Das „balkanische Auschwitz“
„Jasenovac und Gradiska Stara/ dort sind die Schlächter von Maks zu Hause“ (Jasenovac i Gradiska Stara/ to je kuca Maksovih mesara) – mit solchen und ähnlichen Liedern aus schwärzester Vergangenheit Kroatiens heimst der junge kroatische Sänger Marko Perkovic, der sich „Thompson“ nennt, bis heute größte Erfolge bei seinen Landsleuten ein: Es sind die Lieder der „Ustasa“-Bewegung, des kroatischen Pendants von Mussolinis Faschisten, und in ihnen wird das KZ Jasenovac und dessen Kommandant Vjekoslav „Maks“ Luburic (1914-1969) verherrlicht.
Alles begann damit, daß das Königreich Jugoslawien am 6. April 1941 von Truppen Deutschlands, Italiens, Ungarns und Bulgariens überfallen und nach einem kurzen Feldzug besiegt wurde. Die Sieger teilten das Land unter sich auf und schufen am 10. April aus Kroatien und
Bosnien den sog. „Unabhängigen Staat Kroatien“ (Nezavisna Država Hrvatska, NDH). Die Proklamierung des NDH „wurde von der überwältigenden Mehrheit der Kroaten mit unbeschreiblicher Begeisterung begrüßt“. 1 Aber in diesem Gebilde von Hitlers und Mussolinis Gnaden lebten neben den ca. 3,5 Millionen Kroaten noch rund 2 Millionen andere, vorwiegend Serben. Und wie man mit diesen verfahren wollte, wurde in Ustasa-Liedern, die der erwähnte „Thompson“ zur Begeisterung der Kroaten heute nachsingt, deutlich verkündet: „O Neretva, fließe aus dem Land und spüle die Serben in die blaue Adria“.
Die Ustasa-Bewegung war 1929 von dem Zagreber Advokaten Ante Pavelic (1889-1969) gegründet worden und hatte nun im NDH die alleinige Macht inne. Die Ustase wurden selbst von profaschistischen Zeitzeugen als ungebildete und unfähige Garden beschrieben, die jedoch „Patriotismus nach der Anzahl getöteter Serben und Juden bemaßen“. 2 Pavelic war ein treuer Adept des „Vaters des Vaterlands“, des nationalistischen Ideologen Ante Starcevic (1823-1896), von dem kroatische Radikale schon früh rühmten, es seien seine „Ideen völlig identisch mit allen Hauptprinzipien des Faschismus“, vor allem „jene Rasse-Idee, auf die Adolf Hitler sein Programm für die Wiedergeburt und die Organisation des deutschen nationalen Lebens gründete“. 3 Das traf insofern zu, als bald nach Proklamierung des NDH Bestimmungen erlassen wurden, die völlig NS-Vorbildern glichen: „Gesetz zum Schutz von Volk und Staat“ (17. April), „Gesetz über die Rassenzugehörigkeit“ (30. April), „Gesetz über den Schutz des arischen Bluts und der Ehre des kroatischen Volks“ (30. April) etc. Mit Blick auf die „Methoden“ traf es jedoch nicht zu: Die Ustase (plur. v. Ustasa, wörtl. „Aufständischer“) kamen bei ihrer systematischen Vernichtung von Serben, Juden und Roma – in dieser Reihenfolge! – immer ohne Giftgas und oftmals ohne Schusswaffen aus.
Was sie jedoch mit Messern, Beilen, Gewehrkolben etc. anrichteten, brachte bereits Anfang Juni 1941 höchste deutsche Emissäre wie General Edmund Glaise von Horstenau (Bild 3. v.l., neben Pavelic) und Botschafter Dr. Hermann Neubacher dazu, in ihren Berichten nach Berlin gegen die „verrückte Raserei“ und den „kroatischen Kreuzzug der Zerstörung“ seitens der Ustase zu protestieren. Noch direkter reagierte die italienische Armee, die am 5. September 1941 die Hercegovina wieder in Besitz nahm, um die dortigen Serben und Juden vor dem Terror der Ustase zu schützen.5
Wie mit Minderheiten zu verfahren sei, hatte Mile Budak (1889-1945) – ein im NDH gefeierter Dichter, daneben „doglavnik“ (Stellvertreter des Führers) und Kultusminister im NDH – am 6. Juni 1941 in einer Rede in Gospic erklärt: „Die Ustasa-Bewegung basiert auf der Religion. Für Minderheiten – Serben, Juden, Zigeuner – haben wir drei Millionen Patronen. Ein Drittel der Serben werden wir töten, ein anderes Drittel deportieren und das letzte Drittel werden wir in die Armee der Römisch-Katholischen Religion zwingen und sie so zu Kroaten machen. So wird unser neues Kroatien alle Serben bei uns ausmerzen und binnen zehn Jahren hundertprozentig katholisch sein“. Nach Kriegsende wurde Budak am 6. Juni 1945 in Zagreb mit neun Mitangeklagten in Zagreb vor ein Militärgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Im postjugoslawischen Kroatien wurden nach ihm Straßen und Plätze benannt.
Zu den frühesten Gesetzen des kroatischen Regimes gehörte im Mai 1941 eins, das die Unterbringung von missliebigen Personen in Lagern vorsah, und Anfang September 1941 wurde etwa 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Zagreb das Lager Jasenovac eröffnet. Dieses Lager entwickelte sich rasch zu einem ausgedehnten Komplex von fünf größeren und drei kleineren Lagern, die zusammen eine Fläche von über 240 Quadratkilometern einnahmen. Über dem Haupttor befand sich ein Wappen „Alles für den Poglavnik“ – Pavelic trug den Titel Poglavnik (Führer) -, darunter die Aufschrift „Arbeitsdienst der Ustasa-Verteidigung – Sammellager Nr. III“. Glaise von Horstenau hat es einmal besichtigt und als „Gipfel der Widerwärtigkeit“ charakterisiert.
