Am 28. März 1933 veröffentlichten die deutschen Bischöfe für viele überraschend eine Kundgebung, mit der sie ihre Verurteilung des Nationalsozialismus aufhoben. Für Katholiken wurde der Weg frei, sich der NSDAP anzuschließen oder im NS-Staat mitzuarbeiten.
Von Herbst 1930 bis zum Frühjahr 1931 haben die deutschen katholischen Bischöfe Verlautbarungen herausgegeben, in denen sie zentrale Punkte des Nationalsozialismus als zutiefst unchristlich verurteilten. In Konsequenz verboten sie Katholiken in der NSDAP mitzuarbeiten, sie zu unterstützen oder sie zu wählen. Katholische Parteimitglieder waren vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen, was einer kalten Exkommunikation gleich kam. Ein uniformierter Gottesdienstbesuch war untersagt und Parteimitglieder durften auch nicht kirchlich beerdigt werden. Nur im gut begründeten Einzelfall waren einem Pfarrer Ausnahmen erlaubt.
Für die Bischöfe gab es gewichtige Gründe, den Nationalsozialismus zu bannen. Bischof Hugo von Mainz hatte im Herbst 1930 den Anfang gemacht. Über sein Ordinariat ließ er erklären, dass der Nationalsozialismus im Parteiprogramm gegen christliche Grundwerte verstoße. Das betreffe sonders die Paragraphen 24 und 4ff, in denen der völkische Rassengedanke niedergelegt sei. In den Programmpunkten werde die eigene rassische Überlegenheit mit „Geringschätzung alles Fremdrassischen“ bis hin zu „vollendetem Hass der fremden Rassen“ propagiert. Im Vorfeld dieser Verurteilung hatte der Generalvikar in Mainz den nationalsozialistischen Rassenhass ausdrücklich auf die Juden in Deutschland bezogen. Zusätzlich sei der Partei-Standpunkt eines „positiven Christentums“ nichts anderes als ein „deutsches Christentum“ mit einem „deutschen Gott“.
Zögerlich und zuweilen notgedrungen schlossen sich die anderen Bischöfe dem Verdikt an. Theologisch blieb ihnen auch keine andere Wahl. Die abwertende und ausgrenzende Rassendoktrin des Nationalsozialismus stand eklatant im Widerspruch zum biblischen Schöpfungsgedanken der Gleichheit aller Menschen. Der ausdrückliche Verweis darauf und dessen Relevanz für das gesellschaftliche Leben nach dem jesuanischem Liebesgebot fand sich demnach auch in vielen Hirtenworten, die vor dem Nationalsozialismus warnten und dessen Rassenpolitik verurteilten.
Trotz alldem entschieden sich die Bischöfe ihr Verbot Ende März 1933 aufzuheben. Schon länger hatten nazi-affine Katholiken um Revision gerufen. Das ging an den Ordinariaten nicht spurlos vorüber. Und nach Hitlers Kanzlerschaft nahm der Druck sprunghaft zu. Manche Bischöfe sympathisierten zudem in Teilen mit der in ihren Augen bedeutungsvollen Aufbruch-Bewegung. Nach dem Erfolg der Nationalsozialisten in der Reichstagswahl am 5. März 1933 suchte der Episkopat schließlich einen modus vivendi. Man wollte die neue Obrigkeit respektieren. Die Nazi-Warnung musste in ihrer jetzigen Form vom Tisch.
Ein Rückzug wäre auffällig und müsste gut gedeckt sein, appellierte der einflussreiche Freiburger Erzbischof Gröber am 22. März an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Bertram. Das war schwierig. Denn Hitler und seine Propagandisten hatten bislang keine Anstalten gemacht, den zentralen Punkt der Verurteilung, den hassenden Rassismus, auch nur mildern zu wollen.
Hitler selbst hatte sich in den vergangenen zwei Jahren erfolglos darum bemüht die kirchliche Verurteilung seiner Bewegung rückgängig zu machen. Selbst ein Vorstoß im Vatikan, wo Hermann Göring im Frühjahr 1931 um Aufhebung geworben hatte, verlief im Sande. Dort wollte man sich nicht in die Belange des deutschen Episkopats einmischen.
