Der Film „Jakob der Lügner“ ist ein DEFA-Spielfilm aus dem Jahr 1974. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker. Regisseur des Films ist Frank Beyer. Er ist einer der bekanntesten Regisseure der DEFA und war für einige heute als Klassiker bezeichnete Filme verantwortlich wie z. B. „Nackt unter Wölfen“, „Spur der Steine“, „Geschlossene Gesellschaft“ sowie „Der Aufenthalt“. Er war bestrebt, immer wieder schwierige Stoffe zu verfilmen, ob kritisch gegenüber der DDR mit „Spur der Steine“ oder in der Darstellung der Zeit des Nationalsozialismus z. B. mit „Jakob der Lügner“.
Die Handlung spielt im besetzten Polen und erzählt die Geschichte von Jakob Heym (gespielt vom tschechischen Darsteller Vlastimil Brodský), einem jüdischen Mann, der in einem Ghetto lebt. Als er sich im Revier der Deutschen melden muss, erfährt er aus einer Radioübertragung, dass die Alliierten bereits nahe der Stadt Bezanika sind. Seinem Arbeitskollegen Mischa (dargestellt von Henry Hübchen) erzählt er die Nachricht, um ihn von einem Diebstahl abzuhalten und rettet ihn damit wahrscheinlich das Leben. Da ein Entkommen aus dem Revier der Deutschen unglaubhaft ist, erfindet er die Lüge vom versteckten Radio. Der Besitz eines Radios ist im Ghetto verboten. Die Nachricht, dass es im Ghetto ein verstecktes Radio gibt, verbreitet sich schnell unter allen Ghetto-Bewohnern. Von verschiedenen Seiten wird Jakob gedrängt, neue Informationen zum Vorrücken der Deutschen zu berichten. Auch seinen alten Freund Kowalski (gespielt von Erwin Geschonneck, mit dem Frank Beyer bereits im Film „Nackt unter Wölfen“ zusammenarbeitete) und die kleine Lina (Manuela Simon) – ein Waisenkind, um das sich Jakob kümmert – muss er im Laufe der Zeit mit immer neuen Informationen versorgen. Zugleich muss er immer wieder Gründe erfinden, warum er ihnen das Radio nicht zeigen kann.
Die vermeintlichen Nachrichten geben den Bewohnern Mut und Kraft. Die Selbstmordrate sinkt und die Bewohner machen Pläne für ihr Leben nach der vermeintlich bevorstehenden Befreiung des Ghettos. Diese Wirkung belastet Heym zunehmend, da er sich der Lüge bewusst ist und weiß, dass er den Menschen falsche Hoffnungen macht. Unter Lebensgefahr versucht er, an echte neue Informationen zu gelangen, z. B. durch einen Fetzen Zeitungspapier, den er aus einer Toilette der Deutschen stiehlt. Um die Lüge zu beenden, beschließt Jakob das Radio „sterben zu lassen“. Doch Kowalski setzt alle Hebel in Bewegung, das defekte Radio zu reparieren, so dass Jakob erneut Informationen erfinden muss. Gegenüber Lina spielt Jakob das Radio vor und versucht eine kindliche Märchenwelt – trotz der Leiden und Probleme im Ghetto – aufrecht zu erhalten. Als Lina schließlich hinter das Geheimnis kommt, spielt sie die Geschichte des Radios einfach weiter mit. Als Jakob gegenüber Kowalski die Lüge beichtet, begeht dieser Selbstmord. Der Film endet mit der Räumung des Ghettos und der Deportation der Bewohner.
Der Film zeigt, wie eine einzige Lüge die Menschen verbinden und ihnen Mut geben kann, aber auch die Konsequenzen, die sie mit sich bringt. Es ist eine Geschichte über Überleben und Hoffnung, aber auch über die Macht der Wahrheit und die Verantwortung, die man hat, wenn man eine Lüge erzählt. Damit ist der Film auch heute noch – auch dank seiner zeitlosen Inszenierung, ohne politische Färbung durch seine Entstehung in der DDR – absolut sehenswert.
Doch nicht nur der Film an sich, auch die Hintergründe zur Entstehung des Films sind interessant mit historischer Dimension. Die Handlung des Films lehnt sich stark an das gleichnamige Buch von Jurek Becker an. Dies ist wenig überraschend, denn das Buch war ursprünglich als Drehbuch für den Film 1966 entstanden. Die Umsetzung des Films scheiterte jedoch nach dem Verbot des Films „Spur der Steine“ und der Strafversetzung von Regisseur Frank Beyer. Daher erscheint das Drehbuch 1969 zunächst als Roman und konnte dann erst 1974 Vorlage für den Film sein.
Eine weitere Besonderheit des Films ist, dass er in den 1970er Jahren der erste Film der DEFA ist, der sich explizit mit der Vernichtung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzt. Vorherrschend war in der DDR bis dahin die Darstellung der Konzentrationslager aus der Perspektive des kommunistischen Widerstands. Neben dem Gründungs-Mythos der DDR aus dem kommunistischen Widerstand heraus war die außenpolitische Orientierung der DDR ein Grund für die zurückhaltende Darstellung. Die DDR hatte sich im Nahost-Konflikt, wie viele kommunistische Länder, auf die Seite der arabischen Völker gestellt und den Freiheitskampf der PLO unterstützt.
Auch mit dem Blick über die DDR hinaus ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust seiner Zeit voraus. So ist die viel beachtete Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“, die weltweit auf große Resonanz stieß, erst im Jahr 1978 produziert worden. Die mitreißende Geschichte um Themen wie Überleben, Mut und Hoffnung in einem jüdischen Ghetto, die herausragenden Schauspieler und die künstlerische Freiheit lassen einen Film entstehen, der als einziger Film der DEFA in der Kategorie bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert war.