Der französische Filmemacher Claude Lanzmann legte Mitte der 80er Jahre mit „Shoah“ einen der umfassendsten Filme zum Thema der Vernichtung europäischer Juden im Zweiten Weltkrieg vor. Sein Film gegen das Vergessen ist ein beeindruckendes Amalgam aus zwölf Jahren Arbeit, 350 Stunden Material, gegossen und geformt in dieses fast zehnstündige Werk.
Die ersten Szenen des epischen Filmwerks führen die Zuschauer in eine friedliche Waldlandschaft bei Chelmno in Polen, wo im Zweiten Weltkrieg 400.000 Juden ermordet wurden. Simon Srebnik, 47, einer von nur zwei Überlebenden, ist der erste in Lanzmanns eindrücklichem Werk, der über das Ungeheuerliche spricht: „Das kann man nicht erzählen.“
Ganz gegen die Sehgewohnheiten, die uns Guido Knopp und Steven Spielberg gelehrt haben, verzichtet Lanzmanns Großprojekt auf Musik, auch auf Off-Kommentare und sogar auf historisches Filmmaterial. Im Mittelpunkt steht die Gegenwärtigkeit des Erinnerns. Lanzmann besuchte die Orte der Vernichtung: Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Auschwitz – aber eindrücklich vor allem die letzten Augenzeugen, die er in Polen, Israel, den USA und in Deutschland sprach. Sogar ‚Zuschauer’ und NS-Täter macht er ausfindig, die bereit sind zu Interviews für die Dokumentation. Das zentrale Thema seiner Befragungen sind die Konzentrations- und Vernichtungslager und das Warschauer Ghetto. Raul Hilberg (1926-2007), amerikanischer Historiker, las für Lanzmanns Dokumentation Auszüge aus dem Tagebuch von Adam Czerniaków (1880-1942). Czerników war bis zu seinem Suizid zwangsweise Vorsitzender des Judenrates vom Warschauer Ghetto war und hielt die Verbrechen der Deutschen an den Juden im Warschauer Ghetto in Tagebuchform fest.
Es bedurfte eines hohen, psychologisch untermauerten Aufwands und einer ausgefeilten Fragetechnik, um die Befragten überhaupt zum Sprechen zu bringen. Lanzmann stellt die Zeitzeugen dabei auf eine harte Probe: Er filmt sie ununterbrochen, auch in den Momenten, in denen sie die Fassung verlieren, weil sie die grausame Erinnerung nicht mehr ertragen können.
Ohne chronologische Anordnung und bewusst fragmentarisch präsentiert, ergeben die Interviews ein subtil gewobenes Geflecht ineinander verschränkter Perspektiven von Opfern, Tätern und ‚Zeugen’ auf das Unbegreifliche.
40 Jahre nach Kriegsende fertig gestellt, erregte der Film Aufsehen und Bewunderung, lief auf etlichen Festivals, war mehrfach im Fernsehen zu sehen und zuletzt bei den 63. Internationalen Filmfestspielen in Berlin im Rahmen der „Lanzmann Hommage“.
Frankreich 1985, 266 Min
Englisch, Hebräisch, Polnisch, Jiddisch, Französisch, Deutsch
Regie: Claude Lanzmann