Der Begriff „Stunde Null“ stammt aus der Planungs- und Organisationssprache, vor allem des Militärs. Er bezeichnet einen bestimmten Punkt, an dem sich Vorgänge oder Umstände komplett ändern und meint den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Die geschichtliche Darstellung beschreibt damit allgemein den Zusammenbruch und die Kapitulation des Deutschen Reiches nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die unmittelbare Zeit danach.
Das Jahr 1945: komplette Niederlage und Befreiung
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht und damit das Deutsche Reich bedingungslos. 60 Millionen Menschen verloren von 1939 bis 1945 ihr Leben. Nach sechs Jahren Krieg mit unzähligen Luftangriffen waren viele Städte zerstört, intakte Verkehrswege, Infrastruktur und funktionierende Verwaltung existierten kaum mehr. Andererseits brachte diese „Stunde Null“ die ersehnte Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft und ein Ende der Kampfhandlungen. Mit der sogenannten „Berliner Erklärung“ übernahmen die vier Siegermächte des Krieges, USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich am 5. Juni 1945 formal die Befehlsgewalt in Deutschland. Sie teilten das verbliebene Reichsgebiet sowie Berlin in alliierte Besatzungszonen und begannen, den Wiederaufbau zu regeln.
Weitreichende Entscheidungen und erste Differenzen – die Potsdamer Konferenz
Vom 17. Juli bis 2. August 1945 trafen sich die Regierungschefs der Siegermächte ohne Frankreich in Potsdam, um über die Zukunft Deutschlands zu beraten. Die Zusammenkunft Trumans, Stalins und Churchills (beziehungsweise Attlees nach dessen Abwahl) auf Schloss Cecilienhof gilt als eines der bedeutendsten historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig als Auftakt zum „Kalten Krieg“.
Einigkeit herrschte unter Teilnehmern über die Punkte
- Denazifizierung,
- Demilitarisierung,
- Demokratisierung sowie
- Dezentralisierung des besiegten Landes und seiner Bevölkerung.
Stalin beharrte zudem auf der polnischen beziehungsweise sowjetischen Verwaltung der deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße. Dies gestanden ihm die beiden anderen der sogenannten „Großen Drei“ schließlich zu. Die Zusammenkunft diskutierte nicht nur über die Zukunft des unterlegenen Landes, im Fokus stand auch eine angemessene Strafe für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Während die sowjetische Delegation unter Stalin für Schauprozesse eintrat, sprachen sich die US-Amerikaner für faire Gerichtsverhandlungen aus, die jeden Einzelfall betrachten sollten.
Nicht nur bei dieser Frage zeigten sich immer mehr Unstimmigkeiten. Die Konferenz endete mit einem Abschlussdokument, der sogenannten Potsdamer Erklärung. Es schreibt viele der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leitlinien der künftigen Jahre für Deutschland fest. Dazu zählten etwa Reparationen und die Rückführung deutschstämmiger Bewohner aus östlichen Gebieten.
Hunger und Schwarzmarkt: das Leben inmitten von Ruinen
Die Bevölkerung in den vier Besatzungszonen beschäftigte in dieser Zeit zunächst der Kampf um ihre nackte Existenz. Wichtig war ein Dach über dem Kopf und Nahrung. Die dabei von der alliierten Verwaltung jeweils zugeteilten Essensrationen stillten kaum den größten Hunger. Schwarzmarkt und Tauschgeschäfte blühten. Viele Städter zogen mit ihren letzten Habseligkeiten über die Dörfer, um bei den Bauern der Umgebung ein paar Kartoffeln zu ergattern. Zigaretten dienten als Zahlungsmittel und bildeten praktisch eine eigene „Währung“. Als unschätzbare Überlebenshilfe zeigten sich die Carepakete mit Nahrungsmitteln aus den USA. Die Lebensverhältnisse in den einzelnen Zonen entwickelten sich in zunehmend in verschiedene Richtungen. Die sowjetischen Machthaber strebten einen kommunistisch und zentralistisch gelenkten Staat an. In den Westzonen etablierte sich mit ersten Wahlen auf kommunaler Ebene bald ein föderales System. Ebenso unterschiedlich nahmen die Besatzungsmächte die juristische Aufarbeitung des Naziregimes und seiner Verbrechen in Angriff. In der SBZ, also der sowjetisch besetzten Zone, erfolgte die Entnazifizierung zusammen mit einer sogenannten „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“. Die Verantwortlichen gingen dabei vergleichsweise konsequent und schnell vor. Trotzdem nahmen sie bei ihren „Säuberungen“ Rücksicht auf dringend für den Wiederaufbau benötigte Fachkräfte. In der amerikanischen Zone mussten sich die Einwohner einer genauen Befragung unterziehen. Die Beantwortung von 131 einzelnen Punkten entschied über die Einstufung. Von „höchst belastet“ bis zum „Mitläufer“ reichte die Spanne. Spruchkammern urteilten über das weitere Vorgehen. Bei diesem Verfahren traten viele Ungerechtigkeiten und bürokratische Probleme auf, was schließlich zu einem Kurswechsel führte. Im Frühjahr 1946 verabschiedeten die Länder der US-Zone als Rechtsgrundlage ein „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“.
