Horst Wessel war SA-Führer im Berlin der Weimarer Republik. Als er im Frühjahr 1930 von einem kommunistischen Rollkommando getötet wurde, machte ihn die NS-Propaganda zu einer politischen Symbolfigur: Für die Hitler-Bewegung wurde er zum Vorbild eines mutigen und opferbereiten Nationalsozialisten.
Im Dritten Reich wurde ein regelrechter Totenkult um die Person Horst Wessels veranstaltet. Jährliche Gedenkfeiern erinnerten an seinen Tod, die Benennung öffentlicher Plätze und Schulen sollte sein Vorbild gegenwärtig halten. Besondere Bedeutung hatte dabei ein von Wessel getextetes SA-Lied, das später so genannte „Horst-Wessel-Lied“, das im Dritten Reich zu einer Art zweiter Nationalhymne wurde.
Wessels Jugend und SA-Zeit
Horst Wessel wurde am 9. Oktober 1907 in Bielefeld geboren. Er wuchs in einer kleinbürgerlichen, politisch konservativ orientierten Familie auf. Sein Vater, ein evangelischer Pastor, lehnte die Weimarer Demokratie ab. Er betätigte sich publizistisch gegen den Friedensvertrag von Versailles. Nach dem Umzug der Familie nach Berlin besuchte Horst Wessel das Gymnasium, seit April 1926 studierte er Jura.
Schon früh schloss er sich republikfeindlichen Gruppen wie dem Bismarck-Orden und dem Wiking-Bund an. 1926 trat Horst Wessel der SA bei und wurde Mitglied der NSDAP. Vor allem waren es die politische Radikalität und der Wille zur Macht, die ihm an den Nationalsozialisten gefielen. Im gleichen Jahr wurde auch der spätere Propagandaminister Joseph Goebbels Gauleiter von Berlin. NSDAP und SA waren zu diesem Zeitpunkt in Berlin politisch bedeutungslose Splittergruppen, die Mitglieder vielfach untereinander zerstritten. Wessels Tätigkeit konzentrierte sich daher vor allem auf den Aufbau funktionsfähiger SA-Einheiten.
1928 brach Wessel sein Jura-Studium ab und widmete sich ganz der SA-Arbeit. Dank organisatorischen Geschickes, rhetorischen Talentes und offener Gewaltbereitschaft machte er sich in der NS-Bewegung bald einen Namen. Wessel sah seine Aufgabe vor allem darin, die Jugend für die NS-Bewegung zu gewinnen und die Kampfbereitschaft der eigenen Anhänger zu stärken. In einem Brief an die Hitler-Jugend schrieb er: „Wir sind Hitlers braune Haufen, und mit an erster Stelle wollen wir unser Hakenkreuzbanner zum Sturme tragen. Kämpfer wollen wir sein, Soldaten unserer Idee, Soldaten in stiller und eiserner Pflichterfüllung kämpfen.“
Seit dem 1. Mai 1929 war Horst Wessel „Truppführer“ und organisierte die SA-Arbeit im Stadtteil Friedrichshain, einem Bezirk, in dem besonders hohe soziale Not herrschte. Die politisch dominierende Kraft waren hier die Kommunisten. Mit Aufmärschen in den Arbeitergebieten und dem Stören von Versammlungen der Linken provozierte Wessel mit seinem SA-Trupp die Kommunisten ganz gezielt.
Der Tod von Horst Wessel
Obwohl Wessel bei den Kommunisten in Berlin bekannt und verhasst war, ist sein Tod dennoch nicht von langer Hand geplant worden. Anlass war vielmehr ein Mietstreit zwischen Wessel und seiner Vermieterin, die sich in einem Sturmlokal der KPD in der Nachbarschaft über Wessel beschwerte. Außerdem verbreitete sie das Gerücht, Wessel habe Namenslisten von Rotfrontkämpfern und bewahre Waffen in der Wohnung auf. In einer spontanen Aktion zogen daraufhin einige der Versammelten zu Horst Wessels Wohnung. An ihrer Spitze auch der mehrfach vorbestrafte und mit einer Pistole bewaffnete Albrecht Höhler. Von ihm wurde Wessel unmittelbar nach dem Öffnen der Wohnungstür in den Kopf geschossen. Der Überfall fand am 14. Januar 1930 statt, Wessel wurde mit schwersten Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert und starb dort am 23. Februar 1930.
