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Startseite > Zeitalter der Weltkriege > Zweiter Weltkrieg > Schadenfroher „Großer Walzer“ Moskau 1944
Geschrieben von: Redaktion Zukunft braucht Erinnerung | Erstellt: 31. August 2020

Schadenfroher „Großer Walzer“ Moskau 1944

Ergänzungen zum Thema deutscher Kriegsgefangener bei der Roten Armee

„Zukunft braucht Erin­ne­rung“ (ZbE) veröffent­lich­te am 11. August 2020 einen aus­führlichen Re­port über den „Marsch be­siegter Deutscher“ am 17. Juli 1944 durch Mos­kau (Hier geht es zu dem Artikel). Der Bericht konzen­trierte sich auf Spezifika eines wahrhaft seltenen Er­eig­nisses: Über 57.000 deutsche Kriegsgefangene, darunter „keine SS-Truppen“, marschierten durch die Me­­­tropole des hauptsächlichsten Kriegsgegners – zehn Monate vor Kriegsende, fast zwei Monate nach dem „D-Day“ (6. Juni 1944), an welchem mit der Landung der Alli­ierten in der Nor­mandie der Schlussakt des Kriegs begann. Die Deutschen be­wegten sich in Formatio­nen, die wohl auf dem Reiß­­brett entworfen waren: Kolonnen à 600 Mann, 20 Mann in jeder Reihe. Der rus­sische Autor Boris Egorov machte dazu eine Bemer­kung (in „Russia Beyond“ 17. Juli 2019), die zutreffend sein kann, aber nicht muss: „Für die Öffentlich­keit schien es, als würden alle diese Kriegsgefangenen nur von einer Handvoll so­w­jetischer Soldaten und Kavalleristen mit gezücktem Säbel be­wacht. Doch im Hinter­grund passten zehn­tausende Rotarmisten und rund 12.000 NKWD- Offiziere auf, dass der Marsch rei­bungslos ablief“. NKWD war das damalige Innenministerium.

Deutsche Marschierer, im Film festgehalten

Die Tausenden deutschen Marschierer, ausgewählt aus 260.000, nach anderen An­gaben 400.000 Kriegsgefangenen, zwei Wochen zuvor gemacht, waren relativ or­dent­­lich gekleidet und nicht gerade unterernährt. Ihr Zug wurde von knapp zwei Dut­zend Gene­rälen angeführt (Bild oben) – in tadellosen Uniformen und mit allen Orden und Ehrenzei­chen. Das Ereignis lief unter dem Codena­men „Bol‘­ṧoj val’c“ (großer Walzer). Das war die russische Übersetzung des ameri­kanischen Filmtitels „The Great Waltz“, eines Musikfilms von 1938, der überall ein Riesenerfolg war, nicht zu­letzt in der Sowjetunion, wo er Stalins Lieblingsfilm war. War es Schaden­freude, 1944 den Marsch besiegter Deutscher unter ein Motiv zu stellen, das Millionen Rus­sen in beschwingter Erinnerung hatten?

Vermutlich war es Schadenfreude, russisch „zloradstvo“, die dahinter steckte, von Sta­lins zynischem Innenminister L. Berija inszeniert. Dabei hatte er Recht, wie un­ge­zählte Pressestimmen bezeugten, die alle denselben Gedanken artikulierten: Hitler hat schon 1941 verkündet, er wolle demnächst eine deutsche Siegesparade in Mos­kau abneh­men – jetzt sieht alle Welt geschlagene Deutsche durch Moskau schlurfen. Am ein­drucksvollsten veranschaulichte das ein sowjetischer Film, der erste einer ganzen Rei­he zu diesem Thema, der mit zehn Mi­nuten Dauer der kürzeste war. Fünfzehn Filmteams waren mit den Aufnahmen be­schäftigt, darunter cineastische „Stars“ wie Boris Ėjberg (1904-1994). Äußerlich gab er sich der Film betont schlicht, trug Scha­­den­freude aber be­reits im Ti­tel: Prokonvoirovanie Nem­cev čerez Mos­kvu. Das ist kaum übersetz­bar, aber mit Blick auf den Hintersinn wiederzugeben mit Wie Deut­sche durch Mos­kau ab­ge­führt wurden.

