Erste Überlegungen zu einem Umgang mit Jugendkriminalität, der sich qualitativ von der Reaktion auf die Kriminalität Erwachsener unterschied, lassen sich auf das späte 19. Jahrhundert datieren. Sie entstanden im Kontext der „Entdeckung des Jugendlichen“ und der Konstituierung des „Jugendproblems“ im Umfeld junger Lohnabhängiger aus der Arbeiterschaft, der gesonderten Registrierung der von Jugendlichen begangenen Kriminalität in der Reichskriminalstatistik und nicht zuletzt des Aufschwungs der täterbezogenen Kriminalitätsursachenforschung. Unter dem Einfluss dieser Entwicklungen hatte im Kaiserreich eine breite Diskussion innerhalb der Jugendgerichtsbewegung über den Umgang mit der Kriminalität von Jugendlichen stattgefunden, im Zuge derer sich auch die Forderung nach einem erzieherisch gestalteten und in besonderen Anstalten durchzuführenden Jugendstrafvollzug durchgesetzt hatte. Diese Forderung fand jedoch im Kaiserreich keine rechtliche Umsetzung und auch die praktische Erprobung ließ bis zum Jahre 1912, als in Wittlich das erste eigenständige Jugendgefängnis Preußens eingerichtet wurde, auf sich warten. Die gesetzliche Festschreibung eines gesonderten Umgangs mit Jugendkriminalität fand in umfassender Form erst mit dem Jugendgerichtsgesetz von 1923 und den „Grundsätzen für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ aus dem Jahre 1923 statt. Für den Jugendstrafvollzug schrieb das JGG von 1923 vor, er sei so zu bewirken, dass die Erziehung des Jugendlichen gefördert werde. Allerdings enthielt das JGG keine näheren Bestimmungen darüber, was das Ziel der Erziehung und wie der Jugendstrafvollzug „erzieherisch“ zu gestalten sei. So hatte sich 1923 der Jugendstrafvollzug und mit ihm ein nicht näher definierter Erziehungsbegriff etabliert. Auch die Vorschriften der GS 1923 brachten in dieser Hinsicht keinen wesentlichen Fortschritt. Sie enthielten außerdem lediglich 15 Paragraphen zum Jugendstrafvollzug und waren damit weit davon entfernt, dem Jugendstrafvollzug eine programmatische Kontur zu verleihen. Auch nach Erlass des JGGs und der GS 1923 wurde über die Ursachen von und den angemessenen Umgang mit Jugendkriminalität kontrovers diskutiert. Im Zusammenhang mit dem Strafvollzug wurde nicht nur über Erziehung und ihre praktischen Umsetzungsmöglichkeiten nachgedacht, sondern auch die Frage nach der „Erziehbarkeit“ und ihren vermeintlichen Grenzen wurde breit diskutiert, einschließlich der Möglichkeit des Ausschlusses unerziehbarer Gefangener.
An diese Diskurse konnte nach 1933 nahtlos angeknüpft werden, schließlich wollte der NS-Staat weder das Jugendgerichtsgesetz noch den Jugendstrafvollzug abschaffen. Vielmehr sollte dem Jugendstrafvollzug endlich ein eigenständiges, „jugendgemäßes“ Profil verliehen werden, was mit den vereinzelten Regelungen der „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ von 1923 nicht erreicht worden war. Erste Neuerungen wurden dann mit der Amtlichen Verfügung des Reichsjustizministers über den Jugendstrafvollzug vom 22. Januar 1937 (AV 1937) eingeführt. Die AV 1937 entwarf ein Vollzugsprogramm, mit dessen Hilfe die jungen Gefangenen im nationalsozialistischen Sinne erzogen werden sollten. Dieses Konzept einer Erziehung im Jugendstrafvollzug war an den gleichen Zielen orientiert wie die nationalsozialistische Erziehung im Allgemeinen. Hier wie dort ging es um Formung, Disziplinierung und Unterordnung und Indoktrination mit dem Ziel, den jungen Gefangenen zu Fleiß, Leistungsdenken und „Arbeitsfreude“, zu Härte, Kampfesfreude und Gehorsam, zur Einordnung in die „Volksgemeinschaft sowie zur Unterordnung unter den Willen des Staates bzw. des „Führers“ zu erziehen. Zur Verwirklichung dieser Ziele sah die AV 1937 ein Programm von Erziehungsmitteln vor: Arbeit, Sport, Exerzierübungen, Unterricht und eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Aber auch dem streng reglementierten Tagesablauf und der Zelle mitsamt ihrer kargen Ausstattung wurden erzieherische Wirkungen unterstellt. Gleiches gilt für den Stufenstrafvollzug sowie für das umfangreiche Strafsystem im Jugendgefängnis. Letztlich brachte die AV 1937 im Hinblick auf die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs aber wenig gänzlich Neues, sondern entfaltete bestehende Ansätze und schrieb fest, was in der Praxis bereits praktiziert wurde.
