Bereits im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) diente das neue Massenmedium Film der Kriegspropaganda in allen kriegsführenden Staaten. Wochenschauen zeigten aktuelle Kriegsberichte, Dokumentarfilme ordneten das Kriegsgeschehen in größere Zusammenhänge ein und Kriegsspielfilme zeigten Aufopferungswillen und Kriegsbereitschaft im Sinne der jeweiligen Nation. Nach anfänglicher Skepsis gegen den Film wurde die Filmpropaganda verstärkt von staatlichen Stellen kontrolliert und organisiert.
Film und Kino zu Beginn des Ersten Weltkrieges
Der Film hatte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg – lange vor der Erfindung des Fernsehens und des Rundfunks – als Massenmedium etabliert. Zu Kriegsbeginn gab es allein im deutschen Kaiserreich mehr als 2500 Lichtspieltheater. Auf dem Land sorgten Wanderkinos und Saalkinos für die Verbreitung des neuen Mediums. Nach vorsichtigen Schätzungen besuchten täglich rund 1,4 Millionen Menschen eine Kinovorführung.
Im Kinoprogramm, das im Hauptprogramm in der Regel einen oder mehrere kürzere Spielfilme (»Nummern«) zeigte, waren bereits vor 1914 sogenannte Aktualitäten und Kinojournale – wegen des Produktionsrhythmus auch als »Wochenschauen« bezeichnet – üblich: In einer knappen Viertelstunde informierten sie über kulturelle und politische Ereignisse aus aller Welt. Kurze Zwischentitel oder Kommentare eines Kinoerklärers vor Ort sorgten für die Einordnung der damals noch stummen Filmberichte. In Deutschland waren es vor allem zwei Wochenschauen, die die Kinos mit Kriegsberichten versorgten: Die vom Berliner Scherl-Verlag produzierte »Eiko-Woche« und die »Messter-Woche« des konservativen Berliner Filmverleihers Oskar Messter. In Frankreich – und auch international – dominierte das in Paris produzierte Pathé-Journal.
Bei Kriegsausbruch waren die Erwartungen an das Kino hoch. »Das Publikum harrt ungeduldig der definitiven Nachrichten«, schrieb »Der Kinematograph«, die führende Kinozeitschrift, im August 1914. Vom Film versprach man sich einen authentischen Blick in das Kriegsgeschehen, den die Zeitung – damals noch ohne Fotografien – nicht bieten konnte. Das Informationsbedürfnis war hoch: Obwohl aufgrund der der großen Zahl der beteiligten Soldaten – allein im Deutschen Reich wurden im Verlauf des Krieges mehr als 13 Millionen Männer einberufen – und der vollständigen Einbeziehung der Zivilgesellschaft durch Umstellung der Ökonomie auf die Kriegswirtschaft praktisch die gesamte Bevölkerung vom Kriegsgeschehen betroffen war, blieb das Kampfgeschehen in den frontfernen Gebieten weitgehend unsichtbar.
Kriegsberichte und Wochenschauen
In der Praxis stieß die Kriegsberichterstattung mit der Kamera aber auf eine Reihe von Problemen: Um an der Front drehen zu können, bedurfte es im Kaiserreich der Genehmigung durch die Oberste Heeresleitung. Auch in den anderen Staaten war ein Drehen an der Front ohne Erlaubnis staatlicher Stellen kaum möglich. Die Militärs fürchteten anfangs, die Frontbilder könnten zur Spionage genutzt werden.
Hinzu kamen technische Schwierigkeiten: Die Kameras waren schwer und unbeweglich. Anders als im Zweiten Weltkrieg, in dem die Wochenschaureporter über hochmobile Handkameras verfügten, waren die »Kameraoperateure« des Ersten Weltkrieges davon abhängig, ihre Aufnahmegeräte auf schweren Stativen aufzubauen. Ein flexibles Reagieren war so ebenso wenig möglich wie Nahaufnahmen vom Frontgeschehen. Während der Kämpfe waren Aufnahmen außerhalb des Schützengrabens kaum realisierbar, weil sich die Kameraleute mit ihren exponierten Stativaufbauten in extreme Lebensgefahr begeben hätten. Überdies war das Filmmaterial der Zeit wenig lichtempfindlich, sodass in der Dunkelheit, wo die meisten Kampfhandlungen stattfanden, kaum Aufnahmen möglich waren. Der österreichische Kameramann Findeis schrieb im Frühjahr 1915: »Hat man nach vielen Anstrengungen den Armeebereich erreicht, so kommt man in den meisten Fällen zu spät und sieht nicht mehr als ein leeres Schlachtfeld. Hat man einmal die Gelegenheit, zu einer kriegerischen Aktion zu kommen, ist es Nacht.«
Zu sehen waren in den Kinos so meist nicht die vom Publikum erhofften Bilder von Kampfhandlungen, sondern Aufnahmen aus der Etappe, von Kriegsvorbereitungen und Zerstörungen von Gebäuden nach den Kämpfen. Selbst bei großzügiger Interpretation dürften kaum mehr als 10% aller Wochenschauberichte in den Kinos echte Kampfhandlungen gezeigt haben. Zudem verhinderte die Zensur Bilder, die das Leid an der Front zeigten.
Stattdessen suggerierten wiederkehrende Sujets von zerstörten Häusern, aktivem Wiederaufbau, Versorgung der Bevölkerung, essender Soldaten und Vorbereitung von Kriegsgerät eher einen zivilen Arbeitseinsatz als dass sie einen grausamen Krieg dokumentierten. Die beruhigende Wirkung der Kriegsbilder unterstützte auch die filmische Inszenierung. Die Kamera war meist in einer stationären Position, Schwenks und Kamerafahrten wurden nur selten und dann sehr zurückhaltend eingesetzt. In Verbindung mit der meist verwendeten Einstellungsgröße der Totalen wurde der Krieg zu einem optischen Tableau, das der Zuschauer mit einer gewissen Distanz betrachten konnte und das ein beruhigendes Gefühl vom Leben an der Front vermittelte.
Spiel- und Dokumentarfilm als Medium der Sinnstiftung
Spätestens seit Kriegsmitte, als die Kämpfe in zermürbendem Stellungskrieg erstarrten und zugleich die Belastungen für die Zivilbevölkerung stiegen, sank die Akzeptanz für den Krieg. Damit drohte auch das Konzept des totalen Krieges, wie es General Ludendorff entwickelt hatte, das auf der Mobilisierungsbereitschaft von Front und Heimat basierte, seine Legitimation zu verlieren. »Je länger der Krieg dauerte«, so Erich Ludendorff rückblickend, »desto größer wurden hierfür die Gefahren, desto mehr gab es zu überwinden, desto zwingender wurde gleichzeitig das Verlangen des Heeres und der Marine nach seelischer und sittlicher Stärkung.«
Der Filmpropaganda ging es nun nicht mehr nur um Dokumentation des Kriegsgeschehens, sondern um Sinnstiftung und Legitimation. In Großbritannien wurde das »War Propaganda Bureau« gegründet, in Frankreich die »Section cinématographique d´armée« (SCA) ins Leben gerufen, die alle staatlichen und privaten Kriegsfilmberichte koordinierte und überwachte. In Österreich war das »k.u.k. Kriegspressequartier« auch für den Film zuständig, in den USA nahm bereits wenige Tage nach dem Kriegseintritt 1917 das neue »Committee on Public Information« (CPI) seine Arbeit als zentrale Propagandastelle auf. In Deutschland wurde die gesamte Kriegsfilmberichterstattung zunächst der »militärischen Film- und Photostelle« bei der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes, ab Januar 1917 dem neu gegründeten »Bild- und Filmamt« (BuFa) unterstellt.
Ergänzend zu den Wochenschauen, die weiterhin produziert wurden, setzte man auf neue Filmformate. Der Krieg sollte als eine notwendige nationale Aufgabe erscheinen, die mit einer geradezu teleologischen Konsequenz zu einem siegreichen Ende führen musste. Das sollten zum einen neue Kriegsdokumentationen leisten, die aus vorhandenen oder neu gedrehten Kriegsfilmberichten kompiliert wurden, diese aber in einen größeren Kontext einordneten und sie auch in den Zwischentiteln ausführlicher kommentierten. Zum anderen setzte man verstärkt auf Spielfilme, die das Kriegsgeschehen zu individuellen und moralischen Geschichten komprimierten und dem Einzelnen ein Deutungskonzept für sein Handeln anboten.
Sinnstiftung durch Authentizität: Das Beispiel der Somme-Schlacht
Wie dies konkret aussah, soll an zwei der bekanntesten Kriegsdokumentationen des Ersten Weltkrieges gezeigt werden: dem britischen Film »The Battle of the Somme« und dem deutschen Film »Bei unseren Helden an der Somme«. Zum historischen Hintergrund: Im Juli 1916 begannen englische Truppen mit Unterstützung französischer Einheiten eine Offensive gegen die deutschen Stellungen an der Somme. An der Schlacht, die bis in den November 1916 dauerte, waren insgesamt 2,5 Millionen Soldaten beteiligt. Am Ende waren mehr als eine Million Soldaten ums Leben gekommen, ohne dass sich der Frontverlauf wesentlich geändert hätte. Die Somme-Schlacht hätte also zum Symbol eines sinnlosen Krieges werden können. Beide Hauptbeteiligten – Großbritannien und das Deutsche Reich – bemühten sich, mit gezielter Filmpropaganda einer drohenden Sinnkrise entgegenzuwirken.
Der rund 70-minütige britische Film, vom »War Office« in Auftrag gegeben, erschien in den Kinos noch vor der Beendigung der Kämpfe. Bemerkenswert an diesem rund 75-minütigen Streifen ist auf den ersten Blick die vergleichsweise schonungslose Darstellung des Krieges. Tatsächlich sieht man hier Bilder von verwüsteten Landschaften, erschöpften und vereinzelt sogar toten Soldaten. Die eigentliche Botschaft lag aber nicht in den Bildern selbst, sondern in der Struktur ihrer Anordnung. »The Battle of The Somme« macht aus der Somme-Schlacht ein dramatisches Geschehen, das nach dem klassischen Fünf-Akt-Schema aufgebaut ist und dem Publikum aus Romanen, Theatervorführungen und Spielfilmen vertraut war. Demnach vollzieht sich eine dramatische Handlung von der Exposition, der Vorstellung der Handlungsträger, über die spannungssteigernde Klimax hin zum Höhe- und Wendepunkt, der sogenannten Peripetie, hin zur Katastrophe oder wahlweise auch zum Happy-End. Alle einzelnen Akte ergeben sich hier als zwingende Folge aus den vorangegangenen Akten und der Gesamtverlauf wird so zu einem sinnvollen Geschehen: Aus den Kriegsvorbereitungen folgt notwendig der Angriff und endet logisch mit dem Sieg der Engländer.
Die deutsche Seite reagierte mit einem eigenen Somme-Film, der unter dem Titel »Bei unseren Helden an der Somme« im Januar 1917 Premiere hatte. Auch der deutsche Film greift in seiner sinnstiftenden Intention auf das Prinzip der dramatischen Narration zurück. Diesmal – der deutsche Film hat eine Spielzeit von nur 48 Minuten – sind es allerdings nur drei Sinnabschnitte: Im ersten Abschnitt werden – quasi als Exposition – deutsche Soldaten hinter der Front in friedensähnlichen Verhältnissen gezeigt. Vorgeführt werden aber auch Zerstörungen von Dörfern und Kirchen durch französische und englische Artillerie. Die deutschen Soldaten erweisen sich in diesen Szenen als fürsorgliche Besatzer, die sogar die durch die Kämpfe bedrohte einheimische Bevölkerung evakuieren. Die folgenden Abschnitte zeigen das eigentliche Schlachtgeschehen. Dieses endet – spiegelbildlich zum britischen Somme-Film – mit einem Sieg der eigenen Truppen und dem Abtransport der feindlichen Gefangenen.
Der Kriegsspielfilm: Krieg als individuelle Bewährungsprobe
Wie die filmischen Kriegsdokumentationen narrative Strukturen der Fiktionalität übernahmen, integrierten umgekehrt die Spielfilme Muster der Authentizität aus den Kriegsberichten. Das betraf zunächst die Sujets: Befassten sich die Kinofilme vor 1914 vor allem mit dem Alltagsleben, historischen Stoffen und Literaturadaptionen, wurde jetzt der Krieg ein zentrales Thema der Spielfilme. Die Filme trugen Titel wie »Schwert und Herd«, »wie Max das Eiserne Kreuz erwarb«, »Menschenschicksal im Weltkrieg«, »Hoch klingt das Lied vom U-Boot-Mann« oder schlicht das »Vaterland ruft«. Sie konnten dabei ebenso als Drama wie als Komödie angelegt sein, immer wurden Identifikationsfiguren angeboten und immer erschien der Krieg als Bewährungsfeld für das Individuum.
Das lässt sich exemplarisch am deutschen Spielfilm »Das Tagebuch des Dr. Hart« zeigen. Gedreht wurde der rund 70 Minuten lange Film im Auftrag des BuFa. Der Plot ist schnell erzählt: Der Arzt Robert Hart besucht im Juli 1914 seine Bekannte Ursula von Hohenau in Sachsen. Beide verlieben sich, kommen aber nicht zueinander, weil Dr. Hart nach dem Ultimatum Österreichs an Serbien in seine Heimatstadt, in das Kurbad Oos, zurückfährt, um sich pflichtbewusst für die Mobilmachung bereitzuhalten. Natürlich meldet sich Dr. Hart freiwillig und wird als Feldarzt an der Ostfront eingesetzt. Nahe der polnischen Front befehligt der Graf Bronislaw, den Hart aus Friedenszeiten kennt, russische Truppen. In einem Gefecht wird dieser schwer verletzt. Dr. Hart, zufällig am gleichen Ort, rettet dem Russen das Leben. Hart wird dabei heimtückisch von Kosaken niedergeschlagen und wird nun selbst ins Lazarett eingeliefert. Schon zuvor war Hart selbstlos einem polnischen Bauern zu Hilfe gekommen, der ebenfalls von Kosaken niedergeschlagen worden war, nachdem sie den Brunnen auf seinem Hof vergiftet hatten. Am Ende freilich wird das mustergültig ehrenhafte Verhalten des Dr. Hart belohnt: Im Feldlazarett trifft er Ursula wieder, die sich ebenfalls freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat und als Krankenschwester arbeitet. Jetzt bekennen sie sich ihre Liebe und werden ein glückliches Paar. Der Krieg in diesem Film ist so kein sinnloses Geschehen, dem das Individuum hilflos ausgeliefert ist. Er erweist sich vielmehr als eine Herausforderung für individuelles Pflichtbewusstsein und Ehrenhaftigkeit.
Während also der Dokumentarfilm den Krieg in seiner Totalität deutet, zeigt der Kriegsspielfilm seine Bedeutung für die jeweilige individuelle Lebensführung. Aus beiden Perspektiven erscheint er aber, ohne Grausamkeiten und Härten völlig leugnen zu müssen, als schicksalhaft, notwendig und vor allem als legitim.
Fazit: Die Wahrheit der Filmbilder
So authentisch die Filmbilder gerade aufgrund ihrer aus heutiger Perspektive beinahe unbeholfenen Inszenierung erscheinen mögen: Jedes Bild der Wochenschauen, der Kriegsdokumentationen und erst recht der Spielfilme ist das Ergebnis einer Selektion aus unendlich vielen Ereignissen und Motiven, die auch gefilmt hätten werden können. Und jedes Bild ist das Ergebnis einer sorgfältigen Planung der von den Kameraoperateuren erzeugten Inszenierung. So stark der Wunsch unserer von Medien geprägten Gegenwart es auch ist, selbst lange zurückliegende Ereignisse visuell und authentisch zu erfahren, so sehr ist ein solches Unterfangen zum Scheitern verurteilt: Ein Zurück hinter die konstruierten Bilder der Zeit gibt es nicht. So wenig sie damals ein Fenster zur Front waren, so wenig sind sie uns heute ein Fenster in die Vergangenheit. Sie sind aber ein Dokument damaliger Einstellungen zum Krieg und zu den Intentionen und Strategien damaliger Propaganda.
Autor: Bernd Kleinhans
Literatur
Barkhausen, Hans: Filmpropaganda für Deutschland, Hildesheim 1982
Chiari, Bernhard / Rogg, Mathias / Schmidt, Wolfgang (Hg.), Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts, München 2003
Elsaesser, Thomas / Wedel, Michael (Hg.): Kino der Kaiserzeit. Zwischen Tradition und Moderne, München 2002
Kleinhans, Bernd: »Der schärfste Ersatz für die Wirklichkeit«. Die Geschichte der Kinowochenschau, St. Ingbert 2013
Kleinhans, Bernd: Der Erste Weltkrieg als Medienkrieg: Film und Propaganda da zwischen 1914 und 1918, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ) 16 – 17 / 2014, S. 32 – 38
Mühl-Benninghaus, Wolfgang: Vom Augusterlebnis zur Ufa-Gründung. Der deutsche Film im 1. Weltkrieg, Berlin 2004
Oppelt, Ulrike: Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Propaganda als Medienrealität im Aktualitäten- und Dokumentarfilm, Stuttgart 2002
Veray, Laurent: Les films d´actualité français de la Grande Guerre, Paris 1995