Kaum ein Ereignis des Zweiten Weltkrieges hatte so weitreichende historische Implikationen wie die im Frühjahr im Auftrag von Josef Stalin nahe der Stadt Katyn durchgeführte Ermordung von 14.000 polnischen Kriegsgefangenen. Von den Deutschen bis 1945 gegen die Sowjetunion instrumentalisiert galt Katyn bis zum Ende des Kalten Krieges als Tabuthema in den Ländern des Ostblocks.
Der polnische Regisseur Andrzej Wajda hat sich diesem polnischen Trauma nun in einem eindrucksvollen Film angenommen und beschwört anhand mehrerer Einzelschicksale die Erinnerung an die Opfer.
Nach dem Überfall durch die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 besetzt die Rote Armee Ostpolen als Folge des Hitler-Stalin-Pakts. Im nun geteilten Land machen sowohl Nazis als auch Sowjets Jagd auf die intellektuelle Elite Polens. Die Deutschen transportieren Universitätsprofessoren nach Sachsenhausen und die Sowjets gefangene Offiziere nach Osten. Auf beide Gruppen wartet der Tod. Die internierten Offiziere werden in Eisenbahnwaggons Richtung Smolensk gebracht und in den Wald bei Katyn gefahren. Über 20 Minuten lang zeigt der Film in seiner eindringlichsten Szene wie die Offiziere einzeln mit einem Kopfschuss ermordet werden – nur untermalt von Krzysztof Pendereckis „Polnischen Requiem“. Dann schließt ein Bulldozer das Massengrab.
Drei Jahre später hebt die Deutsche Wehrmacht das Massengrab wieder aus. Seit dem Angriff auf die Sowjetunion gehört nun auch Ostpolen zum deutschen Einflußbereich und die Opfer werden zum Spielball antisowjetischer Propaganda. Hitler benutzt den Fund, um die internationale Meinung gegen den sowjetischen Feind zu beeinflussen und lässt sogar eine internationale Untersuchungskommission vor Ort die Geschehnisse untersuchen.
Kaum hatte Stalin 1944 Katyn zurückerobert, wies eine sowjetische Kommission die vorgebliche Schuld der Wehrmacht „nach“. So gab es bis zum Ende des Kalten Krieges keine öffentliche historische Wahrheit. Der Film zeigt dies anhand des Grabes eines Offiziers. Auf dem Grabstein muss ein falsches Todesdatum stehen: Wäre dort 1940 eingemeißelt, würde das auf sowjetische Täter deuten, und deshalb wird es in 1941 geändert.
Wajda beginnt seinen Film mit düsteren Wolken und entlässt die Zuschauer mit traumatischen Mordbildern. Trotzdem ist der Film keine Anklage sondern eher der das Ende eines sehr persönlichen Trauerprozesses, der all die Jahrzehnte nicht zum Ende kommen konnte.
Zur Entstehungsgeschichte des Films sagte der Regisseur: „Ich konnte den Film erst nach dem Fall des Kommunismus realisieren. Denn bis 1989 wurde von den Zensoren die Lüge aufrechterhalten, wurde das Verbrechen der Sowjets geleugnet … Ich habe in meinem Alter schon nicht mehr geglaubt, dass ich es noch schaffe. Ich bin froh, dass es mir gelungen ist.“ Er wolle vor allem die Opfer ehren. „Dies ist ein erster Versuch, die Geschichte von Katyn ins Kino zu bringen. Ich hoffe, es folgen weitere Versuche.“
Katyn
Polen, 2007, 118 min
Regie: Andrzej Wajda
Berlinale 2008