Historienfilme polarisieren: Während die filmischen Inszenierungen von Geschichte, gerade auch zeithistorischer Themen, im Fernsehen Quotenerfolge erzielen, klagen Fachhistoriker oftmals über ungenaue und oder gar falsche Darstellungen. Viele Historienfilme würden, so heißt es, nicht einmal ein simples »fact checking« bestehen. Und während in der Praxis beispielsweise des schulischen Geschichtsunterrichtes Historienfilme wie Das Leben der Anderen (D 2006), Sophie Scholl – die letzten Tage (D 2005) oder Der Untergang (D 2005) ganz selbstverständlich als illustrative Darstellungen der Zeitgeschichte genutzt werden, warnen Fachdidaktiker, dass Historienfilme die Zuschauer visuell und emotional überwältigen und dadurch eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Geschichte erschweren könnten. Die in diesen Werken vorhandene »Sinnbildung«, so der Historiker Jörn Rüsen, sei »von einer echten historischen Erinnerung weit entfernt.« (Rüsen 2008, S. 243)
Hinter diesen Vorbehalten gegen Historienfilme stehen grundsätzliche Fragen nach der richtigen Form der Geschichtsvermittlung: Ist es legitim, dass Geschichtsdarstellungen sich der Fiktionalität bedienen, dass sie, wie das Historienfilme unbestritten tun, durch Veränderungen, Auslassungen und spekulative Ergänzungen historische Wirklichkeiten rekonstruieren? Bedienen Historienfilme nicht bloß die Unterhaltungsbedürfnisse eines Massenpublikums? Befreien sie sich gar, wie der Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel unterstellt, »vom Zwang historischer Genauigkeit«? (Pandel 2013, S. 100)
Was sind eigentlich Historienfilme?
Zunächst also: Wovon ist überhaupt die Rede, wenn von Historienfilmen gesprochen wird? Wollte man pauschal jede filmische Produktion, die ihre Narration in der Vergangenheit ansiedelt, als Historienfilm bezeichnen, dann würden Fantasy-Produktionen ebenso unter diesen Begriff fallen wie eine Vielzahl von Märchen- und Ritterfilmen für Kinder, selbst Comicverfilmungen im Stile von »Asterix und Obelix« könnten dann als Historienfilme klassifiziert werden. Tatsächlich gibt es weder in der Filmwissenschaft noch in der Geschichtswissenschaft eine eindeutige Definition des Historienfilms. Aus dem Blickwinkel der Geschichtsvermittlung ist es aber zweckmäßig, den Begriff von vorneherein auf Filme zu beschränken, deren Narrationen sich auf historisch verbürgte Ereignisse beziehen und die möglichst genau den Stand der historischen Forschung berücksichtigen. Auf Basis der gesicherten historischen Fakten entwickeln die Historienfilme eine fiktionale Geschichte, in der Personen, Schauplätze, Dialoge und Handlungsverläufe eine Rolle spielen, die historisch nicht nachweisbar – aber doch nicht im Widerspruch zu den gesicherten Fakten stehen. Diese Fiktionen können zunächst einfach dazu dienen, Lücken in der historischen Überlieferung zu überbrücken, um überhaupt eine geschlossene Erzählung zu ermöglichen. Zum Zweiten können Fiktionen die Besonderheiten einer historischen Zeit verdeutlichen, die allein aus den historischen Fakten nicht transparent werden. So verweist etwa das nicht belegte Aufeinandertreffen Georg Elsers´ in Elser – er hätte die Welt verändert (D 2015) mit SA-Männern in einer Kneipe an seinem Heimatort Königsbronn auf die Atmosphäre der Gewalt und Einschüchterung in der NS-Diktatur selbst in der abgelegenen Provinz. Fiktionen können schließlich auch dazu dienen, die charakterlichen Eigenschaften einer historischen Persönlichkeit zu veranschaulichen. So werden in Sophie Scholl – die letzten Tage (D 2005) Gespräche mit einer Mitgefangenen gezeigt, über deren Inhalt tatsächlich nichts bekannt ist, um dadurch Sophie Scholls Motivation für den Widerstand nachvollziehbar zu machen. Fiktionen können schließlich dafür genutzt werden, schwer verständliche historische Zusammenhänge durch die Schilderung konkreter Ereignisse und individueller Schicksale beispielhaft zu verdeutlichen. So illustriert in Das Leben der Anderen (D 2006) die fiktionale Geschichte des Stasi-Hauptmanns Wiesler und des Theaterautors Dreymann, die es beide in der historischen Realität nie gegeben hatte, das komplexe System der Überwachung durch die DDR-Staatssicherheit.
