Deutschlands langer Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg
Als am 7. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa offiziell durch die unterschriebene Kapitulationserklärung von Generaloberst Jodl für beendet erklärt wurde (die Kapitulation trat am 8. Mai um 23 Uhr in Kraft), waren die Folgen des 6-jährigen Krieges noch lange danach zu spüren. Zum einen waren viele von der Front oder Gefangenenlagern heimkehrende Männer durch die dort erlebte Gewalt verstört, zum anderen mussten die Daheimgebliebenen finanzielle sowie menschliche Verluste und Kriegserlebnisse verarbeiten. Unerträglich jedoch waren die Hungersnöte, die unmittelbar nach Kriegsende begannen.
Schwierige Zeiten
Nach Kriegsende 1945 waren es überwiegend Frauen, die die Wirtschaft und die Städte wieder aufbauen mussten. Es fehlte Deutschland an fast allem, vorwiegend an männlichen Bewohnern, denn die meisten sind an der Front gefallen, in Straflagern umgekommen oder im Krieg verschollen. Lebensmittel waren schwer erhältlich, oft nur im Tausch gegen andere Dinge wie Seife gegen ein Brot oder eine Zigarette gegen ein kleines Stück Butter. Solch ein Handel wurde überwiegend auf dem Schwarzmarkt betrieben, manchmal auch bei Menschen, denen man Vertrauen schenkte. Rohstoffe waren nirgendwo vorrätig, dieser Zustand resultierte überwiegend aus dem durchgeführten Raubbau an den Kohle- und Erzbergwerken durch die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges (für die Herstellung von Rüstungen, Panzern und sonstigem kriegswichtigem Material) sowie aus der Versorgungsknappheit aus anderen Ländern.
Nicht zuletzt sorgten Trecks von knapp zwei Millionen Flüchtlingen, die fehlende Industrieproduktion sowie die zerstöre Infrastruktur für einen jahrelangen Engpass in der Versorgung der Bevölkerung. Es fehlte vor allem an Grundnahrungsmitteln, Bekleidung und Brennstoffen. Lebensmittelkarten sorgten für eine mehr oder minder gerechte Aufteilung der vorhandenen Produkte an die Haushalte, alles wurde stark rationiert. Plünderungen durch Flüchtlinge, Neid und Missgunst am Hab und Gut anderer und die Angst um die eigene Existenz gestalteten das Miteinander sehr schwierig. Dazu kam, dass die vorherrschenden Bedingungen durch die Kontrolle der Alliierten in den verschiedenen Sektoren die Stimmung ohnehin aufheizte beziehungsweise viele Menschen einschüchterte. (Zum besseren Verständnis: Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in vier Besatzungszonen durch die vier Siegermächte aufgeteilt:
- Den Amerikanern unterlag der Sektor Bremen, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen
- Die Briten kontrollierten die Zonen Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein
- Frankreich kontrollierte Rheinland-Pfalz, Hohenzollern in Württemberg sowie Südbaden
- Der sowjetischen Besatzungszone unterlagen die Gebiete Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die Sowjetunion war die einzige Siegermacht, die sämtliche Industrieanlagen im Osten abbauen ließ. Sie sah das als Reparaturzahlung an. Allerdings gab es in allen vier Sektoren Nahrungs- und Wohnungsnot zu gleichen Teilen.
Eine Ausnahme bildete das Saarland. Es gehörte zunächst zu Frankreich, nach 1947 wurde es unabhängig. Erst im Jahr 1957 wurde das deutsche Bundesland Teil der Bundesrepublik.)
Mühsamer Aufbau
Besonders schlimm war die Not im Winter 1946/47. Er ging als sogenannter „Hungerwinter“ in die Geschichte ein, da über 400 000 Menschen ihr Leben durch Hunger und Erfrieren verloren. Bis zur erlösenden Währungsreform am 20. Juni 1948, die Deutschland allmählich aus der Not befreite und Schritt für Schritt zum „Wirtschaftswunder“ in den 1950-er Jahren führte, musste jedoch in Deutschland noch einiges passieren. Viele Großstädte wurden nahezu komplett zerstört, kaum ein Gebäude war heile geblieben. Dazu zählten auch Bahnhöfe, Häfen und viele große Unternehmen. Frauen, die berühmten Trümmerfrauen, die Steine schleppten, Balken und kaputte Mauern abtrugen und entfernten, prägten das Stadtbild. Allerdings wurden die meisten Frauen von den Alliierten zu dieser Arbeit gezwungen, so dass diese keine andere Wahl hatten als zu helfen. Die Frauen mussten jedoch diese Arbeiten nicht alleine ausführen. Abrissfirmen, die den Krieg überstanden hatten, halfen mit noch vorhandenen Baggern und anderen Fahrzeugen dabei, den Schutt zu entfernen und die Gebäude wieder aufzubauen. Die Instandsetzungen von Brücken, Bahnstrecken und Wasserwegen nahm viel Zeit in Anspruch. Als Material wurde der Schutt der zerstörten Gebäude genommen. Deutschland war in dieser Zeit auf Rohstoffe und Lebensmittel aus dem eigenen Land angewiesen. Bauern säten wieder Getreide, doch das braucht Zeit zum Wachsen. Die Viehzucht wurde wieder aufgenommen, eigene Eier verkauft, die Hühner zum Essen geschlachtet. Es mangelte an Geld, die Reichsmark war so gut wie nichts mehr wert, auch wenn sie in Hülle und Fülle vorhanden war. Zu kaufen gab es in den Geschäften ohnehin nichts mehr. Die Wende kam mit der Währungsreform.
