Im Oktober 1932 wurden das Haus der Jüdischen Gemeinde sowie Versammlungsorte Zagreber Juden mit Hakenkreuzen beschmiert. Im gleichen Jahr führte eine nationalistisch orientierte Schauspielgruppe erfolgreich Stücke vor, in denen Juden karikiert und diffamiert wurden. Die Zagreber Bevölkerung sah darin lediglich Einzelfälle antisemitischen Verhaltens. Gab es den gesellschaftlich verankerten Antisemitismus, der zum Genozid an den kroatischen Juden führen sollte, überhaupt?
Der Historiker Ivo Goldstein, derzeit der wichtigste Forscher auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte in Kroatien, unternahm den Versuch, die Wurzeln und Entwicklungen des Antisemitismus in Kroatien seit dem späten Mittelalter zu erforschen und aufzuzeigen. Antisemitische Ressentiments und Handlungen teilte er dabei in zwei Erscheinungstypen ein: Den traditionellen und den modernen Antisemitismus. Traditionell, weil er zu allen Zeiten, seit der Antike, in Europa existierte. Er gehörte gewissermaßen zum europäischen Zeitgeist dazu. Wie im gesamteuropäischen Raum so waren auch in Kroatien der Hass und die Abneigung Juden gegenüber durch alle Epochen und Jahrhunderte latent vorhanden. Diese traditionelle Aversion ging im Wesentlichen auf den jüdisch- christlichen Glaubensgegensatz zurück. Die starke Bindung der kroatischen Bevölkerung an den Katholizismus und die erst spät einsetzende Aufklärung führten dazu, die Juden gemeinhin als „Jesusmörder“ zu brandmarken.
Eine weitere antisemitische Haltung, die als traditionell begründet wird, war die herrschende Handelskonkurrenz zwischen katholischen und jüdischen Händlern. Erste Zeugnisse der Auflehnung katholischer Händler gegenüber jüdischen stammten aus den Jahren 1769 und 1780. Mitte des 19. Jahrhunderts lehnten sich erneut rund zwei Hundert Zagreber Kaufmänner gegen ihre jüdischen Konkurrenten auf. In einer Versammlung forderten sie sogar die Vertreibung der Juden aus der Stadt. Einige Juden wurden im Anschluss auch tatsächlich der Stadt verwiesen.[1]
Die hier aufgeführten Fälle gehören zu den wenigen dokumentieren Beispielen antisemitischer Aktionen innerhalb der kroatischen Gesellschaft bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie bergen die Schwierigkeit in sich, einen generellen Rückschluss auf die Ausbreitung des traditionellen Antisemitismus in Kroatien ziehen zu können. Diese Beispiele reichen freilich nicht aus, um als ein eindeutiges Indiz für einen verwurzelten Antisemitismus innerhalb der kroatischen Gesellschaft herangezogen zu werden. Der religiös begründete Antijudaismus des Mittelalters war in Kroatien keine atypische Erscheinung im europäischen Zeitkontext. Aus späterer Perspektive darf eben dieser Erscheinung hinsichtlich der Erklärung, wie es nach 1941 zum Holocaust in Kroatien kommen konnte, nicht allzu große Bedeutung beigemessen werden.
Der in Gesellschaft und Kultur verankerte Antijudaismus bildete aber die Voraussetzung oder den fruchtbaren Nährboden für den modernen Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Aufkommen des modernen, also des politischen und vor allem des rassischen Antisemitismus, mag eher als Erklärungsversuch für den Holocaust in Kroatien herangezogen werden.
Der moderne Antisemitismus war in der Regel ein Beiprodukt der Nationalstaatenbildung und der Entwicklung des Nationalgefühls insbesondere im 19. Jahrhundert. Die kroatische Nationalbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts richtete sich in erster Linie gegen Magyarisierungsbestrebungen der ungarischen Oberherrschaft. Zur direkten Zielscheibe der Proteste, die sich im Grunde gegen die ungarische Vorherrschaft richteten, wurden aber die kroatischen Juden. Diese galten als Ausländer, da sie oft die kroatische Sprache nicht vollkommen beherrschten und statt dessen Ungarisch sprachen.
