Kaum einer, der ihn nicht kennt – der Posterspruch „Keep Calm and Carry On“ findet sich millionenfach auf Stickern, Shirts, Sofakissen und zahllosen anderen Gegenständen des täglichen Lebens abgedruckt. Welche ernste und bewegte Geschichte sich hinter dem beliebten Slogan verbirgt, wissen dagegen nur wenige.
Als Schöpfung einer britischen Propagandabehörde erblickte die heute international bekannte Parole 1939 das Licht der Welt. Ihre eigentliche Bestimmung erfüllte sie dagegen nur bedingt. Stattdessen wäre die geniale Textzeile um ein Haar für immer verloren gegangen. Auch dass der Spruch nach über einem halben Jahrhundert im Dornröschenschlaf zu spätem Ruhm gelangte, ist nur einem verrückten Zufall zu verdanken. Kurz gesagt: Dass eine Kriegs-Parole einmal als Motiv für Strampler und Autoaufkleber enden würde, um gestressten Eltern und Berufspendlern Mut zu machen, hätte vor über 80 Jahren niemand ahnen können.
Die Initiatoren: Das britische Ministry of Information (MOI)
Kreiert wurde die Durchhalteparole vom Ministry of Information (MOI), dem Informationsministerium, das am Ende des Ersten Weltkriegs gegründet wurde und bis 1946 bestand. Nachdem bereits 1935, in Anbetracht der Machtergreifung Hitlers, erste geheime Pläne für Propagandaanstrengungen geschmiedet wurden, erging im Frühjahr 1939 der Auftrag für eine Plakat-Reihe, die dazu geeignet war, im Kriegsfall Patriotismus und Moral innerhalb der Bevölkerung zu stärken. Auf Grundlage dieses Auftrags wurden wischen April und Juli 1939 drei Motive entwickelt, darunter das berühmt gewordene Motto (zu Deutsch: „Bleiben Sie ruhig und machen Sie weiter“).
Zwei weitere Ideen besagten: „Your Courage, Your Cheerfulness, Your Resolution Will Bring Us Victory“ (zu Deutsch: „Ihre Courage, Ihr Frohsinn, Ihre Entschlossenheit werden uns den Sieg bringen“) sowie „Freedom Is in Peril / Defend It With All Your Might“ (zu Deutsch: „Freiheit ist in Gefahr / Verteidigen Sie sie mit all Ihrer Kraft“).
Neben dem MOI waren auch das Finanz- und Wirtschaftsministerium (HM Treasury) sowie Her Majesty’s Stationery Office in die Planung involviert. Letzteres gab seine Zustimmung für die Verwendung der Tudor-Krone, die eine bedeutende Rolle bei der visuellen Gestaltung der Plakate spielen sollte.
Ruhe bewahren und weitermachen als Plakat. Very british and motivational. Der Slogan „Keep Calm and Carry On“
Zahlreiche Köpfe waren an der Entwicklung von Text und Layout der Plakate beteiligt, darunter hochgestellte Persönlichkeiten, wie Sir Ivison Macadam oder Cambridge-Professor John Hilton, sowie zivile Mitarbeiter des Ministry of Information. Der Gedanke „Keep Calm and Carry On“ wurde dabei von einer Parole aus dem Jahr 1938 inspiriert. Da Deutschland seit Hitlers Machtergreifung hartnäckige Anstrengungen unternahm, die im Versailler Vertrag von 1919 vereinbarte Friedensordnung sukzessive zu zersetzen, griff in England eine wachsende Kriegsangst um sich. In verschiedenen Großstädten hatte man darum begonnen, Gräben und Vertiefungen auszuheben, die im Falle eines Kriegsausbruchs zu Luftschutzräumen ausgebaut werden könnten. Um die Furcht zu dämpfen und die Grabungen zu unterstützen, erschien in verschiedenen Zeitungen der Spruch: „Keep Calm and Dig“ (zu Deutsch: „Bewahren Sie Ruhe und graben Sie“).
Die Parole schlug in eine ähnliche Kerbe. Sie legte die schlimmsten Prognosen der Regierung zugrunde. Befürchtet wurden neben ausgedehnten Bombardierungen auch Giftgasangriffe, wie man sie aus dem Ersten Weltkrieg kannte. Die Aufforderung „Bewahren Sie Ruhe und machen Sie weiter!“ sollte die Bevölkerung dazu anhalten, selbst im Angesicht größter Zerstörung und menschlicher Verluste nicht den Kopf zu verlieren, sondern sich auf die alltäglichen Notwendigkeiten und eine Fortsetzung der Kriegsanstrengungen zu konzentrieren.
Eyecatcher aus Großbritannien in zeitlosem Design
Die Verantwortlichen im Ministry of Information einigten sich auf mehrere fixe Attribute, durch die sich sämtliche der Plakate auszeichnen sollten: ein einheitlicher Stil sollte einen hohen Wiedererkennungswert gewährleisten, eine möglichst reduzierte Gestaltung sowohl die Lesbarkeit als auch die Vervielfältigung vereinfachen. Es wurde darum die Verwendung eines einfarbigen Hintergrundes beschlossen. Der vorgesehene Schriftstil sollte gleichermaßen ansprechend und fälschungssicher sein.