1946 hat in Zagreb eine „Kroatische Landeskommission zur Feststellung der Verbrechen der Besatzer und ihrer Helfer“ einen Bericht mit über 50 Seiten zu Jasenovac veröffentlicht. Über Jasenovac sind in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten viele Publikationen erschienen, aber der Bericht von 1946 ist nach wie vor eine erstrangige Quelle. Im Anschluß an diese Einführung soll eine gekürzte Übersetzung des Hauptteils des Berichts folgen, d.h. nur die Passagen, die Aufbau, Funktion, Gefangene und Bewacher von Jasenovac charakterisieren. Der ganze Bericht ist höchst unsystematisch aufgebaut und mit Zeugenaussagen überfrachtet, zudem in einer absichtlich emotionslosen „bürokratischen“ Sprache abgefasst. Um seine Substanz nach fast 60 Jahren dennoch zu erfassen, waren einige „Striche“ nötig, die in der Übersetzung mit (…) markiert sind.
Jasenovac in Erinnerung zu rufen, ist schon deshalb nötig, weil es seit Jahrzehnten in Gefahr ist, vergessen, verfälscht, zerredet und vordergründig instrumentalisiert zu werden. Als Phänomen der kroatischen Geschichte wirft Jasenovac immer noch (mindestens) drei fundamentale Fragen auf:
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Sind in Jasenovac Verbrechen geschehen, und dürfen die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden? Die Frage klingt blasphemisch, war aber spätestens 1999 in Kroatien sehr aktuell: Damals wurde der ehemalige Lagerkommandant Dinko Sakic (auf dem Bild in Ustasa-Uniform) in Zagreb zu 20 Jahren Haft verurteilt, was für viele Kroaten ein Verstoß gegen die nationale „Ehre“ war. 7 Bereits im Mai 1990 hatte Sakic bei einem Ustasa-Treffen in Österreich – an welchem auch prominente kroatische Politiker wie Marko Veselica, Dražen Budisa u.a. teilnahmen – seine Sicht der Dinge ausgebreitet: „Ich bin stolz, ein Ustasa gewesen zu sein. Alles, was wir im Krieg getan haben, stand im Einklang mit den Interessen Kroatiens und mit meinem christlichen Gewissen. Wir haben nur unsere kroatische Pflicht getan und uns gegen eine Invasion von der anderen Seite der Drina (= Serbien, W.O.) verteidigt. Ich würde alles erneut tun, wenn sich mir die Gelegenheit dazu böte. Ich bedauere nur, daß wir nicht alles das getan haben, wofür man mich anklagt, denn hätten wir das damals getan, dann hätte Kroatien heute keine Probleme, niemand könnte Lügengeschichten schreiben“. 8 Verbürgt ist, daß Präsident Tudjman 1994 in Argentinien mit Sakic zusammentraf und ihm später signalisierte, er habe das „Recht“ auf eine Rückkehr nach Kroatien, denn er sei „ein Opfer historischer Umstände“. 9 Immerhin ging Tudjman dabei aber nicht so weit wie mit Ivo Rojnica (*1915), dem ehemaligen Ustasa-Chef von Dubrovnik, den er zum „Botschafter der Republik Kroatien für Argentinien und ganz SüdAmerika“ machen wollte. Diese einmalige „Karriere“ eines aktenkundigen Kriegsverbrechers konnte nur durch heimische und internationale Proteste verhindert werden.
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Wie viele Opfer forderte Jasenovac? Niemand kann diese Frage beantworten, jedoch haben sich viele bemüht, sie von Grund in Abrede zu stellen. So hat Sakic immer wieder behauptet, Jasenovac sei ein „Arbeitslager“ gewesen, in dem es keine Übergriffe gegeben habe und die Gefangenen ein geordnetes und erträgliches Leben führten. Andererseits erschienen in Jugoslawien zahlreiche Publikationen, beginnend mit dem Bericht von 1946, die von mindestens 600.000 Opfern ausgingen und dabei mit internationalen Institutionen wie dem Simon-Wiesenthal-Center übereinstimmten. Radikal anders rechnete Kroatiens Präsident Franjo Tudjman (1922-1999): Lange Passagen seines antisemitischen Pamphlets 10 „Irrwege historischer Realität“ widmete er diesem Problem und kam zu dem Schluß, in Jasenovac hätten nur rund 30.000 Menschen ihr Leben verloren. 11
- Ist Jasenovac vergleichbar und damit relativierbar? Jahrzehntelang schieden sich in Kroatien die Geister dergestalt, daß die Mehrheit Jasenovac schlichtweg leugnete oder verharmloste, eine Minderheit es aber als „balkanisches Auschwitz“ empfand und behandelte. Zwischen diesen extrem divergierenden Positionen versuchte Tudjman einen „Spagat“, der aber von Anfang an durch den Ideengeber selber desavouiert wurde: Für Tudjman war schon Anfang 1990 „der NDH die Erfüllung der historischen Sehnsüchte des kroatischen Volks“ 12, und bei späteren Kundgebungen bekannte er, er sei „glücklich, daß meine Frau keine Jüdin oder Serbin ist“. 13 In einer Rede vor kroatischen Chefredakteuren kam er im April 1996 mit einer bizarren Idee heraus: „Aus historischen wie auch aktuell politischen Gründen sollte das Memorial-Zentrum Jasenovac so verändert werden, daß es ein Memorial-Zentrum für alle kroatischen Opfer wird. Ich bin dafür, daß sich die Gebeine jedes kroatischen Menschen im kroatischen Staat befinden“. 14 Dabei dachte der Präsident vor allem an jene Ustase, die Mitte Mai 1945 in dem österreichischen Ort Bleiburg in Kampfhandlungen gegen britische Truppen und jugoslawische Partisanen gerieten und dabei umkamen. Im alten Jugoslawien war dieser bedeutungslose Vorfall völlig unbekannt gewesen – in der 1991 entstandenen souveränen Republik Kroatien wurde er zur letzten Ruhmestat „kroatischer Helden“ aufgebauscht und als „zweites Jasenovac“ gewürdigt. Diese unglaubliche Gleichstellung von Mördern und Opfern rief zwar wütende Proteste kroatischer Antifaschisten hervor 15, aber das hinderte Tudjman nicht daran, seinen erwähnten Vorschlag zu machen und diesen als „Versöhnung aller Kroaten“ hinzustellen. 16
Das Jasenovac-Memorial, die sog. „Jasenovac-Blume“ (Jasenovacki cvet), wurde 1966 von dem weltbekannten Belgrader Architekten, Politiker und Bürgerrechtler Bogdan Bogdanovic (*1922) entworfen, von der Zagreber Baufirma „Tempo“ errichtet und im September 1991 und Mai 1995 von der kroatischen Armee fast völlig zerstört. Im Juli 2003 begann der Wiederaufbau, der im März 2004 abgeschlossen war. Aus diesem Anlaß besuchte der neue kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader, ehedem ein treuer Mitarbeiter von Tudjman, den Ort und hielt eine Rede. Natürlich verurteilte er alle Formen von Rassismus und Extremismus, aber ganz gezielt zu Jasenovac äußerte er nur Ausfälle, die auch von seinem Mentor Tudjman hätten stammen können: „Die Lügen von den 700.000 Jasenovac-Opfern und die These von der völkermörderischen Natur der Kroaten dienten als Basis für die aggressive Politik einer Durchsetzung von Groß-Serbien“. Niemand, nicht einmal die verbohrtesten serbischen Nationalisten, hat jemals den Kroaten eine kollektive „völkermörderische Natur“ vorgeworfen. Derartiges existiert allein in den Köpfen kroatischer Ewiggestriger, deren Phantasie gerade mit Blick auf Jasenovac ständig neue Blüten treibt: Tito hat Jasenovac nie besucht – weil er sich mitschuldig fühlte? Jasenovac wurde in den Jahren 1945 bis 1948 von der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) fortgeführt, um dort kroatische Ustase und Soldaten zu inhaftieren, wobei die eigentlichen Verbrechen von Jasenovac geschahen. Und ähnliche unsinnige Lügen mehr.