Echte Historienfilme produzieren also keine »alternativen Fakten«, die die geschichtliche Wirklichkeit verfälschen, sondern sie bewegen sich – jedenfalls idealerweise – im Rahmen des historisch Möglichen. Sie haben also wenig mit den bis in die 1960er Jahre populären Kostümfilmen gemeinsam, die vorwiegend mittelalterliche und antike Schauplätze ohne Rücksicht auf die historischen Tatsachen als Kulisse für Liebesdramen und Abenteuergeschichten nutzten und ihr Publikum vor allem mit opulenter Inszenierung beeindrucken wollten.
Historienfilme als Geschichtsvermittler
Was also kann die »cinematic history« zur Geschichtsvermittlung beitragen? Kann sie einen eigenständigen Beitrag für die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins und für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte, und insbesondere der NS-Geschichte, leisten?
Dazu muss man sich zunächst einmal bewusst machen, was die besonderen Potenziale der filmischen Darstellung der Geschichte gegenüber den sprachlichen Geschichtspräsentationen sind. Während diese nämlich von ihren Lesern verlangen, die Texte selbstständig in Geschichtsbilder umzusetzen – was erhebliche Vorstellungskraft und Vorkenntnis der geschichtlichen Wirklichkeiten verlangt – sind Historienfilme, abgesehen von den in der Geschichtsvermittlung noch kaum eingesetzten Computerspielen, das einzige Medium, das im wörtlichen Sinne ein Bild vergangener Wirklichkeiten schaffen kann. Geschichte wird hier nicht über abstrakte Begriffe wie Verfassung, Macht, Gesetze usw. verhandelt, sondern für die Zuschauer zu einem Erlebnis- und Erfahrungsraum, der zu vielfältigen Erkundungen einlädt. Hier werden auch Dinge erfahrbar, die Texte vielleicht beschreiben, aber nicht sichtbar machen können, wie z.B. Mimik und Gestik der handelnden Personen, ihre Positionierung und Bewegung im Raum, die natürliche Umwelt und manches mehr. Dieses Zeigen einer kompletten historischen Lebenswelt kann man in Anlehnung an den französischen Philosophen Paul Ricœr als »Refiguration« beschreiben und sie der Rekonstruktion gegenüberstellen, wie sie in der Geschichtswissenschaft angestrebt wird (Schörken 1995, S. 11 ff).
Natürlich behaupten die Historienfilme damit nicht, die Geschichte zu zeigen, wie sie wirklich gewesen war, wohl aber, wie sie gewesen sein könnte. Und auch die Zuschauer wissen natürlich, dass es sich bei Spielfilmen nicht um die Darstellung der Vergangenheit selbst, sondern um eine mehr oder weniger kreative Gestaltung einer möglichen Vergangenheit handelt. Deutlich gesagt: Kein Kinobesucher wird je Peter Ustinov in seiner Rolle als Nero in Quo Vadis (USA 1951) mit dem historischen Kaiser Nero oder Jürgen Vogel als Oetzi in Der Mann aus dem Eis (D, I, Ö 2017) mit dem neolithischen Jäger verwechseln oder auch nur meinen, die historischen Vorbilder hätten genauso ausgesehen wie ihre filmischen Verkörperungen. Die Filmzuschauer sind lediglich bereit, für die Zeit der Filmbetrachtung die eigene Lebenswelt gewissermaßen auszuklammern und sich kognitiv und emotional auf das filmische Geschehen als Wirklichkeit einzulassen. Es ist ihnen aber sowohl vor wie nach der Filmbetrachtung jederzeit bewusst, dass sie ein mediales Produkt rezipiert haben.
Gerade weil jede historische Überlieferung lückenhaft ist und obendrein der zeitgenössischen Interpretation unterliegt, gibt es weder in der Geschichtswissenschaft noch in den Historienfilmen ein »wahres« oder »objektives« Geschichtsbild. Historienfilme stellen so immer auch Experimente dar, die im Rahmen des historisch Wahrscheinlichen geschichtliche Wirklichkeiten entwerfen. »Durch die Visualisierung des Unbekannten wird die erzählte Welt bestenfalls zu einer von vielen möglichen Welten, die plausibel, aber nicht belegbar sind«, so Thomas Fischer und Thomas Schuhbauer (Fischer / Schuhbauer 2016, S. 25). Anders formuliert: Historienfilme sind Modelle historischer Wirklichkeiten, die plausible Zusammenhänge zwischen Umwelt, Personen, Einstellungen und politischen Verhältnissen visuell aufzeigen, die in textlichen Darstellungen oft getrennt voneinander abgehandelt werden.