Die Täter konnten zunächst flüchten, wurden aber schon bald gefasst. Das Gericht wertete die Tat allerdings nicht als Mord, sondern als „gemeinschaftlichen Totschlag“ und verhängte gegen die Beteiligten deswegen und wegen unbefugten Waffenbesitzes Zuchthausstrafen, die teilweise auf Bewährung ausgesetzt wurden. Albrecht Höhler erhielt mit sechs Jahren und einem Monat Zuchthaus die höchste Strafe.
Wessel als Märtyrer der NS-Bewegung
Für die NS-Propaganda wurde Wessel sofort nach seinem Tod zum Märtyrer, zum „Blutzeugen der Bewegung“, wie es im NS-Jargon hieß. Sie stilisierte ihn zum selbstlosen Kämpfer der SA, der sich für die Idee des Nationalsozialismus geopfert habe. Der spätere Propagandaminister Joseph Goebbels notierte unmittelbar nach dem Tod Wessels in sein Tagebuch: „Soeben kommt die Nachricht: Horst Wessel ist heute früh gestorben. Ein neuer Märtyrer für das Dritte Reich.“
Bereits das Begräbnis Wessels am 1. März 1930 in Berlin wurde zu einer NS-Veranstaltung instrumentalisiert: Der Sarg Wessels war mit einer Hakenkreuzflagge geschmückt, die SA stand Spalier und Prominente NS-Vertreter wie Goebbels und SA-Führer von Pfeffer hielten Ansprachen.
Horst Wessel war für die NSDAP eine doppelte Symbolfigur: Gegenüber der Öffentlichkeit konnten sich die Nationalsozialisten mit dem Tod Wessels als eine vom politischen Gegner unschuldig verfolgte Partei inszenieren. Vor allem aber diente Wessel innerhalb der NS-Bewegung als Vorbild bedingungslosen Einsatzes für den Nationalsozialismus. NS-Führer beschworen vor ihren Anhängern immer wieder den „Geist“ Horst Wessels, der in der Bewegung und der Partei weiterlebe. Hitler selbst förderte den Wessel-Mythos nach Kräften. Anlässlich der Grabsteinweihe in Berlin am 22. Januar 1933: „Kameraden, es gilt an diesem Grabe nicht zu jammern und zu klagen, hebt die Fahnen hoch! Horst Wessel, der unter diesem Stein liegt, ist nicht tot! Mitten unter uns blieb sein Geist! Täglich und stündlich marschiert dieser Geist, der Glaube, Treue und Überzeugung gewesen ist, in unseren Reihen.“
Im Dritten Reich wurde das Gedenken an Horst Wessel in der Propaganda präsent gehalten: Es wurden Gedenksteine errichtet, Straßen und Plätze nach ihm benannt. Zahlreiche verherrlichende biographische Schriften und Berichte erschienen über ihn. Vor allem Schüler und Jugendliche sollten Wessel als Vorbild für ihr eigenes Handeln anerkennen. Deswegen wurden gerade Schulen häufig nach Horst Wessel benannt.
An den Jahrestagen seines Todes wurden im Dritten Reich regelmäßig Gedenkfeiern veranstaltet und Radiobeiträge gesendet. Sogar ein abendfüllender Spielfilm, der Wessels Leben idealisierte – „Hans Westmar – einer von vielen“ – kam bereits Ende 1933 in die Kinos. Seinen Söhnen nach der Geburt den Vornamen „Horst“ zu geben, galt im Dritten Reich als Bekenntnis zum Staat.
Das Horst-Wessel-Lied
Besondere Bedeutung erlangte aber das sogenannte „Horst-Wessel-Lied“: Von Horst Wessel selbst getextet und mit einer eingängigen Melodie versehen, wurde es bald zum quasi offiziellen Kampflied der SA in ganz Deutschland. Mit seinem Refrain „Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen“ gelangte es bald in den Status einer Art Staatshymne, die neben der offiziellen Nationalhymne bei öffentlichen Anlässen und Parteiveranstaltungen abgesungen wurde. Auch Postkarten sorgten für eine weite Verbreitung von Melodie und Text.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Literatur
Baird, J.W.: To Die for Germany. Heroes in the Nazi Pantheon, Bloomington 1990.
Behrenbeck, S.: Der Kult um die toten Helden, Vierow 1996.
Lazar, I.: Der Fall Horst Wessel, Stuttgart und Zürich 1980.
Oertel, Th.: Horst Wessel. Untersuchung einer Legende, Köln 1987.