Um die Jahrhundertwende erschienen in Zagreb einige Zeitschriften, darunter Hrvatsko kolo (Kroatische Reigen), die der gewachsenen Judenfeindschaft Ausdruck verliehen. Gedruckt wurden gängige antisemitische Stereotype. Trotz Meinungs- und Gesinnungsäußerungen, die sich explizit gegen Juden richteten, kam es zu keinen oder zumindest zu keinen dokumentierten antisemitischen Übergriffen.
Dies änderte sich mit dem endgültigen Zerfall der k.u.k.-Monarchie und der Gründung des neuen Staates „Königreich der Serben, Kroaten, Slowenen“ (SHS) im Dezember 1918. Schwere menschliche Verluste sowie große wirtschaftliche Schäden als Folgen des Krieges führten zur tiefer Unzufriedenheit im Volk. Und da Juden generell als Deutsche oder Ungarn angesehen wurden, entlud sich die Frustration einiger Gruppen zum Beispiel am jüdischen Besitz. Bald begannen pogromähnliche Ausschreitungen gegen Juden. Nahezu im ganzen Norden des Landes setzten Plünderungen und Zerstörungen jüdischer Geschäfte und Häuser ein. In Nova Gradiška, einer Stadt unweit von Zagreb, wurden zahlreiche jüdische Häuser niedergebrannt. Die Synagoge wurde schwer beschädigt.[2] In Zagreb fanden Razzien in jüdischen Geschäften statt, da Juden beschuldigt wurden, Nahrungsmittel zu verstecken. Gewalttätige Ausschreitungen gegen Juden flammten immer wieder auf.
Die rechtliche Stellung der kroatischen Juden sollte sich in der Folgezeit kaum verändern. Bereits in den ersten Monaten nach Staatsgründung sah es die jugoslawische Regierung als notwendig an, Juden zu vertreiben und zu deportieren. Betroffen davon waren diejenigen, die erst seit kurzer Zeit auf dem Territorium des neuen Staates lebten. Sie besaßen demnach nicht das Recht auf die jugoslawische Staatsbürgerschaft. 1920 wurden Juden – und andere Minderheiten – von den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung ausgeschlossen. Weiterhin verwehrte die königliche Regierung Juden den Zugang zu diplomatischen Berufen.
Im Urteil über Ausbreitung und Intensität des Antisemitismus in Kroatien und Jugoslawien sind sich die Historiker weitgehend einig. Antisemitische Übergriffe und Propaganda kamen vor, hauptsächlich durch nationale und ökonomische Fragen hervorgerufen. Verglichen mit den Entwicklungen in übrigen osteuropäischen Staaten wie Polen oder Russland, blieben im gesamten jugoslawischen Staat antisemitische Auswirkungen marginal. Einen staatlich gelenkten oder partei- programmatisch formulierten Antisemitismus gab es zunächst nicht.
Trotzdem nahmen in den 30er Jahren nationalistisch orientierte Publikationen vor allem in Kroatien stark zu. Herausgeber und Autoren antisemitischer Texte waren oft Anhänger der 1932 gegründeten faschistischen Ustascha-Bewegung, die zu Beginn zwar kaum Anzeichen einer radikal–antisemitischen Gruppierung aufwies, dafür aber extrem nationalistisch war.
So kam es, dass eine Gruppe, die sich Kroatische Nationalisten nannte, im Frühjahr 1933 in Zagreb ein Flugblatt verteilte, auf dem zum „Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Anwälte“ aufgerufen wurde.[4] Die Flugblattaktion blieb ohne Wirkung. Den örtlichen Polizeiverzeichnissen zufolge blieben Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte und Individuen aus.
Auch Ende der 30er Jahre, als Vertreibungen und Verfolgungen der Juden in Deutschland alltäglich wurden, gab es auf jugoslawischem Gebiet, so auch in Kroatien, nach wie vor keine politische Partei, die Antisemitismus in ihr Programm aufnahm. Vladko Maček, Vorsitzender der HSS, der größten kroatischen Partei, gab 1938 kund, dass „es nirgends eine jüdische Gefahr gebe und dass diese nur eine bloße Halluzination bestimmter Kreise wäre.“ [5] Mačeks Aussage schien in dieser Zeit nicht unüblich zu sein, denn die Mehrheit sowohl der Bevölkerung als auch der Politik war (noch) nicht nazistisch indoktriniert. Neben der größten Partei war es auch die katholische Kirche, die Stellung bezog. 1938 verurteilte sie öffentlich jegliche Form des Rassismus. Somit gab es Ende der 30er Jahre noch wichtigen gesellschaftlichen Rückhalt für kroatische Juden.