Der wirtschaftliche Aufstieg
Am 20. Juni 1948 kam die Währungsreform. Die deutsche Mark löste die Reichsmark ab und von heute auf morgen änderte sich das Leben aller Bürger auf einen Schlag. Allerdings war dies nur in den westlichen Besatzungszonen der Fall. Die Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone belief sich lediglich auf eine „Umgestaltung“ der Reichsmark, deren Scheine mit Coupons beklebt wurden. Die Weigerung der Sowjetunion, sich dem Westen anzuschließen, führte letztlich auch zur Teilung Deutschlands und feuerte die ohnehin gespannte Lage des „kalten Krieges“ noch zusätzlich an.
Der Westen profitierte von der Währungsreform. Das Geld bekam wieder Wert und über Nacht füllten sich die Regale mit allem, was der Mensch begehrte. Vor allen Dingen gab es nun wieder genügend Lebensmittel und Bekleidung für alle. Für jeden Bürger wurde ein „Kopfgeld“ ausgeteilt. Jeder bekam 40 D-Mark ausgeteilt, kurze Zeit später gab es noch einmal 20 D-Mark für jeden Bürger. Wer noch Reichsmark besaß oder sie mit der Zeit angespart hatte, konnte sie im Verhältnis von 100:6,5 umtauschen.
Das „Wunder“, dass über Nacht plötzlich wieder alles in Hülle und Fülle zu normalen Preisen mit der neuen stabilen Währung erhältlich war, erklärt sich mit der Tatsache, dass die Geschäftsinhaber und Unternehmer ihre Liquidität schnell verbessern wollten. Das konnte anfangs nur mit dem so entstandenen „Schaufenstereffekt“ geschehen, da die Bürger durch die lange Zeit des Hungerns und Leidens mehr als kaufwillig waren. Die Märkte wuchsen wieder, Angebot und Nachfrage sorgten für stabile Preise. Der Wechselkurs der D-Mark zum US-amerikanischen Dollar war konstant und sicher, die Löhne stiegen, die westdeutsche Industrie erlebte ihre Auferstehung wie Phoenix aus der Asche: Das Wirtschaftswunder ist geboren.
Das Wirtschaftswunder
Dieser unglaublich rapide Aufstieg knapp zwei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist bis heute ein einmaliges Ereignis in der Geschichte Deutschlands. Die Arbeitslosigkeit sank, das Bruttosozialprodukt stieg und hielt bis in die 1970-er Jahre an. Erst mit Beginn der Ölkrise 1973 brach das Wirtschaftswunder ein. „Vater“ des Wirtschaftswunders war der damalige Bundesminister für Wirtschaft Ludwig Erhard (1897-1977). Er führte zugleich die soziale Marktwirtschaft in Deutschland ein, die ebenfalls ein Kernstück des Wirtschaftswunders bildete. Geprägt wurde der Begriff der sozialen Marktwirtschaft vom Wirtschaftswissenschaftler Alfred Müller-Armack (1901-1978). Ziel der sozialen Marktwirtschaft ist effizientes wirtschaftliches Handeln, Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung, Wachstum der Wirtschaft, Stabilität des Preisniveaus bei einer möglichst dauerhaften Inflationsrate unter einem Prozent, Zahl der Arbeitslosen unter 0,8 Prozent sowie ein ausgeglichenes Verhältnis vom Import zum Export. Im Endeffekt wollte Ludwig Erhard den „Wohlstand für alle“, wie er auch in seinem gleichnamigen Buch erklärte. Bis heute ist die soziale Marktwirtschaft die Basis unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung.
Autorin: Martina Meier
Literatur
Benz, Wolfgang: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch. Berlin 1999.
Herbert Ulrich / Axel Schildt: Kriegsende in Europa. Essen 1998.
Weber, Jürgen: Das Jahr 1949 in der deutschen Geschichte. Die doppelte Staatsgründung. München 1997.
Weber, Jürgen: Der Bauplan für die Republik. Das Jahr 1948 in der deutschen Nachkriegsgeschichte. München 1997.