Sinti und Roma. Endlich – mit vielen Jahren Verspätung – wird das von dem israelischen Künstler Dani Karavan gestaltete Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti Europas eingeweiht. Es überzeugt in seiner schlichten Formsprache, die aus wenigen Elementen besteht. In der Mitte eines im Durchmesser 12 m großen runden und schwarzen Wasserbeckens befindet sich eine dreieckige versenkbare Stele, die den schwarzen Winkel symbolisiert, den die Roma und Sinti in den KZs tragen mussten. Auf ihr ist eine einzelne Wiesenblume drapiert, die täglich in einer unterirdischen Kammer erneuert wird, als Symbol für die nicht vorhandenen Gräber der Ermordeten. Um das Becken ist ein Auszug aus einem Auschwitz-Gedicht des italienischen Rom Santino Spinelli zu lesen und etwas weiter entfernt befinden sich Glaspanele mit Informationen zum Genozid.
Bis heute wirken viele Klischees
Roma und Sinti sind auch heute in Europa verfolgt und leiden bis heute unter der rassistischen Stigmatisierung als „Asoziale“ und „Zigeuner“, die das NS-Regime zum Programm erhob, an dessen Ende die Vernichtung stand. Die Überlebenden wurden in der Bundesrepublik mit den gleichen rassistischen Begründungen und in oft personeller Kontinuität (dieselben Richter und Beamten) weiter verfolgt. Anträge auf Entschädigung wurden mit dem Verweis abgelehnt, die Roma und Sinti wären zu Recht aufgrund ihres „asozialen“ Verhaltens inhaftiert gewesen. Bis heute wirken Klischees und rassistische Projektionen, und viele deutsche Sinti, die in der ganzen Bandbreite bürgerlicher Berufe tätig sind, ziehen es vor, ihre Herkunft zu verschweigen.
Ein Hungerstreik erinnerte an den Genozid
Das Denkmal ist vor allem ein Erfolg der Bürgerrechtsbewegung der Roma und Sinti, die in den 1970er-Jahren begann, das lange Schweigen zu durchbrechen und auf sich aufmerksam zu machen. Spektakulär war der Hungerstreik von Sinti in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Dachau 1980, um an den durch den Nationalsozialismus begangenen Genozid zu erinnern, der bis heute noch nicht im kollektiven Gedenken verankert ist. Lange Zeit waren die Akten des NS-Reichssicherheitshauptamts Grundlage für die „Zigeuner“-Politik der Behörden in der BRD. Maßgeblich beteiligt am Hungerstreik war der Vorsitzende des „Verbands Deutscher Sinti“, Romani Rose (*1942), der 13 Angehörige in Auschwitz und Ravensbrück verloren hat. 1982 erfolgte die Gründung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, als dessen Vorsitzender Romani Rose seitdem fungiert.
In beiden deutschen Staaten hat man die besondere Bedeutung der Morde aus rassistischen Gründen lange ignoriert. Das Stelenfeld von Peter Eisenmann ist das betonierte schlechte Gewissen. Initiiert wurde es von der „Perspektive Berlin“, einer von der Publizistin und ehemaligen Intendantin Lea Rosh und ihrem Mann, dem Architekten Jakob Schulze-Rohr 1988 gegründeten Bürgerinitiative. Der Besuch mit Eberhard Jäckel in Yad Vashem in Israel geriet laut Rosh zur Initialzündung für die Idee, ein „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin zu errichten. Ein Ort der authentischen Trauer um Angehörige stand demnach Pate für ein Gedenken der Nachgeborenen des Tätervolkes an die europäischen Juden. Im deutschen Namen und aus rassistischen Gründen, also einfach weil sie existierten, wurden allerdings nicht „nur“ Juden, sondern auch die Roma und Sinti als „Zigeuner“ und die Behinderten als „lebensunwertes Leben“ vernichtet, von den slawischen Untermenschen ganz zu schweigen. Den Anfang machte der NS-Staat mit der Vernichtung der Behinderten, an denen der Massenmord durch „Injektion“ und Gas still und leise in Anstalten wie Hadamar, Sonnenstein, Bernburg u.a. bereits vor Kriegsbeginn durchgeführt wurde. Geplant und koordiniert wurde das von Dietrich Allers (1910 – 1975), dem Geschäftsführer der „Zentraldienststelle“ in der Tiergartenstraße 4, weshalb die Aktion unter dem Namen „T4“ vonstatten ging. Einen zentralen Gedenkort für die ermordeten Behinderten in der Hauptstadt gibt es bis heute nicht, ein Wettbewerb ist dazu gerade in Vorbereitung.
Dem philosemitisch motivierten Akt der „Perspektive Berlin“ ist die Hierarchisierung der Opfergruppen zu verdanken, wogegen Romani Rose für die Roma und Sinti mit vollem Recht protestierte.
Gegen eine Hierarchisierung der Opfer
Die Denkmalsinitiative war bereits zu Mauerzeiten in Westberlin unangenehm aufgefallen. Denn ungeachtet der in den 1980er-Jahren maßgeblich durch die Initiatoren des „Aktiven Museums Faschismus und Widerstand“ in Gang gesetzten Diskussion über den Umgang mit dem ehemaligen Standort des Reichssicherheitshauptamtes (Gestapo-Zentrale), beanspruchten Rosh und Co. den Platz für „ihr“ Denkmal und wollte darüber auch nicht mit sich reden lassen. Die Maueröffnung brachte dann den noch zentraleren Ort unweit des Brandenburger Tors ins Visier der Denkmalsinitiative.
Nach dem Fall der Mauer und mit der Vereinigung beider Staaten kam die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas richtig in Gang. Zwei Künstler-Wettbewerbe für die Gestaltung und viele Diskussionen über die grundlegende Konzeption fanden statt. Nicht wenige Stimmen wandten sich erneut gegen eine Hierarchisierung der Opfergruppen und wollten das Denkmal allen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet sehen. Romani Rose forderte nachdrücklich die Einbeziehung der Roma und Sinti in das Denkmal. Jakob Schulze-Rohr, Mitbegründer der „Perspektive Berlin“, widersprach Romani Rose und brachte im Interview mit der TAZ am 13.4.1989 Argumente, die belegen, wie weit der Antiziganismus in die „Perspektive Berlins“ hineinreichte:
„Aber die Roma und Sinti sind im Anfang überhaupt nicht diskriminiert worden. Man denke nur an die Zigeunerkeller, Zigeunermusik, Zigeunerspieß: Das gab’s alles auch während der Nazizeit. Es gab sogar Zigeuner als Wehrmachtsangehörige. Also die Ausrottung der Zigeuner als Volksgruppe war ursprünglich nicht geplant.“
Die Perspektive Berlin schlug dann ein Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti in der Peripherie in Marzahn vor, da ja auch hier das Sammellager gewesen war. Die Intention war durchsichtig, denn man wollte die behauptete „Singularität“ des Genozids an den europäischen Juden nicht in Sichtweite in Frage stellen lassen.
Ende November erscheint bei der Edition Braus ein von Lith Bahlman, Moritz Pankok und Matthias Reichelt herausgegebenes Buch zum Denkmal für die Roma und Sinti, mit einem Vorwort von Romani Rose und Beiträgen von Dani Karavan, Tímea Junghaus, Delaine Le Bas, Silvio Peritore und Wolfgang Wippermann.
Autor: Matthias Reichelt