Am 28. Juni 1914 berichtete die internationale Presse von der Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Herzogin von Hohenberg.
In einer Extraausgabe schrieb die Wiener Neue Freie Presse: „Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin Herzogin von Hohenberg. Eine Nachricht ist heute aus Sarajevo eingetroffen, welche die ganze Monarchie auf das tiefste erschüttern wird. Das Kaiserhaus hat eine schreckliche Tragödie zu verzeichnen. Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Herzogin von Hohenberg sind heute in Sarajevo das Opfer eines Attentats geworden.“
Damals dachte noch niemand daran, dass dieses Attentat der Auslöser für den 1. Weltkrieg werden sollte. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers auf serbischem Gebiet war jedoch in vielerlei Hinsicht kein Zufall. Hierzu muss ein Blick auf die Geschichte und deren Ereignisse auf dem Balkan seit Mitte des 19. Jahrhunderts geworfen werden.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es auf dem Balkan immer wieder Interessenkonflikte zwischen Frankreich, Russland und Großbritannien als Triple-Entente auf der einen Seite und den Mittelmächten Österreich-Ungarn, Deutschland und zunächst auch Italien auf der anderen Seite. Diese beiden Machtblöcke hatten die unterschiedlichsten Interessen auf dem Balkan, hinzu kam eine komplizierte Bündnispolitik, die so zu einem „Pulverfass Europas“ wurden.
Seit 1875 erhoben sich immer wieder die unterdrückten Völker gegen die Herrschaft des Osmanischen Reiches. Russland führte gemeinsam mit Montenegro, Serbien und Rumänien Krieg gegen das osmanische Reich. Dieser Krieg endete 1878 durch Vermittlung des Deutschen Reiches mit einem Friedensvertrag. Doch dieser Frieden währte nur für eine kurze Dauer. Der Balkan blieb auch weiterhin im Focus zahlreicher Unruhen.
1903 ermordeten serbische Offiziere König Alexander und seine Ehefrau Draga. Als Drahtzieher der Ermordung galt Dragutin Dimitrijevic, genannt „Apis“, der mit seinem serbischen Geheimbund „Die schwarze Hand“ auch beim Attentat auf Franz Ferdinand die Fäden im Hintergrund zog. Durch die Ermordung des pro-habsburgischen Monarchen verlor Österreich-Ungarn weiter seinen Einfluss auf dem Balkan, denn der neu eingesetzte König unterstützte die Ziele und Interessen der Serben.
Als Österreich-Ungarn 1908 die Gebiete Bosnien und Herzegowina annektierte, verschärfte sich die politische Lage, da sich die Mehrheit der in diesen Gebieten lebenden Bevölkerung mit Serbien verbunden fühlte.
1912 schlossen sich Bulgarien, Griechenland, Montenegro und Serbien im Balkanbund zusammen. Dieses Bündnis erklärte im Oktober 1912 dem osmanischen Reich den Krieg. Mit dem am 30. Mai 1913 geschlossenen Friedensvertrag von London verlor das osmanische Reich fast alle Gebiete auf dem Balkan. Unter den Bündnispartnern kam es jedoch schon sehr bald zu einem Streit über die Aufteilung der Gebiete, der bereits im Juni 1913 zum 2. Balkankrieg führte. Acht Wochen später wurde in Bukarest erneut ein Friedensabkommen geschlossen. Durch die Balkankriege und deren Friedensverträge zerfiel das osmanische Reich weiter, und Serbien ging daraus gestärkt hervor. In der Folge wuchsen die Spannungen unter den Balkanstaaten.
Als Franz Ferdinand am 18. Dezember 1863 als ältester Sohn Erzherzog Karl Ludwigs, einem Bruder Kaiser Franz Josefs, geboren wurde, war nicht abzusehen, dass er einmal die Thronfolge über das Habsburgerreich antreten sollte. Er genoss zunächst eine für seine Position übliche Ausbildung. Daran schloss sich eine Laufbahn beim Militär an.
Als Kronprinz Rudolf 1889 in Mayerling Selbstmord beging, rückte sein Vater in der Rangfolge als Thronfolger nach, und somit stand Franz Ferdinand selbst in der Thronfolge an zweiter Stelle. Sieben Jahre später starb sein Vater, und Franz Ferdinand wurde Thronfolger. Eine offizielle Ernennung zum Thronfolger erfolgte jedoch erst 1898, da Franz Ferdinand kurz nach dem Tod seines Vaters schwer an Tuberkulose erkrankte. Eine Regelung der Thronfolge durch Franz Ferdinand galt durch seine Erkrankung als keineswegs sicher.
