RAD – Jugend mit dem Spaten
Der interessanteste Aspekt am nationalsozialistischen „Reichsarbeitsdienst“ (RAD) ist, daß er gar keine deutsche Erfindung war. Bis etwa 1936 wurde selbst von den Nationalsozialisten zugegeben, daß die Idee dazu aus Bulgarien kam. Bulgarien war nach dem Ersten Weltkrieg in derselben Lage wie Deutschland: Es hatte (als Partner Deutschlands) den Krieg verloren, musste sein Heer vermindern und steckte in einer schweren Wirtschaftskrise. In dieser Situation machte man aus der Not eine Tugend: Der ganzen Nation wurde eine „Arbeitspflicht“ (trudova povinnost) auferlegt, die von Männern bis zum 40., von Frauen bis zum 30. Lebensjahr bestand. Pro Jahr wurden rund 30 Prozent einer Altersgruppe verpflichtet, die zuerst 12, später 8 Monate unentgeltlich gemeinnützige Arbeiten verrichteten, vor allem im Straßenbau. Damit (und mit der umsichtigen Organisation des ganzen Unternehmens) erntete Bulgarien enorme Vorteile: Die Arbeitslosen waren von der Straße, notwendige Arbeiten wurden bei niedrigsten Kosten verrichtet, der Arbeitsdienst war zudem eine nationale Schule, in welcher junge Menschen zu loyalen Staatsbürgern erzogen wurden – unter dem Leitmotiv „Za Balgarija trud“ (Arbeit für Bulgarien) – und daneben noch Lesen, Schreiben, Körperhygiene etc. lernten.(1) Das erregte in Deutschland höchstes Interesse bei konservativen Politikern und Wirtschaftlern, die für eine Nachahmung des bulgarischen Beispiels plädierten.(2) Auch bei der deutschen linken Mitte interessierte man sich für Bulgarien und seinen Arbeitsdienst, dessen rein ökonomischen Effekte man eher gelassen beurteilte, seine staatsbürgerliche Erziehung aber mit höchstem Respekt hervorhob.(3)
Der bulgarische Arbeitsdienst war 1920 von der linken Bauernregierung unter Aleksandar Stambolijski eingeführt worden und hat als Institution zahlreiche Staatsstreiche und Regimewechsel in diesem Land überstanden. Auch sein deutsches Pendant, der nationalsozialistische RAD, gab sich relativ politikfern; lange nach dem Endes des NS-Regimes bemerkten US-Historiker: „It should be noted that the RAD never was a part of the NSDAP, though of course it was loyal to the nazi ideology“. Allerdings kam diese Ideologie sozusagen handfest und wortspielerisch zu Wort: “Spaten und Ähre” hieß es da, und “Arbeit für Dein Volk adelt Dich selbst“. Das war einsehbar und nachvollziehbar, zumal das ganze Unternehmen ja vor Hitler und als Notbehelf in schwerer Krise gestartet worden war. Am 5. Juni 1931 billigte Reichskanzler Heinrich Brüning den „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD), staatlich geförderte Arbeitslager zur Behebung der hohen Arbeitslosigkeit. Ihr Effekt war gering, ihre Kontrolle locker, so daß sie mitunter als militärische Trainingscamps für paramilitärische Truppen wie „Freikorps“ und andere missbraucht wurden. Dadurch aber wurde die Idee auch bei Hitlers Partei interessant.
Als die Nationalsozialisten zur Macht kamen, ernannte Hitler Konstantin Hierl (1875-1955), NSDAP-Mitglied seit 1927, zum Staatssekretär im Arbeitsministerium und beauftragte ihn mit der Bildung eines zunächst noch freiwilligen Arbeitsdienstes. Seit 1934 amtierte er als „Reichskommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst“, nach Einführung der Arbeitsdienstpflicht am 26. Juni 1935 als „Reichsarbeitsführer“. Diese Position machte ihn unabhängig von seinem früheren Förderer, Arbeitsminister Franz Seldte (1882-1947), der zuvor mit SA-Chef Röhm eine Fusion von Arbeitsdienst und SA verabredet hatte. So etwas war nach dem „Röhm-Putsch“ natürlich nicht mehr möglich, was dem persönlich integren Hierl nur nutzen konnte. Jetzt war er oberster Führer einer Heerschar von jungen Leuten beiderlei Geschlechts zwischen 18 und 25 Jahren, die zur Arbeit verpflichtet waren. Der „Reichsarbeitsdienst der weiblichen Jugend“ (RADwJ) bestand indessen nur auf dem Papier, da er erst im April 1936 formal in den RAD inkorporiert wurde. Bis dahin war es so, daß z.B. 1934 nur 7.347 „Arbeitsmaiden“, aber 220.000 „Arbeitsmänner“ am Arbeitsdienst teilgenommen hatten.
