Mythos und Wahrheit des Deutschen Sieges gegen Rußland im Ersten Weltkrieg bei der Schlacht bei Tannenberg 1914
Die Schlacht bei Tannenberg ist Grundlage vieler Mythen. Als im August 1914 der 1. Weltkrieg ausbrach, handelte das Deutsche Kaiserreich nach dem „Schlieffen-Plan“. Dieser ging von einem Zweifrontenkrieg aus, im Westen gegen Frankreich und im Osten gegen Russland. Zunächst sollten große Teile der Deutsche Armee gegen Frankreich marschieren und dort innerhalb von vier Wochen den Sieg im Westen erringen.
Im Osten dagegen blieb nur die 8. Armee unter dem Oberbefehl von Generaloberst Maximilian von Prittwitz und Gaffron. Hinzu kamen noch 9 Infanterie- und Reservedivisionen, Landwehrtruppen, 5 Ersatz-Divisionen sowie das Grenzkorps. Diesen fiel die Aufgabe zu, die russischen Angriffe solange abzuwehren, bis die Truppen aus dem Westen nach einer erfolgreichen Offensive gegen Frankreich, an die russische Front verlegt werden konnten.
Allerdings waren entgegen dem Schlieffen-Plan die russischen Armeen, nicht wie angenommen erst in sechs Wochen einsatzfähig, sondern bereits nach zwei Wochen.
Die Russen planten einen Angriff von zwei Seiten: von Osten näherte sich die Njemen-Armee unter Paul von Rennenkampff mit dem Ziel, Königsberg zu erobern; von Süden marschierte die Narew-Armee unter Alexander Samsonow, zwischen Szczytno – Ortelsburg und Mława auf die Weichsel zu, um Ostpreußen vom übrigen Reich abzuschneiden. Die deutschen Verteidiger sollten so eingeschlossen und geschlagen werden.
Insgesamt standen zur Verteidigung Ostpreußens 190.000 deutsche Soldaten bereit. Die Russen hingegen setzten zum Einmarsch nach Ostpreußen insgesamt 485.000 russischen Soldaten in Bewegung.
Nachdem die russische Armee bereits am 2. August die ostpreußische Grenze überschritten hatte, kam es am gleichen Tag bei Prostken und in den nächsten Tagen bei Kirbaty, Soldau und Gehlenburg zu ersten Gefechten zwischen deutschen und russischen Truppen.
Dabei handelte es sich um kleinere Scharmützel, die die Bevölkerung jedoch in Angst und Schrecken versetzten. Die Folge war, dass fast 200.000 Ostpreußen panikartig die Flucht nach Westen antraten. Die Angst vor der russischen Kavallerie zeigte sich an den Worten: „Die Kosaken kommen.“ Während der russischen Besatzung wurden über 1.500 Zivilisten getötet, fast 500 Menschen verwundet und annähernd 10.000 Einwohner von den Russen auf dem Rückzug verschleppt. Gleichzeitig steckten die Russen bei ihrem Rückzug über 15.000 Häuser und Höfe in Brand, sodass rund 100.000 Ostpreußen alles verloren hatten.
Am 17. August marschierte die 1. Russische Armee auf einer Breite von 40 km zwischen Wischtynjez und Schirwindt in Ostpreußen ein. Hier kam es dann bei Stallupönen zum ersten größeren Gefecht.
Die deutschen Truppen formierten sich nördlich der Masurischen Seen. Es war geplant, die russischen Truppen zu stellen und dann von beiden Seiten zu umfassen. Die Südgrenze Ostpreußens sicherte dagegen nur ein Armeekorps.
Am 19. August griff die russische Armee in der Nähe von Gumbinnen an zahlreichen Stellen an, konnte jedoch von den Deutschen überall abgewehrt werden. Einen Tag später erfolgte die deutsche Gegenoffensive. Nach ersten anfänglichen Erfolgen, – die russische Armee konnte zunächst zurückgedrängt werden -, wurden die deutschen Truppen unter schwersten Verlusten in ihre Ausgangslage zurückgeworfen. Innerhalb von kürzester Zeit verlor die deutsche Armee über 9.000 Mann, die Ordnung der Truppen brach zusammen und die Verbindung zur Kavallerie brach ab. In dieser Situation traf auch noch die Meldung ein, dass die 2. Russische Armee die Südgrenze westlich der Masurischen Seen überschritten hatte.
Daraufhin hin brach von Prittwitz die Schlacht ab, und befahl den Rückzug hinter die Weichsel. Durch diesen Befehl drohte der Verlust von Ostpreußen. Für die russische Armee wäre damit der Weg nach Berlin frei gewesen.