Es gibt viele Gründe, sich an Jasenovac wieder zu erinnern, und diese Gründe bestehen nicht nur im engeren ex-jugoslawischen Umkreis. Nach Kriegsende flohen die kroatischen Kriegsverbrecher in Scharen nach Westeuropa und Amerika, wo sie zumeist unbehelligt lebten. Bis Ende 1948 stellte die Tito-Führung Jugoslawiens an die Westmächte 1.828 Auslieferungsanträge – ganze 208 wurden positiv beschieden, der Rest abgelehnt oder ignoriert.
Der Jasenovac-Bericht von 1946
1. Das Lager Jasenovac
In der Nähe des Zusammenflusses von Una und Sava lag vor dem Krieg die große und gut entwickelte Ortschaft Jasenovac. Die Bevölkerung war überwiegend serbisch. Der Ort liegt an der Eisenbahnlinie Zagreb-Belgrad. Hier gab es schon vor dem Krieg einige Industrieunternehmen, z.B. die Ziegelei „Ciglara“ und die kleine Eisenwarenfabrik „Loncara“. Da von der Ostseite des großen Jasenovac-Beckens die Flüsse Strug und Lonja in die Sava flossen, wurde die ganze Region jeden Frühling und Herbst von Überschwemmungen heimgesucht.
Die Führer der terroristischen Ustasa-Organisation wussten schon vor ihrer Rückkehr nach Jugoslawien sehr wohl, daß sie in der Masse des Volks keine Anhänger hatten und daß sie sich nur mittels Terror an der Macht halten könnten. Als Jugoslawien zusammenbrach, kehrten sie hinter faschistischen Panzern zurück, und ihre Verbrecherbanden, die sie schon vor dem Krieg mit faschistischem Geld gebildet bzw. in diversen italienischen Zentren für terroristische Akte trainiert hatten, fingen sofort in den ersten Tagen nach der Okkupation damit an, unter dem Schutz und mit aktiver Hilfe deutscher und italienischer Truppen den vorab entworfenen Plan zur Verhaftung und Ermordung von Serben, Juden und missliebigen Kroaten umzusetzen. (…)
Die Ustase richteten auch in anderen Orten Lager ein, z.B. in Ðakovo, Sisak, Stara Gradiska, Lepoglava, Lobor etc., aber das waren kleinere Lager. Jasenovac wurde das größte und maßgebende Konzentrationslager im sog. NDH. 17 (…)
Am 25. November 1941 erließ der sog. Poglavnik (= Führer, offizieller Titel von Ante Pavelic) des NDH die „Gesetzanordnung“ Nr. CDXXIX-2101-Z-1941, die sein Justiz-„Minister“ Dr. Mirko Puk 18 unterschrieben hatte. Diese Bestimmung sah vor, missliebige Personen gewaltsam in Arbeitslager einzuweisen. (…)
Nach Jasenovac zu gehen, bedeutete, der Gnade und Ungnade von Ustasa-Schlächtern ausgeliefert zu sein, in einen qualvollen Tod zu gehen. Die dunkle Geschichte des Lagers Jasenovac hat gezeigt, dass die Ustase dorthin alle Elemente schickten, die sie „aus rassischen, religiösen, nationalen oder politischen Gründen“ für unerwünscht ansahen. Heute steht fest, dass die Ustase alle Gefangenen in zwei Kategorien einteilten: 1. In die erste Kategorie fielen alle die Gefangenen, die strafweise in ein Sammellager für eine Frist von weniger als drei Jahren eingewiesen worden waren. Die Absicht der Ustase war, die Arbeitskraft dieser Gefangenen bis zur Höchstgrenze auszunutzen und sie dann zu töten, um Platz für neue Gefangene zu schaffen. Nur sehr wenige dieser Gefangenen sind entlassen worden, nachdem sie diese Strafe überlebt hatten, und von diesen sind wiederum viele zu Hause an den Folgen der Lagerhaft verstorben. 2. In die zweite Kategorie fielen jene Gefangenen, die zu drei Jahren Lagerhaft oder länger verurteilt worden waren. In der Regel wurden sie sofort nach der Ankunft im Lager liquidiert. (…)
2. Der Lagerkomplex
Die Lager I und II bestanden nur wenige Monate, während das Lager III beinahe vier Jahre in Betrieb war. In ihm errichteten die Ustase viele Arbeitsstätten und bauten Baracken zur Unterbringung der Gefangenen, der gesamte Raum war von einer drei Meter hohen Mauer umgeben. (…) Alle Lager konnten bis zu 7.000 Gefangene aufnehmen, aber „aktiv“ waren in ihnen meist nicht mehr als 3.-4.000, und das selbst in den Zeiten, als es im Lager III zahlreiche verschiedene Werkstätten gab. (…) Dieses Lager selber befand sich am unmittelbaren Ortsrand von Jasenovac. Der Haupteingang zum Lager lag auf dessen Westseite an einem Weg, der entlang der Sava von Jasenovac zum Dorf Kosutarica und weiter nach Stara Gradiska führte. Das Eingangstor aus leichtem Holz war in die hohe Mauer eingefügt, die das Lage von drei Seiten her umgab und drei Meter hoch war. Die Mauer erstreckte sich in einer Länge von 420 Metern nach Norden, bog dann parallel zur Eisenbahnstrecke ostwärts auf einer Länge von 1.300 Metern ab. Dabei kreuzte sie den Weg nach Kosutarica. Hier befand sich das sog. „Osttor“. Am Ufer der Sava erstreckte sich in westlicher Richtung die restliche Mauer in einer Länge von 1.290 Metern. Die Südgrenze des Lagers bildete der Fluß Sava als natürliches Hindernis gegen eine Flucht von Gefangenen. Insgesamt bedeckte das Lager III eine Fläche von anderthalb Quadratkilometern.
