Ein britischer Hitler?
So etwa um das Jahr 1920 herum begann der Faschismus seinen Siegeszug in Europa. Überall entstanden Parteien und Gruppierungen, die sich einen nationalistisch-völkischen, antikommunistischen und nach dem Führerprinzip strukturierten Staat wünschten. Benito Mussolinis (1883 – 1945) Fascismo (Faschisten) in Italien, die aus Anton Drexlers (1884 – 1942) DAP hervorgegangene Bewegung der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler (1889 – 1945), Ion Antonescus (1882 – 1946) Garda de Fier (Eiserne Garde) in Rumänien, die kroatische Ustaša (Ustascha) von Ante Pavelić (1889 – 1959), die Falange (Phalanx) des Francisco Franco (1892 – 1975) in Spanien und die Nyilasok (Pfeilkreuzler) in Ungarn unter Führung von Ferenc Szálasi (1897 – 1946) konnten alle eigenständige faschistische Regime etablieren. Durch die Eroberung durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg entstanden weitere Regime unter anderem in Österreich, Frankreich (Vichy-Regime) oder Griechenland. Faschistische Parteien gab es aber in fast allen europäischen Staaten und auch in Japan, Chile, Ägypten, Brasilien oder sogar den USA, wobei viele davon relativ unbedeutend waren. Relativ starke Unterstützung hatte die faschistische Idee allerdings ausgerechnet in dem Land, was den Nazis neben der Sowjetunion den erbittertsten Widerstand während des Zweiten Weltkriegs bot, im Vereinigten Königreich nämlich. Die Briten sahen in Hitler anfangs einen Verbündeten gegen die Sowjets, und auch im deutschstämmigen Königshaus gab es Sympathien für den Gefreiten und gescheiterten Landschaftsmaler aus Braunau am Inn. Es existierte allerdings auch eine faschistische Partei im Vereinigten Königreich, deren Begründer Sir Oswald Ernald Mosley, 6. Baronet (1896 – 1980) ähnlich wie der Begründer der Bewegung, Benito Mussolini, zunächst etwas orientierungslos von Partei zu Partei tingelte, ehe er seine eigene gründete.
Oswald Mosley wurde am 16. November 1896 in London geboren und sollte 1928 den seinem Ur-Ur-Urgroßvater John Mosley (1732–1798) verliehenen Adelstitel eines Baronet erben. Nachdem sich Oswald Mosleys Eltern getrennt hatten, zogen seine Mutter und sein Großvater väterlicherseits ihn groß. In Familienkreisen rief man Mosley meist „Tom“. Als junger Mann besuchte Mosley das Winchester College und das Royal Military College in Sandhurst, wo viele Sprösslinge der britischen Elite ihre militärische Laufbahn begannen – so etwa auch die Mitglieder des Königshauses, Winston Churchill (1874 – 1965) oder Bernard Montgomery (1887 – 1976). Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, kämpfte Mosley zunächst bei den 16th Lancers an der Westfront, später als Beobachter bei den Royal Flying Corps, wo er sich bei einem Flugzeugabsturz eine bleibende Beinverletzung zuzog, wegen der er zunächst außer Dienst gestellt war. Doch ehe die Verwundung auskuriert war, warf sich Mosley wieder in den Schützengraben, weshalb er 1915 bei der Schlacht von Loos aufgrund seiner Schmerzen in Ohnmacht fiel. Zunächst wurde er noch in der Verwaltung eingesetzt, doch als die Verletzung 1916 immer noch nicht verheilt war, entließ man Mosley als Invalide.
Obwohl Mosley erst 21 Jahre alt war, über keine politische Erfahrung, ja nicht einmal über eine wirklich gefestigte politische Haltung verfügte, entschied er sich, nach Kriegsende in die Politik zu gehen und trat für die Conservative Party im Wahlkreis Harrow bei London bei der Wahl zum House of Commons 1918 an. Wegen seiner Abstammung schien er ein aussichtsreicher Kandidat, und man hatte zunächst erwogen, ihn im Wahlkreis nahe der Ländereien der Mosleys aufzustellen, entschied sich aber letztlich anders. Im Parlament machte Mosley als jüngster Abgeordneter schnell durch seine stets frei gehaltenen, rhetorisch ausgefeilten Reden und sein selbstbewusstes Auftreten von sich Reden.
