Bildungswesen in Hitlers „Protektorat Böhmen und Mähren“
Dr. František Mokres ist stellvertretender Leiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Prager Pädagogischen Museums J.A. Komenský (pedagog@pmjak.cz). In Fachkreisen ist er bekannt als akribischer Erforscher der tschechischen Kulturgeschichte und als attraktiver Autor zahlreicher Publikationen aus seinem Fachgebiet. Die nachfolgende Studie entstammt einer Broschüre des Museums, die 2005 aus Anlaß des 60. Jahrestags des Kriegsendes erschien. In ihr wird der Alltag in Hitlers „Protektorat Böhmen und Mähren“ (15. März 1939 – 5. Mai 1945) aus dem Blickwinkel der tschechischen Schulen beschrieben. Die deutschen Herrscher in Böhmen und Mähren schlossen alle tschechischen Universitäten und Hochschulen und dezimierten die Mittelschulen planmäßig. Nur die Grundschulen blieben geöffnet, wenn auch unter sehr erschwerten Bedingungen. Diesen bislang kaum erforschten Bereich hat Dr. Mokres detailliert untersucht. Shoa.de veröffentlicht eine (unwesentlich gekürzte) Übersetzung und dankt dem Autor für die Erlaubnis zur Publikation.
Zum besseren Textverständnis: Das tschechische (tschechoslowakische) Schulwesen setzte sich bis 1939 aus folgenden Stufen zusammen: 1. Kindergärten (Mateřské školy), 2. Allgemeine Volksschulen (Obyčejné školy obecné, Klassen I – V), 3. Bürgerschulen (Školy měšt’anské, Klassen VI-VIII), 4. Mittelschulen (Střední školy) für Kinder von 10 bis 18 Jahren, aufgeteilt in Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen, Lyceen, Lehrerschulen, 5. Industrie- und Fachschulen (Průmyslové a odborné školy), 2-3 Jahre, 6. Handelsschulen (Obchodní školství), ein ökonomisch orientiertes Bildungswesen mit Mittel- und Hochschulcharakter.
Tschechische Schulen nach dem Münchner Abkommen (1938)

Die Tschechoslowakei 1938/39
Bereits der Beginn des Schuljahres 1938/39 stand im Zeichen von Ereignissen, die später am 15. März 1939 in der Okkupation der sog. „Rest-Tschechei“ kulminierten. Die spannungsreiche Situation des Jahres 1938 führte zum schmachvollen Münchner Abkommen, das durch die Abtrennung eines Teils des Territoriums vom staatlichen Ganzen selbstverständlich auch das tschechische Schulwesen stark in Mitleidenschaft zog. Zehntausende Familien mit Kindern, die Volks-, Bürger- und Mittelschulen besuchten, wurden aus dem Grenzgebiet vertrieben und suchten eine neue Zuflucht im Landesinneren. Im okkupierten Gebiet, das nun Teil des Deutschen Reichs war, wurden alle tschechischen Mittelschulen augenblicklich aufgelöst und die Grund- und Bürgerschulen erheblich eingeschränkt und verdeutscht. Dennoch schickten viele Eltern ihre Kinder, ungeachtet zahlreicher Drohungen und Verfolgungen, weiterhin auf tschechische Schulen, meist sogar Kilometer hinter der neuen Staatsgrenze. Die übrigen besuchten die rasch installierte Sprachschule, in der ausschließlich Deutsch gelehrt wurde, nur waren einige Teile des Lehrstoffs zwecks besserem Verständnis ins Tschechische übersetzt. Erst nach dreimonatigen Bemühungen wurde in Znojmo von der deutschen Verwaltung auch eine fünfklassige tschechische Schule gestattet. In den höheren Jahrgängen unterrichteten wieder nur deutsche Lehrer und im Unterricht dominierte das Deutsche über das eingeschränkte Tschechisch. Mit den Schülern durften die Lehrer zwar tschechisch reden, untereinander jedoch nur deutsch. Wenn die Kinder zur Schule kamen, mussten sie sofort das Bild des deutschen Führers mit „Heil Hitler“ und erhobenem rechten Arm begrüßen. Ähnlich war es in vielen anderen Städten, die gemäß dem Münchner Abkommen im Herbst 1938 an Deutschland gefallen waren. Allmählich wurden bis 1942 im Grenzgebiet alle Bürgerschulen der tschechischen Minderheit aufgelöst, auch die Kindergärten waren rein deutsch. Geduldet waren allein tschechische Grundschulen, aber sonst gab es für tschechische Kinder keine Möglichkeit, Unterricht in ihrer Muttersprache zu haben.