Das alles wurde von einem schmettern­den Siegesmarsch untermalt, der die obligato­rische Reminiszenz begleite – dass die Deutschen schon früher nach Moskau kom­men wollten, aber erst jetzt dazu Gelegenheit hätten, aus zahlreichen Kriegsgefan­genenlagern in die Hauptstadt gebracht. In Lager – insgesamt 2.454, davon 655 in Zentralrussland und 515 im Süden – wür­­­den sie nach dem Moskau-Aufenthalt weiter­geleitet werden. Das „verpackten“ die Filmer optisch eindrucksvoll: Die Kamera schwenkte über ungezählte Deutsche, die er­schöpft auf einer Wiese eingeschlafen wa­ren – ein Anblick, als habe sie ein Blitz erschlagen. Plötzlich ertönt aus dem Hin­ter­grund der Be­fehl „vstat‘“ (auf­ste­hen), worauf sich alle schwerfällig erhoben und der „Walzer“-Marsch begann.

ZbE hat in ihrer ersten Beschäftigung mit dem „Walzer“ betont, dass der Marsch in erster Linie für Stalins West-Alliierte bestimmt war. Die trauten den So­wjets wenig zu, aber jetzt kriegten sie sozusagen Nachhilfeunterricht. Der Film zeigt einen Balkon vol­­ler schneidig uniformierter Ame­rikaner und Briten samt attraktiven Frau­en, die sich unverkennbar über den Anblick deutscher Marschierer amüsierten. Der Kontrast zwi­schen den eleganten GI’s und den mitgenommenen „Landsern“, von denen man­che in knielangen Armeeunter­ho­sen aufliefen, war ja auch lachhaft. Allzu viele Moskauer bekamen das gar nicht mit, denn mitunter hat­te man aus Filmen, Pressefo­tos etc. den Eindruck, es waren mehr Deutsche als Russen auf den Straßen.

Deutsche Generäle – aufgelistet

„Elegant“ waren auf deutscher Seite nur die Generäle, die der Film mit Namen und Trup­penteil aufführte, wobei der Filmtext bald summarisch ausführte: „insgesamt 19 Personen“. Diese Zahlenangabe von den 19 Generälen wurde in zahllosen Publika­tionen wiederholt, auch von ZbE im ersten „Walzer“-Report, dabei muss sie nicht unbedingt zutreffen. Ein verwirrender Umstand war beispielsweise die sog. „Führer­reserve“, eine Art Auszeit für höhere Offiziere, die als politisch missliebig galten und nun in irgendwelchen untergeordneten Stellungen, etwa in einem „Divisionsfüh­rer-Lehrgang“, auf eine ungewisse Neuver­wendung warteten. Das konnte sogar mehr­fach passieren. In den Bio­graphien deutscher Generäle findet sich vielmehr häufig eine kuriose Abfolge von Führerreserve – Beförderung – Dekorie­rung. Bei den fol­genden Namenslisten wird diese Strafe, wenn es denn eine war, mit der Abkürzung FR vermerkt, zusätzlich zu den Rangabkürzungen (Gen – General, GM – General­ma­jor, GL – Generalleutnant

Rang, Name Lebenslauf Kommando
GL Bamler, Rudolf 1896-1972, FR 1944 12. Inf. Div.
GL von Bercken, Werner 1897-1976, FR 1939 102. Inf. Div.
GM Conrady, Alexander 1903-1983 36. Inf. Div.
GM Engel, Joachim 1897-1948, FR 1942 45. Inf. Div.
GM Gihr, Gustav 1894-1959, FR 1942 707. Inf. Div.
Gen.Inf. Gollwitzer, Friedr. 1889-1977, FR 1942 LIII. Armeekorps
GL Hamann, Adolf 1885-1945 siehe unten
GL Heyne, Walter 1894-1967 6. Inf. Div.
GL Hitter, Alfons, 1892-1968 206. Inf. Div
GL Hoffmeister, Edmund 1893-1951 XXXXI. Pz. Korps
GM Klammt, Günther 1898-1971 260. Inf. Div.
GL von Kurowski, Eberh. 1895-1957 110. Inf. Div.
GL von Lützow, Kurt-J. 1892-1961 XXXV. Armeekorps
GM Michaelis, Herbert 1897-1969, FR 1944 95. Inf. Div.
GL Müller, Vincenz 1894-1967 XII. Armeekorps
GM Müller-Blow, Claus   246. Inf. Div.
GL Ochsner, Wilhelm 1899-1990, FR 1941 31. Inf. Div.
GL Richert, Joh.-Georg 1890-1946 35. Inf. Div.
GM von Steinkeller, Fr. C. 1896-1961 Pz. Gr.Div. „Feldhh.“
GL Traut, Hans 1895-1974 78. Sturm-Div.
GM Adolf Trowitz 1893-1978, FR 1943 57. Inf. Div.
Gen. Inf. Völckers, Paul 1891-1946 XXVII. Armeekorps
Gen. Art. Wuthmann, Rolf 1893-1977, FR 1942 IX. Armeekorps
GM von Erdmannsdorfer, Gottfried 1893-1946,.FR 1944 456. Inf. Div