Ein Regime vor Gericht – der Nürnberger Prozess
Obwohl mit Hitler, Goebbels und Himmler drei der Hauptfiguren des Dritten Reiches bereits Selbstmord begangen hatten, einigten sich die Alliierten auf ein historisch bedeutsames Gerichtsverfahren gegen die übrigen Akteure des Naziregimes. Sie wollten damit einerseits Verantwortliche bestrafen, aber andererseits auch der Bevölkerung zeigen, dass sie keine Kollektivschuld trug. Zudem sollte den Deutschen das Ausmaß der Taten vor Augen geführt werden. So standen ab 20. November 1945 neben weiteren Hermann Göring, Rudolf Heß und Joachim von Ribbentrop in Nürnberg, der „Stadt der Reichsparteitage“ vor Gericht. Die Anklagepunkte lauteten unter anderem
- Kriegsverbrechen,
- Verbrechen gegen den Frieden,
- Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges sowie
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Gerichtshof verkündete am Ende elf Todesurteile, wobei Göring sich durch Selbstmord entzog. Der Prozess von Nürnberg gilt allgemein als Meilenstein für das Völkerstrafrecht und als Vorläufer für das Internationale Kriegsverbrechertribunal von Den Haag.
Auf dem Weg zur Teilung Deutschlands und dem „Eisernen Vorhang“ in Europa
In den Jahren nach 1945 traten die politischen und ideologischen Gegensätze zwischen den Westmächten und der Sowjetunion immer deutlicher zutage. Die USA setzten – auch aus Angst vor der Ausbreitung des Kommunismus – mit dem „Marshallplan“ ein weitreichendes Hilfsprogramm in Kraft. Die UdSSR verweigerte die Beteiligung. Bei der Londoner Außenministerkonferenz kam es im Dezember 1947 endgültig zum Zerwürfnis der Mächte. Auf die Währungsreform am 18. Juni 1948 in den Westzonen reagierte das Sowjetregime mit einer Abriegelung Berlins ab dem 24. Juni. Stalin beabsichtigte, seinen Einfluss und seine Herrschaft auf die ganze Stadt auszudehnen. Die USA richteten daraufhin eine Luftbrücke ein, um Berlin und seine Bewohner zu versorgen. Am 12. Mai 1949 öffnete die UdSSR die Sperren wieder. Diese Blockade und ihr Scheitern gelten als erster Höhepunkt des Kalten Krieges und Grundstein für den sogenannten „Eisernen Vorhang“. Eine Teilung Deutschlands zeichnete sich immer deutlicher ab. Die Westmächte beauftragen die Ministerpräsidenten der Länder, die Gründung eines eigenen westdeutschen Staates einzuleiten. Dieser sollte vorerst über ein Grundgesetz statt einer Verfassung verfügen. Damit wurde der provisorische Charakter betont. Am 24. Mai 1949 trat es in Kraft; die Bundesrepublik war gegründet. Auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone erblickte mit der „Deutschen Demokratischen Republik“ am 7. Oktober des gleichen Jahres ein zweiter deutscher Staat das Licht der Welt. Damit endete die unmittelbare Nachkriegszeit.
Autor: Bernd Fischer
Literatur
Benz, Wolfgang: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch. Berlin 1999.
Herbert Ulrich / Axel Schildt: Kriegsende in Europa. Essen 1998.
Weber, Jürgen: Das Jahr 1949 in der deutschen Geschichte. Die doppelte Staatsgründung. München 1997.
Weber, Jürgen: Der Bauplan für die Republik. Das Jahr 1948 in der deutschen Nachkriegsgeschichte. München 1997.