Die Unterzeichner des Münchner Abkommens v.l. britischer Außenminister Arthur Neville Chamberlain, französischer Außenminister Édouard Daladier, Hitler und Benito Mussolini.
Zu wesentlichen Veränderungen kam es auch in den Schulen im Landesinneren, das nach dem Münchner Abkommen nur ein trauriger Rest des einst demokratischen und souveränen Staates war. Der Exodus vieler Kinder aus dem abgetrennten Grenzgebiet ins Landesinnere beeinflusste natürlich auch den weiteren Ablauf des Schuljahres, da diese Kinder auf verschiedene Schulen gingen. Zahlreiche Schulen mussten sich der neuen Lage anpassen, den Unterricht verkürzen, um Schulgebäude für die zeitweilige Unterbringungen von Flüchtlingen freizumachen. Andere Schulen mussten wegen der Überfüllung mit Schülern im Unterricht zu ganz ungewöhnlichen Maßnahmen greifen. Zur völligen Beruhigung trug auch nicht die politische Lage bei, denn es gab keine Gewähr, dass das der Endzustand war und weitere Verschlechterungen nicht eintreten würden. Am 15. März 1939 besetzte die deutsche Armee den Rest des souveränen Staates, unter dem „Schutz“ Deutschlands wurde das Protektorat Böhmen und Mähren geschaffen.[1] In der Slowakei, wo bereits seit dem 6. Oktober 1938 eine autonome Regierung im Amt war, war schon am Vortag, dem 14. Oktober 1939 der selbständige slowakische Staat proklamiert worden. Ab diesem Tagen mussten sich die tschechischen Schulen im Protektorat und die Schulen in der Slowakei auf ganz verschiedenen Wegen entwickeln.
Protektorat Böhmen und Mähren (1939)

NS-Propaganda nach Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“.
Die Schulen auf dem Gebiet des neu eingerichteten Protektorats erlebten ab den ersten Tagen einen Schock. Zahlreiche von ihnen wurden sofort geschlossen und ihre Gebäude der deutschen Armee zur Nutzung überlassen (was bereits in der ersten Jahreshälfte 1939 32 Grund- und Bürgerschulen betraf). Eine genaue Prüfung aller Schulbücher setzte ein, harte Zensur wurde ausgeübt. Schon am 16. März verfügte die Protektoratsregierung, dass aus allen öffentlichen und staatlichen Einrichtungen, also auch aus den Schulen, sämtliche jüdischen Angestellten zu entlassen seien, und deutsche Lehrer und Direktoren wurden in den Schulen eingesetzt. Gleichzeitig bereitete man umfangreiche Änderungen im gesamten Grund- und Mittelschulwesen vor, deren Umsetzung ab dem Schuljahr 1939/40 beginnen sollte.
Am 1. September 1939 begann jedoch nicht nur ein neues Schuljahr, sondern mit dem Angriff auf Polen starteten auch die ersten militärischen Operationen des Zweiten Weltkriegs. In diesem Schuljahr war allen jüdischen Schülern der Zugang zu Schulen bereit beträchtlich erschwert, denn mit Anordnung des Reichprotektors waren auch im Protektorat die Nürnberger Rassengesetze eingeführt worden. Das definitive Verbot für jüdische Schüler, Schulen zu betreten, folgte ein Jahr später. Ab dem 1. September 1941 mußten alle Juden (einschließlich der über sechs Jahre alten Kinder) auf der Kleidung mit einem gelben sechsstrahligen Stern und der Aufschrift Jude gekennzeichnet sein.