Am 29. März 1898 wurde Franz Ferdinand vom Kaiser als Offizier „zur Disposition Meines Oberbefehls“ gestellt. Dadurch war Franz Ferdinand in der Lage, sich einen eigenen Beraterstab aufzubauen. Gleichzeitig kündigte Franz Josef an, Franz Ferdinand werde nun „reichlichen Einblick in alle Verhältnisse der Wehrmacht zu Lande und zur See gewinnen, welcher dem allgemeinen Wohle dereinst zum Besten gereichen soll“.
Um 1895 lernte Franz Ferdinand in Prag die Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin, eine Hofdame der Erzherzogin Isabella, kennen. Aus den ersten Begegnungen wurde Liebe und Franz Ferdinand war gewillt diese Frau, obwohl nach den habsburgischen Ehegesetzen nicht ebenbürtig, zu heiraten. Über dieses Gesetz äußerte sich Franz Ferdinand: „Wenn unsereiner jemand gern hat, findet sich immer im Stammbaum irgendeine Kleinigkeit, die die Ehe verbietet, und so kommt es, dass bei uns immer Mann und Frau zwanzigmal miteinander verwandt sind. Das Resultat ist, dass von den Kindern die Hälfte Trottel und Epileptiker sind.“ Nach langen Verhandlungen und auch wegen der Hartnäckigkeit des Thronfolgers stimmte Kaiser Franz Josef einer Heirat zu. Franz Ferdinand musste allerdings für seine Nachkommen auf die Thronfolge und auf die Zugehörigkeit zum Haus Habsburg verzichten.
Die Hochzeit fand im Jahr 1900 statt. Anlässlich dieser Heirat ernannte der Kaiser die Braut zur Fürstin und 1909 zur Herzogin von Hohenberg.
Entgegen der in dieser Zeit bei den regierenden Häusern üblichen Vernunftehen war die Verbindung von Franz Ferdinand und Sophie von Chotek eine Liebesverbindung, die ihr Leben lang glücklich und harmonisch verlief. Sophie brachte drei Kinder, Sophie (*1901), Maximilian (*1902) und Ernst (*1906) und ein Totgeborenes (*1908) zur Welt.
Ab 1906 baute der Thronfolger die Militärkanzlei mit Sitz im Schloss Belvedere weiter aus. Hier entwarf Franz Ferdinand zahlreiche Pläne, die am Tage seiner Thronbesteigung greifen sollten. Er entwickelte zahlreiche Maßnahmen zum Ausbau der Streitkräfte, u.a. den Bau neuer Schlachtschiffe sowie die Einführung von U-Booten. Des weiteren erwirkte er die Absetzung des greisen Kriegsministers und des fast 80jährigen Generalstabschefs. Als neuen Generalstabschef konnte Franz Ferdinand Conrad von Hötzendorf durchsetzen. Zudem plante er die Erweiterung des Dualismus zu einem Trialismus durch Zusammenschluss von Kroatien, Bosnien und Dalmatien zu Südslawien, auch eine Form des Föderalismus zog er in Erwägung.
Der Trialismus stand jedoch den Plänen der Serben entgegen, die ihrerseits die Gründung eines südslawischen Königreichs unter serbischer Führung planten.
Am 17. August 1913 wurde Franz Ferdinand vom Kaiser zum „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“ ernannt. In dieser Funktion nahm er im Juni 1914 an den Manövern in Bosnien teil.
Der Besuch des Thronfolgerpaares fand genau an dem Tag statt, an dem das osmanische Reich 1389 in der Schlacht am Amselfeld das serbische Reich besiegte und eine über 500jährige Fremdherrschaft folgte. Nachdem sich die Serben von der Unterdrückung des osmanischen Reiches ohne die Unterstützung des Habsburgerreiches befreit hatten, annektiere Österreich-Ungarn Bosnien und Herzegowina. Diese Tatsache führte dazu, dass Serbien den Besuch des Thronfolgers als Provokation ansah.
Franz Ferdinand bezog am 25. Juni 1914 sein Quartier in Ildiža, um den dort stattfindenden Manövern beizuwohnen. Der Besuch in Sarajevo bildete den Schlusspunkt der Reise.
Am Morgen des 28. Juni 1914 schrieb Franz Ferdinand an seine Kinder: „Befinden von mir und Mami sehr gut. Wetter warm und schön. Wir hatten gestern grosses Diner und heute vormittags den grossen Empfang in Sarajevo. Nachmittags wieder grosses Diner und dann Abreise. Umarme Euch innigst. Dienstag. Papi.“
Am 14. Hochzeitstag des Paares erreichten der Thronfolger und seine Frau um 9:20 Uhr aus Ildiža kommend den Bahnhof von Sarajevo. Dort empfing sie der Bürgermeister Čurčič, der Polizeichef Gerde und der Landeschef von Bosnien-Herzegowina Piotorek. Nachdem der Thronfolger die dort aufmarschierte Ehrenformation abgeschritten hatte, bestieg das Paar ein offenes Automobil. Der Konvoi bestand aus insgesamt fünf Fahrzeugen. Franz Ferdinand, Sophie und der österreichische Statthalter in Bosnien Potiorek saßen im zweiten Wagen.