Erste Regierungsmaßnahmen gegen Juden begannen, als Milan Stojadinović die jugoslawischen Regierungsgeschäfte im Februar 1939 übernahm. Die Folge seiner Annäherung an Deutschland waren erste anti-jüdische Gesetze. Juden wurde jeglicher Handel und der Zugang zu höheren Schulen und Universitäten verwehrt. Tausende Juden verloren so ihre berufliche Grundlage.
Trotz der verschärften Maßnahmen seitens der Regierung und des sichtbar erschwerten Lebens der kroatischen und jugoslawischen Juden, schien Jugoslawien Ende der 30er Jahre immer noch ein sicherer Zufluchtsort für viele verfolgte Juden gewesen zu sein. Zwischen 1933 und 1940 kamen rund 55.000 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei in Jugoslawien an. Hier konnten sie sich zumindest für eine kurze Zeit sicher fühlen. Die Situation sollte sich im April 1941 mit der Gründung des sogenannten Unabhängigen Staates Kroatien schlagartig ändern.
Im Urteil der Historiker war antisemitisches Gedankengut in Kroatien und Jugoslawien bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges lediglich bei einzelnen Individuen vorhanden. Einen breiten, von der Masse getragenen Antisemitismus, der schließlich zum Genozid an kroatischen und jugoslawischen Juden führte, gab es nicht. Die politischen Ereignisse und Neuerungen ab dem Jahre 1941 haben zwar den bei Einzelnen verankerten und in der Gesellschaft latent vorhandenen traditionellen Antisemitismus intensiviert und institutionalisiert. Aber nicht ein in der Gesellschaft verwurzelter Antisemitismus führte zum Genozid an den kroatischen Juden, sondern die Grausamkeit einer Gruppe nationalistischer Vasallen Hitlers unter der Führung von Ante Pavelić, die 1941 aus dem italienischen Exil an die Macht kam.
Literatur
Andrea Feldman: Židovi u Kraljevini Jugoslaviji, in: Dijalog povjesničara- istoričara 2, hg. v. Friedrich Naumann Stiftung Zagreb, Zagreb 2000.
Harriet Pass Freidenreich: The Jews of Yugoslavia. A quest for Community, Philadelphia 1979.
Ivo Goldstein: Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001.
Ivo Goldstein: Židovi u Zagrebu 1918-1941, Zagreb 2004.
Slavko Goldstein: Rasizam kao uvod u genocid, in: Židovi na tlu Jugoslavije, hg. v. Ante Sorić, Zagreb 1988.
Ognjen Kraus (Hg.): Zna li se 1941- 1945. Antisemitizam, Holokaust, Antifašizam, Zagreb 1995.
Gavro Schwarz: Povijest zagrebačke židovske općine od osnutka do 50-ih godina 19. vijeka, Zagreb 1939.
Holm Sundhaussen: Das „Wiedererwachen der Geschichte“ und die Juden. Antisemitismus im ehemaligen Jugoslawien, in: Juden und Antisemitismus im östlichen Europa, hg. v. Mariana Hausleitner und Monika Katz, Berlin 1995.
Melita Švob: Židovi u Hrvatskoj, Zagreb 1997.
Anmerkungen
[1] Gavro Schwarz, Povijest zagrebačke židovske općine od osnutka do 50-ih godina 19. vijeka, Zagreb 1939, S. 24.
[2] Ivo Goldstein, Židovi u Zagrebu: 1918 –1941, Zagreb 2004, S. 48f.
[3] Bild aus: Ognjen Kraus (Hg.), Zna li se 1941-1945. Antisemitizam, Holokaust, Antifašizam, Zagreb 1995.
[4] Ivo Goldstein, Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001, S.31; H.P. Freidenreich, Jews of Yugoslavia. A quest for Community, Philadelphia 1979, S. 184.
[5] Mlada Hrvatska, zitiert nach: I. Goldstein, Antisemitizam u Hrvatskoj, in: Zna li se 1941-1945. Antisemitizam, Holokaust, Antifašizam, Zagreb 1995.