Die neue Lage in der Staatsordnung, die uneingeschränkte Unterwerfung unter das Deutsche Reich und der bereits unverhüllte Übergang der gesamten Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft hatten ihre Auswirkungen auch auf die Aufgaben der Schulen im Protektorat. Das nunmehr intensiv betriebene Lernziel lag vor allem in der Herausbildung einer positiven Einstellung der Schüler zum Deutschen Reich. Gerade ältere Schüler spürten ja die allgemeine Ablehnung und den Widerwillen der Mehrheit der Bevölkerung gegen Besatzung und Nazis. Das begann zuerst mit dem angeblich harmlosen Massenhumor an die Adresse der Besatzer[2], ganz im Geist der traditionellen, jetzt aber zumeist hochaktuellen Schwejkiaden[3] (nicht von ungefähr meinten die Deutschen von den Tschechen, sie seien „lachende Bestien“[4]), mit einem ostentativen Ignorieren deutscher Bürger und alles Deutschen, mit Unmutskundgebungen in verdunkelten Kinosälen, mit demonstrativem Gesang von Volksliedern etc. Alle diese Ausdrucksformen griffen natürlich auch in den Schulen um sich. Relativ rasch hat sich dieser Widerstand, der ja im Grunde nur eine antideutsche Stimmung war, verändert. Einer der ersten wirklichen Hassausbrüche war die Erschießung eines deutschen Unteroffiziers durch zwei junge Studenten im Juni 1939 in Kladno. Auf diese Tat folgte in und um Kladno eine brutale Unterdrückung, die großes und höchst negatives Echo im Ausland hatte. Der Vorfall von Kladno zeigte, dass die Besatzer keineswegs zögern werden, auch schwere Repressionsmaßnahmen zu ergreifen.
Seit Kriegsbeginn wurden die Schulen mehr und mehr benutzt und missbraucht zu verschiedensten Dienstleistungen für die Kriegswirtschaft. Per Regierungsanweisung vom 23. November 1939 wurde allen Schulen zur Pflicht gemacht, Knochen, Rohstoffe, Metall, Papier, Altgummi etc. zu sammeln. Die Schulen mussten zu den Sammlungen vorgeschriebene Dokumentationen führen und die Schüler sollten durch ein gut ausgedachtes Prämiensystem angestachelt werden. Dabei wurde natürlich auch ein harter und wachsender Druck auf die Lehrer ausgeübt, von denen man, unter Androhung empfindlicher Sanktionen, maximale Loyalität forderte. Die Pflicht, die für die Kriegswirtschaft nötigen Rohstoffe zu sammeln, wurde immer mehr ausgeweitet und umfasste schließlich auch Heilkräuter, Buntmetalle, Eisen, Textilabfälle, Sonnenblumenkerne, Samen, Disteln und Kletten. Neben den regelmäßigen obligatorischen Sammelaktionen von Papier wurden den Schulen vierteljährliche Sonderaktionen auferlegt, wobei für jeden Schüler festgelegt wurde, welche Mengen Papier er zu sammeln und abzuliefern hatte.

Bevölkerungsverteilung im Jahr 1938. Deutsche Minderheitengebiete sind in Blau dargestellt.
Ein viel ausgeprägterer und gefährlicher Eingriff ins Schulwesen war dessen ausufernde und planmäßige Germanisierung, die auch zu einem Absinken des Bildungsniveaus der tschechischen Bevölkerung führen sollte.[5] Ab 1940 wurden die Lehrpläne aller Schulen geändert. In ihnen wurde dem Deutschunterricht ein außerordentlich bedeutsamer Platz eingeräumt, da Deutsch allmählich zum hauptsächlichen und wichtigsten Lehrfach werden sollte. Beispielsweise wurde an den Lehrerbildungsinstituten in allen Jahrgängen der Deutschunterricht im Umfang von sechs Wochenstunden eingeführt. Gleichzeitig wurde die Stundenzahl für Pädagogik gemindert (um zwei Wochenstunden), für Zeichnen (eine Wochenstunde), für Handarbeit (um drei Wochenstunden). Um die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern, der die Besatzungsbehörden gleichfalls große Bedeutung zumaßen, wurde die Stundenzahl für den obligatorischen Sport erhöht (sogar um vier Wochenstunden). Mit der Schließung der ersten fünf tschechischen Gymnasien begann auch die systematische Ausschaltung der tschechischen Mittelschulen.
