Deutscher Publizist und Pazifist – Symbolfigur des Widerstandes gegen die Nazi-Diktatur
Elternhaus, Schulzeit und frühes politisches Interesse
Carl von Ossietzky wird am 3. Oktober 1889 in der Großen Michaelisstraße Nr. 10 in Hamburg geboren. Sein Vater ist der oberschlesische ehemalige Berufssoldat Carl Ignatius von Ossietzky, der als Stenograph in einer Anwaltskanzlei des angesehenen und einflußreichen Senators Dr. Predöhl arbeitet. Seine Mutter Rosalia Marie von Ossietzky, geborene Pratzka, stammt ebenfalls aus Oberschlesien. Als Carl zwei Jahre alt ist, stirbt sein Vater am 4. November 1891 an einem Herzschlag. Ein Schicksalsschlag für die junge Familie. Ossietzkys Mutter sieht sich gezwungen den Lebensunterhalt allein zu bestreiten – sie mietet in Hamburg eine „Kaffeehalle“, in der sie auch eigenhändig serviert. Dadurch kann sie sich nur wenig um ihren Sohn Carl kümmern und der Junge kommt bis zu seinem zehnten Lebensjahr in die Obhut einer Tante. Als die Mutter zum zweitenmal heiratet, holt sie Carl wieder zu sich.
Die Schulzeit verbringt Carl von seinem siebten bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr (1896–1904) an der Rumbaumschen Schule in Hamburg. Diese Stiftsschule war fast ausschließlich Söhnen wohlhabender Bürger vorbehalten. Aber Senator Dr. Predöhl, bei dem sein Vater als Stenograph gearbeitet hatte, verhilft Carl zu der seltenen Chance, über eine gute schulische Bildung eine spätere berufliche Karriere aufzubauen. Seinem Abgangszeugnis 1904 ist jedoch zu entnehmen, dass Carl kein besonders guter Schüler war; in den Naturwissenschaften kommt er noch nicht einmal auf die Note „genügend“.
Was ihn viel mehr interessierte als das, was ihm in der Schule geboten wird, sind die Hamburger SPD-Veranstaltungen, auf die ihn sein Stiefvater gerne mitnimmt. Carl findet großen Gefallen an den Versammlungen und es sind zwei Personen, die auf ihn großen Eindruck machen: August Bebel, ein Abgeordneter in der Bürgerschaft und in der Hochburg der Arbeiterbewegung – von ihm dürfte Carl den Grundsatz gelernt haben, den er später für sein eigenes Handeln übernahm, nämlich die Schuld für die Niederlagen nicht zuerst bei anderen, sondern bei sich selbst zu suchen. Die zweite Person ist Bertha von Suttner, Tochter eines österreichischen Generals und Verfasserin des berühmten Buches „Die Waffen nieder“; sie erläuterte auf ihren Vorträgen ihre Vorstellungen von einem friedlichen Ausgleich unter den Menschen.
Trotz schulischer Schwierigkeiten soll und will er seine schulische Ausbildung fortsetzen; wieder einmal mit Hilfe von Dr. Predöhl, der ihm einen Schnellkurs an einem Privatinstitut finanziert, um ihn auf den Eintritt in die Obersekunda vorzubereiten. Da er allerdings daran scheitert, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich für eine Berufsausbildung zu entscheiden.
Berufsausbildung und erste literarische Gehversuche
Er bewirbt sich bei der Hamburger Justizverwaltung und wird zuerst abgelehnt. Sein Fürsprecher Dr. Predöhl setzt sich wieder für ihn ein. Er nimmt an der Einstellungsprüfung teil und am 1. Oktober 1907 ist es soweit: er darf als nicht festangestellter Hilfsschreiber beim Amtsgericht Hamburg beginnen. Dort arbeitet er bis zum 1. Februar 1914.
Neben seiner Tätigkeit beim Amtsgericht beschäftigt sich Carl von Ossietzky mit den kulturellen und politischen Ereignissen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Er besucht nicht nur Veranstaltungen, sondern beginnt zu schreiben: erst kleine Gedichte, dann ein Theaterstück und nun auch Leserbriefe. Der erste Beitrag der von Carl von Ossietzkygedruckt wird, ist ein Leserbrief in der Wochenzeitung „Das freie Volk“, eine Zeitschrift der Demokratischen Vereinigung, deren Mitglied Carl bereits 1908 geworden ist. Aus dem Leserbriefschreiber wird ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Zeitschrift. Er kritisiert die enge Verbindung zwischen Kirche und Staat, den Militarismus und über diesen, sowie über die Bürgerrechte und ähnliche Themen, hält er Vorträge.
