Rudolf von Scheliha und Johann von Wühlisch. Zwei deutsche Diplomaten gegen die nationalsozialistische Kultur in Polen.
Diese Studie soll eine Widerstandsschrift in Erinnerung bringen: „The Nazi Kultur in Poland“.[1] Sie wurde zwischen 1941 und 42 verfasst und von der polnischen Exilregierung in London als Buch 1944/45 herausgegeben. Das Werk beschreibt die Verfolgung der Kirche, des Schul- und Universitätswesen, die dunkle Rolle des Instituts für Deutsche Ostarbeit als geistiger Urheber der kulturellen Umdisponierungen, chaotischen Verlagerungen und Aussortierungen von Bibliotheken, ideologischen Verwüstungen von Denkmälern, Plünderungen der Archive, Museen und Privatsammlungen des polnischen Adels, ferner das Theater, die Musik und die Presse, sowie sonstige kulturelle Einrichtungen unter der Zwangsherrschaft der Nationalsozialisten. Sie führt uns zurück auf die „Bühne“ der damaligen Zeit: das Drama eines Hilferufs aus Polen. Die „several authors of necessity contemporarily anonimous“, erlebten die Herausgabe ihres Werkes nicht mehr: fast alle wurden vor 1944 ermordet. Die deutschen Diplomaten Scheliha und Wühlisch führten auf Deutscher Seite den Kampf gegen den Terror. Scheliha wurde im Dezember 1942 ermordet. Wühlisch starb kurz darauf. Es gibt Indizien, die darauf hinweisen, dass sie den Polen bei der Verwirklichung dieser Widerstandsschrift behilflich waren um gemeinsam besser ihre Ziele zu erreichen.[2] Darauf soll nun hier eingegangen werden.
Scheliha war seit 1922 im Auswärtigen Amt tätig und von 1932 bis 1939 an der deutschen Botschaft in Warschau stationiert. Seit 1939 wurde er zum kommissarischen Leiter der Informationsabteilung im Auswärtigen Amt ernannt, wo er für die Untersuchungen auf Grund von ausländischen Pressemeldungen der Greuel in Polen im Rahmen der Deutschen Propaganda zuständig war. Den Meldungen ging er äußerst kritisch und konsequent nach, wobei er immer wieder gegen die polnische Greuelpolitik protestierte.[3] Wühlisch war seit 1933 im Auswärtigen Amt tätig und ebenfalls mit Scheliha an der Warschauer Botschaft vor dem Krieg stationiert, wo sie sich schon damals politisch gut verstanden und auch freundschaftlich miteinander verkehrten. Beide Diplomaten hatten zu vielen Polen aus adeligen Kreisen und der Intelligenz Kontakte. Von 1939 bis 1942 war Wühlisch Gesandter in Krakau.[4] Während Scheliha von Berlin aus alles in die Wege leitete um die Greuel in Polen zu bekämpfen, zieht sich durch das Diensttagebuch von Hans Frank seit 1939 bis 1942 der rote Faden von Wühlischs Ermahnungen in Krakau zur Linderung des darin von Frank selbst dokumentierten Unrechts und die Grausamkeiten gegen die Kirche und die polnische Bevölkerung.[5] John von Wühlisch gelang es bereits am 2. Dezember 1939 das Todesurteil gegen den Lubliner Bischof Marian Fulman und seinem Generalvikar Goral in eine lebenslängliche Haft durch sein Vorsprechen bei Frank zu erwirken.[6]
Viele von Ulrich Sahms zusammengetragenen Nachforschungen verweisen auf eine Unterstützung von Scheliha und Wühlisch bei der Verwirklichung der polnischen Widerstandsschrift „The Nazi Kultur in Poland“.[7] Jedenfalls lassen sie Schlüsse zu, dass der polnische Untergrund unter dem Vorwand für die Deutsche Propaganda zu schreiben seinen eigenen Zielen mit Hilfe dieser beiden engagierten Gegner der Nationalsozialisten nachging. Das im Januar 1942 vollendete Werk wurde von international anerkannten Wissenschaftlern mit Akribie und Korrektheit bei Kerzenlicht geschrieben und verfilmt, zum Teil in Mänteln und mit Handschuhen, oft im Nebenzimmer eines Gestapoagenten. Auf genauso abenteuerlichen Wegen gelangte das Material zur Exilregierung nach London.