1940/41: Tschechisches unerwünscht!
1940 wurde eine Massenpensionierung staatlicher Angestellter, also auch der Lehrer, angeordnet. Zum Ausscheiden aus den Schulen wurden alle älteren Lehrer gezwungen, die noch mit der Entstehung und Entwicklung der souveränen Tschechoslowakei verbunden waren. In Pension wurde jeder geschickt, der das 55. Lebensjahr überschritten hatte (bei Frauen schon das 50.). Jeder Staatsangestellte, der das 45. Lebensjahr (bei Frauen 43.) überschritten hatte, konnte ebenfalls pensioniert werden, selbst wenn er noch keinen vollen Pensionsanspruch erworben hatte.
Obwohl es durch Anordnung der Besatzungsverwaltung zu bedeutenden Veränderungen in den Pädagogischen Versammlungen gekommen war, gelang es dennoch nicht abzusichern, dass die in den Schulen beschäftigten Lehrer sich nicht aktiv in der Widerstandsbewegung beteiligten oder sich in ihrem Fachunterricht und ihrem ganzen pädagogischen Wirken völlig der Nazi-Ideologie unterwarfen. Die häufige Teilnahme von Lehrern an verschiedensten Widerstands- und illegalen Organisationen, ihre aktive Beteiligung an der Unterstützung von Diversantengruppen, Partisanenabteilungen und per Fallschirm abgesetzten Agenten, was alles durch die lange Reihe der in den Kriegsjahren verhafteten und hingerichteten Lehrern dokumentiert ist, war den Besatzerämtern völlig klar. Viel schwieriger nachzuvollziehen und zu dokumentieren ist das (in perspektivischer Sicht bedeutsame) pädagogische Wirken der Lehrer in den Schulen und ihr positiver Einfluß auf die junge Generation in den Besatzungsjahren. Aus vielen Erinnerungen und Beiträgen, die in den Jahrbüchern einzelner Schulen veröffentlicht wurden, wird klar, dass gerade dieses Wirken von Lehrern – das sehr oft von ihrer persönlichen Tapferkeit und Ehrlichkeit zeugte und im Fall von Denunziationen tragische Folgen für die ganze Familie des Lehrers haben konnte – nicht vergessen wurde.

Deutsche Besatzungstruppen in Prag.
Die deutschen Besatzer haben sich sehr gut und relativ bald von der Tatsache überzeugt, dass sie weder die Mehrheit der Lehrer, noch gar die Mehrheit der tschechischen Intelligenz auf ihre Seite ziehen konnten. Sie gaben auch nicht den wenigen tschechischen Organisationen, die schon vor der Okkupation bestanden und ihre Bereitschaft zur Kollaboration geäußert hatten[6], breiteren Spielraum. Sie richteten ihre Bemühungen auf die weitere und planmäßige Senkung des Bildungsniveaus des tschechischen Volks und auf die intensive Germanisierung des „rassisch wertvollen Teils“ der tschechischen Jugend. Gleichzeitig erhöhten sie den unmittelbaren Druck auf alle Lehrer. 1941 wurden weitere 35 tschechische Mittelschulen geschlossen, und bis Ende 1942 hatten die Besatzer fast 70 Prozent aller tschechischen Mittelschulen geschlossen.
Sehr gefährlich für tschechische Schulen waren auch organisatorische Veränderungen, die an Grundschulen vorgenommen wurden. Die einzige Bildung für das Gros der tschechischen Kinder sollte nach den Vorstellungen der Besatzer die Elementarschule sein, in der die Schülerzahl bis auf 60 pro Klasse erhöht wurde. Die Bürgerschule wurde per Regierungsbeschluß zur Hauptschule aufgewertet und in eine Auswahlschule umgewandelt: Für die Aufnahme musste eine schriftliche und mündliche Prüfung abgelegt werden, und zwar in den Fächern Deutsch, Tschechisch und Mathematik. Als vierjährige Schule schloß sie sich dem vierten Jahrgang der Grundschule an, aber 1943, nachdem die Zahl dieser Schulen bereits deutlich vermindert worden war, waren ihre Kapazitäten so gering, dass kaum jeder dritte Schüler, der die Grundschule beendet hatte, aufgenommen werden konnte.