Bei Kriegsende zählte man 11,5 Mio. deutsche Kriegs­gefangene im Ausland, davon etwa 3,3 Mio. in der So­wjetunion. Von diesen kamen eine Million um oder gal­ten als vermisst, während andere größtenteils bis 1947 heim­kehrten. Die Sowjetunion ließ sich mehr Zeit. Das Gros der Marsch-Generäle konnte um 1955 heim­keh­ren, of­fenkundig nach Bundeskanzler Adenau­ers er­folgrei­chem Moskauer Einsatz (8. – 14. Septem­ber 1955) für deutsche Kriegs­­ge­fan­gene (Bild). Offiziell gab es seit etwa 1950 in der Sowjetunion gar keine „Kriegsgefangene“ mehr, nur noch rechtmäßig verurteilte Kriegsverbre­cher. Das glaubte in Deutschland niemand, am wenig­sten der „al­te Fuchs“ Adenauer. Der traute den Sowjets nicht über den Weg, wollte gar „vorfri­s­tig“ (ran‘ṧe sro­ka) aus Moskau abreisen. Die verblüfften Sowjets stimmten ihn um durch ein „Eh­renwort“ (čestnoe slovo) der Chefs von Partei (N Chruṧčev) und Regie­rung (N. Bul­ga­nin), dass Moskau die verbliebenen 9.626 Kriegsgefangenen sowie rund 20.000 Zivil­verschleppte repatriieren werde. Anderes blieb ihnen auch nicht übrig, nachdem sie am 25. Januar die „Beendigung des Kriegszustandes zwi­schen der Sowjetunion und Deutschland“ erklärt hatten.

Zudem hatten die Sowjets einsehen müssen, dass ihre Versuche, Kollaborateure un­ter deutschen Offizieren anzuwerben, nur bescheidenste Erfolge zeitigten. Dabei ging es um das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD, Juli 1943 bis Novem­ber 1945) und den ihm unterstehenden „Bund deutscher Offiziere“ (BDO September 1943) unter General Walther von Seydlitz-Kurzbach (1888-1976). Nach den Nieder­lagen von Stalingrad und anderen war die Stimmung bei deutschen Offizieren lau­fend gesunken, aber mit den unverhüllt kommunistischen Organisationen zu kollabo­rieren, war nur wenigen willkommen. Auch konnte Mos­kau nach Belieben „antifaschi­s­tische“ deutsche Offiziere als „Kriegsverbre­cher“ vor Gericht stellen. So hatte BDO-Führer von Seydlitz doppeltes Pech: Im August 1944 wurde er in Deutschland in Ab­wesenheit zum Tode verurteilt, im Juli 1950 in Moskau zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Doch im Oktober 1955 kehrte er nach Deutschland zurück.