Im Armeestab sowie in der Obersten Heeresleitung war man der Ansicht, dass von Prittwitz übereilt den Rückzug befohlen hatte. Deshalb entband am 22. August Kaiser Wilhelm II. von Prittwitz von seinen Pflichten. Zum neuen Befehlshaber ernannte der Kaiser den bereits 67jährigen General Paul von Hindenburg, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren im Ruhestand war. Zum Chef des Stabes wurde Erich Ludendorff bestimmt. Beide sollten zu „Helden“ der Schlacht bei Tannenberg werden.
Als beide am 23. August im Hautquartier der 8. Armee in Rastenburg ankamen, fanden Sie eine verzweifelte Lage vor. Als erstes sorgten sie dafür, dass sich die Armee neu formierte. Gleichzeitig wurden alle verfügbaren Truppen, teils mit der Eisenbahn, teils nach tagelangen Gewaltmärschen, im Aufmarschgebiet zusammengezogen. Geplant war trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit in die Offensive zu gehen. Da die Deutschen am 25. August den unverschlüsselten Funkverkehr der Russen abfangen konnten, waren ihnen die weiteren geplanten Operationen der Russen bekannt.
Hindenburg und Ludendorff erkannten, dass man die zahlenmäßige russische Überlegenheit nicht zur Wirkung kommen lassen durfte. Deshalb planten sie, die beiden russischen Armeen in zwei einzelnen Schlachten anzugreifen und zu schlagen. Aus diesem Grund stellte Hindenburg der 1. Russischen Armee, die im Norden stehend nur einen Tagesmarsch entfernt war, lediglich eine Kavalleriedivision zur Absicherung entgegen. Der Angriff auf die 2. Russische Armee sollte bei Allenstein erfolgen.
Am Abend des 25. August gab von Hindenburg den Angriffsbefehl für den nächsten Tag aus: „I.AK setzt sich gegen 04:00 Uhr mit seinem linken Flügel in Besitz der Höhen von Seeben und greift bis spätestens 10:00 Uhr vormittags von Seeben und südlich, tief rechts gestaffelt in allgemeiner Richtung Usdau an […] Verstärktes XX.AK hält seine Stellungen und unterstützt das Vorgehen des I.AK durch Angriff seines rechten Flügels in Richtung Groß-Grießen – Janowitz. Es hält sich im übrigen bereit, auf der ganzen Front mit starken rechten Flügel zum Angriff überzugehen.“
Befehlsgemäß wurden daraufhin alle verfügbaren Truppen der 2. Russischen Armee entgegengestellt, die auf der Linie Bischofsburg-Usdau vorrückte. Am 26. August gelang den deutschen Truppen der Durchbruch nach Usdau. Die Entscheidung der Schlacht zugunsten der deutschen Armee erfolgte dann durch den Erfolg des deutschen linken Flügels. Da die 1. Russische Armee untätig blieb und nicht ins Kampfgeschehen eingriff, gelang es, die 2. Russische Armee bei Neidenburg einzuschließen und gleichzeitig vom Nachschub abzuschneiden.
Im Laufe der Kämpfe lösten sich die einzelnen russischen Truppenteile auf und zahlreiche Soldaten versuchten sich im Schutz der Wälder nach Russland durchzuschlagen. Die Armee Rennenkampffs war nur 20 Kilometer von den Eingeschlossenen entfernt. Durch Unkenntnis der Situation kam sie der 2. Armee nicht zu Hilfe, sondern zog sich zurück und entging dadurch ebenfalls einer Einkesselung. Nach den tagelangen blutigen Kämpfen ergab sich die Narew-Armee schließlich den Deutschen.
Der Oberkommandierende der Narew-Armee, General Samsonow beging Selbstmord, nachdem er noch eine Woche vorher siegessicher seinen Truppen den Tagesbefehl gab: „Ich bin überzeugt, dass die mir anvertrauten Korps mit Deutschland, mit dem Feind unseres Mütterchen Russland und des gesamten Slaventums heldenhaft schlagen werden.“ Auf deutscher Seite waren 1.700 Gefallende, 7.500 Verwundete und 4.700 Vermisste zu beklagen.