Protektorats-Banknote
1941 erhöhten die Besatzungsbehörden zudem die Pflichtstundenzahl der Lehrer. Lehrer unter 50 Jahren mussten ab diesem Jahr vier Stunden mehr unterrichten, also insgesamt 25 Wochenstunden, ältere zwei Stunden mehr. Gleichzeitig wurden außerunterrichtliche Aktivitäten – Korrekturen, Klassenbücher, Aufsicht über Sammlungen und Büchereien – nicht mehr auf das Pflichtstundendeputat angerechnet, aber auch nicht als Überstunden bezahlt. Im eigentlichen Unterricht wurden speziell die Geschichtsstunden scharf kontrolliert, was den Schulinspektoren für Deutschunterricht übertragen war. Im Juni 1941 teilte das Schulministerium allen Schuldirektoren mit, dass Sonderkurse für Geschichtslehrer in ausgewählten Städten des Großdeutschen Reichs abgehalten würden. Die Schulleiter sollten Teilnehmer anmelden und von diesen Auskunft geben, ob sie Arier seien und für welche Partei sie früher gestimmt hätten.
Obwohl bereits 1941 in Deutschland Umschulungskurse für Geschichtslehrer an tschechischen Schulen stattfanden und diese Kurse auch 1942 weiterging, jetzt bereits im Protektorat und auch für Lehrer anderer Fächer, wurde im Dezember 1941 der Geschichtsunterricht an allen Schulen mit sofortiger Wirksamkeit eingestellt. Anstelle von Geschichte sollte Deutsch gelehrt werden. Geschichtsstoff wurde auch aus den Lehrplänen für Heimatkunde in den Grundschulen beseitigt. In der Erdkunde sollten nur das Großdeutsche Reich und das Protektorat behandelt werden, im Tschechischunterricht durfte nichts über tschechische Literatur gesagt werden, aus Schüler- und Lehrerbibliotheken durften keine Bücher mehr entliehen werden, Unterricht in Kirchengeschichte wurde gänzlich eingestellt.
Außerordentliche Aufmerksamkeit widmeten die Nazis der Ausbildung der künftigen Lehrer. Mit Regierungsanordnung vom 11. August 1941 wurden die Organisation der Lehrerbildungsinstitute und das gesamte Studiensystem geändert. Das Studium wurde offiziell auf fünf Jahre verlängert, neue Pflichtfächer wurden eingeführt. Vor allem wurde der Sportunterricht beträchtlich ausgeweitet, zwecks ideologischer Einwirkung wurde die Pädagogik betont, und der Deutschunterricht hatte ohnehin die größte Bedeutung. Das neue fünfjährige Studium sollte ab dem Schuljahr 1941/42 beginnen. Ein gänzlich neues Element war, dass die Lehrerbildungsinstitute unbedingt mit Internaten verbunden sein sollten, damit man die Studenten auch in ihrer Freizeit besser unter Kontrolle hatte. Um überhaupt Interessenten für dieses Studium zu gewinnen, sollten Unterbringung und Verpflegung in den Internaten kostenlos sein und die Studenten ein Taschengeld bekommen.
1942/43: Germanisierung um jeden Preis
Die Germanisierung der Schulen drückte sich auch in der Zweisprachigkeit der ausgegeben Zeugnisse und der gesamten amtlichen Dokumentation aus. Damit sollte systematischer Druck auf eine Verminderung der Mittelschulbildung ausgeübt werden und die Befugnisse der Besatzungsbehörden ausweiten. Um die angebliche niedrigere Befähigung der tschechischen Bevölkerung zu „beweisen“, bekamen 1942 alle ernannten Vorsitzenden der Abitur-Prüfungskommissionen ein streng vertraulichen Brief, dass der Anteil der Schüler, die bei der Prüfung in Deutsch durchzufallen hätten, mindestens 20 Prozent betragen müsse.

