Schwedischer Diplomat, der das Leben von Zehntausenden Juden in Budapest rettete.
Raoul Wallenberg stammte aus einer Familie von Bankiers, Diplomaten und Offizieren. Sein Vater, der vor seiner Geburt starb, war Offizier in der schwedischen Marine. Wallenberg wuchs im Hause seines Stiefvaters, Frederik von Dardell, auf. Er studierte Architektur in den Vereinigten Staaten, verlegte sich jedoch auf das Bankwesen und den internationalen Handel, wodurch er 1936 zu einem sechsmonatigen Aufenthalt nach Haifa kam. Auf Empfehlung des schwedischen Verbandes des World Jewish Congress und unterstützt vom amerikanischen War Refugee Board schickte das schwedische Außenministerium Wallenberg im Juli 1944 nach Budapest, um eine Hilfsaktion für über 200.000 Juden zu unterstützen, die nach der Deportation von 437.000 ungarischen Juden nach Auschwitz in der ungarischen Hauptstadt zurückgeblieben waren. Ihre Hilfsoperation für die verfolgten Juden startete die schwedische Gesandtschaft kurz nach der deutschen Besetzung Ungarns am 19. März 1944. Zu dieser Zeit begannen Adolf Eichmann und eine ihm unterstellte Sonderabteilung zusammen mit den ungarischen Behörden, Deportationen der Juden zu organisieren. Der Chef der schwedischen Delegation in Ungarn, Carl Ivar Danielsson, hatte die Ausgabe von vorläufigen schwedischen Pässen an ungarische Juden angeregt, die durch familiäre oder geschäftliche Beziehungen mit schwedischen Bürgern verbunden waren. Als Wallenberg in Budapest ankam, waren mehrere hundert solcher „Schutzpässe“ ausgegeben worden. Seine Ankunft am 9. Juli fiel mit dem Stopp der Deportationen zusammen, zu dem sich die ungarische Regierung unter internationalem Druck, nicht zuletzt aufgrund einer Intervention von König Gustav V. von Schweden, gezwungen gesehen hatte. Die von der schwedischen Gesandtschaft in Verbindung mit anderen diplomatischen Missionen eingeleitete Schutzaktion wurde fortgeführt und Wallenberg, der neue Attaché der Gesandtschaft, mit einer eigens für diesen Zweck eingerichteten Abteilung betraut. Vor seinem Amtsantritt hatte er sich besondere Vollmachten ausbedungen, um für bestimmte Maßnahmen, wie die Überweisung von Geldern durch das War Refugee Board, freie Hand zu haben. Nach dem Staatsstreich vom 15. Oktober 1944 und der Machtübernahme der von Ferenc Szálasi angeführten antisemitischen faschistischen Pfeilkreuzler-Partei waren die Juden Budapests von den Mordaktionen der Pfeilkreuzler und den Deportationen Eichmanns bedroht. In dieser Situation engagierte Wallenberg sich mit mutigen Rettungsunternehmungen. Drei Monate lang gab er Tausende von „Schutzpässen“ aus. Die Unterschrift des schwedischen Gesandten wurde in den meisten Fällen sowohl von den ungarischen Behörden als auch den Deutschen akzeptiert, so daß die Pässe für viele Juden einen wirksamen Schutz darstellten. Als Eichmann die Todesmärsche Tausender Juden zur österreichischen Grenze organisierte, begleitete Wallenberg den Konvoi. Er erwirkte die Freilassung Hunderter Inhaber schwedischer Pässe und brachte sie nach Budapest zurück.
