Thomas Riederer: Kriegsheld − Kinoheld. Günther Prien als Beispiel heroischer Männlichkeit in NS-Staat und früher Bundesrepublik. Hamburg 2017.
Militärisch war das Unternehmen ein ziemlicher Misserfolg – und ein Versehen obendrein: Als in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 1939 das Unterseeboot U 47 unter seinem Kommandanten Günther Prien in den britischen Marinehafen Scapa Flow vor den Orkney-Inseln eindrang, um einen Teil der Kriegsflotte der „Home Fleet“ zu zerstören, war diese kurz zuvor ausgelaufen. Lediglich das veraltete Schlachtschiff HMS Royal Oak, das noch im Hafen lag, konnte mit Torpedos versenkt und ein weiteres Schiff beschädigt werden. Mehr noch: Die deutsche Admiralität hatte vom Auslaufen der britischen Schiffe kurz zuvor erfahren und U 47 den Abbruch der Aktion befohlen. Nur weil der Funkspruch das U-Boot nicht mehr erreichte, wurde der Angriff überhaupt begonnen. Das ist nicht unbedingt der Stoff, aus dem Helden gemacht werden.
Und doch geschah genau das: Als die U 47 drei Tage später nach Wilhelmshaven zurückkehrte, wurden Prien und seine Matrosen nicht nur vom Chef der sogenannten U-Boot-Waffe, Karl Dönitz und dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Erich Raeder persönlich empfangen, sondern auch gleich mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Und das war noch nicht alles: Auf Einladung Hitlers wurde die Bootsbesatzung nach Berlin geflogen und vom „Führer“ persönlich in der Reichskanzlei empfangen. Parallel dazu setzte eine Medienkampagne in der Presse, dem Rundfunk und in der NS-Kriegswochenschau ein, die Günther Prien als Helden feierten. Die versenkte Royal Oak wurde als eines der stärksten Kriegsschiffe Englands beschrieben und ihre Versenkung zur mutigen Überlistung des britischen Abwehrsystems stilisiert.
In dem 1908 in Thüringen geborenen Günther Prien fand die NS-Propaganda einen Kriegshelden, den man insbesondere der Jugend als Ideal vorstellen konnte. Nach Abbruch des Gymnasiums hatte sich Prien vom einfachen Schiffsjungen zum Matrosen und schließlich bis zum Kapitän und Offizier hochgearbeitet. Er war jung und hatte bereits vor der Aktion in Scapa Flow zahlreiche Schiffe versenkt. Er war zudem bereits vor der Machtergreifung in die NSDAP eingetreten und galt als überzeugter Soldat und Nationalsozialist. „In ihm verkörpert sich die Jugendkraft in besonderem Maße“, schrieb die Parteizeitung „Völkischer Beobachter“, „die die gesamte Kriegsführung der Kriegsmarine auszeichnet und zu den stolzesten Erfolgen führte“. Als die U 47 im Frühjahr 1941 unter bis heute nicht geklärten Umständen sank, wurde der Tod Priens in der NS-Propaganda zum Opfertod für die Volksgemeinschaft verklärt.
Erstaunlich genug: Günther Prien, der Held der NS-Propaganda, der im realen Krieg für den Tod Tausender Menschen verantwortlich war, erlebte in der Nachkriegszeit postum eine erneute Verehrung. Höhepunkt des Prien-Kultes war der 1958 uraufgeführte Kriegsfilm U 47 − Kapitänleutnant Prien mit Dieter Eppler in der Hauptrolle. Priens NSDAP-Mitgliedschaft und sein Eintreten für das NS-Regime wurden freilich verschwiegen, Prien gegen die historischen Fakten zum Kritiker des Nationalsozialismus mit Beziehungen zum Widerstand umgedeutet. Präsentiert wurde er im Film – wie in vielen Berichten und Erzählungen über ihn – als Repräsentant überzeitlicher soldatischer Tugenden wie Pflichterfüllung und Kameradschaft. Damit konnte er zur Identifikationsfigur gerade auch vieler ehemaliger Wehrmachtssoldaten werden. Allzu gerne wurde in der Nachkriegszeit verdrängt, dass die Wehrmacht ein Instrument eines verbrecherischen Regimes war und selbst auch Verbrechen begangen hatte. Kriegsfilme wie U 47 nährten die Illusion einer unpolitischen soldatischen Ethik und dienten der Selbstentschuldigung Millionen von Wehrmachtsangehörigen. Thomas Riederer dazu: „Nach 1945 rückte man in der Darstellung Priens als charismatischen Volkshelden insofern ab, als dass man explizite Anklänge an nationalsozialistische Vorstellungen vermied. Darüber hinaus bediente man sich aber durchaus der Eigenschaften und Merkmale des charismatischen Volkshelden, sofern es seine militärischen Fähigkeiten, Charisma, Kameradschaft und Härte betrifft.“
Thomas Riederer zeichnet in seinem detailreichen und hervorragend recherchierten Buch – rund 1.200 Fußnoten belegen dies – die Heldenverehrung Priens in der NS-Propaganda nach und zeigt, wie eine Fortführung des Prienmythos in der Bundesrepublik möglich war. Dabei verweist er nicht nur auf die Brüche in der Deutung der Person Priens, sondern vor allem auch auf die Kontinuitäten. So spielte die Idealisierung des Opfers in der NS-Propaganda auch für das Narrativ der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle, allerdings mit einer Akzentverschiebung: „Diese Entwicklung vom Opferhelden zum Opfer des Krieges flankierte einen allgemeinen Hang der Deutschen zur Viktimisierung.“
Thomas Riederer hat mit seinem Buch nicht nur die bisher in der Forschung – etwa im Vergleich zum „Kriegshelden“ Erwin Rommel – weniger untersuchte Geschichte Günther Priens aufgearbeitet, sondern vor allem Kontinuitäten in der Verehrung vor und nach 1945 nachgezeichnet. Damit bewegt er sich im Kontext der aktuellen Forschung, die weniger stark die Zivilisationsbrüche durch das Dritte Reich betont, als längerfristige Einstellungen und Mentalitäten, die weder erst 1933 einsetzten noch 1945 abrupt endeten. Für diese These ist Riederers Buch ein weiterer Beleg.
Das Buch ist trotz wissenschaftlichen Anspruchs jederzeit lesbar. Der Preis von 99,80 Euro, den der Verlag Dr. Kovac für den Band festgesetzt hat, wird allerdings die Verbreitung des guten Buches nicht gerade fördern. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens viele Bibliotheken das Buch anschaffen werden, um so eine breitere Rezeption zu ermöglichen.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans M.A.
Thomas Riederer: Kriegsheld − Kinoheld. Günther Prien als Beispiel heroischer Männlichkeit in NS-Staat und früher Bundesrepublik (= Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 103). Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2017, 330 S., ISBN 978-3-8300-9413-5, EUR 99,80.