkeiten), unzuverlässige italienische Polizei und widerständige Bevölkerung, die Juden bei der Flucht unterstützte.13
Vermutlich standen auf der Liste Dannecker etwa zweitausend Juden. Die Zahl lässt sich aus mehreren Faktoren hochrechnen (Anzahl der erfolgreich bei der Razzia Geflüchteten, Anzahl der zur Verfügung stehenden SS-Kräfte, Anzahl der Verhafteten im Ghetto einerseits und der mosaikartigen Zugriffe verstreut in Rom andererseits, Kapazität des Internierungsortes „Collegio Militare“ und Probleme im Vorfeld bei der Ermittlung von Adressen).
Die von Verteidigern der Rolle Papst Pius XII. vorgebrachte Behauptung, dass die Razzia aufgrund der Intervention des Papstes abgebrochen worden sei, ist haltlos. Die Behauptung stützt sich auf eine Bemerkung von Bischof Alois Hudal, dem Rektor der deutschen Gemeinde Santa Maria dell´Anima. Hudal hatte am Tag der Razzia im Sinne Pius XII. einen Protestbrief an Stahel geschrieben und für den Fall einer fortgesetzten Aktion gegen die Juden einen päpstlichen Protest angedroht. Stahel antwortete tags darauf, dass er als Militärbefehlshaber keine Verantwortung und keinen Einfluss auf die SS-Polizeiaktion habe. Aber er hätte die Bedenken in einem Telefonat mit Himmler weitergegeben. Himmler habe ihm gesagt, dass des keine weitere Judenaktion geben werde.14 Diese Bemerkung Himmlers an Stahel wird von den Verteidigern Pius XII. als Abbruchbefehl gedeutet. Tatsächlich war die Razzia aber am Vortag gegen 14 Uhr schon regulär zu Ende gegangen. Alle Dokumente zur Razzia und alle unmittelbar oder mittelbar Beteiligten an den damaligen Ereignissen bestätigen das.
Himmlers Bemerkung betrifft zukünftige Judenrazzien in Rom. Für solche Aktionen gab es aber keine Möglichkeiten mehr. Dannecker hatte alle ihm bekannt gewordenen Judenadressen aufgelistet und abfahren lassen. Legal waren nach der Razzia keine Juden mehr in Rom zu finden. Die bei der SS-Aktion nicht ergriffenen Juden waren aus Angst in den Untergrund abgetaucht. Man hätte mit starken Polizeikräften ganze Quartiere abriegeln und systematisch durchkämmen müssen, um Versteckte zu finden. Doch dazu fehlten die Sicherheitskräfte. Selbst wegen der für die Gestapo weit gefährlicheren Partisanen und Untergrundkommunisten gab es keine Durchkämmungsaktionen solcher Art.
Fortan wurden Juden durch Straßenkontrollen, gezielte Hausdurchsuchungen, zufällige Enttarnungen oder Denunziationen aufgespürt. Bis zum Ende der deutschen Besatzung in Rom am 4. Juni 1944 sind auf diese Weise noch einmal rund eintausend Juden in die Fänge der Gestapo geraten. Die meisten der untergetauchten Juden überlebten dank eines großzügigen Asyls in Klöstern und anderen kirchlichen Häusern.15
Am Nachmittag des Razziatages wurde im Collegio eine Überprüfung der Verhafteten vorgenommen. Nach Vorschrift wurden so genannte Halbjuden und nichtjüdische Ehepartner wieder auf freien Fuß gesetzt, dasselbe galt für irrtümlich Festgenommene.16 Insgesamt sind 252 Personen aus der Haft entlassen worden. Im Vollzugstelegramm von Dannecker und Kappler am Abend des Razziatages wird von 1007 Personen gesprochen, die zur Deportation bereit stünden. Abweichend davon spricht die jüdischen Gemeinde Roms nach einer neuesten Überprüfung der Zahlen von 1015 arrestierten Juden im Collegio (die SS hätten Babys/Kleinstkinder nicht mitgezählt).17