1920 heiratete Mosley Cynthia Blanche Curzon (1898 – 1933), die zweitälteste Tochter des ehemaligen Vizekönigs von Indien George Nathaniel Curzon, 1. Baron Curzon (1859 – 1925) und dessen erster Ehefrau Mary Victoria Curzon, Baroness Curzon of Kedleston (1870 – 1906, geb. Leiter), einer durch Erbe wohlhabenden US-Amerikanerin. Wegen des sozialen Aufsteigs und der in Aussicht stehenden hohen Erbschaft, die Lord Curzon zurecht als Mosleys wahre Motive argwöhnte, musste der Brautvater erst von der Hochzeit, die das gesellschaftliche Ereignis des Jahres war, überzeugt werden.
Über den Einsatz der paramilitärischen Royal Irish Constabulary Special Reserve oder landläufig Black and Tans zur Unterdrückung der Iren zerstritt Mosley sich mit seiner Partei und wechselte nach zwei Jahren als fraktionsloser Abgeordneter und seiner Wiederwahl ins House of Commons als unabhängiger Kandidat ins gegnerische Lager zur Independent Labour Party (ILP), dem linken Flügel der Labour Party, die 1924 eine Minderheitsregierung stellte. Doch im Herbst wurde diese Regierung zu Fall gebracht und Mosley wusste, dass er in seinem Wahlkreis keine Chance mehr hatte. So trat er in Birmingham Ladywood gegen Arthur Neville Chamberlain (1869 – 1940) an, verlor aber knapp. In seiner Zeit ohne Mandat entwickelte Mosley die Birmingham Proposals, eine neue Wirtschaftspolitik für die ILP. 1926 kandidierte er im neu freigewordenen Wahlkreis Smethwick und kehrte ins House of Commons zurück. Mosley suchte die Nähe von Ramsay MacDonald (1866 – 1937), der 1929 zum zweiten Mal zum Premierminister gewählt wurde. In MacDonalds Regierung hatte Mosley einen rein symbolischen Posten als Minister ohne Geschäftsbereich und Chancellor of the Duchy of Lancaster. Mosleys Vorschläge, etwa zur Lösung des Arbeitslosenproblems und sein ausgearbeitetes Programm „Mosley Memorandum“ wurden als radikal zurückgewiesen. 1930 trat er zurück und 1931 aus der Partei aus. Er gründete die New Party, die von einigen zunächst als möglicher Mittelweg zwischen Conservative und Labour gesehen wurde, aber bei den folgenden Wahlen ihre durch Parteiaustritte von Mandatsinhabern vorhandenen Sitze verlor. Einige der Weggefährten Mosleys erkannten nun aber langsam, wo dessen Reise hingehen würde, und wandten sich wieder von ihm ab.
Diese Reise führte Mosley nach 1931 zunächst durch Europa, wo er sich faschistische Bewegungen und Parteien, insbesondere das Original in Italien näher ansah. Bei seiner Rückkehr ins Vereinigte Königreich war Mosley überzeugt, dass der Faschismus der Weg wäre, den sein Land zu gehen habe, und gründete die British Union of Fascists (BUF). Nach eigenen Angaben soll die BUF bis zu 50.000 Mitglieder gehabt haben. Die Tageszeitung Daily Mail unterstützte die faschistische Bewegung, zu deren Unterstützern auch der Romancier Henry Williamson (1895 – 1977) und der Militärtheoretiker John Frederick Charles Fuller (1878 – 1966), General Major Out of Service gehörten.
Mosley versuchte die Bewegungen in Italien und dem Deutschen Reich zu kopieren. So kreierte er etwa an die Uniformen der Camicie Nere und der SS angelehnte Outfits für die eigene Parteimiliz, die derart unangenehm auffiel, dass sie der BUF mehr schadete als nutzte. Nach dem Röhm-Putsch 1934 dann schrumpfte die Anzahl der BUF-Mitglieder und die Partei konnte daher nicht einmal mehr an Wahlen teilnehmen. 1936 hatte die BUF noch 8.000 Mitglieder. Von seinen Black Shirts geschützt, trat Mosley weiterhin öffentlich auf. Dies mündete etwa am 4. Oktober 1936 in der Schlacht in der Cable Street, die letztlich wohl der letzte Sargnagel war, den es brauchte, um die Legislative zu einem Verbot von politischen Uniformen und einer Einschränkung der Demonstrationsfreiheit zu bewegen.