Beim westlichen Haupteingang waren die Wachen und die Lagerleitung untergebracht, wo die neu eintreffenden Gefangenen registriert und eingewiesen wurden. Bei dem Gebäude stand ein Aussichtsturm von 24 Metern Höhe. Alle diese Gebäude haben die Ustase gesprengt, als sie aus Jasenovac flüchteten, so daß heute dort nur noch ein Haufen Ruinen zu finden ist. Im Norden des Gebäudes war die Raffinerie, die die Ustase zerstörten, wobei aber die unterirdischen Petroleumbehälter unbeschädigt blieben. Etwa 150 Meter von der Umfassungsmauer befinden sich Reste eines Gebäudes, das 150 Meter lang und acht Meter breit war und in Nord-Süd-Richtung verlief. Das war das „Hauptlager“ für alle angefertigten Erzeugnisse. (…) Das südlichste Gebäude war das berüchtigte „Glockenhaus“ (zvonara). Das war ein Schuppen, wo die Ustase zunächst die zerstörten Glocken orthodoxer Kirchen lagerten. Später schafften sie die Glocken fort und lagerten an ihrer Stelle dort Kohlenstaub, sofern sie das „Glockenhaus“ nicht in eine Folterkammer für die Gefangenen verwandelten, die sie zum Hungertod verurteilt hatten. (…) 19
Im Ort Jasenovac selber, in der Dimitrijeva-Straße, befand sich das Lager IV. Die Ustase hatten die dortigen Industriegebäude zur Lederverarbeitung mit mehrfachem Stacheldraht abgesperrt, so daß ein eigenes Lager entstand, in dem Techniker, Kaufleute, Fachleute und Arbeiter gefangen gehalten wurden. Die gesamte kleine Kolonie wurde „Lederwerktstatt“ (kožara) genannt. Die dortigen Gefangenen bekamen bessere Nahrung, und die Ustase behandelten sie besser als die Gefangenen von Lager III, denn ihnen lag daran, daß die „Lederwerkstatt“ gut für die Armee arbeitete. (…)
3. Die Ustasa-Lagerführung
Der Poglavnik hatte die Oberaufsicht über alle Lager von Jasenovac Maks Luburic übergeben, der ihm dafür alleinverantwortlich war. Aus der Vorkriegszeit war Luburic als gewöhnlicher Krimineller bekannt, der wegen zahlreicher Straftaten verurteilt worden war. (…) Sein eigentlicher Name war Vjekoslav, und den Namen Maks hatte er aus Jux von seinen Ustasa-Kumpanen bekommen. Luburic war ein gewöhnlicher Herumtreiber und drückte sich vor jeder ehrlichen Arbeit. Als Pavelic emigrierte, ging er mit ihm und trainierte in diversen Ustasa-Lagern in Ungarn und Italien das Mörder-Handwerk. (…)
Luburic kam nur zwei-, dreimal monatlich nach Jasenovac und hielt sich bloß wenige Tage auf, aber in dieser kurzen Zeit verübte er so viele Verbrechen, daß die Gefangenen zitterten, sobald sie hörten, daß er nach Jasenovac „zurückkehre“. (…) Am 9. Oktober 1942 richtete Luburic in Jasenovac eine Feier aus, bei der er den Ustase Gold- und Silbermedaillen aushändigte, die Pavelic als Belohnung für „Verdienste“ verliehen hatte. Bei dieser Feier sagte Luburic – betrunken wie alle übrigen „Beamten“ – nach Auskunft eines Zeugen wörtlich das folgende: „In nur einem Jahr haben wir hier in Jasenovac mehr Menschen umgebracht als das Osmanische Imperium während der ganzen Zeit seiner Präsenz in Europa“. (…)
An Grausamkeit überragte Miroslav Filipovic-Majstorovic (Bild) alle anderen. Er war Kommandant des Lagers III, eine Zeit lang auch des Lagers Stara Gradiska. Filipovic-Majstorovic war ursprünglich ein Mönch, ein Franziskaner. Anfang 1942 wurde er zur Verbüßung einer Strafe in das Gefängnis an der Zagreber Sava-Straße eingeliefert, später nach Jasenovac verlegt. Hier wurde er bald ein „Freigelassener“, aber dann entdeckte die Ustasa-Führung bei diesem Franziskaner gewisse Fähigkeiten, nahm ihn in ihre Reihen auf und machte ihn zum „Offizier“ für Personenüberwachung. (…)
Kommandant des Arbeitsdienstes in Jasenovac war Ing. Hinko Dominik Picili 20, der der unumschränkte Herrscher über die gesamte „Arbeitskraft“ war. (…) Picili hatte es vor allem auf kranke Gefangene abgesehen, denen man in der Krankenanstalt Schonung verschrieben hatte. Aber er drang in ihre Baracken ein und jagte sie mit einem Eisenhaken zur Arbeit. Er ließ sich Blaupausen deutscher Krematorien kommen und ließ bei der „Ciglara“ einen Ofen bauen, in dem drei Monate lang Männer, Frauen und Kinder verbrannt wurden. (…)
4. Ankunft in Jasenovac