Und zwar nach „Westdeutschland“, obwohl in der Sowjetischen Besatzungszone (DDR) seit Januar 1958 mit der „Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere“ (AeO) eine Nachfolgeorganisation von NKFD und BDO bestand. Bei westdeutschen „Vete­ranen“ galten die AeO-„Kameraden“ als Verräter und Handlanger der Sowjets, ob­wohl sich im Vorstand sieben prominente Wehrmachts-Generale fanden:

Rang, Name Biographie
GM Dr. Otto Korfes, Leiter der AeO 1889-1964
GL Bamler, Rudolf 1896-1972
GM Brandt, Arthur 1887-1967
GM Freytag, Walter 1887-1982
GM Hähling, Kurt 1893-1983
GM Kunze, Wilhelm 1894-1960
GM Lattmann, Martin 1896-1976

Eine der Aufgaben der AeO war, die Aufstellung ostdeutscher Streitkräfte (Kasernier­te Volkspolizei, KVP, *1952; Nationale Volksarmee, NVA, *1956) fachlich zu beraten, was sie auch tat – frühere Generäle wie Vincenz Müller brachten es bis zum Vize-Verteidigungsminister. Daneben hatte sie die SED-Politik zu unterstützen, etwa beim Mauerbau 1961, bei dem Überfall des Warschauer Pakts auf Dubčeks Tschechoslo­wa­kei 1968 und bei anderen Anlässen. Im November 1971 wurde sie aufgelöst. Sie war nutzlos und sie störte die Arbeit der Stasi, die befürchtete, die AeO könne mittels re­gionaler Zweigstellen ein Netzwerk „faschistischer Offiziere“ werden, die man gera­de aus der NVA ausgemustert habe.

General Adolf Hamann: Unmensch oder Humanist?

In dem oben erwähnten Film über den Moskauer Marsch deutscher Kriegsgefangener wird einer der Beteiligten in Bild und Kommentar besonders herausgestellt: „Der Kom­man­dant von Bobrujsk und ehemalige Kommandant von Orël, ein Henker (palač) und Mörder (ubijca). Zehntau­sen­de Sowjetmenschen wurden Opfer seiner Untaten“. Die Re­de war von General Adolf Ha­mann (3. September 1898 – 30. Dezember 1945), und die Vor­­würfe gegen ihn basier­ten auf der Anklage, welche die „Staatli­che Sonderkommission zur Ermittlung und Aufklärung der Ver­bre­chen deutsch-fa­schistischer Aggressoren“ (ČKG) am 7. September 1943 gegen Hamann publizierte hatte. Die im März 1943 geschaffene ČKG diente am Jah­reswechsel 1945/46 als Stichwortgeber der sowjetischen Beteiligten am Nürnberger Prozess, aber der Fall Hamann war eine erste „Fingerübung“. Hamann hatte am Jahresende 1945 zusam­men mit General Friedrich-Gustav Bernhard (1888-1945) und wenigen anderen in Brjansk vor Gericht gestanden, wobei unglaubwürdigste Dinge gegen ihn laut wur­den, die er unbewegt hinnahm: 96.000 sowjetische Kriegsgefangene und 130.000 Zivil­per­so­nen habe er erschießen oder verhungern lassen, darunter „allein in Bob­rujsk im No­vember 1941 Zehntausende Juden“. An Sowjetbürgern wurden „Experi­mente mit Giftgas vorgenommen, sie dienten als „lebendige Minenspürer“, „rund 218.000 Menschen wurden nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt, Dutzen­de Städte in den besetzten Gebieten wurden niedergebrannt oder zerstört“.

Davon stimmte nichts. Hamann war ein sehr fähiger Soldat, den Hitler mit neun (oder sogar elf) Orden und Ehrenzeichen dekorierte und dem auch sei­ne Gegner Achtung zollten: Sowjet-Marschall Konstantin Rokos­sovskij (1886-1968) bewunderte in seinen Memoiren, wie umsichtig „General Gaman“ die von ihm geleiteten Ort­schaften befestigt und ver­tei­digt hatte.

Hamann hatte ein zeitweilig abenteuerliches Leben, denn offenkundig schickte ihn die deutsche Heeresleitung mit Vorliebe dorthin, wo es gerade „brannte“. Kurz nach Kriegsausbruch übernahm er bis Anfang Januar 1940 die Kommandogewalt im Grenz­­bereich des okkupierten Polens, dann kommandierte er im Sommer 1941 kur­ze Zeit ein Reservebataillon der Infanterie, am Jahreswechsel 1941/42 leitete er Teile der 239. Infanterie-Division, im Frühjahr 1942 diente er als Regimentskomman­deur in Reims im besetzten Frankreich. Jeder Ortswechsel war mit einer Beförderung ver­bun­den, mitunter auch mit einer Abschiebung in die „Führerreserve“. Am 22. Juni 1941 startete Hitlers „Unternehmen Barbarossa“, der Krieg gegen die So­­­­wjetunion. Hamann fand Verwendung im okkupierten Belarus, wo er nacheinander militärischer Kommandant der Städte Orël, Brjansk und Bobrujski war.