Mehr noch: Während in begrifflichen Darstellungen vor allem politische, ökonomische und kausale Zusammenhänge thematisiert werden, die die Geschichte nach allgemeinen Prinzipien strukturieren, eröffnen Historienfilme den Blick auf das Singuläre und Konkrete. Häufig rücken Historienfilme nicht die Haupt- und Staatsakteure des politischen Handelns ins Zentrum, sondern die – oft quellenmäßig vielfach schlecht zu fassenden – Angehörigen niederer sozialer Schichten und »einfachen« Menschen. Historienfilme präsentieren daher fast immer auch eine »Geschichte von unten«, die die Verbindung der politischen Entscheidungen der Mächtigen, der »großen« Geschichte, mit der alltäglichen Lebenswelt aufzeigt.
Das lässt sich noch immer beispielhaft an der amerikanischen Fernsehserie Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss (USA 1978) zeigen, die die Geschichte der Verfolgung der Juden bis zum Holocaust anhand einer fiktionalen Familiengeschichte nachvollzieht. Gerade weil hier – bei aller berechtigten Kritik an einzelnen historischen Ungenauigkeiten – politisches Handeln der NS-Machthaber mit dem Leben individueller Menschen verknüpft wird, macht die Filmserie die Unmenschlichkeit des NS-Systems deutlicher als es eine noch so detaillierte Auflistung der Fakten über den Holocaust je könnte. Der enorme Erfolg der Serie, die nicht nur hohe Zuschauerzahlen erzielte, sondern eine intensive Debatte über den Holocaust auslöste, lag denn auch nicht an den Fakten zum historischen Geschehen selbst – diese waren lange bekannt und vielfach publiziert – sondern genau an diesem spezifischen Lebensweltbezug: Holocaust gelang es, abstrakte Begriffe wie »Holocaust«, »Antisemitismus« oder Genozid an Einzelschicksalen zu konkretisieren.
Historienfilme bieten aber noch mehr als ein »Fenster zur Vergangenheit«, durch das sich eine – immerhin mögliche – Welt beobachten und analysieren lässt: Sie bieten den Rezipienten darüber hinaus Erlebnisräume in beiden Bestandteilen des Wortes: Sie können über die bloße Beobachtung hinaus das Geschehen nicht nur kognitiv nachvollziehen, sondern auch emotional miterleben.
Dieser Mitvollzug filmischer Narrationen ist in der Medienwissenschaft bereits seit den 60er Jahren gut erforscht und lässt sich in die Phänomene der Immersion und der parasozialen Interaktion differenzieren. Während »Immersion« die emotionale und kognitive Identifikation mit einem Filmcharakter meint, beschreibt »Parasozialität« ein Verhalten der Rezipienten zu den Filmfiguren, bei dem mit diesen wie mit realen Kommunikationspartnern interagiert wird. Im ersten Fall findet eine Art Verschmelzungsprozess mit der Filmfigur, sodass die Rezipienten Gefühle, Denkweisen und Vorstellungen einer Filmfigur wie jeweils eigene empfinden. Im zweiten Fall findet eine solche Verschmelzung nicht statt, die Filmfiguren werden aber quasi als Personen erlebt, mit denen in verschiedener Weise kommuniziert und interagiert werden kann. Die Rezipienten fühlen sich von den Figuren angesprochen und aufgefordert, eigene Positionen zu beziehen. Andererseits versuchen die Rezipienten, die Filmfiguren zu Handlungen aufzufordern oder doch wenigstens deren Handlungen und Aussagen zu bewerten (Cohen 2011; Horton/Wohl 1956). In den Historienfilmen werden die Zuschauer mit einer Vielzahl von Identifikations- und Distanzierungsangeboten konfrontiert, deren Repräsentanten sich durch unterschiedliche Handlungsmotivation, moralische und politische Einstellungen auszeichnen. Die Zuschauer werden dazu animiert, die Handlungsprinzipien und moralischen Einstellungen der Protagonisten einerseits mitzuerleben und nachzuvollziehen, andererseits aus heutiger Perspektive zu bewerten. Genau deswegen können Historienfilme mehr als Texte dazu motivieren, sich aktiv mit der Geschichte auseinanderzusetzen: Indem die Rezipienten sich emotional in die filmische Handlung involvieren lassen, reproduzieren sie für sich Ängste, Hoffnungen und Freude der Protagonisten. Sie reflektieren aber auch ethisch und moralisch über das Verhalten der Akteure und beziehen Stellung.