Nachdem seine erste Ehefrau 1933 an einer Bauchfellentzündung gestorben war, war für Mosley der Weg frei geworden, seine Geliebte Diana Mitford (1910 – 2003) zu heiraten. Die Ehe wurde 1936 im Haus von Joseph Goebbels (1897 – 1945) geschlossen. Auch eine der Schwestern von Diana, Unity Valkyrie Mitford (1914 – 1948) war glühende Verehrerin Hitlers, der bei der Hochzeitsfeier zu den Gästen zählte. Diana verhandelte auch mit Hitler über Geldmittel für einen faschistischen Radiosender, da Mosley selbst sein Vermögen komplett in die BUF gesteckt hatte.
Diese wurde auf Betreiben des redegewandten Demagogen William Joyce (1906 – 1946) 1936 zur British Union of Fascists and National Socialists erweitert. Weil die Partei bei den im darauffolgenden Jahr abgehaltenen Wahlen zum London County Council selbst in drei Wahlbezirken, die bislang ihre Hochburgen dargestellt hatten, allenfalls 25 % der Stimmen erhielten, entließ Mosley weite Teile der Parteimitglieder, die mit Joyce die National Socialist League formierten. Die BUF verlor nicht zuletzt wegen des gewaltbereiten Auftretens von Mosleys Leibgarde jedoch weiter an Rückhalt in der Bevölkerung.
Als sich der Zweite Weltkrieg anbahnte, trat die BUF mit dem Slogan „Mind Britain’s Business“ („Kümmere dich um britische Angelegenheiten“) an. Nach der Kriegserklärung des Vereinigten Königreichs am 3. September 1939 als Reaktion auf den Überfall des Deutschen Reichs auf Polen plädierte Mosley für Verhandlungen, wobei er zunächst noch Rückhalt und Zustimmung erntete. Die Haltung der Briten gegenüber Mosley kippte allerdings beim Einmarsch der Nazis in Norwegen endgültig.
Am 23. Mai 1940 wurden Mosley und viele andere britische Faschisten gemäß der Defence Regulation 18B interniert. Diana Mosley folgte ihrem Gatten nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Max Mosley (1940 – 2021). Das Ehepaar lebte bis zur krankheitsbedingten Entlassung in einem Haus auf dem Gelände des Holloway Prisons, London. Auch nach der Entlassung standen die Mosleys bis Kriegsende unter Hausarrest.
Nach 1945 wurde Mosley von früheren Weggefährten dazu gedrängt, sich wieder politisch zu engagieren. Er gründete das Union Movement und setzte sich damit für einen europäischen Einheitsstaat ein, wurde aber wegen seiner früheren politischen Aktivitäten mit diesem Ziel nicht ernst genommen, weshalb er 1951 nach Irland und später nach Paris zog, wo er sich im rechtsextremen Netzwerk Europäische Soziale Bewegung betätigte.
Infolge der Rassenunruhen in Notting Hill kehrte Mosley 1958 noch einmal ins Vereinigte Königreich zurück und trat bei den Wahlen für das House of Commons 1959 im Wahlkreis North Kensington an. Trotz aller Propaganda seitens des Union Movements, die Mosley den Sieg hätte sichern sollen, verlor er. 1966 trat er ein letztes Mal bei den Wahlen zum House of Commons an – ohne Erfolg. Mosley zog sich daraufhin endgültig aus der Politik zurück und verfasste seine Memoiren, die 1968 erstmals veröffentlicht wurden. Oswald Mosley starb am 3. Dezember 1980 in Orsay, Département Essonne, Frankreich.
Literatur
James Drennan (Pseudonym für William Edward David Allen): B.U.F. Der britische Faschismus und sein Führer. (deutsche Übersetzung von B.U.F. Oswald Mosley and British Fascism, 1934) Walter Bacmeisters Nationalverlag, Berlin 1935.0.
Roger Griffin: The Nature of Fascism. Reprinted edition of 1991. Routledge, London u. a. 1993.
Richard Griffiths: Fellow Travellers of the Right. British Enthusiasts for Nazi Germany 1933–39. Oxford University Press, London u. a. 1983.
Adam Reed: Sympathy for Oswald Mosley: Politics of Reading and Historical Resemblance in the Moral Imagination of an English Literary Society. In: Comparative Studies in Society and History, 64 (2022), 1, S. 63–90 (https://doi.org/10.1017/S0010417521000396).
Robert Skidelsky: Oswald Mosley. Holt, Rinehart and Winston, New York 1975.
Richard Thurlow: Fascism in Britain. A History. 1918–1985. Basil Blackwell, Oxford 1987., (Revised Paperback Edition: Fascism in Britain. From Oswald Mosley’s Blackshirts to the National Front. I. B. Tauris, London 1998.).