Allein diese wenigen Umstände passen nicht zu dem propagandistischen Bild, das die Sowjetpropaganda von deutschen Soldaten entwarf. Bei Hamann kam noch hin­zu, dass er wusste oder ahnte, wie ausgeprägt die Abneigung der lokalen belarussi­schen oder polnischen Bevölkerung gegen Russen und Sowjets war. Das mach­te er sich erfolgreich nutzbar. Beispielsweise sind Polen und Belarussen from­me Christen, während in Russland bis 1947 ein militanter Atheismus die Norm war. Als Hamann gerade in Orël angekommen war, bat ihn die Priesterschaft der Stadt, die seit Jahr­zehnten geschlossenen Kirchen wieder zu öffnen. Dem kam Ha­mann gern entgegen, worauf er während seiner einjährigen Dienstzeit in Orël Ehrengast an allen Kirchen-, Volks- und Kinderfesten war, darunter am 4. Oktober, dem „Tag der Befrei­ung“ (Den‘ osvoboždenija). Und das war erst der Anfang, dem zahlreiche Aktivitäten Hamanns folgten, mit denen er die Men­schen auf die deutsche Seite zog. So befahl er am 23. Dezember 1942 die Umwand­lung der „Volksmiliz“ in eine Polizei, die „gut in Form und gut gekleidet zu sein habe, wie es der Reputation des Ortes entspricht. Polize­ioffiziere sollen ein Beispiel sein“. Und zwar in deutschen Uniformen, versehen mit nationalen Zeichen und Orden, wie Hamann anordnete.

Neben solchen Befehlen standen strengere, als „Soldatenpflicht“ ausgegeben und befolgt. Die wohl exotischste stammt vom März 1943, wonach jede Frau, die „ein Kind von einem deutschen Soldaten geboren hat, ein Anrecht auf Alimente hat. So­fern der Kindesvater die Vaterschaft bestätigt, kriegt die Mutter 30 Mark im Monat“.

Am 5. August 1943 mussten die Deutschen unter dem Druck der Roten Armee Orël verlassen und zogen sich ins benachbarten Brjansk zurück. Im Juni 1944 konnten sie sich auch dort nicht mehr halten und wichen nach Bobrujsk aus. Dort blieben sie im­merhin bis Juni 1944. Im Juli 1944 versuchte Hamann an der Spitze von 12.000 deut­schen Soldaten einen Ausbruch, der aber bald in sowjetischer Kriegsgefan­genschaft endete.

Der erste Akt von Hamanns kriegerischen Ende war der schon häufig erwähnte Mos­kauer „Marsch der besiegten Deutschen“. Der Schluss folgte vor dem „Militärtribunal“ in Brjansk, wo die Generäle Hamann und Bernhardt sowie der Gefreite Martin-Adolf Lämmler am 30. Dezember 1945 „zur Höchststrafe“ verurteilt wurden, also zum Tod. Nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung wurden die drei Verurteilten auf dem Theaterplatz von Brjansk vor aller Augen gehängt. Lag darin auch ein Verweis für die ortsansässige Bevölkerung, die den Deutschen Hamann konträr anders erlebt und in Erinnerung hatte, als es sowjetische Propaganda und Tribunale wollten? Oder steht zufällig seit 1966 im Zentrum von Brjansk ein Beton-Denkmal „Für unsere Sow­je­ti­sche Heimat“? Und was denkt darüber der belarussische Präsident Aleksandr Lukaṧenko, der seit zwei Jahrzehnten Brjansk und weitere Umgebung nach Belarus heimholen möchte?

Autor: Wolf Oschlies

Hier geht es zu dem Artikel: >> 17. Juli 1944: 57.600 deutsche Kriegsgefangene marschieren durch Moskau

 

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