Nach dem Sieg bei Tannenberg richtete Hindenburg folgende Worte an seine Soldaten: „Ihr habt einen vernichtenden Sieg über 5 Armeekorps und 3 Kavalleriedivisionen errungen. Mehr als 90.000 Gefangene, ungezählte Geschütze und Maschinengewehre, mehrere Fahnen und viele sonstige Kriegsbeute sind in unseren Händen. Ich hoffe, Euch jetzt einige Tage wohlverdienter Ruhe lassen zu können. Dann aber geht es mit frischen Kräften wieder vorwärts mit Gott für Kaiser, König und Vaterland bis der letzte Russe unsere teure, schwergeprüfte Heimatprovinz verlassen hat und wir unsere sieggewohnten Fahnen ins Feindesland hineingetragen haben.“
Das Resultat der Schlacht von Tannenberg: Fast 80.000 russische Soldaten waren gefallen, insgesamt 92.000 russische Soldaten gingen in die Gefangenschaft.
Eine so große Anzahl an Gefangenen hatte es bis dahin in der Weltgeschichte noch nicht gegeben. Die Schlacht bei Tannenberg kann als eine der größten Einkesselungsschlachten der Weltgeschichte angesehen werden. Als solche war sie ursprünglich nicht geplant gewesen. Eigentlich sollten die deutschen Truppen nur auf die russischen Angriffe aus dem Osten und Süden reagieren und solange abwehren, bis von der Westfront Truppen zugeführt werden konnten.
Der Sieg bei Tannenberg stoppte die russische Offensive und befreite den größten Teil Ostpreußens von russischen Truppen. Die Wichtigkeit des Sieges betonte Kaiser Wilhelm II. in einem Telegramm an Hindenburg nochmals ausdrücklich: „Sie haben einen Waffengang vollbracht, der nahezu einzig in der Geschichte, Ihnen und Ihren Truppen für alle Zeiten unvergänglichen Ruhm sichert, und so Gott will, unser teures Vaterland für immer vom Feinde befreien wird.“
Trotz des Sieges in der Schlacht von Tannenberg war die Bedrohung Ostpreußens noch nicht völlig abgewendet, denn die Njemen-Armee stand noch an der Reichsgrenze. Diese wurde in der folgenden Schlacht an den Masurischen Seen ebenfalls besiegt.
Obwohl die Kampfhandlungen in der Nähe von Allenstein stattfanden, wurde seit dem Sieg der Deutschen gegenüber der zahlenmäßig überlegenen russischen Armee von der Schlacht bei Tannenberg gesprochen. Dies sollte an die gleichnamige Schlacht im Jahre 1410 erinnern, bei der ein Heer des Deutschen Ordens vernichtend von einem polnisch-litauischen Heer geschlagen wurde.
Der Sieg der deutschen Armee in der Schlacht bei Tannenberg gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner hatte viele Ursachen. Ein wichtiger Aspekt war, dass sich Paul v. Hindenburg als Oberbefehlshaber, Erich Ludendorff als sein Stabschef und Max Hofmann als Chef der Operationsabteilung ideal ergänzten und so ein geniales militärisches Trio bildeten. Dabei ließen sie ihren Kommandeuren wichtige Entscheidungen vor Ort nach Situation und Erfordernissen fällen.
Die beiden russischen Oberbefehlshaber Samsonow und Rennenkampff dagegen waren völlig zerstritten, und der Oberbefehlshaber der russischen Armee in Ostpreußen Jakow Schilinski mischte sich immer wieder mit eigenen Befehlen in die Befehlsstrukturen ein. Während die Deutschen neueste Techniken, – Einsatz von Flugzeugen zur Aufklärung sowie den Funk als Kommunikationsmittel -, nutzten, machte die russische Armee hiervon nur wenig Gebrauch, und wenn dann wurden die Funksprüche nicht verschlüsselt übermittelt.
Hinzu kam auch noch, dass Russland der Kavallerie als Offensiv-Waffe eine große Bedeutung beimaß, die die Deutschen mit Maschinen- und Repetiergewehren, die auf mehrere hundert Meter schießen konnten, relativ einfach in Schach halten konnten. Dies alles war sicher auch Hindenburg bewusst, als ihm General Scholtz zum Sieg gratulierte: „Scholtzchen, Sie wissen, wie’s zugegangen ist. Wir können Direktiven geben, müssen dann aber die Sache gehen lassen und auf unsere braven Truppen vertrauen […] Wissen Sie, wenn das ein Manöver gewesen wäre – den nächsten Tag schon hätten wir den blauen Brief bekommen.“
Als erster deutscher Sieg im 1. Weltkrieg, der mit der totalen Vernichtung einer Armee endete und somit im Gegensatz zu den Grabenkämpfen an der Westfront stand, begründete die Schlacht bei Tannenberg einen Mythos und den Ruhm Hindenburgs als „Retter Ostpreußens“.
Autor: Christoph Dollar
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