Neben den im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie ausgedeuteten Erziehungsgedanken trat nach 1933 der „Auslesegedanke“ als zweites Leitprinzip des Jugendstrafvollzugs. Beide Leitprinzipien waren aufs Engste miteinander verschränkt, denn die „Auslese“ wurde als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg des erzieherischen Jugendstrafvollzugs betrachtet. Die „Auslese“ im Jugendstrafvollzug umfasste zwei Bereiche: zum einen die (sozial)rassistische Ausgrenzung ganzer Gruppen von jungen Straftätern aus dem Jugendstrafvollzug und zum anderen die Installierung des „Ausleseprinzips“ im Alltag des Jugendstrafvollzugs. Die rassistische Ausrichtung von Jugendstrafrecht und Jugendstrafvollzug begann spätestens mit der Beschränkung des Jugendstrafvollzugs auf junge Gefangene „deutschen oder artverwandten Blutes“ im Jahre 1940. Auch das Reichsjugendgerichtsgesetz von 1943 galt nur noch für deutsche Jugendliche. „Fremdvölkische“ Jugendliche und Heranwachsende waren von seiner Anwendung ausgeschlossen. Ihre Straftaten wurden nach allgemeinem Strafrecht (bei „Zigeunern“), nach der im Dezember 1941 erlassenen „Polenstrafrechtsverordnung“ (bei Polen) oder aber von vornherein durch die Polizei (bei Juden) geahndet. Neben dem Ausschluss „Fremdvölkischer“ wurden im „Dritten Reich“ zahlreiche Möglichkeiten geschaffen, vermeintlich „minderwertige“ und „unerziehbare“ Straftäter vor oder während des Vollzugs vom Jugendstrafvollzug auszuschließen und in ein Gefängnis für erwachsene Straftäter zu überweisen. Außerdem hatten Gefängnisleiter die Möglichkeit, die Überweisung von Gefangenen an die Polizei zur Unterbringung in einem Jugendkonzentrationslager anzuregen. Im Deutschen Reich existierten zwei „Jugendschutzlager“, eines für weibliche Jugendliche (Uckermark) und eines für männliche Jugendliche (Moringen). Beide unterstanden der Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität und wurden bewacht und verwaltet durch die SS.
Ein weiteres den Strafvollzug wie den Jugendstrafvollzug im „Dritten Reich“ prägendes Kennzeichen ist seine Einbindung in den Dienst der Rassehygiene. Dies geschah zum einen durch die Mitwirkung an der Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“: Gefängnisvorstände und –ärzte waren aufgefordert, die Einleitung von Erbgesundheitsgerichtsverfahren zu beantragen, und zwar gegen solche Gefangene, die sie als erbkrank einstuften. Dies führte in den meisten Fällen zur Sterilisierung der jeweiligen Häftlinge. Zum anderen wurde der Ausbau des bereits in der Weimarer Republik eingeführten Kriminalbiologischen Dienstes vorangetrieben. Mit Hilfe der kriminalbiologischen Untersuchungen sollte nicht nur die Frage geklärt werden, ob ein Gefangener „erziehbar“ oder „unerziehbar“ sei, sondern sie sollten auch einen Beitrag zur „biologischen Inventaraufnahme“ des gesamten Volkes leisten. Mit ihrer Hilfe glaubte man, „kriminelle Stämme“ ausfindig machen zu können, die es dann „unschädlich“ zu machen galt.