Jan Kapras (1880-1947)
Die Situation im Schulwesen verschlimmerte sich erheblich dadurch, dass 1942 Emanuel Moravec Schulminister in der Protektoratsregierung wurde. Aus dem Ministeramt musste Jan Kapras (1880-1947) ausscheiden, der sich im Umgang mit den Besatzern bemüht hatte, eine Politik der Verzögerung und der Verminderung von deren Germanisierungsversuchen zu betreiben. Dabei hatte er natürlich keine größeren Erfolge.[7] Zudem hatte die Besatzungsverwaltung zahlreiche ihrer Entscheidungen erst nachträglich dem Protektorats-Schulministerium „zur Kenntnisnahme“ vorgelegt, nachdem deren Umsetzung längst angelaufen war. Das betraf z.B. die augenblickliche Auflösung aller tschechischen Zwergschulen mit weniger als 20 Schülern. Zudem war Moravec (1893-1945) ein typischer Repräsentant der aktiven tschechischen Kollaboration mit den Nazis, der anders als sein Amtsvorgänger ein ausgesprochen offensives Vorgehen gegen tschechische Schulen betrieb. Bereits unter seiner Führung verordnete das Ministerium, welche Bewerber in Lehrerbildungsinstitute aufzunehmen seien – erste und grundlegende Voraussetzung war, dass der Bewerber „arischer Herkunft“ war.
Mit dem Amtsantritt von Moravec änderte sich auch die Zuständigkeit des Ministers, da die Entscheidungsgewalt der deutschen Inspektoren verstärkt wurde. Per Ministererlaß wurde eine obligatorische Deutschprüfung für alle Angestellten des Ministeriums eingeführt, die vor einer Prüfungskommission, die ein Deutscher leitete, abgelegt wurde. Wer durchfiel, wurde von Gehaltserhöhungen und Beförderungen so lange ausgeschlossen, bis er die Prüfung bestand. Wer der Prüfung fernblieb, wurde zwangspensioniert oder aus dem Dienst entlassen. Obligatorische Deutschkurse wurden auch für alle Mittelschullehrer angeordnet.
Zu weitreichenden Veränderungen im Protektorats-Schulwesen kam es auch 1943. Im März wurden alle Direktoren aller Mittelschulen und Lehrerbildungsinstitute ins Ministerium befohlen, wo man ihnen diese Änderungen mitteilte. Im Grunde sollte die Zahl der Schüler gesenkt werden, aber die, die aufgenommen waren, sollten vermehrte Förderung erfahren. Administrativ sollten alle Institute, die inzwischen über eigene Internate verfügten, direkt dem Ministerium unterstehen. In der Ausbildung sollte der Deutschunterricht an vorderster Stelle stehen, zusammen mit der Pflege der „Reichsidee“. Auch teilte man den Schulleitern mit, dass eine allgemeine Gehaltsregelung für Lehrer noch nicht möglich sei. Minister Moravec sagte in seiner Rede klar und deutlich, dass die Lehrer seiner Ansicht nach so etwas auch nicht verdient hätten.
1943 wurde auch die Zensurenordnung geändert, erneut mit dem Ziel, tschechische Schüler von weiterführenden Schulen auszuschließen. Die vermehrte Aufmerksamkeit, die das Ministerium der Auswahl künftiger Lehrer widmete, zeigte sich auch darin, dass in diesem Jahr erstmals sog. Auswahllager für Bewerber um das Lehrerstudium eingerichtet wurden. In diesen Lagern wurden die Jugendlichen in zwei Gruppen geteilt. Vormittags wurden sie von einer tschechischen Prüfungskommission mündlich und schriftlich geprüft, nachmittags waren Spiele, Sport und Ausflüge auf dem Programm, bei denen ihre persönlichen Eigenschaften beobachtet wurden. Bei der tschechischen Prüfungskommission war allerdings ein deutscher Berater zugegen, der das Recht auf Zusatzprüfungen hatte und die Endklassifizierung der Bewerber ändern durfte. Völlig paradox war, dass die Anwesenheit eines deutschen Beraters offiziell mit „dem Wunsch der tschechischen Öffentlichkeit“ begründet wurde.
1944/45: Dem Ende entgegen

Deutscher Soldat im besetzten Prag (im Hintergrund der Hradschin)
1944 appellierte das Schulministerium an alle Schulen, besonders die Bürgerschulen, dass sie generell und im Sportunterricht alles täten, damit sich die Schüler ans Barfußgehen gewöhnten, weil dieses gesund sei und die Schuhe schonte.