Dass Historienfilme Emotionen ansprechen und auslösen können, ist also kein Nachteil für eine reflektierte und bewusste Auseinandersetzung mit der Geschichte. Im Gegenteil: So hat etwa der Potsdamer Fachdidaktiker Florian Weber-Stein zurecht darauf hingewiesen, dass Emotionen »auf (…) allen Artikulationsstufen Bestandteile von Werturteilen« sind und dass es kein Werturteil gibt, »und sei es noch so rational, das nicht von einer emotionalen Stellungnahme begleitet ist.« Werturteilsbildung, so Weber-Stein weiter, bedeute nicht eine kognitive distanzierte Analyse von Werten, sondern dass die Urteilsbildung auf Ausbildung eines handlungsleitenden politischen Wissens zielt, was wiederum ohne Bezug auf Emotionen kaum möglich sei (Weber-Stein 2017).
Was ist ein guter Historienfilm?
Dass »echte« Historienfilme auf historischen Fakten beruhen und ihre Fiktionen möglichst zu diesen nicht im Widerspruch stehen sollten, wurde bereits festgestellt. Von einem guten Historienfilm, der das Geschichtsbewusstsein und eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fördert, wird aber noch mehr verlangt. Er muss nicht nur Themen aufgreifen, die für die Gegenwart wichtig sind und die Einzelnen zu einer moralischen und politischen Stellungnahme aufruft, sondern muss auch filmisch so inszeniert sein, dass er in gutem Sinne den Zuschauer anspricht und provoziert. Im Folgenden sollen drei Kriterien beschrieben werden, die gute Historienfilme erfüllen sollten.
1. Historienfilme müssen Alteritätserfahrungen ermöglichen.
Jede ernsthafte Beschäftigung mit der Geschichte beginnt mit dem Befremden über vergangene Lebenswelten – über die Erfahrung der Alterität. Erst wenn den Zuschauern das Verhalten, die moralischen Einstellungen, politischen Auffassungen und das Handeln der Menschen in einer geschichtlichen Wirklichkeit merkwürdig oder einfach nur andersartig vorkommen, setzt überhaupt ein Nachdenken über Geschichte ein. Historienfilme sollten also zunächst vor allem befremden. Sie können das einerseits durch die Art der filmischen Inszenierung, also etwa durch eigenwillige Kontraste und Perspektiven, ungewöhnliche Narrationsstrukturen oder durch eine vom Mainstream abweichende Lichtführung. Andererseits dadurch, dass sie die dargestellten Figuren in ihrer historischen Eingebundenheit als anders als die gegenwärtigen Zeitgenossen zeigen. Das beginnt mit Äußerlichkeiten wie Sprache, Kleidung, Frisuren, Gesten und Ausdrucksweisen und geht bis eben zu den anderen Einstellungen und Verhaltensweisen. Um solche Alteritätserfahrungen auszulösen, reicht es freilich nicht, eine Narration in einer historisch fremden Wirklichkeit anzusiedeln, also gewissermaßen bloß Räume und Akteure auszutauschen, im Übrigen die Figuren wie gegenwärtige Zeitgenossen sprechen und agieren zu lassen. Historienfilme bestätigen dann nur aktuelle Denk- und Handlungsweisen. Ein aufwändig inszeniertes Historiendrama wie Roland Emmerichs 10.000 B.C. (USA, SA 2008) etwa, das in der unserer Lebenswelt denkbar fremden Zeit der Eiszeitjäger angesiedelt ist und allein so Befremden gegenüber dieser Lebenswelt auslösen müsste, bietet gleichwohl kaum echte Alteritätserfahrungen. Letztlich wird hier nur eine aus Unterhaltungsfilmen geläufige Liebes- und Rivalitätsgeschichte gezeigt, in der die handelnden Figuren zwar mit allen äußerlichen Attributen von Steinzeitmenschen – Waffen, Geräten, Kleidung – ausgestattet sind, in ihren Motiven und ihrem Agieren aber exakt dem entsprechen, was man an Verhalten von Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts erwarten würde.