Als diese Schrift 1945 erschien konnten am 1. November 1944 im Vorwort die Herausgeber nur noch der Verfasser gedenken: „If one or two are still living that is the sum…Those smuggled films from Warsaw contained nearly 200,000 English words and they reached England in spite of everything. There may have been men on skis taking their way through the Carpatian snows. There may have been a polite young polish gentleman speaking impeccable German, travelling from Warsaw into the Reich with a wreath for poor aunt Marta´s funeral…, things have changed for the worse since February, 1942, when this volume was finished…“ Das Vorwort dazu schrieb John Masefield.[8] Wohl eine der bittersten Anklagen der Perfidie und des Machtmissbrauchs der Nationalsozialisten. Vermutlich wurde diese Widerstandsschrift entweder in den Instituten selbst heimlich angefertigt oder die Informationen wurden den Verfassern daraus zugespielt: es ist zum Beispiel bestätigt, dass junge polnische Akademiker im Institut für Deutsche Ostarbeit von den Nationalsozialisten angestellt wurden, da sie für Übersetzungen und bibliophile Arbeiten gebraucht wurden. Auf solchen Wegen konnte sie aber gleichzeitig einen Einblick in das Institut nehmen, um die polnischen Interessen zu wahren.[9] Schon allein die Genauigkeit der Informationen über den nationalsozialistischen „Kultur“ Apparat mit seinen konstruierten Idealen des „Deutschtums“, der sich wie ein monotoner Faden eskortiert von den Grausamkeiten durchzieht, sei es bei den Plünderungen, Verwüstungen wie zum Beispiel des Warschauer Schlosses, sowie den Verfolgungen der Kirche und der Intelligenz mit den namentlich genannten Opfern und Tätern, das Abenteuer der herausgeschmuggelten Fotoplatten der nationalsozialistischen Zeitschriften wie das „Generalgouvernement“ oder „Die Burg“[10] und die Mikroverfilmungen der Schriften, waren nicht ohne einen genauen Einblick in die Verhältnisse, größerer Spenden sowie einer disziplinierten, zielstrebigen Organisation möglich.[11]
Mitte Juni 1941 besuchte eine Polin, Gräfin Mankowska, Scheliha, einen Bekannten aus Warschauer Zeiten, der er als Nazigegner bekannt war. Sie wirkte damals als Agentin der polnischen Widerstandsorganisation „Musketiere“, die einen der besten Nachrichtendienste der Allierten darstellte. Ihr zeigte Scheliha in seinem Büro im Auswärtigen Amt eine Sammlung von Akten über die Grausamkeiten, die die Gestapo in Polen begangen hatte, und insbesondere über die Vernichtung der Juden. Das Dossier enthielt Einzelheiten und Photographien eines gerade eingerichteten Vernichtungslagers. Scheliha gab es ihr zur Kenntnis, damit sie den Inhalt auf den ihr zugänglichen Wegen nach Großbritannien übermittelte.[12] Einem weiteren Mitglied aus der Widerstandsgruppe der „Musketiere“ („Muszkieterzuy“), die von Stephan Witkowski[13] geführt wurde, war die Fürstin Teresa Sapieha-Rozanski, geb. Prinzessin Lubomirska. Ihr hatte Scheliha 1940 die Ausreise nach Italien ermöglicht.[14] Sie wurde mit einer Gruppe polnischer Adliger in Rom im November 1943 wegen Spionage verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert.[15] Der Hinweis der Herausgeber von „Nazi Kultur“ auf mehrere Kuriere, die eifrig zur Verfügung standen, besonders auf einen, der die Mikrofilme nach London brachte, als ein „young polish gentleman speaking impeccable German travelling from Warsaw into the Reich“ könnte ein Hinweis sein auf Schelihas Freund Graf Bninski , als dieser von Scheliha tatsächlich im Herbst 1941 nach Berlin geholt wurde um „im Dienst des Auswärtigen Amtes Propagandaschriften“ zu verfassen. Was Bninski dabei im „Diplomatengepäck“ mit sich führte bleibt ein Geheimnis. Waren es die versteckten Mikrofilmrollen von „The Nazi Kultur in Poland“?[16] Hatte die Mankowska nachdem die Aktion im Frühjahr 1941 begann, den ersten Teil der Mikrofilme, als sie im Juli 1941 erneut in Berlin war, bei Scheliha abgeholt?[17] Erstaunlich ist auch die Datierung der Schriften. Die Letzten wurden im Januar 1942 verfasst. Auch Scheliha legte die ganze Angelegenheit der aufgelisteten polnischen Intelligenz Anfang Februar 1942 zu den Akten mit der Bemerkung: „Ist gegenstandslos geworden, da propagandistischer Einsatz von Polen nicht beabsichtigt.“ Damit stellte Scheliha selbst fest, dass diese von ihm vorgeschlagenen Polen seinen im Auswärtigen Amt offiziell angekündigten Plan „für die Deutsche Propaganda zu schreiben“ in diesem Fall nicht erfüllten. Dass er die Angelegenheit genau zu diesem Zeitpunkt auch fallen ließ, könnte ein starker Hinweis sein, dass er damit auch keinerlei Aufsehen mehr erregen wollte. Sahm bemerkt hier wohl zu Recht, dass die Sache ihm zu heiß wurde.[18]
Seit dem Frühjahr 1942 wurde Scheliha von großer Unruhe ergriffen. Er reiste auch mehrmals in die Schweiz, kam aber trotz der bedrohlichen Situation stets nach Berlin zurück. Vermutlich wuchs sein Zorn gegen das Regime angesichts der beschlossenen „Endlösung“ und der katastrophalen Bespitzelungen und Hinrichtungen des polnischen Widerstandteams von „Nazi Kultur in Poland“, wofür er sich mit verantwortlich fühlte. Das Ziel den Führer zu beseitigen erreichte er nicht mehr.[19] Er wurde am 22. Dezember 1942 in einem heimlichen Scheinverfahren wegen Landesverrats ermordet.[20] Ein Landesverrat, der tatsächlich daraus bestand, dass er den Polen geholfen hatte. Es wurde ihm angedichtet, dass er es für Geld getan hat. Scheliha gab alles zu was sie wollten und rettete dadurch noch Vielen das Leben. Der Rufmord lastete noch jahrelang auf ihm.[21] Anlässlich der Bemühungen von Ulrich Sahm konnte 1995 sein Widerstand offiziell mit einer Feier im Auswärtigen Amt am 21. Dezember anerkannt werden.[22] John von Wühlisch starb am 27. Januar 1943 in Berlin. Seiner und der anonym gebliebenen Opfer auf polnischer Seite, durch die Entstehung von „The Nazi Kultur in Poland“ soll hiermit gedacht werden.
