Operation Market Garden: Natürliche Hindernisse sind oftmals von entscheidender Bedeutung bei der Kriegsführung. Deshalb wurden Burgen oft auf Bergen errichtet, denn das erschwerte deren Einnahme. Der russische Winter stoppte Napoléon Bonaparte (1769 – 1821) ebenso wie Adolf Hitler (1889 – 1945). Für die Deutschen war schon in der Antike, als es sich bei ihnen noch um einen losen Verbund der germanischen Stämme handelte, der Rhein eine solche natürliche Hürde, die überschritten werden musste, wollte man das Land östlich davon einnehmen. Selbst für die Römer endete hier der Eroberungsfeldzug. Dieses Problem stellte sich im Spätsommer und Frühherbst des Jahres 1944 auch für die Westalliierten, nachdem sie nach dem D-Day Frankreich zurückerobert hatten und nun weiter nach Osten vorstoßen wollten. Besonders das für die deutsche Schwerindustrie und somit die Waffenproduktion so wichtige Industriegebiet Ruhrgebiet einzunehmen, war strategisch von entscheidender Bedeutung.
Den Rhein in Düsseldorf zu überqueren, war wegen des starken Truppenaufgebots der Deutschen keine Option. Über Lothringen und dann weiter durchs Saarland vorzustoßen, schien ebenfalls schwierig. Weit im Norden, am rechten Arm des Rheins, dem Nederrijn gab es eine belastbare und wenig bewachte Brücke in Arnheim. Die Nazis erwarteten wohl keine Überquerung so weit im Norden, zumal zuvor auch noch der linke Rheinarm, die Waal zwischen den Alliierten und dem östlichen Rheinufer gestanden hätte. Deshalb befanden sich auf dem Weg nach Arnheim auch kaum Bunker wie am Westwall. Der Plan, den Rhein in Arnheim zu überqueren, kam vom kommandierenden britischen Offizier Field Marshal Bernard Montgomery (1887 – 1976) der Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF), die sich in Granville in der Normandie befand. Montgomery glaubte, mit einem schnellen und heftigen Schlag die Brücke von Arnheim einnehmen zu können und so einen Brückenkopf über den Rhein installieren zu können, ehe es den deutschen Truppen möglich wäre, eine entsprechende Verteidigung aufzubauen.
Der Schlüssel zur Einnahme der Brücke in Arnheim und aller Brücken, die auf dem Weg dahin eingenommen werden mussten (besonders die Brücken über Maas und Waal bei Nijmegen), waren wie bei einigen vergleichbaren Manövern beider Seiten im bisherigen Kriegsverlauf die Luftlandetruppen, also Fallschirmspringer. Diese sollten die Brücken von oben einnehmen, damit dann die Infanterie nachrücken konnte, da die Luftlandetruppen allein die Brücken – insbesondere die entscheidenden in Arnheim und Nijmegen – zwar rasch würden einnehmen, aber nicht lange würden halten können, wenn nicht weiter nach Osten Boden gutgemacht werden würde. Die Luftlandeoperation, bei der zwischen dem 17. und 23. September 1944 in drei Wellen vier Luftlandedivisionen mit insgesamt 39.620 Mann landen sollten, trug den Codenamen „Market“. Die Divisionen waren: die britische 1. Luftlandedivision unter dem Kommando von General Major Robert Urquhart (1901 – 1988), die 82. und 101. US-Luftlandedivision unter Brigadier General James Maurice Gavin (1907 – 1990) bzw. General Major Maxwell Davenport Taylor (1901 – 1987) und die polnische 1. Fallschirmjägerbrigade von Generał dywizji Stanisław Sosabowski (1892 – 1967). Die nachrückenden Bodentruppen des britischen XXX. Corps (etwa 50.000 Mann) unter Lieutenant General Brian Horrocks (1895 – 1985) bildeten die Operation „Garden“. Zusammen: Operation „Market Garden“. Den Oberbefehl über die alliierten Streitkräfte in Europa hatte im übrigen der spätere US-Präsident und damalige General Dwight D. Eisenhower (1890 – 1969). Die Hauptverantwortung für „Market Garden“ trug aber Montgomery, weshalb auch der Anteil der britischen Truppen so groß war und diesen die Schlüsselrolle in Arnheim zukam.
Wichtigste Stadt, die zum Gelingen des Plans eingenommen werden musste, war nach Arnheim und Nijmegen Eindhoven. Eindhoven war zugleich Standort der Philips-Röhrenwerke, wegen denen die Stadt zuvor Ziel von Bombardierungen durch die Westalliierten gewesen war. Diese drei Städte, also Eindhoven (101. US-Luftlandedivision), Nijmegen (82. US-Luftlandedivision) und Arnheim (britische 1. Luftlandedivision) bildeten die Landezonen. Um das Überraschungsmoment nicht zu verspielen, bedeutete der Plan allerdings, dass die 1. Luftlandedivision die Brücke in Arnheim bis zu 72 Stunden würden halten müssen, bis das XXX. Corps zur Sicherung eingetroffen wäre.