Die Razziaopfer verblieben das Wochenende über im Collegio. Niemand wusste, was mit ihnen geschehen wird. Am Montagmorgen begann die Evakuierung der Menschen zum römischen Bahnhof Tiburtina. Zuvor wurden alle Wertsachen und alles Geld konfisziert. Dannecker ließ durch den Dolmetscher Wachsberger (deutschsprachiger, mitgefangener römischer Jude) verkünden, dass alle in ein Arbeitslager verschickt würden. Dort könne und müsse jeder nach seinen Fähigkeiten und Kräften arbeiten. Die Gefangenen wurden durch diese Nachricht nur wenig beruhigt. Sie wussten nicht, wo sie hingebracht werden sollten, ob sie jemals wieder zurückkommen würden und ob das Lager nicht eines der berüchtigten KZs ist, von denen man gehört hatte.18
Die Evakuierung des Collegio dauerte den ganzen Vormittag über. Am Bahnhof Tiburtina wurden die Menschen in achtzehn Wagons eines bereitstehenden Güterzugs verfrachtet. Um 14.05 Uhr am Montag, den 18. Oktober 1943, fuhr der Zug in Richtung Norden aus Rom ab: Zielort Auschwitz.19
Mit wenigen Kurzaufenthalten dauerte die Fahrt bis Freitagabend. Samstagmorgen wurden die Wagons an der Ankunftsrampe in Auschwitz geöffnet. Standortarzt Josef Mengele war anwesend und selektierte die Menschen in „arbeitsfähig“ oder „Gaskammer“. Am Ende bestimmte der berüchtigte KZ-Arzt weniger als zweihundert zur Arbeit. Über achthundert der römischen Juden schickte er auf Lastwagen sofort zur Gaskammer im nahe gelegenen Birkenau.20
Von den einstweilig Verschonten überlebten sechzehn die KZ-Haft und kehrten zurück. Die einzig überlebende Frau war Settimia Spizzichino. Sie setzte sich bis zu ihrem Tod 1980 unermüdlich für die lebendige Erinnerung der Shoa in Rom und Italien ein.21
Autor: Dr. theol. Klaus Kühlwein
Anmerkungen
1 Vgl. M. Tagliacozzo, La Communità di Roma, sotto l´incubo della svastica – La grande razzia del 16 ottobre 1943, in: Gli ebrei in Italia durante il Faschismo, Quaderni del Centro di Docum. Ebraica Contemporanea, Nr. 3, (Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea), Milano 1963, S. 8-37, hier S. 9f. Zu den zwei Befehlen für eine Judenrazzia vgl. auch Kapplers Aussage vor seinem Prozess (1948): Interrogatorio di Herbert Kappler tra il 20 e il 28 agosto 1947; dokumentiert in: Archivio Storico della comunità Ebraica di Roma: Roma, 16 ottobre 1943.
2 Moellhausen: Gebrochene Achse, S. 82f.
3 Das Möllhausen-Telegramm ist dokumentiert z.B. in: Akten der Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP), hrsg. von Bußmann, W. u.a., Serie E: 1941-1945, Bd. VII, Dok. 18, S. 31. Das Anschlusstelegram: Politisches Archiv Auswärtiges Amt (PA AA) Inland II g, Nr. 192, 5789/E 421.524.
4 ADAP, ebd., Anm. 2, S. 31 (= PA AA Inland II g, Nr. 372, 5789/E 421 521).
5 Vgl. Breitman, u.a.: U.S. Intelligence and the Nazis, S. 76ff.
6 Kessel, A.: Der Papst und die Juden, in: Raddatz (Hg.): Summa iniuria oder: Durfte der Papst schweigen? Hochhuths «Stellvertreter» in der öffentlichen Kritik, rororo-TB, Reinbeck 1963., S. 167-171, hier 168f.
7 Näher zur Golderpressung: Kühlwein, K.: Warum der Papst schwieg, S. 23f; Coen, F.: 16 ottobre 1943, S. 29ff.
8 Das Telegramm Kaltenbrunners existiert nur als Geheimdienstmitschnitt; Original: National Archivs (USA): RG 226, entry 122, Misc. X-2, Files, box 1, folder 5 – Italian Decodes 7458, abgedruckt in: Breitman, u.a., U.S. Intelligence and the Nazis S. 80; auch Katz: Rom, S. 103.
9 Zu Danneckers Mission in Rom z.B.: Steur, C.: Theodor Dannecker. Ein Funktionär der Endlösung, Tüb. 1997, S. 116ff.
10 Nach einem Interview mit Nikolaus Kunkel (KNA, 7.11.2000), veröffentlicht in: L´Osservatore Romano, 8.12.2000.
11 Neueste genaue Ortsrekonstruktion in: Archivio Storico della comunità Ebraica di Roma: Roma, 16 ottobre 1943.
12 Debenedetti: Am 16. Okt., S. 48.
13 Das dokumentarisch äußerst wertvolle Vollzugstelegramm der Razzia ist vollständig erhalten geblieben: Bundesarchiv (Berlin-Lichterfelde): Persönlicher Stab Reichsführer SS (NS 19/1880).
