Kurt O. Wyss: „Wir haben nur dieses Land“ Der Israel-Palästinenser Streit als Mutter aller Nahostkonflikte, Bern 2013.
„Der seit den Zeiten des alten Rom in einem Grossteil der Welt grassierende religiöse Antijudaismus, der über Judenverfolgungen sowie Pogrome vor allem in Osteuropa direkt zu Hitlers verbrecherischer Politik einer »Endlösung der Judenfrage« führte, verlieh dem staatenlosen Judentum das unbestreitbare und unbedingte Recht, sich und seine Nachkommen durch die Gründung eines eigenen Staates vor weiteren Verfolgungen zu schützen“ – lautet die einzige Passage aus Wyss’ Buch, die man mehr oder minder unterschreiben kann. Der Rest sind antijüdische und antiisraelische Tiraden und Tatsachenverfälschungen, bei denen sich besonnene Kritiker fragten, ob das wohl eine Parodie auf bestimmte „Nahost-Experten“ sei.
Wyss (*1939), Schweizer Diplomat mit vorwiegend Nahost-Einsätzen, wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, ein Antisemit zu sein, entlarvt sich aber durch Klischees, die längst als „antisemitischer Stehsatz“ gelten, etwa die Behauptung, dass man „Juden als Freunde und Bekannte“ habe. Ignaz Bubis, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte 1999, dass er „ein leichtes Schütteln“ spüre, wenn er diese Phrase höre, die immer antisemitischen Bekundungen vorausginge. Wie auch bei Wyss: Die Israelis sind „vom Opfervolk zum Tätervolk mutiert“, Israel ist ein „wild dreinschlagender Goliath“, der „Überlegenheitsdünkel“ gegen Araber nährt und gegen sie „ohne Zögern zum Mittel des Staatsterrorismus“ greift, dessen Selbstdarstellung „eine gefährliche Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie“ aufweist. Juden haben sich, so Wyss, „mit Gewalt in Palästina eingeladen“, dabei in Nahost nichts verloren. Biblische Aussagen über sie missbraucht Israel als „Gründungsmythos“, es begeht „seit der Staatsgründung schwere Völkerrechtsverletzungen“, wobei es „die schiere Armut, Inkompetenz und Uneinigkeit der arabischen Staaten“ mit „technologischer Überlegenheit“ bedrängt, seit neuestem auch mit dem „Monopol auf Atomwaffen“. Israel provoziert Kriege, okkupiert arabische Territorien, die es mit „nackter Gewalt“ hält. Ein Recht dazu hat es nicht, denn Shoa, Holocaust, arabischer Antisemitismus, iranische Todesdrohungen etc. sind haltlose Übertreibungen, mit deren Erwähnung Israel seine „fehlende Friedensbereitschaft“ bemäntelt.
Seinen antiisraelischen Furor illustriert Wyss schon auf dem Buchumschlag: Vier Karten zeigen den Niedergang eines „palästinensischen Volks“, das es nie gegeben hat. „Palästina“ nannten die Briten nach dem I. Weltkrieg ihr nahöstliches Mandatsgebiet, „Palästinenser“ sind eine Ethnofiktion, ersonnen von arabischen Terroristen zur Verteufelung Israels. Wyss mischt kräftig mit: Seit Jahrzehnten leiden Palästinenser unter „blutiger israelische Repression“ im „Freiluftgefängnis“ Gaza, werden in israelischen „Gefängnissen ermordet“, sind des „Selbstbestimmungsrechts“ beraubt. Derweil schürt „israelische Kriegstreiberei“ von Georgien über Syrien bis Iran Konflikte, weil ihm „schwache und unkoordinierte arabische Armeen“ keinen Einhalt gebieten, es wie der „51. Bundesstaat“ der USA auftritt und „die Staatengemeinschaft dem israelischen Tun schon so lange fast untätig zuschaut“. Palästinenser entrichten Blutzoll, sind friedfertige Schäfchen, die auf ihre „unhaltbare Lage“ allein mit „vereinzelt nach Israel abgeschossenen, zielungenauen Raketen“ aufmerksam machen. So befindet Ex-Botschafter Wyss, dessen Buch, wäre es in Deutschland erschienen, als perfekte Illustration zu August Bebels Diktum getaugt hätte: „Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls“.
Autor: Wolf Oschlies
Kurt O. Wyss: „Wir haben nur dieses Land“ Der Israel-Palästinenser Streit als Mutter aller Nahostkonflikte, Stämpfli Verlag, Bern 2013, 288 S., € 34.-