Vier Jahre lang trafen in Jasenovac Transporte Gefangener ein, manche in Eisenbahnwaggons, andere auf Lastwagen, einige zu Fuß. Es verging keine Woche, in der nicht kleinere oder größere Gruppen vor der „Lagerverwaltung“ standen, wo sie die Ustasa-Wachen der Transportbegleitung an die Lagerkommandanten oder deren Stellvertreter übergaben. Bereits auf dem Weg zum Lager waren die Gefangenen Hunger, Diskriminierungen und Torturen ausgesetzt. (…)
Selten einmal überließen Luburic, Milos oder Matijevic, die schlimmsten Schlächter unter den Kommandanten, es irgendeinem höheren Ustasa-Offizier, die Gefangenen zu übernehmen. Sie wollten lieber selber die Musterung der neueingetroffenen Opfer und deren Einordnung in Gruppen übernehmen: Serben in die serbische, Juden in die jüdische 21 und Kroaten in die kroatische Gruppe. Luburic richtete an jede Gruppe eine „Ansprache“, die voller Beleidigungen und übelster Beschimpfungen war, wobei der Ochsenziemer oder ein anderes Schlaginstrument ständig auf die Köpfe und Rücken der Gefangenen niederging. Dann ging es an den Diebstahl. Die Ustase nahmen jedem Gefangenen alle Sachen weg und eigneten sie sich an, z.B. Uhren, Taschenmesser, Geldbörsen samt Geld, Schmuck, Bücher etc. Jeder Gefangene musste erklären, dass er sein ganzes Geld und alle Wertsachen und Briefe abgegeben und nichts versteckt oder verheimlicht habe. Für jede, auch die kleinste Verletzung dieser Vorschrift, ob absichtlich oder unabsichtlich geschehen, bestraften die Ustase den „Schuldigen“ sofort mit dem Tod. (…)
Die Gefangenen, welche die Ustase allein zur Liquidation nach Jasenovac gebracht hatten, ließen sie Stunden um Stunden, manchmal auch tagelang nackt und bloß im Gebäude des „Hauptdepots“, des „Tunnels“ 22 oder unter freiem Himmel warten, bis sie schließlich nach Granik oder Gradina, ein Dorf am anderen Sava-Ufer, gebracht und dort getötet wurden.
Bis Mitte 1942 durften die Gefangenen keinerlei Pakete oder Briefe empfangen, und wenn dennoch Postsendungen nach Jasenovac kamen, haben die Ustase die geöffnet und den Inhalt unter sich verteilt. Erst danach konnten die Häftlinge, die nach Ansicht der Ustase ruhig und fleißig waren, Postkarten nach Hause schreiben. Es war ihnen erlaubt zu schreiben, daß sie am Leben waren. Allerdings hat die Lagerleitung mehrfach angeordnet, daß das gesamte Lager derart bestraft würde, daß für gewisse Zeit keiner Briefe nach Hause geschrieben und keine Pakete von dort empfangen werden durften. (…)
5. Ernährung und Unterbringung
In Jasenovac war die Ernährung der Gefangenen sehr schlecht und unzureichend. Sie bekamen zwei- bis dreimal täglich etwas zu essen. Morgens erhielten sie warmes Wasser, in dem Maismehl schwamm. Mittags eine Suppe aus Kohl, Bohnen oder Kartoffeln, in der aber nur wenig Gemüse, Bohnen oder Kartoffeln waren, und am Abend eine Suppe der ähnlichen Art. Die Gefangenen nannten diese Suppe „Pura“ (= Pute). Brot bekamen die Gefangenen sehr unregelmäßig. Häufig vergingen mehrere Monate, während derer sie Brot nicht einmal sahen. Und wenn es Brot gab, war es schwarz, mit Beimengungen von Mahlrückständen, und es gab nie mehr als ein Achtel Kilo pro Tag. In der Nahrung, die die Ustase den Gefangenen verabreichten, war keinerlei Fett und nur sehr wenig Salz. Das Ziel der Ustase war, mit der schlechten und ungenügenden Nahrung den Organismus der Gefangenen zu schwächen und sie willenlos gegen physische Anstrengungen und Krankheiten zu machen, die als Folge einer solchen Ernährung unweigerlich auftreten mussten. Zu allem dem kam noch der Schmutz hinzu, und besonders im Sommer grassierten Durchfall, Typhus und andere Krankheiten, woran allein in einem Monat 1942 1.800 Gefangene starben. (…)
Ähnlich schlecht und unerträglich waren auch die Unterbringungsmöglichkeiten. Solange die Baracken noch nicht errichtet waren, schliefen die Gefangenen im „Tunnel“, in der Vorhalle der Ziegelei, unter den Tischen der Werkstätten und Depots oder unter freiem Himmel. Als die Baracken standen, schliefen die Gefangenen in ihnen. Jede Baracke war ein großes Holzgebäude, 24 Meter lang und 6 Meter breit. In der Mitte jeder Baracke war ein Durchgangsraum, von dem rechts und links die doppelstöckigen Schlafboxen (celijice) lagen. In jeder Box konnten bis zu 6 Häftlinge schlafen. Kam ein neuer Transport und gab es absolut keinen Platz mehr, dann pferchten die Ustase noch so viele hinein, daß die Gefangenen über einander liegen mussten. Wenn dann alles überfüllt war, mussten immer noch viele an verschiedenen Punkten des Lagers nächtigen.
