Eschebach, Insa (Hg.): Homophobie und Devianz – weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus. Berlin 2012.
Im „Dritten Reich“ wurden verschiedene ethnische Minderheiten verfolgt, das ist allgemein bekannt. Doch inwieweit betraf dies homosexuelle Männer und auch Frauen? Wie ging das NS-Regime mit Homosexualität um? Neben diesen Fragen setzt sich der Sammelband „Homophobie und Devianz – Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus“, herausgegeben von Insa Eschebach, mit der Erinnerungsgeschichte seit 1945 und den Kontroversen um die Praxis des Gedenkens, bezogen auf die verfolgten homosexuellen Männer und Frauen, auseinander.
Ausführlich wird beschrieben, wie es dazu kam, dass die Nationalsozialisten homosexuelle Männer und Frauen verfolgten und ermordeten. In drei Themenblöcken erläutern die Autorinnen und Autoren das Schicksal der Homosexuellen im Dritten Reich. Dabei diskutieren sie vor allem, inwieweit von einer Verfolgung von homosexuellen Frauen durch die Nationalsozialisten gesprochen werden kann, da nach dem § 175 lediglich homosexuelle Handlungen zwischen Männern verboten waren und somit eine Straftat darstellten. In diesem Zusammenhang steht im dritten Abschnitt auch die Debatte um das Berliner Homosexuellen-Denkmal.
Im ersten Beitrag führt die Historikerin Susanne zur Nieden zunächst in den historischen Kontext ein und definiert die Begriffe „Homosexualität“ und „Homophobie“. Des Weiteren erläutert sie die Umstände, die dazu führten, dass homosexuelle Männer von den Nationalsozialisten als Staatsfeinde gesehen und als solche schließlich verfolgt, gequält, und in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden.
Die Historikerin Claudia Schoppmann hingegen beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit gleichgeschlechtliche Liebe bei Frauen geahndet wurde. Schoppmann beschreibt verschiedene Schicksale homosexueller Frauen zu Zeiten des NS-Regimes und erläutert anhand derer den Umgang der Nationalsozialisten mit homosexuellen Frauen. Des Weiteren schildert sie die Rechtslage im Nationalsozialismus in Bezug auf sogenanntes „unzüchtiges Verhalten“. Weibliche Homosexualität konnte sich beispielsweise bei einer vorliegenden Straftat strafverschärfend auswirken. Anschließend befasst sich Jens Dobler mit der damaligen Rechtslage und erläutert, welche Handlungen, bezogen auf die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen, auf Grund dieser Rechtslage geahndet werden konnten. So schildert Dobler die Geschichte zweier Frauen die eine offene, lesbische Beziehung führten und dann später wegen „schwerer Kuppelei“ zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt wurden. Da homosexuelle Handlungen zwischen Frauen nach dem § 175 nicht geahndet werden konnten, versuchte die SS durch andere, strafbare Handlungen wie beispielsweise „Kuppelei“ oder „lesbische Unzucht“ den lesbischen Frauen das Leben schwer zu machen.
Im zweiten Abschnitt fokussieren die Beiträgerinnen und Beiträger die Homophobie und Homosexualität in den Lagern. Zunächst setzt sich Insa Eschebach mit Homophobie, Devianz und der weiblichen homosexuellen Orientierung im Konzentrationslager Ravensbrück kritisch auseinander. Dabei schildert sie, wie die weibliche Homosexualität in den Erinnerungsberichten von Überlebenden von Ravensbrück dargestellt wird. So berichten ehemalige Gefangene, dass es durchaus üblich war, andere Gefangene aus feindlichen Gruppen als „lesbisch“ zu denunzieren, um sich selbst aufzuwerten. „Lesbisch sein“ wurde mit „Asozial-, Unrein- und Abartig-Sein“ assoziiert.
Während Eschebach die Situation weiblicher homosexueller KZ-Häftlinge beleuchtet, befasst sich Alexander Zinn mit der Situation der „Männer mit dem rosa Winkel“. Dies waren homosexuelle Männer, die aufgrund ihrer „sexuellen Abweichung“ in Konzentrationslager deportiert wurden und den rosa Winkel als Erkennungszeichen tragen mussten. Da die SS in den homosexuellen Häftlingen eine Staatsgefahr sah, ging sie besonders brutal gegen sie vor. Aber nicht nur die SS, sondern auch die Mithäftlinge misshandelten und denunzierten die homosexuellen Häftlinge. Ihre Überlebenschancen waren sehr gering, da sie im Gegensatz zu anderen Häftlingsgruppen kaum Chancen hatten, untereinander solidarische Strukturen zu bilden, die ihnen einen gewissen Schutz hätten gewähren können.