Nach seinem Wahlerfolg, der ihm die Kanzlerschaft sicherte, nutze Hitler die Chance eines Lockangebots. In seiner Regierungserklärung am 23. März 1933 köderte er den Episkopat mit einer goldenen Brücke. Er verkündete, dass seine Regierung in den „beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums“ sehe, dass die geschlossenen Verträge mit den Kirchen respektiert sowie die Rechte der Kirchen gewahrt würden. Und im Christentum sehe man „die unerschütterlichen Fundamente der Moral und Sittlichkeit des Volkes.“
Die meisten Bischöfen, namentlich Kardinal Bertram, waren von den allgemeinen Worten angenehm überrascht. Hitler habe von der Wahrung kirchlicher Rechte und vom Christentum als Fundament für das Volk gesprochen. Das sei eine klare Kursänderung. Per Eilpost ließ Kardinal Bertram seine Mitbrüder knapp wissen, dass alle bisherigen Überlegungen obsolet seien. Den Entwurf für eine Kundgebung des Episkopats zur Verbotsaufhebung legte der Kardinal gleich bei. Am Ende akzeptierten alle Bischöfe eine leicht erweiterte Fassung.
Papst Pius XI. war mit der Rücknahme der Verurteilung einverstanden. Kanzler Hitler habe eine Haltungsänderung vollzogen, daher müsse die neue Sachlage zu neuen Entscheidungen führen. Allerdings war Hitler mit keiner Silbe auf die NS-Rassendoktrin eingegangen. Und »Christentum« verstand er immer noch als ein völkisch-germanisches Christentum. Pius XI. dürfte die Zustimmung zum Aufhebungsdekret auch leicht gefallen sein, weil er in Hitler einen Verbündeten gegen den Kommunismus sah. Im März 1933 lobte er den Kanzler mehrfach dafür, dass dieser als Staatsmann öffentlich dem Bolschewismus den Kampf angesagt habe. Bisher wäre der Papst damit allein gewesen.
In der Erklärung der Bischöfe vom 28. März heißt es: „Ohne die in unseren früheren Maßnahmen liegende Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer aufzuheben, glaubt daher der Episkopat, das Vertrauen hegen zu dürfen, dass die vorbezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen.“ Die Begründung für das Vertrauen: Hitler habe der „Unverletzlichkeit der katholischen Glaubenslehre und den unveränderlichen Aufgaben und Rechten der Kirche Rechnung getragen“ sowie die Gültigkeit der Länderkonkordate zugesichert.
Mit dieser Argumentation haben die Bischöfe ihre ursprünglich zentrale Begründung für die Verurteilung des Nationalsozialismus stillschweigend übergangen. Der abwertende und ausgrenzende Rassismus nach Art. 24 und 4 folgende wird nämlich kommentarlos beiseitegeschoben und eine neue Begründung an deren Stelle gesetzt. Gleichzeitig werden die Irrtümer des Nationalsozialismus abgetrennt und als irrelevant erklärt für Verbote und Warnungen.
Seit über zwei Jahren hatten dieselben Bischöfe das anders gesehen. Die unlösbare Verbindung zwischen der Wahrheit von der Gleichheit aller Menschen und deren Relevanz für das gesellschafts-politische Leben war für sie ausschlaggebend. Jetzt wurde diese Bindung aufgelöst. Das war ein wesentlich vorbereitender Schritt für das kommende Konkordat mit der NS-Regierung, in dem die kirchliche Selbstverpflichtung festgezurrt wurde, sich aus der Politik rauszuhalten.
Autor: Klaus Kühlwein
Literatur
Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche: 1918 – 1933, Teilband II 1926-1933, bearb. von Heinz Hürten, Paderborn u.a. 2007 und dito: 1933-1943, bearb. von Bernhard Stasiewski, Mainz 1968.
Blaschke, Olaf: Die Kirchen und der Nationalsozialismus, Reclam 2014.
Gruber, Huber: Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Ein Bericht in Quellen, Paderborn 2006.
Kösters, Christoph; Ruff, Mark Edward (Hrsg.): Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2011.
Scheel, Klaus: Der Tag von Potsdam, Berlin 1996.
Strohm, Christoph: Die Kirchen im Dritten Reich. München 2011.
Weblinks
Die Kirche und die „Machtergreifung“ der Nazis. Kreuz und Hakenkreuz, von Steffen Zimmermann, in: https://www.katholisch.de/artikel/467-kreuz-und-hakenkreuz
Kirchen im NS-Regime, Lebendiges Museum online, in: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/innenpolitik/kirchen-im-ns-regime.html
Pastorale Anweisung „Nationalsozialismus und Seelsorge“, 10. Februar 1931, von Karl-Joseph Hummel, in: Historisches Lexikon Bayerns