Am 2. August 1935 wurde München durch persönliche Weisung Hitlers zur „Hauptstadt der Bewegung“ erklärt – ein Ehrentitel, den die Stadt schon seit längerer Zeit inoffiziell geführt hatte und der nun auch schwarz auf weiß den Briefkopf der Stadtverwaltung zieren durfte. Diese Aufwertung allerdings geschah auf geradezu lapidare Art und Weise, quasi nebenbei – ohne Festakt etwa, ohne offiziöse Erklärung.
Womöglich haben wir es hier mit einem Indiz für die ambivalente Stellung zu tun, die die Stadt München zu diesem Zeitpunkt im nationalsozialistischen Deutschland schon eingenommen hatte.
Hitlers Münchner Jahre – Aufstieg und Ausbau der NSDAP
Gewiss, zunächst einmal war München der Ort, an dem Hitlers politische Laufbahn begonnen hatte. Nach der Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg stand er im Dienst des Reichswehrgruppenkommandos der Arbeiter- und Soldatenräte, verbrachte als Spitzel seine Abende in den Münchner Bierkellern, wo die zahlreichen neu gegründeten politischen Gruppierungen ihre Veranstaltungen abzuhalten pflegten. So stieß er im September 1919 mehr oder weniger zufällig auf die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), innerhalb derer er bald zum agitatorischen Hauptakteur aufstieg. Mit seiner ersten öffentlichen Rede am 24. Februar 1920 im Hofbräuhaus – zugleich Erklärung des 25 Punkte umfassenden Programms – begann der massenhafte Zulauf zur Partei, die sich inzwischen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nannte und ab 1921 durch die SA als paramilitärischer Kampforganisation ergänzt wurde.
Der weitere rasante Aufstieg der NSDAP wurde nicht zuletzt durch wohlmeinende Förderer aus dem Münchner Großbürgertum vorangetrieben. Er fand seinen vorläufigen Höhe- aber auch Endpunkt in Hitlers erstem Putschversuch, der am 9. November 1923 unter der Gegenwehr der Bayerischen Bereitschaftspolizei an der östlichen Seitenwand der Feldherrnhalle zusammenbrach. Die direkte Folge waren das Verbot der NSDAP durch die Bayerische Regierung und die Verurteilung Hitlers zu fünf Jahren Festungshaft, von denen er allerdings nur sechs Monate abzusitzen hatte, bevor er nach München zurückkehren und sein agitatorisches Werk fortsetzen konnte, um es schließlich auch auf reichsweite Ebene auszudehnen.
NSDAP-Parteizentrale
München blieb Sitz der 1925 neu gegründeten NSDAP, die seit 1930 im ehemaligen Palais Barlow an der noblen Brienner Straße im Herzen der großbürgerlichen Maxvorstadt residierte. Daran änderte sich auch nach der Machtergreifung nichts – im Gegenteil, das Palais Barlow, nunmehr „Braunes Haus“ genannt, wurde zur Kernzelle eines ganzen NSDAP-Parteiviertels, dessen Ausbau während der 30er Jahre sukzessive fortschritt.
Hitler, der verhinderte Künstler, der sich in seinen frühen Münchner Jahren vor dem Ersten Weltkrieg unter anderem durch das Aquarellieren von Ansichtskarten finanziert hatte, nahm vor allem an den Ausbaumaßnahmen am klassizistischen Königsplatz regen Anteil. Der Platz, im 19. Jahrhundert von Ludwig I. im griechischen Stil erbaut, und seit jeher Bühne für eindrucksvolle politische Großkundgebungen, wurde ab 1935 nach Plänen von Paul Ludwig Troost zum Exerzierplatz mit martialischer nationalsozialistischer Rhetorik umgestaltet. So bedeckte man die Rasenflächen mit 22 000 Granitplatten von jeweils einem Meter Seitenlänge, an denen sich die Schritte der aufmarschierenden Soldaten – etwa bei der Vereidigung von Rekruten – ausrichten konnten. Weithin sichtbar waren zwei monumentale Fahnenstangen, an deren Spitzen das Reichssymbol, der Adler mit dem Hakenkreuz, prangte, das angeblich nach einem persönlichen Entwurf Hitlers gestaltet war.
Im näheren und weiteren Umfeld des Königsplatzes entstand in den folgenden Jahren außerdem eine ganze Reihe von Neubauten, deren Kernstück das bis heute dominierende Zwillingsensemble aus Führer- und Verwaltungsbau an der Arcis- bzw. Meiserstraße bildete. Neben der zweifellos vorhandenen repräsentativen Funktion erfüllten diese Häuser – ebenso wie das „Braune Haus“ und die meisten der anderen Gebäude – ganz praktische Aufgaben, sie boten etwa Raum für Büros, Archive und Bibliotheken. Auch die Zentrale der Geheimen Staatspolizei, die ihren Sitz im ehemaligen Wittelsbacher Palais genommen hatte, befand sich in unmittelbarer Nähe.
Dennoch lag das ideologische Zentrum des Viertels in zwei vergleichsweise bescheidenen – wenn auch immer noch monumentalen – Bauten, die sich beiderseits der Brienner Straße direkt bei Verwaltungs- und Führerbau befanden. Diese so genannten „Ehrentempel“ beherbergten die Särge der als „Blutopfer der Bewegung“ geehrten Gefallenen des Putschversuches von 1923, so dass sie zu einer Weihestätte der Bewegung stilisiert werden konnten – vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb gerade das Königsplatz-Areal alljährlich am 9. November zur Bühne für die großen Helden-Gedenktage wurde.