Die Lagerstätten in den Boxen waren sehr hart, die Gefangenen deckten sich mit Decken zu. Bei der Ankunft im Lage hatten die Ustase ihnen alle besseren Decken weggenommen und gaben ihnen dafür alte und schlechte. Alle Schlafboxen waren voller Ungeziefer, Läuse und Flöhe, und alles Reinigen, von den Gefangenen selber besorgt, half gar nichts. Da die Gefangenen ihre verschmutzte Wäsche nur einmal monatlich zur Reinigung in die Wäscherei geben durften, war es klar, daß diese nie sauber wurde. So war es auch natürlich, daß den ganzen Winter über ansteckende Krankheiten grassierten, daß das Fleckfieber endemisch war und nur wenige Gefangene nicht an diesem litten. (…) Ärzte und Apotheker, die sich um die Gefangenen kümmerten, waren selber Gefangene, aber sie opferten sich auf und mühten sich, ihren unglücklichen Kameraden zu helfen. Da aber ihre Hilfsmittel sehr primitiv waren, war die Hilfe begrenzt und größere chirurgische Eingriffe konnten nicht ausgeführt werden. So ist jeder Schwerkranke rasch gestorben, und wenn das Sterben zu langsam verlief, drangen die Ustase nachts in die Baracken, jagten die Gefangenen aus ihren Lagern und trieben sie nach Gradina oder andere Orte zur Liquidation.
6. Arbeit der Gefangenen
Wie erwähnt, wurde der Bau des eigentlichen Lagers Jasenovac III Ende Herbst 1941 begonnen. In den Lagern I und II hatten die Ustase vor allem Juden untergebracht, die sie in Zagreb, Osijek, Sarajevo und weiteren Großstädten festgenommen hatten, zudem auch Serben und Kroaten, die in verschiedenen NDH-Regionen aufgegriffen worden waren. Unter den Gefangenen waren sehr viele Intellektuelle, mit denen die Ustase betont brutal umgingen: Sie stahlen ihnen Schuhe und Kleidung, gaben ihnen die schlechteste Nahrung und zwangen sie, den ganzen Tag schwerste physische Arbeit zu verrichten. Sie mussten Baracken und Deiche bauen, die das Lager vor Überschwemmungen von Strug und Sava schützten. Bei der Arbeit wurden die Gefangenen mit Stöcken und Gewehrkolben geschlagen, zum schnelleren Graben und Erdetragen gezwungen und für jede kleine Verschnaufpause sofort geprügelt. (…) Bei einer solchen Gelegenheit sagte Ljubo Milos 23 zu den Wächtern, sie sollten nicht schießen, denn jeder Ustasa habe doch ein Messer und könne jeden arbeitsunwilligen Gefangenen abstechen. Unter solchen Umständen wird klar, warum nach der Auflösung der Lager I und II von ursprünglich mehreren Tausenden Gefangenen nur wenige Hundert ins Lager III kamen.
Die Arbeit der Gefangenen im Lager III teilte sich in solche im Lagerinneren und solche außerhalb des Lagers. Im Lager wurde in diversen Werkstätten gearbeitet: Ziegelei, Bäckerei, Elektrizität, Gas, Wirtschaftsgebäude etc. Täglich wurde mindestens 10 Stunden ohne Pause gearbeitet, denn die produzierten Waren wurden von den Besatzungstruppen und den Ustase dringend benötigt. Vor allem mussten Eisenbahnwaggons, Lastwagen und Schiffe auf der Sava be- und entladen werden. Arbeitsruhe gab es nicht einmal an Sonn- und Feiertagen, erst 1943 wurde eine sonntägliche Arbeitsruhe eingeführt, aber nur für fleißige Gefangene. Die Ustasa-Aufseher gingen durch die Werkstätten und passten auf, daß sich niemand ausruhte, nicht zu lange auf der Toilette blieb und alle pausenlos arbeiteten. Falls ein Ustasa feststellte, daß irgendein Gefangener die Arbeit „sabotierte“, schlug er ihn augenblicklich zusammen oder tötete ihn auf der Stelle. Die Ärzte haben sehr oft kranken, alten und erschöpften Gefangenen „Verschonung“ verordnet, aber daran hielten sich die Ustase nur wenig und trieben die Unglücklichen dennoch zur Arbeit.
Die Arbeit außerhalb des Lagers bestand aus dem Errichten von Stacheldrahtzäunen auf dem kleinen und dem großen Deich, aus dem Bau der großen Mauer (und diese Arbeit dauerte bis Ende 1942), aus dem Bau zahlreicher Bunker und Verteidigungsanlagen rund um das Lager, aus Fällen und Schneiden von Bäumen etc., sogar aus Tätigkeiten im benachbarten Jablanac. Auch hier waren immer Ustase als Begleitung zugegen, die die Gefangenen mit Gewehrkolben, Messern oder Feuerwaffen zu raschem Arbeiten zwangen. Viele, viele Tausende Gefangene litten unter dieser auswärtigen Arbeit, und es kam häufig vor, daß ganze Gruppen nicht mehr in der Lage waren, ins Lager zurückzukehren. In solchen Fällen sagten die Ustase-Wächter einfach, jene hätten fliehen wollen und man habe sie erschießen müssen.