Die Reform des Jugendstrafrechts wie auch des Jugendstrafvollzugs stand im Kontext einer von Beginn an repressiven Jugendkriminalpolitik, die u.a. durch eine im Vergleich zur Weimarer Republik härtere Rechtsprechung gekennzeichnet war. So wurden beispielsweise vermehrt langfristige Freiheitsstrafen gegen jugendliche Delinquenten verhängt. Für den Jugendstrafvollzug hatte diese Verurteilungspraxis zur Folge, dass der Anteil von Gefangenen mit langen Strafen anstieg. Zudem wurde die Klientel immer jünger: Die eigentlichen Jugendlichen, die vor 1933 eine kleine Minderheit in den Jugendgefängnissen gebildet hatten, wurden nach 1937 und spätestens im Krieg neben den Heranwachsenden (18- bis 21jährige) zur Hauptklientel des Jugendstrafvollzugs.
Alltag im Jugendstrafvollzug
Der Alltag im Jugendgefängnis war stark geprägt durch die Arbeit, die die Gefangenen zu verrichten hatten. Dies war umso mehr der Fall, nachdem Ende der 1930er Jahre auch in den Gefängnissen die Arbeitslosigkeit überwunden war und der Arbeitsbetrieb immer stärker in die Kriegs- und Rüstungswirtschaft eingebunden wurde. Die Leistungen der Gefangenenarbeit auf diesen Gebieten, so das Ergebnis der bisherigen Forschungen zum Arbeitsbetrieb im nationalsozialistischen Strafvollzug, wurden mit zunehmender Kriegsdauer mehr und mehr zur entscheidenden Legitimation, die dem Strafvollzug – insbesondere im Hinblick auf die konkurrierenden Polizei- und Konzentrationslager – seine Daseinsberechtigung sicherte. Die Arbeit war aber nicht nur von hoher alltagsgestaltender Relevanz, sondern nahm gerade in Bezug auf den Jugendstrafvollzug auch in konzeptioneller Hinsicht einen wichtigen Stellenwert ein, denn mit ihr wurden dezidiert erzieherische Absichten verfolgt. Gleiches gilt im übrigen auch für die Gestaltung der arbeitsfreien Zeit. Da Müßiggang von Praktikern und Jugendstrafvollzugsreformern als „aller Laster Anfang“ angesehen wurde, sollte der Gefangene sich auch nach der Arbeit nicht selbst überlassen bleiben. Vielmehr galt es, auch die arbeitsfreie Zeit erzieherisch sinnvoll zu gestalten. Als in dieser Hinsicht wichtige Elemente wurden der Unterricht, der Sport und die vormilitärische Ertüchtigung angesehen. Sie waren seit der Gründung der ersten Jugendgefängnisse feste Bestandteile des erzieherischen Repertoires des Jugendstrafvollzugs, auf die auch der NS-Staat nicht verzichten wollte. Allerdings wurden nach 1933 sowohl dem Unterricht als auch der körperlichen Ertüchtigung andere Zielvorgaben unterlegt, die sich in die nationalsozialistische Konzeption des Jugendstrafvollzugs einpassten. Im Unterricht etwa ging es immer weniger um Wissensvermittlung, statt dessen rückten „Gesinnungs- und Charakterbildung“ in den Vordergrund; im Sport waren zwar weiterhin Gesunderhaltung und Fitness wichtig, diese Aspekte wurden aber mehr und mehr durch Erziehung zu Gehorsam und Disziplin im Sinne von soldatischen Tugenden überlagert. Im Gegensatz zum Unterricht und zum Sport spielte die Seelsorge, die ebenfalls von jeher fester Bestandteil des Strafvollzugs war, nur in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle. Im Krieg wurde sie dann immer stärker zurückgedrängt, bis sie in der Jugendstrafvollzugsordnung von 1944 gänzlich aus dem Programm des Jugendstrafvollzugs gestrichen wurde.
Autorin: Dr. Petra Götte
Literatur
Dörner, Christine: Erziehung durch Strafe. Die Geschichte des Jugendstrafvollzugs 1871-1945. Weinheim/München 1991.
Götte, Petra: Jugendstrafvollzug im „Dritten Reich“. Diskutiert und realisiert, erlebt und erinnert. Bad Heilbrunn 2003.
Kebbedies, Frank: Außer Kontrolle. Jugendkriminalpolitik in der NS-Zeit und der frühen Nachkriegszeit. Essen 2000.
Wolff, Jörg: Jugendliche vor Gericht. Nationalsozialistische Jugendstrafrechtspolitik und Justizalltag. München 1992.