Unter dem Propagandabegriff „Seebad der Zwanzigtausend“ wurde 1936 auf der Insel Rügen mit dem größten touristischen Bauvorhaben des Dritten Reiches begonnen. In der Bucht der „Prorer Wiek“ wurde ein gigantischer Komplex von Unterkunftsgebäuden und Freizeiteinrichtungen projektiert, der für 20.000 Urlauber ausgelegt war. Sechsgeschossig sollte sich das nationalsozialistische Massenhotel über insgesamt 4,5 Kilometer an der Küste entlang ziehen.
Prora, wie das Seebad auch genannt wurde, sollte dabei nur der Anfang zu einer gigantischen Urlaubsmaschinerie werden:
Weitere Seebäder für jeweils 20.000 Menschen waren auch für Kolberg in Pommern, in Kiel-Travemünde und in Ostpreußen vorgesehen. Millionen von „Volksgenossen“ sollte so Urlaub an der See ermöglicht werden. Über das Stadium der Idee und der Vorentwürfe ist jedoch außer Prora keines der Projekte hinausgekommen.
Bauherr war die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) mit ihrer Unterorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF). Deren Führer Robert Ley gab im September 1935 auf dem Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP erstmals die Planungen für das „Seebad der Zwanzigtausend“ auf Rügen bekannt. Als eigentlicher Schöpfer wurde in der Propaganda aber immer wieder Hitler präsentiert. Robert Ley: „Die Idee des Seebades ist vom Führer selbst. Da der deutsche Arbeiter sich in den vorhandenen Bädern nicht vollständig wohlfühlt, soll hier ein neues Riesenseebad mit 20.000 Betten errichtet werden.“
Bereits im Juli 1935 wurde auf Rügen 560 Hektar Fläche für den Bau erworben. Die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) bezahlte dafür allerdings nichts. Der Eigentümer, Fürst Malte zu Putbus, musste sein Land zum Ausgleich für eine angebliche Steuerschuld abtreten.
Mit der konkreten Planung beauftragte Robert Ley den Kölner Architekten Clemens Klotz. Als „Architekt der Reichsleitung der NSDAP“ und „Vertrauensarchitekt der Deutschen Arbeitsfront“ hatte er auch persönliche Kontakte zu Hitler. Durch Staats- und Parteiaufträge wie für NS-Ordensburgen, „Adolf-Hitler-Schulen“ und andere NS-Bauten galt er bei den Nationalsozialisten als unbedingt zuverlässig.
Sein Entwurf sah eine Kette von 8 miteinander verbundenen Unterkunftsgebäuden vor. Ein zentraler, 600 Meter breiter Festplatz gliederte den Monumentalbau in einen Nord- und in einen Südabschnitt. Zwischen den Unterkunftsgebäuden waren Gemeinschaftshäuser geplant, die weit zum Ufer vorgebaut werden sollten und deren abgerundete Form zu den viereckigen Wohnkästen kontrastierte. In diesen Gemeinschaftshäusern sollten Speisesäle und Gruppenräume untergebracht werden.
Ein im Februar 1936 ausgeschriebener Wettbewerb, bei dem sich 10 weitere Architekten beteiligten, führte nur zu geringfügigen Änderungen des ursprünglichen Entwurfs: Im Zentrum der gesamten Anlage war nun eine riesige Festhalle vorgesehen, in der die Urlauber zu künftigen NS-Großveranstaltungen zusammenkommen sollten.
„Prora“ sollte nicht nur das größte Seebad seiner Zeit werden, sondern auch das modernste: Alle Zimmer waren mit Seeblick geplant. Mit einer Größe von rund 2,5×4,75 Meter waren sie für damalige Verhältnisse recht groß und mit zwei Betten, Tisch, Schrank und eigenem Waschbecken komplett ausgestattet. Für die Zimmer waren Zentralheizungen vorgesehen, um sie bis in den Herbst hinein nutzen zu können. Zwei komplette Schwimmhallen mit Wellenanlagen sollten bei schlechtem Wetter das Baden in meeresähnlicher Umgebung ermöglichen. Mehrere Kinderhorte, Lese- und Spielräume, Kegelbahnen und Billardräume waren vorgesehen ebenso wie Restaurants, Lokale, Theater und Kinos.
Grundsteinlegung war am 2. Mai 1936. Es war der dritte Jahrestag der Zerschlagung der freien Gewerkschaften in Deutschland. Nicht diese, sondern der NS-Staat, so die propagandistische Botschaft, habe sich wirklich um die Arbeiter gekümmert. „Die Seebäder werden unter all den zahlreichen Errungenschaften der DAF Beweis dafür sein, welche Triumphe der neue deutsche Gemeinschaftsgeist feiert“, so die DAF-Zeitschrift „Arbeitertum“. Mit dem schnellen Baubeginn wollte man auch Entschlossenheit und Tatkraft des NS-Staates demonstrieren. „Tempo, Tempo ist die Parole des Tages“, so das „Arbeitertum“.
Tatsächlich waren die Baumaßnahmen gigantisch. Nicht nur das Seebad selbst, sondern eine komplette Infrastruktur musste errichtet werden. Dazu gehörte eine eigene Gärtnerei, die die Küchen des Seebades mit Gemüse versorgen sollte, ein Heizkraftwerk und ein Wasserwerk, dazu Bäckerei und Schlachterei, Wohnblöcke und Unterkunftsräume für die späteren Angestellten des Seebades. Straßen- und Wegeverbindungen mussten die weit von einander entfernten Quartiere miteinander, und das ganze Seebad selbst mit den Orten auf der Insel Rügen verbinden. Im nahe gelegenen Binz wurde ein Großbahnhof errichtet, die gesamte Insel mit einer D-Zugverbindung an das Reichsschienennetz angebunden. Für die Kraftfahrer waren Unterstellmöglichkeiten für 5000 Autos geplant. Man ging davon aus, dass bereits 1940 rund 130.000 Personen einen KdF-Wagen besitzen würden. Die ersten Urlauber sollten bereits 1939, spätestens 1940 ihre Ferien im KdF-Seebad verbringen können.
Wie viele Arbeiter gleichzeitig an der Baustelle tätig waren, lässt sich aufgrund der widersprüchlichen Angaben in den Quellen nicht mehr genau rekonstruieren. Mehrere Tausend waren es in jedem Fall, die Propaganda sprach sogar von bis zu 15.000.
Mit Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 wurden auch die Arbeiten am KdF-Bad unterbrochen, Rüstungsbauten wie der „Westwall“ hatten jetzt Vorrang. Nach den ersten Blitzkriegerfolgen wurde – stark vermindert – weitergebaut, bis die Arbeiten im Kriegswinter 1942/43 endgültig eingestellt werden mussten. Fast die kompletten Rohbauten waren bereits bis zum Kriegsbeginn fertiggestellt worden. Sie sind größtenteils bis heute erhalten geblieben. Seit 1994 steht der gesamte Komplex unter Denkmalschutz.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Literatur & Links
Fromann, Bruno: Reisen im Dienste politischer Zielsetzungen. Arbeiter-Reisen und „Kraft durch Freude“-Reisen , Diss. Stuttgart 1992
Pesch, Franz (Hg.): Prora. Seebad der Zwanzigtausend. Ideen für einen vergessenen Ort, Stuttgart 1998
Rostock, Jürgen / Zadiniček: ParadiesRuinen. Das KdF-Seebad der Zwanzigtausend auf Rügen, 6. Auflage Berlin 2001