Am 19. August 1913 heiratet er Maud Hester Lichfield-Woods, Tochter eines britischen Offiziers und einer indischen Fürstin. Maud ist eine politisch engagierte Frau, die schon früh für die Gleichberechtigung der Frau eintrat. Mit ihr bekommt er am 21. Dezember 1919 seine Tochter Rosalinde.
Auf dem Weg zum bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik
Am 7. Mai 1914 wird Ossietzky aufgrund eines Artikels zu einer Geldstrafe von 200 Reichsmark verurteilt. Man wirft ihm Beleidigung der Öffentlichkeit und der Militärgerichtsbarkeit vor.
Ossietzky wird im Ersten Weltkrieg am 14. Juni 1916 als Armierungssoldat an der Westfront zum Stellungs- und Straßenbau eingesetzt. Er bleibt Pazifist und schreibt seine Beiträge für das Monatsblatt des Monistenbundes. Nach seiner Rückkehr nach Hamburg im Januar 1919 steht für ihn fest, dass er als politischer Journalist und Schriftsteller arbeiten wird. Für die Arbeiter- und Soldatenräte in Hamburg verfasst er Flugblätter und organisiert Versammlungen. Er knüpft Verbindungen zu der Deutschen Friedensgesellschaft Ortsgruppe Hamburg und veröffentlicht im Juni 1919 einen Aufsatz unter der Überschrift „Der Anmarsch der neuen Reformation“, in dem er mit teils nüchternen, teils sarkastischen Bemerkungen die Anfangsphase der November-Revolution bilanziert. Ossietzky zieht im Herbst 1919 nach Berlin, nachdem er dort Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft, einer Friedensbewegung der u.a. auch Albert Einstein und Käthe Kollwitz angehören, geworden ist. Dort bleibt er nur ein Jahr, da er politische Fragen sehr viel radikaler beurteilt als seine pazifistischen Freunde und man trennt sich im gegenseitigen Einvernehmen. Im Herbst 1920 wechselt er ganz zur Berliner Volks-Zeitung über. Zusammen mit Karl Vetter und Kurt Tucholsky initiiert er die Friedensbewegung „Nie wieder Krieg!“. Im März 1924 gründen sie die kurzlebige Republikanische Partei, geben sogar ihre Redaktionsposten auf, um sich ganz den neuen Aufgaben widmen zu können. Sie kommen allerdings „nur“ auf 45.000 von 60.000 notwendigen Stimmen. Ossietzky hat vorerst vom hektischen Tagesjournalismus genug und geht am 1. Juni 1924 zum „Tage-Buch“, einer politischen Wochenschrift, in dem er schon 4 Wochen später als verantwortlicher Redakteur geführt wird. Das „Tage-Buch“(genannt „grünes Heft“, aufgrund des Umschlages) war wie die „Weltbühne“(genannt „rotes Heft“) linksliberal und es bietet Ossietzky ein neues Forum für seine geschliffenen, geistreichen Texte. Im Winter 1925/26 schreibt Ossietzky vorübergehend für den Berliner „Montag-Morgen“ und etwa zur gleichen hat Carl von Ossietzky eine erste Begegnung mit dem Herausgeber der „Weltbühne“, Siegfried Jacobsohn. Diese ist damals die bekannteste politische Zeitschrift, deren Bedeutung vor Jahren dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gleichkommt. Das „rote Heft“ wird im Parlament, in den Parteizentralen und in den zahlreichen Zirkeln gelesen und diskutiert – man muss quasi „Die Weltbühne“ gelesen haben, um auf dem Laufenden zu sein und Mitreden zu können. Kurt Tucholsky schreibt schon seit 1913 für die Zeitschrift, die bis 1918 „Die Schaubühne“ hieß. Ossietzky beginnt am 26. April 1926 als Redakteur für die „Weltbühne“ zu arbeiten, wird nach dem Tode von Siegfried Jacobsohn verantwortlicher Redakteur und am 11. Oktober 1927 Herausgeber dieser Zeitschrift. Er wird einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik; er wendet sich in seinen Leitartikeln gegen die Aushöhlung der Verfassung und beanstandet die Parteienpolitik.
Ossietzkys Weltbühne-Prozess
Er wird mehrmals wegen seiner Kritik an der Wiederaufrüstung vor Gericht gestellt und verurteilt. So auch am 23. November 1931, als er nach einem Artikel über die geheime Rüstung der Reichswehr in einem aufsehenerregenden Prozess wegen „Landesverrat“ zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wird. Alle größeren Zeitungen kommentieren den Richterspruch – im Ausland überwiegt die Kritik -, denn die Leitartikler sehen sich darin bestätigt, dass Deutschland, entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages, heimlich aufgerüstet hatte.