Im Gegensatz dazu zeigt beispielsweise die amerikanische Comicverfilmung 300 (USA 2006) einerseits eine erstaunlich solide Referierung einer Episode aus den Perserkriegen, wie sie von Herodot überliefert wurde, andererseits ist die Bildsprache mit einer betont unnatürlichen kontrastiven Farbgebung, die Linearität der Erzählung brechenden Zeitsprüngen und ungewohnten Perspektiven – untermalt durch eine moderne Musik – derart verstörend im Vergleich zum konventionellen Hollywoodkino, dass sich Befremdungseffekte beinahe selbstverständlich einstellen. Die Herstellung von Alteritätserfahrungen scheint freilich bei zeitgeschichtlichen Themen besonders schwierig, da uns die Menschen noch so nahe stehen, dass durchaus eher mit Ähnlichkeiten als mit Alteritäten zu rechnen ist. Aber auch hier sind Alteritätserfahrungen unverzichtbar, um Denkprozesse auszulösen. Und sie sind filmisch machbar. Ein Film wie Im Westen nichts Neues (USA 1931), der im Rückblick auf den Ersten Weltkrieg reflektiert, widerspricht allein durch seine Inszenierung – als schwarzweißer Film mit langen Einstellungen und vielen Dialogen – den Erwartungen an einen actionbetonten Kriegsfilm. Vor allem aber zeigen die Protagonisten mit ihren Kontroversen über Patriotismus, Vaterland und Pflicht Einstellungen, die den modernen Betrachtern geradezu zwangsläufig befremdlich erscheinen müssen.
2. Historienfilme müssen anschlussfähig an die gegenwärtige Lebenswelt sein.
Komplementär zur Forderung nach Alteritätserfahrungen ist die nach Anschlussfähigkeit der Historienfilme an die Lebenswelt: Ohne Alteritätserfahrung setzt kein historisches Fragen ein, aber ohne Anschluss an die Erfahrungen der Rezipienten bleibt die historische Wirklichkeit ohne persönliche Relevanz. Historienfilme müssen also Probleme thematisieren, die entweder die Lebenswelt der Zuschauer berühren oder allgemeinmenschliche Themen aufgreifen, die nachzuvollziehen sind. Das kann einerseits dadurch geleistet werden, dass Historienfilme erfahrungsweltliche soziale Kontexte – also etwa Schule, Familie, Peer-Group – ins Zentrum der Narration stellen und dadurch Vergleiche provozieren und Fragen nach Differenzen und Veränderungen initiieren. Andererseits auch dadurch, dass im historischen Kontext allgemein in jedem sozialen Kontext interessierende Fragen nach moralischem Verhalten des Einzelnen und nach Aufgaben des Individuums in der Gesellschaft aufgeworfen werden. Filme, die Menschen in existenziellen Situationen zeigen und vor moralische Alternative stellen, stoßen gerade auch bei Jugendlichen generell auf besonderes Interesse.
Ein Beispiel für einen Historienfilm, der ungeachtet aller berechtigter Kritik gleichermaßen Alteritätserfahrungen ermöglicht wie lebensweltliche Anschlussfähigkeit bietet, ist der von Dennis Gansel inszenierte Film NAPOLA – Elite für den Führer (D 2004). Entlang der Freundschaft zwischen zwei unterschiedlichen Jugendlichen, die in einer NS-Eliteschule aufgenommen werden und dort den Drill der NS-Erziehung durchleben, wird das System des Nationalsozialismus und seiner brutalen Erziehungsmethoden gezeigt. Alteritätserfahrung bietet der Film trotz seiner konventionellen Inszenierung unter anderem durch das für die heutige Lebenswelt ungewohnte militaristische System, durch die Uniformen und das autoritäre Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Anschlussfähig wiederum ist der Film, der häufig auch im Schulunterricht eingesetzt wird, insbesondere an die Lebenswelt von Schülern dadurch, dass er die Schüler im Umfeld der Schule zeigt und auch Konflikte innerhalb der Peer-Group und zwischen Jugendlichen und ihren Eltern erzählt.