Angesichts der ungünstigen Entwicklung der militärischen Lage an den Fronten des Zweiten Weltkriegs hat sich auch das tschechische Schulwesen im Protektorat nachhaltig gewandelt. Per Dekret vom 21. August 1944 wurde in allen Abiturklassen tschechischer Mittelschulen der Unterricht eingestellt. Die Schüler wurden zu militärischen oder halbmilitärischen Hilfsdiensten eingeteilt; sie mussten die Opfer von Bombenangriffen versorgen, nach Bombardements die Trümmer wegräumen und militärische Befestigungen in Mähren und in Österreich bauen. Das alles geschah in einer Zeit, da vom tschechischen Mittelschulwesen nur noch Reste übrig waren. Das illustriert augenfällig eine Statistik, die den rückläufigen Trend der Schülerzahlen an tschechischen Gymnasien dokumentiert, also in der traditionellen und angesehensten Mittelschule:
Schuljahr | Schüler an Gymnasien |
1938/39 | 100.183 |
1939/40 | 94.690 |
1940/41 | 90.485 |
1941/42 | 76.839 |
1942/43 | 56.969 |
1943/44 | 49.663 |
1944/45 | 40.665 |
Die harte Germanisierung des gesamten Schulwesens, begleitet von der Liquidation der Hochschulen und einer nachdrücklichen Beschränkung aller übrigen Schulen, hinterließ in den Kriegsjahren auch ihre Spuren in der Lehrlingsausbildung an mittleren Fachschulen. Allerdings muß man sagen, dass die Eingriffe hier nicht so hart ausfielen wie etwa an den Gymnasien. Schließlich lag den Besatzern im höchsten Maß daran, dass diese Schulen auch weiterhin problemlos qualifizierte Facharbeiter für Werke vorbereiteten, die die Waffenproduktion sicherten. Auch in Fachschulen waren Juden entfernt worden, war die Buchausleihe aus Schüler- und Lehrerbibliotheken verboten, waren die Lehrerkollegien gesäubert worden, mussten die Lehrer Mehrarbeit leisten, gab es ein neues Bewertungs- und Benotungssystem und mussten Rohstoffe für die Kriegswirtschaft gesammelt werden. Größere und gewichtigere Eingriffe in die Lehrpläne gab es jedoch überwiegend nur in den allgemeinbildenden Fächern. Natürlich war auch an mittleren Fachschulen der Deutschunterricht ein Hauptfach und die Schulbehörden strengten sich an, in den Mittelpunkt des Unterrichts die „neuen Erziehungsziele“ zu stellen, die der Ideologie des Großdeutschen Reichs entsprachen. Inhalt und Struktur der berufsbildenden Fächer erfuhren jedoch keine größeren Änderungen.
Das letzte Schuljahr im Krieg, 1944/45, war jedoch auch für das tschechische mittlere Fachschulwesen ein ganz außergewöhnliches. Je mehr sich die Front näherte, desto mehr wurde der Unterricht an diesen Schulen eingeschränkt, manchmal auch gänzlich ausgesetzt und die Schüler wurden den Militärs zur Verfügung gestellt, um Befestigungen zu bauen und Bombenschäden zu beseitigen. An vielen Schulen wurde in den Wintermonaten überhaupt nicht unterrichtet, weil es an Heizmaterial fehlte.
Die sechs Jahre der Okkupation, in denen es für das ganze tschechische Volk, aber auch für die tschechischen Schulen um Sein oder Nichtsein ging, waren von zahlreichen Opfern gekennzeichnet. Nach höchst unvollständigen Angaben wurden rund 5.000 Lehrer in KZs, Zuchthäuser und Gefängnisse geschleppt, wo 650 von ihnen umkamen. Wenigstens 400 weitere tschechische Lehrer verloren ihr Leben an verschiedenen Hinrichtungsstätten. Lang wäre die Aufzählung derer, die während der Besatzung in bewaffneten Widerstandskämpfen umkamen.
