
Der Münchner Odeonsplatz nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923.
Das Deutsche Reich war nach Ende des Ersten Weltkriegs tiefgreifenden Veränderungen unterworfen. Nahezu zeitgleich hatten bei Kriegsende Philipp Scheidemann (1865 – 1939) und Karl Liebknecht (1871 – 1919) die Republik ausgerufen. Das Deutsche Kaiserreich, bis zu diesem Tag eine militaristische Monarchie, war plötzlich eine Demokratie. Der Friedensvertrag von Versailles nötigte die junge Republik jedoch zur Entmilitarisierung und heftigen Reparationszahlungen. Frankreich hatte alles daran gesetzt, das Deutsche Reich militärisch und wirtschaftlich zu einem Agrarstaat zu schrumpfen. Die einstigen Soldaten standen ohne Arbeit und ohne Status, denn im Kaiserreich hing der gesellschaftliche Status vom militärischen Rang ab, auf der Straße. Gleichzeitig entstanden viele, wirklich sehr viele Parteien aller denkbaren Strömungen von ganz rechts bis ganz links. Diesen Parteien schlossen sich nun die Soldaten in Form von Parteimilizen an, die dann ihre politischen Differenzen auf offener Straße austrugen. Ein Volk, das in weiten Teilen gedanklich noch in der Monarchie verhaftet war, das nichts kannte außer militärischen Hierarchien, einer daraus resultierenden Befehlskette, Ordnung und Gehorsam sollte sich plötzlich selbst regieren. Doch eine Demokratie, die ein Teil des Volkes ablehnt, kann sich auf völlig demokratischem Wege selbst zerstören.
Ein junger Landschaftsmaler und Gefreiter aus Braunau am Inn war aber ungeduldig und wollte nicht auf den – durchaus noch kommenden – Tag seiner Machtergreifung warten. Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem faktischen Ende des Ersten Weltkriegs, am 9. November 1923, machte sich Adolf Hitler (1889 – 1945) auf, um das Deutsche Reich an sich zu reißen. Unterstützung erhielt er dabei von einem der beiden Männer, die 1918 als Oberste Heeresleitung die Kapitulation besiegelt hatten: General Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (1865 – 1937). Der andere Mann an der Spitze des Heeres war 1918 übrigens der spätere Reichspräsident Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (1847 – 1934) gewesen. Hatte Ludendorff je Verantwortung für den Krieg oder die Kapitulation übernommen? Nein, er war Mitschöpfer der Dolchstoßlegende, die der SPD-geführten ersten Regierung von Weimar, die den Friedensvertrag widerwillig hatte unterzeichnen müssen, die Schuld an allem gab. Die Dolchstoßlegende ist übrigens auch der Ursprung der Parole: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten.“
Das war also die Situation in der Weimarer Republik im Herbst 1923: Die Wirtschaft lag am Boden – die Hyperinflation trieb das Land immer weiter in den Ruin. Die Folge war, dass die extremeren politischen Kräfte an Zulauf gewannen. In Sachsen und Thüringen bildeten sich „proletarische“ Regierungen. Diese Bestrebungen nach einem sozialistischen Staat bezeichnet man auch als „Deutschen Oktober“ – in Anlehnung an den Zeitpunkt und die 1917 erfolgte Oktoberrevolution in Russland. Und es war auch diese Art von Staatssozialismus und keine marxistische Utopie, die diesen linksextremistischen Kräften vorschwebte. Die rechten und konservativen Kräfte trauerten derweil weiter dem Kaiser hinterher und gewannen gerade in Bayern immer mehr an Einfluss. Dem gegenüber stand die demokratisch legitimierte Regierung von Reichskanzler Gustav Stresemann (1878 – 1929), die sich aus Stresemanns rechtsliberaler Deutschen Volkspartei (DVP), dem katholisch-konservativen Zentrum (Vorläufer der CDU), der SPD und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zusammensetzte. Hier waren also wirklich alle nennenswerten demokratischen Kräfte ebenfalls vereint. Man darf dabei nicht vergessen, dass es in Weimar keine Sperrklausel mit Fünf-Prozent-Hürde gab, weshalb viele Parteien im Parlament vertreten waren, und dass es weit mehr Strömungen gab. Im heutigen Bundestag ist weder eine extreme Linke jenseits der Partei Die Linke noch eine gemäßigte Rechte zwischen FDP und AfD vertreten. Kurzum: Die Linken in Weimar waren teilweise wirklich extremistisch und die Rechten nicht zwangsläufig rassistische Antidemokraten, wobei es die in Form der NSDAP natürlich gab.