Vor seinem Haftantritt am 10. Mai 1932 legt man Ossietzky nahe, Deutschland zu verlassen, Offizier von Schleicher bietet ihm sogar einen Pass an, doch Ossietzky lehnt ab. Das Gnadengesuch von seinem Anwalt sowie Aufforderungen zum Straferlass von zahlreichen Persönlichkeiten wie z. B. Thomas Mann und Albert Einstein werden abgelehnt. Allerdings kommt er früher frei als erwartet – aufgrund der Weihnachtsamnestie wird Ossietzky am 22. Dezember 1932 vorzeitig freigelassen.
Der Weg ins KZ – Friedensnobelpreis für den Pazifist
Er schreibt weiter Aufsätze für die „Weltbühne“, die allerdings im März 1933 verboten wird. Man rät Ossietzky nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ins Ausland zu fliehen, doch dies lehnt er mit den Worten „Man wird mich nicht so leicht finden, ich habe kein Namensschild an der Tür.“ ab. Noch in der selben Nacht, in der der Reichstag in Berlin brennt – am 27. Februar 1933 –, wird Carl von Ossietzky in seiner Wohnung von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Viele seiner Freunde fragten sich, warum er nicht wie sie ins Ausland geflohen ist – aus dem Abstand von ein paar Jahrzehnten gibt es für den Autor einer Ossietzky-Biographie Hermann Vinke nur folgende Erklärung: für Ossietzky war das Gefängnis die letzte Form des Protestes, die letzte Möglichkeit eines gewaltlosen Widerstandes. In seinem berühmten Aufsatz „Rechenschaft“ am Tage des Haftantritts in Berlin-Tegel 1932 schreibt er „Ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin.“ Vom Polizeigefängnis am Alex kommt er am 6. April 1933 in das KZ Sonnenburg und von dort aus am 15. Februar 1934 in das KZ Papenburg-Esterwegen. Es wird geschrieben, dass Ossietzky in Esterwegen physisch vernichtet werden sollte – seine Mitgefangenen retten ihm mehrfach das Leben. Im Frühjahr 1934 beginnt die Liga für Menschenrechte sich für einen Friedensnobelpreis für Ossietzky einzusetzen – weitere gewichtige Persönlichkeiten unterstützen den Antrag. Am 23. November 1936 wird ihm der Friedensnobelpreis zugesprochen, allerdings wird ihm die Annahme des Nobelpreises von Adolf Hitler verboten und seine Ausreise wird abgelehnt. So findet die Preisverleihung in Oslo ohne Carl von Ossietzky statt.
Am 4. Mai 1938 stirbt Carl von Ossietzky in dem Berliner Krankenhaus Nordend, noch immer unter Polizeiaufsicht, an den Folgen der Tuberkulose und den schweren Misshandlungen in den KZ. Nicht belegt ist, ob er im Konzentrationslagervorsätzlich mit Tuberkulose infiziert wurde.
Autorin: Christina Braß
Literatur
Kurt Buck: Carl von Ossietzky im Konzentrationslager. In: DIZ-Nachrichten. Aktionskomitee für ein Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager e. V., Papenburg 2009, Nr. 29, S. 21–27 : Ill.
Julian Dörr, Verena Diersch: Zur Rechtfertigung von Whistleblowing. Eine ordnungsethische und legitimitätstheoretische Perspektive der Whistleblower-Fälle Carl von Ossietzky und Edward Snowden. In: Zeitschrift für Politik, 64. Jg., H. 4, S. 468–492, ISSN 0044-3360.
K. Fiedor: Carl von Ossietzky und die Friedensbewegung. Breslau 1985.
Friedhelm Greis, Stefanie Oswalt (Hrsg.): Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur „Weltbühne“. Lukas, Berlin 2008, ISBN 978-3-86732-026-9.
Alfred Kantorowicz: Die Geächteten der Republik. in: Porträts. Deutsche Schicksale. Chronos, Berlin, 1947, S. 5–24.
Gerhard Kraiker, Dirk Grathoff (Hrsg.): Carl von Ossietzky und die politische Kultur der Weimarer Republik. Symposium zum 100. Geburtstag. Schriftenreihe des Fritz Küster-Archivs. Oldenburg 1991, Buch als PDF
Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift. Buchverlag Der Morgen, Berlin 1983. (Nachdruck: Bechtermünz Verlag im Weltbild Verlag, Augsburg 1999, ISBN 3-7610-8269-X)
Maud von Ossietzky: Maud von Ossietzky erzählt: Ein Lebensbild. Berlin 1966.
Carl-von-Ossietzky-Schule, Haft und Thomas Mann
CvO bei der Gedenkstätte deutscher Widerstand.