3. Historienfilme müssen historische Urteilskompetenz fördern
Ein entwickeltes Geschichtsbewusstsein, wie es beispielsweise auch die Bildungspläne für das Fach Geschichte in vielen Bundesländern fordern, verlangt das Bewusstsein der historischen Bedingtheit der Gegenwart – also das Wissen und das Bewusstsein darum, dass die Lebenswelt der Gegenwart das Produkt einer langen historischen Entwicklung ist. Dazu gehört auch, wichtige Prozesse und einzelne Entscheidungen von historischen Akteuren, die Einfluss auf die Gegenwart gehabt haben, zu erkennen und zu bewerten. Historiker und Geschichtsdidaktiker sprechen von »historischer Urteilskompetenz«. Diese setzt also einerseits fundiertes historisches Wissen im Sinne einer historischen Sachkompetenz voraus und verlangt andererseits ein begründetes politisches und moralisches Bewusstsein.
Konkret bedeutet das: Historienfilme, die Schlüsselstellen in historischen Prozessen zeigen und dabei die Problematik der Entscheidungssituationen für die Protagonisten aufzeigen, sind besonders geeignet für die Förderung der historischen Urteilskompetenz. Der amerikanische Film Thirteen Days (USA 2000) beispielsweise referiert nicht nur chronologisch die Ereignisse der Kubakrise 1962 aus amerikanischer Sicht, sondern zeigt auch, welche schwierigen Entscheidungen zu treffen waren, welche Positionen geäußert wurden und letztlich, welche unabsehbaren Konsequenzen jede mögliche Entscheidung hätte haben können. Die Zuschauer werden durch diesen Film zwangsläufig zu eigenen Stellungnahmen herausgefordert und zur Frage, wie sich aufgrund dieser Ereignisse die Geschichte im weiteren Verlauf entwickelt hat und wie sie sich alternativ hätte entwickeln können. Zugleich wird dadurch nachvollziehbar, in welchen historischen Begrenzungen – der realen Machtverhältnisse aber auch der politischen Mentalitäten – sich die Akteure in einer bestimmten Zeit befinden.
Gerade auch dezidiert perspektivische oder gar propagandistische Historienfilme sind geeignet, historische Urteilskompetenz zu fördern, weil sie nicht nur die Frage nach der historischen Korrektheit stellen, sondern Fragen nach der Bedeutung und der Konstruktion der Geschichte aufwerfen. So zeigt der NS-Propagandafilm Kolberg (D 1945) die Belagerung der ostpreußischen Stadt und Festung Kolberg im Jahre 1806. Die insgesamt eher bedeutungslose Episode wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu einem von rechten Kräften beförderten Heldenmythos stilisiert. Im Dritten Reich wurde Kolberg als Durchhaltefilm konzipiert, der mit Verweis auf das historische Beispiel zeigen sollte, dass bei der Bereitschaft größter Opfer durch die Bevölkerung auch ein Sieg gegen einen übermächtigen Feind möglich sei. Historische Urteilskompetenz fordert ein solcher Film in vielfacher Weise heraus: Welche Bedeutung hatte das Ereignis im Kontext der Zeit? Wie wurde es in verschiedenen Epochen thematisiert und instrumentalisiert? Und welche Funktionen besitzt der Film für das Dritte Reich?
Fazit: Historienfilme als Geschichtsvermittler
Löst man die Diskussion um den Historienfilm von der Verengung auf die Fragen nach der historischen Korrektheit der Darstellungen, dann wird der Blick auf das Potenzial frei: Historienfilme können aufgrund ihrer Anschaulichkeit zunächst einen leichteren Zugang zur Beschäftigung mit Geschichte ermöglichen. Sie tragen damit auch zum historischen Wissen, zur Sachkompetenz bei, das von Fachhistorikern und Fachdidaktikern gleichermaßen gefordert wird. Dabei sprechen Filme gerade auch Menschen an, die sich ansonsten wenig für Geschichte interessieren und kaum historische Bücher und Zeitschriften lesen.
Vor allem aber können Historienfilme, wie es sich immer wieder gezeigt hat, Diskussionen über historische Ereignisse und ihre Folgen auslösen und dabei weite gesellschaftliche Kreise über die Fachhistoriker hinaus einbeziehen. Und: Sie stellen ethische Fragen an jeden einzelnen Zuschauer: Wie hätte ich in einer bestimmten Situation gehandelt? Wie hätte ich handeln sollen? Und vor allem: Was kann ich daraus für Folgerungen für das eigene Handeln in der Gegenwart ziehen?
Autor: Bernd Kleinhans
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