Die NSDAP war aus der in München gegründeten Deutschen Arbeiterpartei (DAP) von Anton Drexler (1884 – 1942) hervorgegangen und war deshalb immer noch schwerpunktmäßig in München zu verorten. Hitler war von den Vertretern anderer rechter demokratiefeindlicher Gruppen zum politischen Führer des „Deutschen Kampfbundes“ gewählt worden, der die Republik gewaltsam stürzen sollte. Hitler musste jedoch erkennen, dass nicht einmal andere nationalistische Parteien, die sich eine Diktatur mit einem starken Führer an der Spitze wünschten, bereit waren, mit ihm zusammenzuarbeiten. Die anderen Rechten unter Führung des Triumvirats Gustav Ritter von Kahr (1862 – 1934), Hans Ritter von Seißer (1874 – 1973) und Otto Hermann von Lossow (1868 – 1938) schlossen Hitler und seine Sturmabteilung (SA), die Parteimiliz der NSDAP unter Führung von Ernst Röhm (1887 – 1934) am Abend des 30. Oktobers bei einer Versammlung im Zirkus Krone demonstrativ von ihren Umsturzplänen aus.
Am Abend des 8. Novembers dann wollte von Kahr im Bürgerbräukeller (Geburtsstätte der DAP) eine Rede halten, mit der um 20 Uhr auch begann. Ludendorff war bereits anwesend und gab Hitler ein Signal, der etwa um 20.30 Uhr den Saal mit Hermann Göring (1893 – 1946) und SA stürmte, auf einen Stuhl kletterte, mit seiner Pistole in die Luft feuerte und die „nationale Revolution“ ausrief, wobei er Landes- und Reichsregierung für abgesetzt erklärte. Während Göring eine Rede hielt, nötigte Hitler im Nebenraum das Triumvirat mit Erpressung zu seiner Unterstützung. Nach dem Vorbild des italienischen Faschisten Benito Mussolini (1883 – 1945), der einen „Marsch auf Rom“ angeführt hatte, wollte Hitler nun seinen „Marsch auf Berlin“. Damit ihm die bayerische Regierung dabei nicht in die Quere kam, ließ er sie von einem von Rudolf Heß (1894 – 1987) geführten SA-Trupp im Haus eines Loyalisten festsetzen.
Weit kam der von Hitler und Ludendorff angeführte schwerbewaffnete Trupp auf dem Weg nach Berlin jedoch nicht. Der Hitler-Ludendorff-Putsch endete nach einigen Hundert Metern am Mittag des 9. Novembers 1923 an der Feldherrenhalle. Dort hielt die Polizei die Putschisten nämlich auf. Die eröffneten das Feuer und töteten vier Polizeibeamte. Hitler, der eingehakt zwischen Göring und Max Erwin von Scheubner-Richter (1884 – 1923) ging, wurde zu Boden gerissen, als die Polizei das Feuer erwiderte und Scheubner-Richter dabei tödlich verwundete. Hitler floh in das Haus seines Unterstützers und späteren Verlegers Ernst Hanfstaengl (1887 – 1975), wo er am 11. November verhaftet wurde. Die nationalsozialistische Propaganda verlor keine Zeit damit, dem Triumvirat die Schuld am Scheitern des Putsches zu geben.
In Folge des Putsches wurde die NSDAP vorübergehend verboten. Hitler, Ludendorff, Röhm, Heß und sechs weitere Angeklagte kamen vor Gericht. Göring entzog sich mit einer Flucht ins Ausland. Hitler riss den Gerichtssaal an sich und stilisierte selbst eine Anklage gegen den Staat. Im Ergebnis wurde er wegen Hochverrats zu der überaus milden Strafe von fünf Jahren in der Festung Landsberg am Lech verurteilt, aus der er wegen guter Führung nach neun Monaten entlassen wurde. Neun Monate, in denen er seinem Sekretär Heß „Mein Kampf“ diktierte.
Literatur
Ernst Deuerlein: Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8./9. November 1923. Eingeleitet u. hrsg. von Ernst Deuerlein. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Band 9. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1962.
John Dornberg: Der Hitlerputsch – 9. November 1923. 2. Auflage. Langen Müller, München 1998.
Harold J. Gordon Jr.: Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923–1924. Bernard & Graefe, München 1978.
Otto Gritschneder: Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf Hitler. Der Hitler-Putsch und die bayerische Justiz. C. H. Beck, München 1990, ISBN 3-406-34511-5.
Hans Mommsen: Adolf Hitler und der 9. November 1923. In: Johannes Willms (Hrsg.): Der 9. November. Fünf Essays zur deutschen Geschichte. 2. Auflage. C. H. Beck, München 1995, S. 33–48.
Ernst Nolte: Die Weimarer Republik. Demokratie zwischen Lenin und Hitler. Herbig, München 200.
Reinhard Sturm für die Bundeszentrale für politische Bildung, 23. November 2011: Kampf um die Republik 1919–1923, (Abschnitt Hitlerputsch).