Arbeitsdienste (oder ähnliche Unternehmungen) hat es im 20. Jahrhundert in vielen Ländern und zu verschiedenen Zeiten gegeben. Diese Zeiten waren schlecht, was der Sache förderlich war – in Konjunkturzeiten kann ja niemand auf eine solche Idee kommen, weil Arbeitskräfte in den boomenden Wirtschaftszweigen benötigt werden. Wer hingegen in ökonomischer Zwangslage größere Menschengruppen zu gemeinsamer Arbeit versammelt, ist mit einem Wirtschaftsproblem sui generis konfrontiert: Der Aufwand für Organisation, Unterbringung, Transport, Versorgung etc. wird sich, wenn überhaupt, erst nach geraumer Zeit als zählbarer Ertrag „rechnen“. Arbeitsdienste lohnen sich nicht! Also wird man ihre sekundären Effekte herausstreichen und ihre gemeinschaftsbildende, sozial integrierende, werktätige, patriotische etc. Rolle betonen.
In gewisser Weise haben die Nationalsozialisten ähnlich gehandelt, auch dann noch, als ihr RAD für alle jungen Menschen zur Pflicht wurde. Junge Männer wurden bei Entwässerungsarbeiten, Autobahnbau etc. eingesetzt, junge Frauen bei Haus- und Feldarbeiten in der Landwirtschaft, und alle arbeiteten in dem Glauben, in klassenloser Gesellschaft nützlichste Tätigkeit für das bedrohte Vaterland zu leisten. Die Organisation war klar durchstrukturiert: Der RAD gliederte sich in 30 „Arbeitsgaue“, 182 „Gruppen“ und 1.260 „Abteilungen“, es gab eine ausgefeilte Hierarchie (vom „Vormann“ bis zum „Obergeneralarbeitsführer“), für Betreuung und Unterhaltung standen „Heildienste“ und „Musikzüge“ bereit, und für die Zeit danach sorgte die Organisation „Arbeitsdank“ (150.000 Mitglieder 1936) mit Krediten, Kursen, Beratungen und Erholungsheimen für eine lückenlose Reintegration der Ausgeschiedenen.
Bereits vor Verfügung der Arbeitsdienstpflicht waren monatlich 220.000 „Arbeitsmänner“ vom RAD erfasst, danach weit mehr, und daraus erwuchs bei Kriegsbeginn ein „rechnerisches“ Problem: Das NS-Regime benötigte im gleichen Zuge die Arbeit des RAD für kriegswichtige Bauten und seine Männer für die Armee, was eine unvereinbare Zielstellung war und zu grotesken Weiterungen führte. 1940 war die Zahl der „Arbeitsgaue“ auf 39 angewachsen – darunter solche in den eroberten Gebieten: Wien, Prag, Linz, Graz, Teplitz-Schönau etc. – und die neuen Aufgaben hatten sich stark vermehrt: Bau des „Westwalls“ und von Feldflughäfen, Wiederaufbau zerstörter Straßen und Häuser etc. Aber gleichzeitig war die Zahl der männlichen RAD-Mitglieder um die Hälfte zurückgegangen, da die Armee sie einzog. Es gab sogar Pläne, den RAD für die Dauer des Krieges einfach abzuschaffen, was Hierl durch umsichtige Kooperation mit den technischen Diensten von Heer und Luftwaffe zu verhindern wusste. Im Prinzip blieb es dabei, wenn auch der Kriegsverlauf manche Änderungen erzwang: Hatte man gesiegt, wie 1939 gegen Polen, dann durfte der RAD beinahe zum Vorkriegsbetrieb zurückkehren – gab es schwierigere Kriegsaufgaben, dann kam er unter militärische Kontrolle. In der letzten Kriegsphase wurde er mehr und mehr als Hilfstruppe, etwa im Luftschutz, eingesetzt, sogar kleinere Armeeeinheiten wurden aus RAD-Männern aufgestellt und als „Reicharbeitsdienst-Divisionen“ in den Kampf geschickt.
Interessantes, jedoch nicht verwunderliches Detail am Ende: Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß wurde der RAD weder unter den „verbrecherischen Organisationen“ aufgeführt, noch überhaupt groß erwähnt. Nur sein Leiter Hierl wurde 1948 als „Hauptschuldiger“ zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt, was ihn später nicht hinderte, 1955 seine Memoiren „Im Dienst für Deutschland“ zu veröffentlichen.
Autor: Wolf Oschlies
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Burleigh, Michael: Die Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt/Main 2000.
Burleigh, Michael: The Third Reich: A New History, London 2001.
Fest, Joachim: Das Gesicht des Dritten Reiches, München 2002.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage / Manon Eppenstein- Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999.
Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt/Main 2003.
Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, Hamburg 1999.
Radlmaier, Steffen: Der Nürnberger Lernprozeß. Von Kriegsverbrechern und Starreportern, Frankfurt/Main 2001.
Anmerkungen
1) J. Januloff: Die Arbeitsdienstpflicht in Bulgarien, in: Wirtschaftsdienst Nr. 25/1933, S. 846-847
2) Walter Hoffmann: Arbeitsdienstpflicht. Erfahrungen in Bulgarien, Möglichkeiten in Deutschland, in: Der Arbeitgeber Jg. XX (1930), S. 423-426
3) Hans Raupach: Arbeitsdienst in Bulgarien. Studienergebnisse der Schlesischen Jungmannschaft, Studentenwerk-Schriften Bd. 5, Berlin/ Leipzig 193