A Russian Youth, im Original Malchik Russkiy, handelt von Menschen während des Krieges, dem, was sie erleben und wie sie damit umgehen. Gefühle, Wahrnehmung, zwischenmenschliche Beziehungen und der innere Konflikt sind fester Bestandteil dieses Kriegsdramas. Der Erste Weltkrieg nimmt seinen Lauf und Gasangriffe der Deutschen brechen über die Russen herein. Im Mittelpunkt der Handlung steht dabei ein russischer Junge, uniformiert, im Schützengraben – wo er während der Angriffe sein Augenlicht verliert. Dennoch bleibt er aufgrund seines guten Gehörs weiterhin im Einsatz. Indem er seinen Dienst lauschend an riesigen Metallrohren absolviert, dient er den deutschen Truppen als eine Art Frühwarnsystem für feindliche Flugzeuge.
Regisseur Alexander Zolotukhin lässt die Farben bewusst ausgeblichen und verblasst wirken. Dies erweckt den Eindruck, Bilder aus einer anderen Zeit vor sich zu haben. Die Kamera hält dabei stets Schritt mit dem jungen erblindeten Russen, der unsicher durch das Militärlager schwankt. Neben seinem Gehörsinn dient ihm der Tastsinn als Hilfsmittel dabei Dinge und Menschen zu erkennen – welche oft irritiert und verunsichert auf seine Berührungen reagieren. Sein Gesichtsausdruck wirkt durchgehend offen, unschuldig und teilweise hilfesuchend.
Bei der Auswahl der Schauspieler stand laut Zolotukhin stets die Frage im Vordergrund, welche Art von Menschen im Ersten Weltkrieg überleben würde – in einer Welt, in der sich eine Tragödie an die nächste reiht. Entscheidend bei der Auswahl war das Gesicht, der Ausdruck des Protagonisten. Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sahen anders aus als heute – immerhin wirkte sich harte Arbeit und Hunger deutlich auf ihre Statur und das gesamte Erscheinungsbild aus. Das Filmteam suchte daher auf der Straße, in Fabriken und unter den Kadetten auf Militärschulen nach einem passenden Darsteller für die Hauptrolle. Einen naiven, sanften und den Menschen zugewandten Jungen vor Augen, der gleichzeitig ein schweres Schicksal zu tragen hat, fanden sie ihn schließlich in einem Kinderheim.
In Sachen Ausstattung wurde bewusst auf die detailgetreue Wiedergabe historischer Details verzichtet. Vielmehr orientierte sich das Filmteam aus diesem Grund an Konventionen der Malerei. Zu visuellen Lösungen und dem Aufbau einzelner Einstellungen dienen Zolotukhin nach eigener Aussage häufig Gemälde bedeutender Künstler. Auch hier stehen klar die Gefühle der Charaktere im Vordergrund – ihre Qualen, Herzensgüte, Sorgen und Zweifel. Im Fokus steht durchgehend die innere Welt des Menschen, nicht seine äußeren Lebensumstände.
Eine bedeutende Komponente für diesen Kriegsfilm stellt die musikalische Untermalung dar. Zu hören sind Werke von Sergej Rachmaninow, der 1909 sein Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 op. 30 in d-Moll schuf. Die Bestimmtheit und Kraft dieses Werkes hatten für die damalige Zeit etwas Unerhörtes und ließen es in gewisser Weise surreal erscheinen. Das Konzert lässt sich als Vorahnung des Komponisten vom Schicksal eines Volkes interpretieren, dem großes Leid bevorstand. Drei Jahrzehnte später, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, schuf Rachmaninow die Symphonischen Tänze op. 45, ein in seiner Ausdruckskraft noch bemerkenswerteres und gleichzeitig sein letztes Stück. Die Eindringlichkeit und Kraft von Rachmaninows Musik versetzt auch heute noch in Erstaunen, in einer Zeit, in der Rufe nach Krieg noch immer nicht verstummt zu sein scheinen.
Malchik russkiy | A Russian Youth
Regie: Alexander Zolotukhin
Russische Föderation 2019, Russisch
72 Min · Farbe
Berlinale – Sektion Forum