München als Erinnerungsort
Tatsächlich waren es gerade diese pseudo-religiösen ideologischen Funktionen, mittels derer die Nationalsozialisten die Liturgie der christlichen Kirchen abzulösen versuchten, die sich mehr und mehr auf München als Ursprungs- und Geburtsort der Bewegung konzentrierten, während sich das realpolitische Geschehen gleichzeitig immer stärker nach Berlin verlagerte. Als letzte große politische Entscheidung, die in München fiel, dürfte wohl das Münchner Abkommen von 1938 gelten, mit dem der Kriegsausbruch noch einmal hinausgezögert wurde. Gerade ab dem Herbst 1939 aber hielt Hitler selbst sich immer seltener in München auf – er besuchte die Stadt fast nur noch zu den bereits angesprochenen Heldengedenktagen oder aber zu anderen kulturellen Großveranstaltungen wie dem 1937 eingeführten „Tag der Deutschen Kunst“, der aber ebenfalls seit Kriegsausbruch in recht bescheidenem Ausmaß begangen wurde.
Auch die Tatsache, dass Hitler das Amt des „Parteibeauftragten für die Gemeinde“ in München seit 1935 persönlich ausfüllte, deutet einmal mehr auf die immer symbolischer werdende Bedeutung der Stadt innerhalb der Bewegung, intervenierte er doch hauptsächlich in Fragen, die sich auf Kunst, Architektur und Stadtplanung bezogen. Gerade der letzte Aspekt sollte weit über die Bebauung des Königsplatz-Areals hinaus vorangetrieben werden. Eine gigantische Ost-West-Achse etwa sollte das städtebauliche Gesicht Münchens auf alle Zeiten prägen – ein Lieblingsplan Hitlers, der mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft nicht mehr realisierbar war. Je weniger sich diese zukunftsweisend konzipierten Pläne für München verwirklichen ließen, umso schwerer wog das rückwärtsgewandte Moment, das sich auf die Gründungszeit der Partei bezog und in den Bauten des Königsplatzareals manifest wurde.
So wurde München noch während der Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur zum Erinnerungsort, dem mehr symbolischer als realpolitischer Wert zukam.
Dass aber gerade innerhalb der ideologischen Argumentation der Diktatur ein solcher Symbolwert nicht zu unterschätzen ist, zeigt sich bis hinein in die Außenwirkung. Allzu deutlich findet sie sich im Tagesbefehl Eisenhowers vom 30. April 1945 formuliert – dem Tag, an dem sich München, „the cradle of the nazi beast“, beinahe kampflos der 7. US-Armee ergab.
Erinnerungskultur und Kritik
München wirkte also zunächst bereits innerhalb der nationalsozialistischen Diktatur als Erinnerungsort. Das Prädikat „Hauptstadt der Bewegung“ und die konkret damit verbundenen Orte verpflichten die Stadt bis heute auf besondere Weise zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Noch vor 1945 zeigten sich Ansätze eines pragmatisch-kritischen Verhaltens gegenüber den ideologisch belegten Koordinaten des Münchner Stadtbildes – das prominenteste Beispiel hierfür dürfte die Geste sein, mit dem einige Münchner Bürger auf das 1933 errichtete Denkmal an der Feldherrnhalle reagierten: Weil beim Passieren dieses Denkmals der Hitlergruß obligatorisch war, entschlossen sie sich auf dem Weg zur Innenstadt für den Umweg über eine kurze Quergasse, die an der Rückseite des Gebäudes vorbeiführt – und in der Folge den Spottnamen „Drückebergergasse“ erhielt.
Gemessen an Widerstandsaktionen wie denen der Weißen Rose oder der Freiheitsaktion Bayern bleibt dieses Beispiel freilich ein bescheidenes Zeichen zivilen Ungehorsams. Dennoch ist es gerade in Bezug auf den Umgang mit der Erinnerungskultur besonders sprechend, und dies in zweifacher Hinsicht: Einerseits demonstriert es eine außergewöhnliche Reaktion auf die sonst so massenwirksame nationalsozialistische Erinnerungspropaganda. Andererseits ist es selbst Teil einer umfangreichen und langen Diskussion geworden, die nach 1945 um die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit entstanden ist. Immerhin, die „Drückebergergasse“ hat Mitte der Neunziger Jahre wiederum ihr eigenes Denkmal erhalten.
Über Form und Inhalt eines umfassenden Dokumentationszentrums zum nationalsozialistischen München wird unterdessen weiterhin kontrovers diskutiert. Auch mit neuen Formen des Gedenkens, wie sie etwa die „Stolpersteine“-Aktion darstellt, die an die ehemaligen Wohnorte jüdischer Münchner erinnern soll, scheint man sich in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ schwer zu tun, wie jüngste Diskussionen gezeigt haben.
Autorin: Eva Troelenberg
Literatur
Ausstellungskatalog Münchner Stadtmuseum: München – „Hauptstadt der Bewegung“, München 2002
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Clay Large, David: Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung, München 2001
Landeshauptstadt München, Kulturreferat / Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.): Ein NS-Dokumentationszentrum für München. Ein Symposium in zwei Teilen. Tagungsband, München 2003
Lauterbach, Iris (Hrsg.): Bürokratie und Kult, München 1995
Preis, K.: München unterm Hakenkreuz 1933-1945. Die Hauptstadt der Bewegung zwischen Pracht und Trümmern, München 1989
Rosenfeld, Gavriel: Munich and Memory. Architecture, monuments, and the legacy of the Third Reich, Berkeley 2000
Wistrich, Robert S.: Ein Wochenende in München. Kunst, Propaganda und Terror im Dritten Reich, Frankfurt/Main Leipzig 1996
Links
http://home.t-online.de/home/RIJONUE/m00.htm
https://www.stadtmuseum-online.de/aktuell/chiffre.htm
Fotos: