Durch die Bundesrepublik geht ein mentaler Riss, was die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Rolle der Wehrmacht angeht. Das verbreitete kollektive Gedächtnis der Großvätergeneration und alle von ihr ideologisch infizierten Menschen erinnern den Krieg nicht als Verbrechen und Massenmord, sondern eher wertfrei als bedeutende und heldenhafte Phase des eigenen Lebens. Deshalb liefen viele Sturm gegen die von Hannes Heer und dem Hamburger Institut für Sozialforschung organisierte Ausstellung zum „Vernichtungskrieg“ und zeigten Schadenfreude, als an vergleichsweise sehr wenigen der über 700 Bildern eine falsche oder zweifelhafte Provenienz nachgewiesen werden konnte. Selbst wenn mittlerweile durch historische Forschungen hinreichend und klar dokumentiert die Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen in den überfallenen und besetzten Ländern belegt ist, hält sich im privaten Gedächtnis hartnäckig die Überzeugung, selbst an nichts grundsätzlich Verbrecherischem beteiligt gewesen zu sein. Diese Schizophrenie funktioniert bestens und dient der Aufrechterhaltung des eigenen Ansehens. Alle Verbrechen wurden aus dem Gedächtnis fein und säuberlich eliminiert. Dafür gibt es prominente Vorbilder wie Richard von Weizsäcker, der ehemalige mit Preisen und Ehrungen überhäufte Bundespräsident. Als Mitglied des 9. Potsdamer Infanterie-Regiments war er sowohl am Überfall auf Polen wie auch später mit der 23. Infanterie-Division am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligt. Auf gezielte Nachfragen des Historikers Otto Köhler (konkret, 8/1991) konnte sich der „Karajan der Politik“ (Erich Kuby) weder an „Säuberungen“ noch an Brandschatzungen seiner Division erinnern. Der Zweite Weltkrieg erscheint in solchen Narrativen als wertfreies und natürliches Ereignis, das schicksalhaft über einen kam und das man hinzunehmen hatte. Neben den Fotografien der Propaganda-Kompanien haben Wehrmachtsoldaten auch individuell „ihren“ Krieg mittels Kamera festgehalten, die Bilder nach Hause geschickt und für das Familiengedächtnis in Fotoalben eingeklebt. Die Dokumentation von Kriegsverbrechen wie Erschießungen und als „Sonderbehandlung“ deklarierte Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung sowie Partisanen waren ausdrücklich und unter Strafandrohung verboten. Und doch gelangten einige Schnappschüsse in die Familienalben. Sie waren zumindest damals Beleg dafür, dass mit den Maßnahmen kein Unrechtsbewusstsein verbunden war. Eine Ausstellung im Münchener Stadtmuseum basiert auf einer Auswertung von 150 Fotoalben aus Privatbesitz, die Petra Bopp im Rahmen eines Forschungsprojekts an den Universitäten in Oldenburg und Jena vornahm.
Die Alben sind nicht nur wegen ihrer Fotografien, der persönlichen Blickwinkel der Knipser und dem, was sie nicht zeigen, untersuchenswert, sondern auch wegen ihrer Beschriftungen und dem dort zum Ausdruck kommenden Ton von großem Interesse. Eine historisch-kritische Provenienzforschung und eine dem Kontext entsprechende Präsentation ist die Voraussetzung, um die Bilder entsprechend zu präsentieren und auszustellen, denn sie vermitteln keinen ungeschminkten und freien Blick auf den Krieg. Beides leistet die Ausstellung. Denn Motivwahl und Kommentierung belegen die ideologische Infizierung der Amateurfotografen mit dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus. Wenn das Portrait eines unrasierten sowjetischen Gefangenen mit: „Eine Type!“ betitelt wurde oder ein deprimiert blickender französischer Soldaten nach dem Einmarsch in Frankreich hämisch als: „Ein Vertreter der Grande Nation!“ bezeichnet wird, so spricht daraus der verbreitete rassistische Antibolschewismus und der Dünkel einer deutschen Herrenrasse. Durch die Alben zieht sich ein Ton von Abenteuer, Entdeckungsreise und männerbündischer Kameradschaft und sie tragen auf dem Einband mitunter Titel wie „Es ist so schön Soldat zu sein!“. In wenigen Fällen ist es Petra Bopp gelungen, ehemalige Wehrmachtsoldaten zu Filminterviews zu bewegen, während diese in ihren Alben blättern. 65 Jahre nach dem Krieg und trotz aller Erkenntnisse über den NS und seine Kriegs- und Vernichtungspolitik hat in den Schilderungen eine Sprachregelung überlebt, die das Ich und Wir von den Verbrechen völlig abkapselt. In der Ausstellung sind auch Alben zu sehen, die nachträglich zensiert wurden, was für ein später entwickeltes Unrechtsbewusstsein sprechen könnte. Alleine die Unterschriften geben dann einen Hinweis auf die herausgerissenen Bilder, die Hinrichtungen und Erschießungen zeigten. Wahrscheinlich zeigt die Ausstellung nur die Spitze eines Eisbergs. Es werden noch viele dieser dekuvrierenden Alben in Familientruhen schlummern, die in Zukunft mittels Ausstellungen eine historisch-kritische Würdigung erfahren. Allerdings wäre eine deutlichere Position der Verurteilung des von Nazideutschland geführten Krieges als Verbrechen wünschenswert.
Autor: Matthias Reichelt
Bis 28.2. im Münchener Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, Di–So 10-18 h
Weitere Termine:
Historisches Museum in Frankfurt/ Main 14.4. – 29.8.2010
Stadtmuseum in Jena 24.9. – 14.11.2010
Kataloge zu 6,00 und 29,80 € (Kerber Verlag)
„Pressefotomänner der Batterie“ Frankreich Juni 1940; Privatbesitz Anke Hübner, Oldenburg |
Deutsche Soldaten in Paris blicken vom Arc de Triomphe auf den Eiffelturm, Frankreich 1940; Privatbesitz Achim Gerloff, Wiesbaden |
„13. V. 1941 Warschau Herr bitte Brot.“ Die Szene wurde vermutlich aus dem Zug heraus fotografiert; Privatbesitz |
„Russische Gefangene“, vermutlich 1941; Privatbesitz Horst Kaul, Ahrensburg |
Album eines Berufssoldaten der Luftwaffe mit Fotos der Ausbildung und des militärischen Alltags vor dem Krieg, um 1936; Privatbesitz |
Bodenfund von einem Grundstück in Fürstenwalde/Spree, der bei Baumaßnahmen 2008 entdeckt wurde. Vermutlich wurden die Gegenstände aus Angst vor der Roten Armee im März oder April 1945 von den Bewohnern vergraben. Er enthält unter anderem Altglas, Patronenhülsen, Kriegsspielzeug, nationalsozialistische Anstecker und eine Luger 08, eine Pistole für Unteroffiziere und Offiziere; Privatbesitz |
„Die Minenprobe“ der Serie „Vom Donez zum Don“; Archiv Reiner Moneth, Norden |
Rückseite des Fotos „Die Minenprobe“ der Serie „Vom Donez zum Don“; Archiv Reiner Moneth, Norden |
Albumseite aus dem Fotoalbum von Friedrich Bilges während des Vormarschs in der Sowjetunion 1941 (zwischen Wjasma und Moskau); Privatbesitz Dr. Hartmut Bilges, Isernhagen |
Wohnzimmerschrank mit Büchern, Fotos und Fotoalben, fotografiert vermutlich in den 1940er oder 1950er Jahren; Privatbesitz Mike Voigt, Syke |
Toter sowjetischer Soldat, fotografiert aus dem Sichtschlitz eines Bunkers, bei Woronowo, Sowjetunion, Winter 1941/1942; Privatbesitz Dr. Walter Jancke, Düsseldorf |
„Arbeit“, Waldrodung bei Panowka durch Häftlinge des sowjetischen Kriegsgefangenenlagers 7150 Grjasowez für deutsche Offiziere. Heimlich angefertigte Aufnahme des Lagerfotografen Willy Steinberg. um 1947; Privatbesitz Christiane Schlötzer, München |
„Kamerad beim Kreuzebeschriften für gefallene Kameraden“; erstes Foto eines anonymen Kriegsalbums, vermutlich Belgien, 1940; Münchner Stadtmuseum |
Foto aus dem Afrikafeldzug, Album von Herbert Köhler, das er später in die Kriegsgefangenschaft nach Kanada mitnahm; Libyen, vermutlich Sommer 1941; Münchner Stadtmuseum |
Lenin ohne Kopf“, vermutlich Ukraine, 1941, anonymer Fotograf; Münchner Stadtmuseum |
Deutscher Soldat führt einen Kriegsgefangenen der französischen Kolonialtruppen vor; ohne Datierung, anonymer Fotograf; Münchner Stadtmuseum |