Autorin: Susanne Kienlechner. Eine ausführliche Version des Artikels finden Sie hier als PDF.
Anmerkungen
[1] The Nazi Kultur in Poland, by several authors of necessity contemporarily anonimous, written in Warsaw under the occupation and published by the Polish Ministry of information by his Majestie´s Stationery Office, London 1945. (Zit. Nazi Kultur). Siehe Christoph Kleßmann, Die Selbstbehauptung einer Nation. Nationalsozialistische Kulturpolitik und polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement 1939-1945, Studien zur modernen Geschichte, Düsseldorf 1971, hier 145. (Zit. Kleßmann, 1971); Internet: „Polska Podziemna“. Delegatura Rzadu na Krai. Czesc I. Dzial Likwidaciy Skut ków Woiny Kryptonimy:“Finis“,“Stop“, 580/L“; Internet: Wikipedia. The Nazi Kultur in Poland.
[2] Ulrich Sahm konnte durch akribische jahrelange Nachforschungen den Widerstand von Scheliha überzeugend nachweisen. Ulrich Sahm, Rudolf von Scheliha 1897-1942; Ein Deutscher Diplomat gegen Hitler. München 1990.(Zit. Sahm, 1990) Zum polnischen Widerstand im Zusammenhang mit Scheliha und Wühlisch siehe Bernhard Wiaderny, Akademische Abhandlungen zur Geschichte. Der polnische Untergrundstaat und der Deutsche Widerstand, 1939-1944, Berlin 2003.(Zit. Wiaderny, 2003).
[3] Wiaderny, 2003, hier 86-91. Sahm, 1990, hier 257-267.
[4] Wiaderny, 2003, hier 89 -91.
[5] Veröffentlichungen des Instituts für Zeitgeschichte, Werner Präg und Wolfgang Jacobmeyer (Hg.) Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen, 1939-1945. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 20, Stuttgart 1975, hier 73, 185, 195, 450-451.
[6] Präg und Jacobmeyer, 1975, hier 73.
[7] Siehe Sahm, 1990, hier 75, 95, 154-157, 99-105, 115-116, 118-119, 180-181, 201, 230-232, 237, 241-242.
[8] John Masefield war ein englischer Dichter.
[9] Kleßmann 1971, hier 144.
[10] Nazi Kultur, hier Plate 6,7,8,12,22 und andere.
[11] Für den polnischen Widerstand wurde viel gespendet. Es ist von riesigen finanziellen Möglichkeiten (insgesamt 50-60 Millionen Dollars aus Amerika) die Rede. Siehe Wiaderny, 2003, hier 29.
[12] Rudolf von Scheliha und die Verfolgung der Juden unter den Nationalsozialisten. Aufzeichnung von Ulrich Sahm, im Februar 1996. Privatarchiv Scheliha, R.v.S. Band I, Faktenforschung, 1-19, 4. Clementine Mankowska, Espionne malgré moi, Préface de Michel Poniatowski, Monaco 1994, hier 133 ff.,153/154.
[13] Stephan (Stewit) Witkowski war Begründer und Leiter der Widerstandsgruppe „Die Musketiere“ von 1939 bis 1942. Er starb 1942. Siehe Mankowska, 1994, hier 40, 42, 186, 194.
[14] Brief Fürstin Teresa Sapieha-Rozanski 15.6.1955 an Marie Louise von Scheliha. Sahm 1990, hier 119 , 364.
[15] Gespräch von Ulrich Sahm mit Herrn Michael Foedrowitz am 17.4.1991 in Bodenwerder in: Privatarchiv Scheliha, R.v.S., II, Faktenforschung, 31. Bericht der Britischen Botschaft in Rom, gezeichnet von dem Botschaftsangehörigen Frank Roberts, vom 23.11.1943, Public Record Office FO 371/34558.
[16] Nazi Kultur, hier xii; Sahm, 1998, hier 75,95,155.
[17] Attestation de Theresa Lubienska, Londres 20. September 1948, Abs. 8, Abschrift des Originals. Mankowska, 1994 (Unter den Abbildungen).
[18] Sahm, 1990, hier 157.
[19] Sahm, 1990, hier 167 ff.
[20] Sahm, 1990, hier 220-221.
[21] Sahm, 1990.
[22] Siehe Anm. 2.