So der im August ausgearbeitete Plan, der schon einmal einen entscheidenden Fehler hatte: Montgomery und die SHAEF hatten das niederländische Gelände, das zwar eben, aber auch voller Wälder und kleinerer Gewässer war, nicht ausreichend einkalkuliert. Sämtliche Panzer konnten über nur eine einzige Straße vorrücken, auf der sie sich wie auf dem Präsentierteller der deutschen Abwehr darboten. Kurzum: Die Panzer sollten ihr Ziel mit herben Verlusten und – was noch schlimmer war – 40 Stunden Verspätung erreichen. Ferner hatten sich bis September die Gegebenheiten geändert: Teile des II. SS-Panzerkorps mit mehreren Modellen von Hitlers neuer „Wunderwaffe“, dem „Königstiger“ (offiziell: Panzerkampfwagen VI Ausf. B Tiger II) unter SS-Obergruppenführer Wilhelm Bittrich (1884 – 1979) waren nach Arnheim verlegt worden, was die Aufklärung des niederländischen Widerstands den Alliierten auch meldete. Diese nahmen die Warnung selbst nach eigener Luftaufklärung, die die Anwesenheit der Panzer bestätigte, nicht ernst.
Doch schon bei der Landung der Truppen in Arnheim sah es nicht gut aus. Die Soldaten konnten sich in den Häusern auf beiden Seiten der Brücke festsetzen und diese Position sogar länger als die geplanten 72, nämlich 88 Stunden halten, ehe ihnen die Munition ausging. Die Brücke selbst konnten sie jedoch nicht einnehmen und die Panzer kamen wie gesagt erst nach etwa 112 Stunden in Arnheim an. Als den Truppen in Arnheim die Munition ausging und sie kapitulieren mussten, hatten die Panzer gerade einmal Nijmegen verlassen. Hinzu kamen widrige Wetterverhältnisse, womit sich wieder einmal bewies, dass Hitler mit seiner schon in Stalingrad widerlegten Annahme, ein Krieg werde nicht vom Wetter entschieden, falsch lag.
Kurzum: Operation „Market Garden“ war für die Alliierten ein Desaster, bei dem sie 17.000 Mann verloren und viele der übrigen Truppen als nicht mehr einsatzfähig außer Dienst stellen mussten. Für Hitler und die Nazis war es der letzte große Sieg, ehe Eisenhower auf breiter Front vorrückte – aber erst 1945. Eisenhower stufte Operation „Market Garden“ als 50-prozentigen Erfolg ein. Montgomery war noch weit weniger selbstkritisch und sprach von einem 90-prozentigen Erfolg, was der niederländische Prinz Bernhard zur Lippe-Biesterfeld (1911 – 2004) damit kommentierte, sein Land vertrage kaum einen weiteren Erfolg Montgomerys. Bernhard zur Lippe-Biesterfeld war übrigens zwar Prinzgemahl der niederländischen Königin Juliana von Oranien-Nassau (1909 – 2004) und befand sich mit dieser während der deutschen Besatzung im Londoner Exil, aber auch Deutscher, nicht nur das: Er war Mitglied der NSDAP und der Reiter-SS.
1977 entstand unter der Regie von Sir Richard Attenborough (1923 – 2014; bekannteste Regiearbeit: „Gandhi“; als Schauspieler in: „Gesprengte Ketten“, „Jurassic Park“) ein Spielfilm über die Operation „Market Garden“: „Die Brücke von Arnheim“.
Literatur
Cornelius Ryan: A Bridge Too Far. Coronet Books, London 1978, ISBN 0-340-19941-5.
George F. Cholewczynski: Poles Apart. Sarpedon Publishers, New York 1993, ISBN 1-85367-165-7.
Louis Edmund Hagen: Arnhem Lift. A Fighting Glider Pilot Rembers. Paper Press, London 1945; Pen and Sword, Barnsley 1993, ISBN 978-0-85052-375-1.
Martin Middlebrook: Arnhem 1944. The Airborne Battle. Westview Press, Boulder 1994, ISBN 0-8133-2498-X.
Donald Burgett: The Road to Arnhem, A Screaming Eagle in Holland. Presidio Press, Novato CA 1999, ISBN 0-89141-682-X.
Frank Steer: Arnhem, The Fight to Sustain, The Untold Story of the Airborne Logisticians. Leo Cooper Ltd., Barnsley 2001, ISBN 0-85052-770-8.
Karel Margry: Operation Market Garden Then and Now. 2 Bde. Battle of Britton International, London 2002, ISBN 1-870067-39-8, ISBN 1-870067-45-2.
Frank Steer: Arnhem. The Bridge. Battleground Europe, Market Garden. Leo Cooper Ltd., Barnsley 2003, ISBN 0-85052-939-5.
Antony Beevor: Arnhem. The Battle for the Bridges, 1944. Viking Penguin, London 2018, ISBN 978-0-670-91867-6. Deutsche Ausgabe: Arnheim. Der Kampf um die Brücken über den Rhein 1944, C. Bertelsmann, München 2019, ISBN 9783570103739.