Der Film „Klondike“ der ukrainischen Regisseurin Maryna Er Gorbach wurde 2022 auf dem Sundance Film Festival in den USA und auf der Berlinale gezeigt. Hier wie dort fand er viel Beachtung. In den USA erhielt der Film einen Regiepreis in der Kategorie „World Cinema Dramatic Competition“. In Berlin landete er in der Reihe „Panorama Publikumspreis“ auf dem zweiten Platz. Auch das Drehbuch hat Erbach verfasst. Die Regisseurin studierte an der Nationalen Universität für Theater, Film und Fernsehen in Kiew und an der Meisterschule für Filmregie Andrzej Wajda in Polen. Ihre ersten Filme „Black Dogs Barking“, „Love me“ und „Omar and Us“ drehte sie noch gemeinsam mit ihrem Mann Mehmet Bahadir Er. Mit „Klondike“ geht sie nun zum ersten Mal eigene Wege. Die Filmkritiken für ihr Debüt waren durchweg positiv.
Durch die karge Weite der Landschaft in bräunlichen Lehmtönen oder bläulichem Dunst erinnert „Klondike“ an einen Western. Doch er spielt im Jahr 2014 in der Nähe der Stadt Donezk im Donbass, einer Region eskalierender kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen russischen Separatisten und Ukrainern. Eine neue Aktualität und Aufmerksamkeit erhält der Film jetzt durch den Einmarsch der Russen in die Ukraine. Oft mutet die Handlung des Films wie absurdes Theater an, erzählt er doch – manchmal grotesk und zynisch – vom Schrecken, vom Irrsinn und gleichzeitig von der Banalität des Krieges: Krieg ist, wenn Du mit deinem Leben dafür bezahlen musst, dass du eine andere Sprache sprichst, eine andere Musik hörst oder die falsche Kleidung trägst. Regisseurin Erbach war übrigens gerade schwanger, als die Kampfhandlungen um Donezk in der Ukraine begannen. Auch diese persönlichen Erfahrungen klingen vielleicht in ihrem Film an…
Der Titel des Films bezieht sich auf den Goldrausch von 1896 in der kanadischen Stadt Dawson am Zusammenfluss des Yukon und des Klondike River. Bekannt wurde er durch den Bestseller „Ruf der Wildnis“ von Jack London. Der Schriftsteller war selber eine Zeit lang Goldschürfer am Klondike. Auf der einen Seite wurden dort tatsächlich unvorstellbare Mengen von Gold gefunden, auf der anderen Seite waren Elend und Mühsal in der Wildnis groß. Schon der Weg zu den Goldfeldern am Klondike war lebensgefährlich, und am Ziel warteten auf die Glücksritter vor allem Entbehrungen – wenn sie nicht das Glück hatten, Gold zu finden.
„Klondike“ spielt im Jahr 2014 mitten in den kämpferischen Auseinandersetzungen in der Donbass-Region. Im Mittelpunkt des Kriegsgeschehens steht die schwangere Irka, die eine Art ruhender Pol innerhalb der Handlung darstellt. Oxana Cherkashyna spielt diese Irka mit großer Intensität und Stärke. Sie scheint aus der weiblichen Perspektive die irrsinnigen Ansichten und sinnlosen Aktivitäten der Männer rundum zu beobachten. Diese wirken im Vergleich zu ihr trotz ihrer verfestigten politischen Ansichten völlig orientierungslos.
Irka lebt mit ihrem Ehemann Tolik auf einem kleinen Bauernhof in einem Dorf nahe der ostukrainischen Stadt Donezk – an der Grenze des politischen Konflikts. Der Film beginnt gleich mit einem wahren „Knalleffekt“, der das Paar von nun an in eine schutzlose Position manövriert: Ihr Haus verliert durch die Kampfhandlungen eine Wand. Das Wohnzimmer hat nun nur noch drei Wände und gibt durch den Mauerriss den Blick auf die trostlose Weite und das Schlachtfeld frei. „Lass uns später genau über dem Loch ein großes Fenster einbauen – wie sie es in Europa tun“, meint Irka. Trotz der Gefahr weigert sie sich beharrlich, das Haus zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Sogar, als die Soldaten schon vor ihrer Tür stehen. Tolik – ebenfalls meisterhaft gespielt von Sergey Shadrin – hat andere Probleme. Er ist im Zwiespalt. Politisch steht er auf der Seite der russischen Separatisten, und seine Freunde drängen ihn jetzt dazu, sich endlich ihrem Kampf anzuschließen. Irkas Bruder steht dagegen auf der Seite der Ukrainer und wirft Tolik vor, sein Land zu verraten. Da bricht mit dem nächsten Knall in der Nähe etwas über sie herein, was ihr Leben verändern wird. Das Paar hält dies zunächst für näher rückende Kampfhandlungen. Doch dann wissen sie: Ein Flugzeug der Malaysian Airline ist abgestürzt. Später wird klar, dass der Abschuss der MH17 durch eine russische Rakete ein Versehen war.
Regisseurin Erbach entwickelt ein gleichnishaftes Familiendrama vor dem Hintergrund eines Krieges mit seinen militärischen Auseinandersetzungen. Ihre Figuren verkörpern gleichzeitig verschiedene politische Ansichten. Auf diese Art verstrickt sie Persönliches mit den Kampfhandlungen. Die werdenden Eltern symbolisieren in dem rundum herrschenden Chaos aus Tod und Zerstörung eine fragile und auch fragliche Zukunft. Sie sind durch das Loch in der Wand praktisch nicht nur den Soldaten mit ihren Waffen ausgeliefert, sondern auch den Blicken der Nachbarn – und nicht zuletzt den Blicken der Zuschauer im Kino.
Der Film „Klondike“ überzeugt mit seiner großen Ausdruckskraft, sowohl im Spiel der Schauspieler als auch in der Darstellung des Krieges. Kameramann Sviatoslav Bulakovskyis liefert dazu die passenden eindrucksvollen Bilder in melancholischen Farben. Seine Kameraführung bleibt so ruhig wie die gezeichnete Landschaft. Doch es ist eine trügerische Ruhe, die durch den nächsten Knall Tod und Zerstörung bringen kann.
Klondike
Regie: Maryna Er Gorbach
Ukraine / Türkei 2022
Berlinale – Sektion Panorama