Filme über das `Dritte Reich´ haben dieser Tage in Deutschland Konjunktur. Der Start von Marc Rothemunds „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ setzt den aktuellen Trend – und auch seinen Erfolg – nach „Der Untergang“, „Napola“ und „Der Neunte Tag“ fort.
Dieser Trend spiegelt die gesellschaftspolitische Relevanz des Themas in Deutschland – auch oder gerade zum 60. Jahrestag des Kriegsendes. Das allgemeine Interesse und der Wille zu Erinnerung und Einbeziehung neuer Erkenntnisse sind ungebrochen. Sie zeigen, dass die Wunden des kollektiven deutschen Gedächtnisses noch offen sind. Im Spannungsfeld zwischen einerseits wiedererstarktem Rechtsextremismus, Aufmärschen der NPD etc. und andererseits zahlreichen Erinnerungsveranstaltungen, Staatsakten und der Eröffnung des Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden Europas im Mai 2005 steht auch dieser Film.
Marc Rothemunds Film liegen die erst seit 1989 zugänglichen Protokolle der Verhöre Sophie Scholls durch den Gestapobeamten Robert Mohr zugrunde, die bis dahin im Archiv der SED verschlossen waren. Seinen filmischen Vorgängern lagen diese Dokumente nicht vor. So porträtierten sie auch nicht eine Sophie Scholl aus ihrer Selbstsicht heraus, sondern durch die Perspektive ihrer Zellengenossin (Adlon mit „Fünf letzte Tage“ / 1982) oder die gesamte Widerstandsgruppe (Verhoeven mit „Die Weiße Rose“ / 1982).
„Sophie Scholl – Die letzten Tage“ setzt das historische Wissen des Zuschauers um die Flugblattaktion der `Weißen Rose´ sowie die darauf folgende Verhaftung der Geschwister Scholl in München voraus, zeigt diese nur kurz, um sich dann gänzlich auf die Untersuchungshaft und die Vernehmung Sophies durch die Gestapo bis hin zum Schauprozess und ihrer Hinrichtung durch die Guillotine zu konzentrieren.
Marc Rothemund liefert mit seiner Version von „Sophie Scholl“ ein wahrscheinlich realistisches Bild ihrer letzten Tage. Diese inszeniert er puristisch und setzt einerseits auf die Schlichtheit seiner Protagonistin (Julia Jentsch), ihre Fähigkeit zu minimalistischer Mimik und andererseits auf eine kammerspielartige Darstellung ihrer Verhöre, die sehr an Karmakars „Totmacher“ erinnern. Bei allem Respekt vor der mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten Leistung von Julia Jentsch, mit Götz Georges charismatischer, eindringlicher Präsenz als Massenmörder Fritz Haarmann kann sie nicht mithalten.
Sicherlich, sie ist ganz das Gegenteil eines Massenmörders, aber genau hierin liegt das Problem. Während Karmakar seinen Protagonisten psychologisch seziert und den Zuschauer mit der facettenreichen und teilweise sehr kontroversen Darstellung der Figur Haarmanns gebannt hält, bleibt die Charakterisierung Scholls eher eindimensional. Rothemund liefert uns nicht das Psychogramm einer jungen, leidenschaftlichen und vielleicht unter zunehmendem Druck zweifelnden Widerstandskämpferin, sondern ihre Überzeichnung als überzeugte Intellektuelle, als fromme Märtyrerin, die für Moral und Aufklärung ihr Schicksal gefasst entgegen nimmt und selbst den kurzen Abschied von ihren Eltern recht nüchtern hält. Ihre Argumentation aber besticht und selbst Mohr kann ihr nicht viel entgegensetzen, wenn sie Gewissen gegen Gesetz, Demokratie gegen Willkür, Religion gegen Krieg wägt.
Leider wird sie als Heldin zu stark überhöht und verliert damit ihr Identifikationspotential für junge Zuschauer. Ihre Vorbildfunktion aber verliert sie nicht und alles in allem bleibt der Film ein gelungenes (Lehr-)stück über den Idealismus und die Zivilcourage einer jungen Generation und darüber, dass jeder, der wollte, auch damals schon von den Greueltaten der Nazis wissen konnte – selbst wenn Hitlers Sekretärin Traudel Junge, damals ebenso jung wie Sophie Scholl, das während des Krieges noch anders sah. (s. Schlussinterview mit Traudel Junge in „Der Untergang“).
Und mit diesem Signal für ein neues geistiges Europa spielt sich der Film ganz nach vorn.
Originaltitel: Sophie Scholl – die letzten Tage – Von Marc Rothemund
Regie: Marc Rothemund
Drehbuch: Fred Breinersdorfer
Darsteller: Julia Jentsch (Sophie Scholl), Alexander Held (Robert Mohr), Fabian Hinrichs (Hans Scholl), Johanna Gastdorf (Else Gebel), André Hennicke (Dr. Roland Freisler), Florian Stetter (Christoph Probst), Johannes Suhm (Alexander Schmorell)
Genre: Drama
Land: Deutschland, 2004
Länge: 116 min
Premiere: 24.Feb.2005 / Deutschland
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: X-Verleih