Es oblag dem Künstler Ernest Charles Wallcousins, die erarbeiteten Kriterien illustrativ umzusetzen. Wallcousins entwarf, in Anlehnung an bereits bestehende Schrifttypen, wie Gill Sans and Johnston, die auf den drei Plakaten verwendete Schriftart und nahm auch den Schriftsatz vor. Für zwei der drei Plakate bestimmte er Hintergründe in Blautönen. Einzig das „Keep Calm and Carry On“-Layout sticht durch sein auffallend rotes Design hervor. Als einziges bildliches Gestaltungsmittel diente eine reduzierte Darstellung der Tudor-Krone.
Das Schattendasein von „Keep Calm and Carry On“
Im August 1939 ging die Plakat-Reihe in Druck. Der rot unterlegte Schriftzug wurde in einer Stückzahl von knapp 2,5 Millionen in elf verschiedenen Maßen aufgelegt. Die größte Dimension erstreckte sich auf 6 x 3 Meter. Bei Kriegsausbruch, also nur einen Monat später, waren sämtliche der Propagandaplakate bereit zum Einsatz. Die blauen Layouts „Your Courage“ und „Freedom Is in Peril“ wurden zahlreich in ganz England plakatiert. „Keep Calm and Carry On“ dagegen führte ein Schattendasein in Lagerhäusern und Distributionsstellen. Erst als der befürchtete Fall eintrat und u.a. London durch den sogenannten „Blitz“ erhebliche Schäden und Verluste erlitt, erreichte auch das dritte der Propagandaplakate die Öffentlichkeit – allerdings nur in geringer Stückzahl.
Historische Fotografien und Illustrationen zeugen davon, dass das auffällig rote Layout im Verlauf der 1940er Jahre an verschiedenen Orten hing, so etwa in Leeds, Bedfordshire und in einer Londoner U-Bahnstation. Offizielle Dokumente über die Ausgabe des Plakats existieren allerdings nicht, so dass davon ausgegangen werden muss, dass die Plakatierungen ohne Autorisierung der Regierung stattfanden und folglich auf die Eigeninitiative einzelner Mitarbeiter oder Eingeweihter zurückgingen.
Die Mehrheit der Originaldrucke fand ein undankbares Ende, indem sie einer groß angelegten Recycling-Aktion zum Opfer fiel, mit der die britische Regierung ab April 1940 auf eine eingetretene Papierknappheit reagierte.
Retro Cool und perfekt als Meme. Die Wiederentdeckung von „Keep Calm and Carry On“
Es überrascht daher kaum, dass von den einst über 2 Millionen Originaldrucken heute nur noch wenige Exemplare erhalten sind. Beinahe wäre der in unserer Gegenwart so beliebte Slogan für alle Ewigkeit in der Versenkung verschwunden. Nur dem Buchhändler-Ehepaar Mary und Stuart Manley aus der nordenglischen Ortschaft Alnwick ist es zu verdanken, das die Welt überhaupt von dem Slogan weiß.
Es war im Jahr 2000, dass Stuart eine Box antiquarischer Bücher ersteigerte, in der sich zufällig auch ein Originaldruck des roten Weltkriegs-Plakats befand. Seiner Frau Mary gefielt das über 50 Jahre alte Relikt so gut, dass sie es rahmte und im Kassenbereich des eigenen Buchlandens anbrachte. Die Kundschaft zeigte sich derart begeistert, dass Stuart und Mary Kopien anfertigen ließen und verkauften.
Da es sich bei dem Propaganda-Poster offiziell um eine Publikation des Staates handelt, war das Urheberrecht nach 50 Jahren ausgelaufen. Slogan und Vintage Design waren somit gemeinfrei geworden und durften durch jedermann verwendet und vervielfältigt werden. Diesen Umstand machten sich auch andere Händler und Gewerbetreibende zunutze. Bald zierte „Keep Calm and Carry On“ nicht nur Poster, sondern vom Taschentuch bis zur Thermoskanne so gut wie alles, das sich bedrucken lässt.
Mittlerweile ist das Motto ebenso wie das mit der Krone von König George gekrönte Plakat-Design Teil der englischen Popkultur und steht repräsentativ für die als typisch englische betrachtete Eigenart, zu keinem Zeitpunkt die Fassung zu verlieren. Auch der Sprung ins Internetzeitalter ist der Weltkriegs-Parole gelungen; sie findet sich dutzendfach als Meme verarbeitet. Die besondere Geschichte von hat außerdem dazu geführt, dass Spruch und Plakat-Layout sich zu eigenen Forschungsgegenständen der Kommunikationswissenschaft entwickelt haben.