Zum Abschluss des zweiten Themenblocks portraitiert Claudia Schoppmann vier lesbische Frauen, die aus verschiedenen Gründen in Konzentrationslager deportiert wurden. So schildert Schoppmann das Schicksal der Frankfurterin Henny Schermann, die im elterlichen Schuhgeschäft und später als Verkäuferin arbeitete. 1940 wurde sie verhaftet und in das KZ Ravensbrück verschleppt. Laut Anklage hatte sie gegen die Namensänderungsverordnung verstoßen, die vorsah, dass alle jüdischen Frauen zusätzlich zu ihrem Vornamen den Vornamen „Sara“ zu tragen hatten. Der NS-Arzt und Psychiater Dr. Friedrich Mennecke beschrieb Henny Schermann anhand ihrer Akten als „triebhafte Lesbierin“, die nur in „solchen Lokalen“ verkehrte (S. 109 ff). Die als staatenlos geltende Jüdin vermied den Namen „Sara“. Bezüglich ihres Todes gibt es unterschiedliche Angaben. Glaubt man der Lagerleitung, verstarb Henny Schermann am 30. Mai 1942 im Lager Ravensbrück. Es wird allerdings heute davon ausgegangen, dass sie zwischen Februar und April 1942 in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Bernburg vergast wurde. In der Frankfurter Meisengasse erinnern heute vier Stolpersteine an die Familie Schermann.
Der dritte und letzte Abschnitt des Sammelbandes thematisiert die Erinnerungsgeschichte sowie die Praxis des Gedenkens. Im ersten Beitrag befasst sich Klaus Müller mit dem heutigen gesellschaftlichen Diskurs über die NS-Homosexuellenverfolgung und bezieht sich dabei insbesondere auf die Auseinandersetzung mit der Verfolgung männlicher Homosexualität. Er erläutert u. a. den Mythos um den „schwulen Nazi“ und skizziert die homosexuelle Gedenkkultur seit den 1970er Jahren.
Im darauffolgenden Beitrag setzt sich Thomas Rahe mit dem Gedenken an die homosexuellen Verfolgten an Orten ehemaliger Konzentrationslager in Deutschland auseinander. Er beleuchtet dabei die Schwierigkeiten, die häufig auftreten, wenn es um Gedenkstätten, Gedenksteine oder Ausstellungen für die vom NS-Regime verfolgten Homosexuellen geht.
Insa Eschebach erläutert anschließend die unterschiedlichen Geschlechterbilder, die im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück unter den weiblichen KZ-Häftlingen vorherrschten. Des Weiteren setzt sie sich kritisch mit der Darstellung der Frauen von Ravensbrück als friedliebende, entsexualisierte Frauen und Mütter auseinander, die in der Nachkriegszeit zu einer zentralen Figur des Ravensbrücker Gedächtnisses wurden. Prostitution, „Asozialität“, Homosexualität und Kriminalität wurde in den Gedenkstätten lange Zeit nicht thematisiert.
Im letzten Beitrag diskutieren Stefanie Endlich und Corinna Tomberger über das Berliner Homosexuellen-Denkmal. Die ist ein Kubus aus Beton auf einer Lichtung im Berliner Tiergarten. Durch ein kleines Glasfenster blickt man in das unbetretbare Innere des Kubus und erkennt eine Video-Projektion zweier junger, sich innig küssender Männer. Stefanie Endlich beschreibt zunächst die Funktion und die Ästhetik des Denkmals und kontrastiert es mit einigen anderen Homosexuellen-Denkmälern aus dem In- und Ausland. Anschließend erläutert sie die Vorgeschichte des Denkmals und den vorangegangenen Künstlerwettbewerb, der das ausgewählte Denkmal hervorbrachte, und geht anschließend auf die Debatte um das Denkmal ein. Corinna Tomberger greift diese Debatte um das Denkmal kritisch auf. Innerhalb derer wird diskutiert, inwieweit das Denkmal sowohl eines für homosexuelle verfolgte Männer als auch Frauen ist, da es ein küssendes, schwules Paar zeigt und somit nur die männlichen Homosexuellen repräsentiert. Anschließend beschreibt Tomberger die geschichtliche Entwicklung der Schwuleninitiative, die den Anstoß für das Homosexuellen-Denkmal gab.
Im dritten Abschnitt wird diskutiert, inwieweit das Berliner Homosexuellen-Denkmal für lesbische Frauen und schwule Männer gleichermaßen steht und inwieweit lesbische Frauen im Dritten Reich verfolgt wurden. Durch die kontroverse Diskussion über das Denkmal wird ein Bogen gespannt, von der Zeit der NS-Opfer in die heutige Zeit, in der homosexuelle Männer und Frauen nach wie vor mit Feindseligkeiten und Ausgrenzung konfrontiert werden.
Die Beiträge des Sammelbandes beschreiben eindringlich und ausführlich die Situation der verfolgten homosexuellen Frauen und Männer. Es wird deutlich, dass homosexuelle Frauen im Dritten Reich zwar verfolgt wurden, aber nicht im selben Ausmaß wie homosexuelle Männer. Die Forschung über die Verfolgung lesbischer Frauen im Nationalsozialismus befindet sich noch in ihren Anfängen.
Der Sammelband eignet sich nicht nur, um über die Verbrechen der Nazis vor rund 70 Jahren „aufzuklären“, sondern auch, um zu zeigen, dass es heute noch immer Personengruppen gibt, die gesellschaftlich benachteiligt und ausgegrenzt werden. Insgesamt ist der Sammelband ein vielfältiges und informelles Nachschlagewerk, das sich für all diejenigen eignet, die sich näher mit dem Thema der Homosexuellenverfolgung im Nationalsozialismus beschäftigen wollen.
Autorin: Annabelle Tscherny
Eschebach, Insa (Hg.): Homophobie und Devianz – weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus. Berlin: Metropol 2012.