Stefanie Zweig: Heimkehr in die Rothschildallee, München 2008.
Den dritten Teil ihres Familienepos über die jüdische Familie Sternberg lässt Stefanie Zweig mit dem bittersten Kapitel der Shoah beginnen. Am 19. Oktober 1941 sind Betsy und Johann Isidor Steinberg mit einem Teil ihrer Kinder und Enkelkinder auf dem Weg zur Frankfurter Großmarkthalle im Ostend, die den Nazis als Sammelstelle für die Deportation der jüdischen Bevölkerung dient. Schikaniert und geschlagen zieht der Menschenzug unter Beobachtung der neugierigen Zaungäste – die später von nichts gewusst haben wollen – der Ermordung entgegen. Die Enkelin Fanny überlebt dank des beherzten Eingreifens von Anne Dietz, eine Sternberg-Tochter, die in einer Ehe mit dem „arischen“ Hans Dietz Schutz gefunden hat. Im Zentrum des Romans steht jedoch die Rückkehr der Großmutter Betsy aus Theresienstadt und das Wiederfinden der Angehörigen in der Trümmerlandschaft. Winter und Hunger plagen die Menschen, aber bei Familie Sternberg und Dietz überwiegt die Freude über das Ende des Naziterrors und des Versteckens.
Viele Deutsche haben sich von strammen Nazis und Nutznießern der Arisierung über Nacht zu Antifaschisten gewandelt und begegnen nun den Rückkehrenden mit geheuchelter Höflichkeit. Stefanie Zweig schildert stilistisch und dramaturgisch gekonnt die Mühen der Menschen im Kampf gegen den Hunger und ihre Fantasie, aus Mangel Überlebensmittel zu destillieren. Damit verarbeitet die 1947 aus Kenia nach Frankfurt zurückgekehrte Autorin auch eigene Erfahrungen. Ein stärkerer Fokus auf die Pirouetten der Camouflage, mit der Nazis und opportunistische Mitläufer des Regimes sich zu Demokraten ummünzten und fortan das politische Geschehen in Deutschland mitbestimmen sollten, hätte der Geschichte gutgetan. Dagegen schildert Zweig im letzten Romandrittel zu fernsehtauglich und rührselig die Familienidylle.
Autor: Matthias Reichelt
Stefanie Zweig: Heimkehr in die Rothschildallee. Langen Müller, München 2008, 290 Seiten, ISBN 978-3-7844-3240-3, 19,95 €