7. Ustase und Gefangene
Jeder Gefangene wusste nach seiner Einlieferung ins Lager, daß ihn hier ein sicherer und schrecklicher Tod erwartete. Unklar war nur, wie lange seine Qualen im Lager dauern würden. (…) Jeder Ustasa, von Luburic bis zum letzten Wächter, war gegenüber jedem Gefangenen übermächtig, Herr über dessen Leben und Tod. Zu jeder Zeit, Tag oder Nacht, Arbeit oder Ruhe, konnte jeder Ustasa jeden Gefangenen töten, ohne daß er darüber jemandem Rechenschaft ablegte oder daß das Vorkommnis überhaupt registriert wurde. Dank einer Aussage des Zeugen Danon Jakob ist z. B. der folgende Fall bekannt: Am 23. Dezember 1941 ordnete Ljubo Milos einen Appell an, eine sog. Versammlung (zbor) aller Gefangenen. Dabei erwähnte er kurz, einer der Gefangenen habe versucht, einen der Ustasa-Wächter zu töten, erwähnte aber keine Namen. Dann ließ Milos 25 Gefangene vortreten, nahm ein Gewehr und erschoß sie alle. Dann rief er den Arzt Dr. Gusti Leindorfer, damit er den Tod feststelle, danach die Totengräber, daß sie die Leichen fortschafften. Als alles vorbei war, bemerkte er als Scherz: „Oh, ich habe sie gar nicht nach ihren Namen gefragt“. (…)
Öffentliche Bestrafungen gab es sehr häufig, und die Gründe dafür unerheblich, unbedeutend, erfunden oder überhaupt ohne jeden Grund. (…) Außer solchen „Auftritten“ wegen Teilnahme an öffentlichen Bestrafungen gab es in Jasenovac auch „Appelle zur Verminderung der Gefangenenzahl im Lager“, dazu Appelle, bei denen sich die melden sollten, die zur Arbeit nach Deutschland, in ein anderes Lager oder in ein Krankenhaus zur „Heilung“ wollten. (…)
Liquidationen in Gradine oder Ustice wurden anfänglich allein von den Ustase vorgenommen, später wurden Zigeuner zu Hilfsdiensten hinzugenommen. Die Opfer mußten selber lange und tiefe Gruben ausheben, dann wurden ihnen alle Kleidungsstücke abgenommen, Goldzähne ausgeschlagen. Danach musste jeder in die Grube springen, wo schon ein Ustasa oder Zigeuner stand, um mit einem Hammer den Kopf einzuschlagen oder mit einem Messer die Gurgel durchzuschneiden. (…)
Diese Darstellung wäre unvollständig ohne die Erwähnung der schlimmsten Art der Quälerei und Tötung von Gefangenen. Es handelt sich um Aushungern bis zum Tod. Wie noch zu erwähnen sein wird, wurde später auf diese Weise die Liquidierung des ganzen Lagers III-C betrieben. Hier soll nur die Glockenhalle als die Folterstätte beschrieben werden, die allein zu diesem Zweck eingerichtet worden war. Das war eine kleine, fensterlose Baracke, zu der eine gläserne Eingangstür führte, durch die man von außen alles verfolgen konnte, was sich darin tat. Hier sperrten die Ustase ihre Opfer ein und verweigerten ihnen alles Essen und Trinken. Ihre Qualen waren furchtbar und aus der Baracke tönten verzweifelte Hilferufe: „Holt uns heraus, tötet uns“. Die Ustase (…) genossen diese Qualen, spazierten vor der Glockenhalle herum und lachten. Da die Glockenhalle klein war, fasste sie nicht mehr als dreißig Gefangene. Wenn neue Opfer eintrafen, mussten die alten ihnen Platz machen. Die Ustase haben dann die frühere Gruppe nach „Granik“ gebracht und dort getötet. Als ob die Hungerqualen und die bevorstehende Tötung den Sadismus der Ustase noch nicht befriedigten, schlugen sie Opfer beim Abmarsch und traktierten sie mit Messern. (…)
Als die Stunde der Befreiung nahte, fürchteten die Ustasa-Schlächter, daß die Wahrheit ans Licht kommen würde. Um die Spuren ihrer zahllosen Verbrechen zu tilgen, begannen sie im April 1945 Hals über Kopf die Gräber zu öffnen, die Leichen und Gebeine ihrer Opfer herauszuholen und auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Tage und Wochen loderten die Flammen dieser Scheiterhaufen, und als die Arbeit getan war, töteten sie alle Gefangenen, die die Arbeit verrichtet hatten, küssten sich untereinander und betranken sich.
8. Spitzel und Freigänger
In Zeugenaussagen ist oft von „Spitzeln“ (dousnici) und „Freigängern“ (slobodnjaci) die Rede, und zur Vermeidung von Missverständnissen müssen diese Begriffe erläutert werden. Spitzel waren verschiedene Ustase, die irgendwelche disziplinarischen Verstöße oder schwerere Straftaten begangen hatten und darum strafweise nach Jasenovac geschickt worden waren. (…) Das Ustasa-Kommando brachte diese Straffälligen in einem besonderen Gebäude unter, gab ihnen gute Verpflegung, die der des Wachtpersonals entsprach, und übertrug ihnen die Aufsicht über die Gefangenen, solange diese arbeiteten oder ausruhten. Diese Spitzel – wie die Gefangenen sie nannten – konnten sich im Lager frei bewegen und dieses sogar verlassen. Sie waren den Gefangenen immer auf den Fersen, sie trugen Stöcke oder Knüppel, mit denen sie die Gefangenen schlugen und sie zur Arbeit antrieben. Sie waren besonders grausam zu den Gefangen und konnten sie auf eine Art schlagen, dass viele später an den erlittenen Verletzungen starben. (…)
„Freigänger“ waren Gefangene, die sich durch Willfährigkeit vor den Ustasa-Wächtern so sehr auszeichneten, dass man ihnen in einem gewissen Maß die Aufsicht über Gefangene übertrug. Diese Freigänger bekamen bessere Unterkunft und Verpflegung, sie durften Briefe und Pakete von zu Hause empfangen, auch nach Hause schreiben und sich frei im Lager bewegen.