Autor: František Mokres, Prag. Erstveröffentlichung: František Mokres: Československé školy v letech 2. Světové války (Die tschechoslowakischen Schulen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs), Prag 2005, S. 7-18. Übersetzung aus dem Tschechischen, Zwischenüberschriften und Kommentare von Wolf Oschlies.
Anmerkungen
[1] Das Protektorat umfaßte nur noch 29 Prozent des einstigen tschechoslowakischen Staatsgebiets (Böhmen, Mähren, Slowakei, Karpato-Ukraine)
[2] Die Bezeichnung Protektorat wurde zu Protentokrat (Für diesmal noch) geändert, Böhmen und Mähren wurde berem a vemem (ich nehme und ich greife) ausgesprochen, und im Umlauf waren Witze wie dieser: „Wenn ein Kind mal etwas stiehlt, nennt man das Manie. Wenn ein Erwachsener etwas stiehlt, heißt es Kleptomanie. Aber wenn ein ganzes Volk stiehlt, dann handelt es sich um Germanie“, vgl. 60 roku nazpět, aneb Čechům nechyběl humor ani během německé okupace (60 Jahre zurück,: Den Tschechen fehlt der Humor nicht einmal während der deutschen Besatzung), in: Bruntál.net 12.5.2005
[3] Gemeint ist der „brave Soldat Schwejk“ nach dem Roman von Jaroslav Hašek (1883-1923). Schwejk unterläuft die Habsburger Militärmaschinerie, indem er in gespielter Blödheit alle Befehle bis zur Absurdität ausführt.
[4] Dieser Ausdruck ist selbst deutschen Kennern der Tschechen unbekannt, dabei unter Tschechen sehr frequent – meist auf deutsch zitiert („Tschechen sind lachende Bestien“), mitunter auf tschechisch („smějící se bestie“). Angeblich wurde er von Reinhard Heydrich geprägt, der ab Ende 1941 als „Reichsprotektor“ in Prag amtierte und dort am 4. Juni 1941 an den Folgen eines auf ihn verübten Attentats starb.
[5] Aus einem deutschen Schulbuch von 1940:[…] Geschichtliches. Die böhmisch-mährischen Länder gehörten schon immer zum deutschen Lebensraum. Ihre Kultur verdanken sie vielfach nur deutscher Arbeit und deutschem Fleiße. In Prag hatte früher einmal der deutsche Kaiser seine Residenz. – Nach dem Schandfrieden zu Versailles sollte die Tschecho-Slowakei als Vorposten gegen Deutschland dienen. Von hier aus wollten die Bolschewisten unser Reich angreifen. Der 1919 geschaffene Staat bedrohte also ständig den Frieden Europas. Aber auch im Innern konnten sich die verschiedenen Volksstämme nicht vertragen. Slowaken und Deutsche wurden von den Tschechen übel behandelt und ihrer Rechte beraubt. Da machte sich die Slowakei selbständig. Der tschechische Staat war nun nicht mehr lebensfähig. In dieser Not bat der tschechische Präsident unsern Führer um seinen Schutz. Daraufhin besetzten die Deutschen (am 15.3.1939) das Land und gründeten hier das Protektorat Böhmen und Mähren, einen Schutzstaat mit Selbstverwaltung. So wurde auch dieser Gefahrenherd Europas ohne Blutvergießen von unserm Führer beseitigt. (Quelle: NEHRING, L.: Nehrings Merk- und Arbeitsbüchlein für Erdkunde. Ausgabe in 3 Teilen für mehrklassige Volksschulen. Erdkunde von Deutschland. 8. Auflage. Breslau 1940. S. 44.)
[6] Detailliert dazu Tomáš Pasák: Český fašismus 1922-1945 a kolaborace 1939-1945 (Tschechischer Faschismus und Kollaboration), Prag 1999
[7] Jan Kapras war ein hochangesehener Rechtshistoriker, der bereits in der sog. „Zweiten Republik“, also in dem halben Jahr zwischen dem Münchner Abkommen (September 1938) und der Besetzung der „Rest-Tschechei“ (März 1939) als Bildungsminister amtiert hatte und bis zum Januar 1942 in dieser Funktion blieb. 1947 wurde er in Prag vor das sog. „Volksgericht“ gestellt, von diesem jedoch in allen Punkten der Anklage freigesprochen.