14 Zum Telefonat mit Himmler und Telefonnotiz Bischof Hudals am 17. Oktober z.B.: Riccardi, A.: L´inverno più lungo, S. 132f; Gaspari, A.: Gli ebrei salvati da Pio XII., Rom 2001, S. 22; Tornielli, A.: Pio XII. Il papa degli ebrei, TB-Ausg., Casale Monferrato 2002, S. 285f.
15 Zum Kirchen-Asyl vgl. die neuere umfangreiche Studie des Karlspreisträgers Andrea Riccardi: L´inverno più lungo.
16 Zu der Überprüfung vgl. Augenzeuge: Wachsberger: L´Interprete, S. 49f ; Testimonianza, S. 177; auch: Archivio Storico della comunità Ebraica di Roma, S. 45.
17 Archivio (ebd.), S. 51.
18 Wachsberger: Testimonianza, S. 178.
19 Zur Fahrt des Deportationszuges vgl. z.B. Katz: Black Sabbath, S. 239ff, Coen: 16 ott. 1943, S. 95ff.
20 Augenzeugen dokumentiert in: Pezzetti, M: Il libro della Shoah itavliana, S.179ff.
21 Vgl. ihr Buch: Gli anni rubati (Die geraubten Jahre).
Literaturhinweise
Actes et documents du Saint Sièges relatifs à la Secondes Guerre mondiale, hrsg. von Pierre Blet, Robert Graham, Angelo Martini, Burkhart Schneider, Bd. 9, Vatikan 1975.
Archivio Storico della comunità Ebraica di Roma: Roma, 16 ottobre 1943, hrsg. von Silvia Haia Antonucci u.a., Rom 2006.
Breitman, Richard, u.a,: U.S. Intelligence and the Nazis, Washington, DC 2004: National Archives Trust Fund Board for the Nazi War Crimes an Japanese Imperial Government Records Interagency Working Croup.
Coen, Fausto: 16 ottobre 1943. La grande razzia degli ebrei di Roma, Florenz 1993.
Debenedetti, Giacomo: Am 16. Oktober 1943. Eine Chronik aus dem Ghetto, Berlin 1993.
Gallo, Patrick. J.: To Halt the Dreadful Crime, in: ders. (Hg.): Pius XII, The Holocaust and the Revisionists. Essays, Jefferson (North Carolina) 2006, S. 110-135.
Katz, Robert: Black Sabbath. The Politics of annihilation. The harrowing story of the jews in Rome 1943, London 1969.
Ders.: Rom 1943-1944. Besatzer, Befreier, Partisanen und der Papst, Essen 2006 (= New York 2003).
Kühlwein, Klaus: Warum der Papst schwieg. Pius XII. und der Holocaust, Düsseldorf 2008.
Moellhausen, Eitel F.: Die gebrochene Achse, Alfeld 1949.
Pezzetti, Marcello: Il libro della Shoah italiana. I racconti di chi è sopravissuto. Una ricerca del Centro di documentazione ebraica contemporanea, Turin 2009.
Picciotto Fargion, Liliana: Il libro della memoria. Gli Ebrei deportati dall´Italia (1943-1945), 2. Aufl., Mailand 2002.
Riccardi, Andrea: L´inverno più lungo. 1943-44: Pio XII, gli Ebrei e i Nazisti a Roma, Rom 2008.
Spizzichino, Settimia; di Nepi Olper, Isa: Gli anni rubati. Le memorie di Settimia Spizzichino, reduce dai Lager di Auschwitz e Bergen-Belsen, 2. Aufl., Cava de´ Tirreni 2001.
Wachsberger, Arminio.: Testimonianza di un deportato di Roma, in: Picciotto Fargion Liliana: L´occupazione tedesca e gli ebrei di Roma. Documenti e fatti, Mailand 1979, S. 173-207.
Ders.: L´interprete. Dalle leggi razziali alla Shoah, storia di un italiano sopravvissuto alla bufera di Arminio Wachsberger, Mailand 2010.
Zuccotti, Susan: Under his very Windows. The Vatican and the Holocaust in Italy. TB-Ausg., New Haven (Yale Univ. Press) 2002
Links
Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea (Mailand): http://www.cdec.it/home2_2.asp?idtesto=578&level=1
Gemeinschaft Sant´ Egidio / Gedenken an die Deportation der Juden Roms 16. Oktober 1943: http://www.santegidio.de/index.php?pageID=997&idLng=1067&res=1