9. Wie viele Opfer hat Jasenovac gefordert?
Ende April 1945 haben die Ustase bei ihrer panischen Flucht aus Jasenovac alles Material vernichtet oder verbrannt, das statistisches Angaben enthalten könnte, wie viele Gefangene in Jasenovac umgekommen sind. Alle Register, Namenslisten, Karteikarten, Wirtschaftsbücher, auch dienstliche Akten wurden vernichtet, die uns – obwohl sie nach Aussagen von Zeugen ungenau, unordentlich und unsystematisch geführt worden waren – gewisse Anhaltspunkte hätten liefern können. Es ist deshalb nicht möglich, die Frage zu beantworten, wie viele Opfer in Jasenovac umgekommen sind. Es gibt nur sehr wenige Gefangene, die einige Zeit im Lager verbrachten und danach freigelassen wurden, und es sind keine Hundert, denen in der Endphase die Flucht aus dem Lager gelang. (…)
Der schwerste Ustasa-Terror und die meisten Tötungen fielen in die Jahre 1941 und 1942. Das ganze Jahr 1943 und das halbe 1944 verliefen im Zeichen einer relativen Beruhigung, d.h. daß Massenmorde an den Gefangen nicht so häufig und in solchem Umfang vorfielen wie vor und nach diesem Zeitraum. Von September 1944 bis April 1945 kamen erneut große Transporte nach Jasenovac und die massenhafte Liquidation wiederholte sich. Gefangene, die im ersten oder vierten Jahr im Lager waren, nannten sehr hohe Opferzahlen, während in den Aussagen derer, die im dritten Jahr des Ustasa-Terrors in Jasenovac waren, die Zahl der Opfer niedriger ist. Es gab etwa 50 Massenmord-Aktionen, die die Ustase in Jasenovac durchführten, und wenn die Zahlen der Gefangenen, die bei diesen Aktionen umkamen, und die Zahlen von den Gefangenen, die außerhalb solcher Aktionen umkamen, zusammenzählen, dann gelangen wir zu einer Ziffer von etwa 500. bis 600.000. Aber, wie schon gesagt, man wird niemals die genaue Zahl der Opfer ermitteln können, die Jasenovac verschlungen hat, jedoch kann man auf der Basis aller Untersuchungen, die die Landeskommission durchgeführt hat, zu dem Schluß gelangen, daß obige Zahl der Wahrheit entspricht. Kein einziger Verbrecher hat in der Geschichte ein Zehntel eines Volkes umgebracht, wie es Ante Pavelic mit seinem eigenen Volk getan hat.
Autor: Wolf Oschlies
Literatur
Kamber, Dragutin: Slom NDH – Kako sam ga ja proživio (Der Zusammenbruch des NDH – Wie ich ihn überlebte), Zagreb 1993
Orth, Karin: Die Konzentrationslager der SS. Sozialstrukturelle Analysen und biografische Studien. Göttingen 2000.
Orth, Karin: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hamburg 1999.
Schwarz, Gudrun: Die nationalsozialistischen Lager. Frankfurt am Main 1996.
Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors – Das Konzentrationslager, Frankfurt a.M. 1993
Gutman, Israel / Eberhard Jäckel / Peter Longerich (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. München 1998
Anmerkungen
1Dragutin Kamber: Slom NDH – Kako sam ga ja proživio (Der Zusammenbruch des NDH – Wie ich ihn überlebte), Zagreb 1993, S. 5
2Kamber, Slom NDH… aaO., S. 12
3 V. Bogdanov: Ante Starcevic i hrvatska politika (A.S. und die kroatische Politik), Historija za svakog Bd. 1, Zagreb 1937, S. 10 ff.
5Chronologie des NDH unter: www.pavelicpapers.com/timeline/ndhtimeline.html
7Karl Pfeifer: Freiheit für den Kameraden, in: Jungle World 16.6.1999
8Bericht in: Glas javnosti Nr. 257, 26.2.1999
9Heni Erceg: Slucaj Sakic (Der Fall S.), in: Feral Tribune 23.6.1998, S. 4-5
10Joseph Fitchett: Croatian Leader’s Writings Raise Specter of Anti-Semitism, in: International Herald Tribune 10.1.1992
11Franjo Tudjman: Bespuca povijesne zbilnosti (Irrwege historischer Realität), Zagreb 1990, S. 309 ff.
12Davor Butkovic: Hrvati su politicki sazreli (Die Kroaten sind politisch gereift), in: Nedjeljna Dalmacija 7.11.1991
13Bericht in: Der Spiegel Nr. 22/1994
14Sammlung von Tudjman-Zitaten in: Feral Tribune 13.12.1999, S. 6-7
15Wortlaut in: Hrvatska ljevica 1.-30.6.1996, S. 16-17
16Zorica Stanivukovic: Rasizam na vagi (Rassismus auf der Waage), in: NIN 15.5.2003
17Im Juni 1945 wurden bei dem Prozeß gegen Mile Budak (und andere NDH-Funktionäre) noch weitere NDH-Lager aufgeführt, z.B. Jastrebarsko, Koprivnica, Kruscince, Rab, Pag, Vir, Molat, Kraljevica, drei Lager in Zagreb, dazu weitere „an vielen anderen Orten“, vgl. den Bericht in: Informativni prirucnik o Jugoslaviji Bd. I (1949), S. 159
18Dr. Mirko Puk, 1884-1945, Minister für Justiz und Kulte, vermutlich durch Selbstmord geendet
19Wir übergehen hier die Schilderung weiter Gebäude, fügen aber hinzu, daß vom Gesamtkomplex III ein Teil durch Stacheldraht abgetrennt war, der als „Lager III-C“ firmierte und wo allem Anschein Frauen untergebracht waren, W.O.
20In der Jasenovac-Literatur wie auch in diesem Bericht wird Picili häufig als der Erfinder und Erbauer des sog. „Picili-Ofens“ (Picilijeva pec) erwähnt, eine unvollkommene Kopie deutscher KZ-Krematorien, die Anfang 1942 in Lager III bei der „Ziegelei“ errichtet und nach drei Monaten wieder abgerissen wurde.
21Das Bild zeigt das im NDH verwendete Emblem für Juden, „Ž“ steht für “ Ž idov“ (Jude)
22„Tunnel“ (tunel) nannten die Gefangenen eine Unterstellhalle in Lager III, in der eine Abzweigung der Eisenbahnlinie aus Jasenovac endete; hier mussten Neuankömmlinge solange warten, bis sie entweder in den Baracken untergebracht oder zur Liquidation gebracht wurden.
23Ljubo Milos, geboren 1919, Vetter von Luburic, Vizekommandant von Jasenovac. Nach dem Krieg gehörte er zu den Führern der antikommunistischen Organisation „Križari“ (Kreuzzügler), von deren Mitgliedern im August 1947 96 in Slawonien festgenommen wurden. In einem nachfolgenden Prozeß, der vom 12. bis 17. Juli und vom 10. bis 20. August 1948 vor dem „Obersten Gericht der Volksrepublik Kroatien“ stattfand, wurde Milos zum Tod durch den Strang verurteilt. Vgl. den Bericht in: Informativni… aaO., S. 165