Es gelang ihm sogar, Menschen aus den Zügen nach Auschwitz zu holen oder sie aus dem Munkaszolgalat (Arbeitsdienst) zu befreien. Die Juden waren darüber hinaus der Morddrohung der Pfeilkreuzler ausgesetzt. Als Schutzmaßnahme richtete Wallenberg Herbergen ein, die 15.000 Personen unterbringen konnten – eine Operation, bei der auch andere diplomatische Vertretungen durch die Ausgabe von eigenen Schutzdokumenten beteiligt waren. Es gab 31 geschützte Häuser, die zusammen das „internationale Ghetto“ bildeten, eine eigene Welt, abgelegen vom Hauptghetto Budapests. Die Betreuung dieser Häuser war schwierig und teuer, da sowohl für Lebensmittel als auch für sanitäre und hygienische Einrichtungen gesorgt werden musste; zur Verwaltung und Instandhaltung der Häuser waren 600 Juden angestellt. Sowohl das „internationale Ghetto“ als auch das Hauptghetto lagen in Pest, dem Teil der Stadt, der als erster von der Roten Armee besetzt wurde. Wallenberg bemühte sich um Verhandlungen mit den Sowjets und um eine angemessene Versorgung der befreiten Juden. Die Sowjets waren gegenüber der schwedischen Vertretung höchst misstrauisch und verdächtigten ihre Mitarbeiter der Spionage für die Deutschen. Bedenklich fanden sie auch die große Zahl zirkulierender schwedischer Dokumente. Als die Sowjets Wallenberg in ihr Armeehauptquartier in Debrecen bestellten, vertraute dieser auf seine diplomatische Immunität, zumal die schwedische Gesandtschaft gegenüber den Deutschen sowjetische Interessen vertreten hatte.
Am 17. Januar 1945 kehrte er in Begleitung zweier sowjetischer Soldaten nach Budapest zurück. Er äußerte, daß er nicht wisse, ob er Gast oder Gefangener der Sowjets sei. Danach verlor sich jede Spur von ihm und seinem Fahrer, Vilmos Langfelder. Auch die anderen Mitarbeiter der schwedischen Gesandtschaft wurden von den Sowjets festgehalten, kehrten jedoch alle innerhalb weniger Monate über Bukarest und Moskau nach Stockholm zurück. In den ersten Jahren nach Wallenbergs Verschwinden behaupteten die Sowjets, nichts von einem Mann namens Wallenberg zu wissen und keine Person dieses Namens in irgendeinem ihrer Gefängnisse zu führen. Deutsche Kriegsgefangene jedoch, die aus der UdSSR zurückkamen, bezeugten, Wallenberg in Gefängnissen und Lagern in verschiedenen Gegenden der Sowjetunion gesehen zu haben. Aufgrund dieser Berichte richtete Schweden Mitte der 1950er Jahre eine dringende Anfrage an die Sowjets, um Informationen über Wallenberg zu erhalten. 1956 antworteten die Sowjets, sie hätten einen Bericht über Wallenbergs Tod im Jahre 1947 in einem sowjetischen Gefängnis gefunden. Diese Behauptung stand im Widerspruch zu anderen Zeugnissen und wurde von Wallenbergs Familie nicht akzeptiert. Im Lauf der Jahre wuchs die Kritik der schwedischen und internationalen Öffentlichkeit an der Handhabung des Falles durch die schwedische Regierung. Das Thema Wallenberg tauchte immer wieder auf. Bücher wurden über ihn geschrieben und öffentliche Ausschüsse eingesetzt, besonders in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Israel. Veröffentlichte Berichte enthüllten, daß es Raoul Wallenberg in den letzten Tagen vor der Befreiung Budapests gelungen war, mit Hilfe Ungarns und des Zsidó Tanács (Judenrat) einen gemeinsamen Plan der SS und der Pfeilkreuzler zu vereiteln, die Ghettos in die Luft zu sprengen. Dadurch wurden etwa 100.000 Juden in den beiden Ghettos gerettet. In Anerkennung dieses Rettungsunternehmens zeichnete der Kongress der Vereinigten Staaten Wallenberg mit der amerikanischen Ehrenbürgerschaft aus. Gedenkstätten wurden zu seinen Ehren errichtet, Straßen nach ihm benannt und Filme über seine Tätigkeit in Budapest gedreht. Wallenbergs Name und Ruf als Gerechter unter den Völkern sind legendär.
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml / Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Gann, Christoph: Raoul Wallenberg. So viele Menschen retten wie möglich, München 1999.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage / Manon Eppenstein-Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999.
Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt/Main 2003.
Linnea, Sharon: Raoul Wallenberg: The Man Who Stopped Death, 1994.
Gutman, Israel / Eberhard Jäckel / Peter Longerich (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. München 1998.