Obwohl es zahlreiche Hinweise auf eine Attentat gab, wurden entlang der Wegstrecke des Thronfolgers keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Sogar auf die Leibwache Franz Ferdinands während der Autofahrt durch Sarajevo wurde verzichtet. Die genaue Wegstrecke druckten sogar die örtlichen Zeitungen ab. Diese Informationen waren auch den Attentätern bekannt und so konnten sie sich an den entsprechenden Stellen positionieren.
Auch der bosnische Politiker Sunaric schien eine Vorahnung zu haben. Er empfahl dem Paar, aus Sicherheitsgründen den Termin abzusagen. Als er am Vorabend des 28. Juni dem Thronfolgerpaar vorgestellt wurde, sagte Sophie: „Überall, wo wir bisher waren, wurden wir von jedem, bis zum letzten Serben, so herzlich und freundlich begrüßt, dass wir froh darüber sind, dass wir uns für diese Reise entschieden haben.“ Daraufhin antwortete Sunaric: „Eure Hoheit, ich bete zu Gott, dass wenn mir morgen, die Ehre zuteil werden sollte Ihnen noch einmal zu begegnen, Sie mir genau diese Worte wiederholen.“
Unterdessen hatten sich die Attentäter entlang der Route des Erzherzogs aufgestellt.
Gegen 10:00 Uhr war eine Detonation zu hören. Nedjelko Čabrinović hatte eine Bombe in Richtung Fahrzeug des Erzherzogs geworfen. Diese verfehlte jedoch ihr Ziel, und explodierte unter dem nachfolgenden Wagen. Dabei wurden Oberstleutnant Merizzi und Graf Boos-Waldeck verletzt. Ungeachtet dessen veranlasste Franz Ferdinand die Weiterfahrt zum Rathaus. Dort angekommen, machte sich der Erzherzog, der bisher innerlich ruhig geblieben war, dann doch seiner Empörung Luft, als er die Ansprache des Bürgermeisters mit den Worten unterbrach: „Das ist empörend! Wir kommen hierher, um die Stadt zu besuchen, und man wirft auf uns mit Bomben! Nun gut sprechen Sie weiter.“ Nach dem Empfang im Rathaus sah der nächste Tagesordnungspunkt einen Museumsbesuch vor, bevor dann das Mittagessen mit dem Landeschef Piotorek stattfinden sollte.
Jetzt kam es zu der verhängnisvollen Änderung des Protokollablaufs, der in die Katastrophe des 1. Weltkriegs mündete. Der Erzherzog äußerte den Wunsch, die bei dem Attentat Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Obwohl beim Besuch des Thronfolgers bisher keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, sind für die Fahrt zum Krankenhaus doch einige Maßnahmen vorgenommen worden. Die Fahrt zum Krankenhaus sollte auf derselben Route durchgeführt werden wie der Hinweg. Auf dem Weg zu seinem Auto äußerte sich Franz Ferdinand zu seiner Umgebung: „Mir scheint, wir werden heut noch ein paar Kugerln bekommen.“ Graf Harrach stellte sich auf das Trittbrett auf der linken Seite des Wagens und schirmte mit seinem Körper den Erzherzog und seine Frau ab. Zur weiteren Sicherheit fuhr ein Polizeiauto am Anfang der Wagenkolonne, sodass das Fahrzeug des Thronfolgers jetzt das Dritte war.
Die Fahrer der Wagen erhielten jedoch die Informationen über die Absichten des Thronfolgers, und fuhren deshalb die ursprünglich geplante Route. Piotorek, der Franz Ferdinand begleitete und von der Absicht des Thronfolgers wusste, rief dem Fahrer zu: „Sie fahren falsch. Wir sollen über den Appelkai.“ und verlangte die geänderte Route einzuschlagen. Also stoppte der Fahrer den Wagen direkt neben Gavrilo Princip. Dieser hatte den Plan schon aufgegeben, als er seine Chance kommen sah. Er hob seine Pistole und schoss. Dabei traf er Franz Ferdinand in den Hals und Sophie in den Bauch. Die Herzogin fragte noch ihren Gatten: „In Gottes Namen, was ist mit Dir passiert?“ Franz Ferdinand sorgte sich um seine Frau und Kinder: „Sopherl, Sopherl bleib am Leben für unsere Kinder.„ Als Graf Harrach sich nach dem Befinden des Thronfolgers erkundigte, antwortete dieser: „Es ist nichts“. Kurze Zeit später erlagen Franz Ferdinand und Sophie ihren Verletzungen.
Das Attentat von Sarajevo selbst war nicht der Auslöser für den 1. Weltkrieg. Es war jedoch die Initialzündung, die das „Pulverfass Europa“, durch das übertriebene Streben der europäischen Großmächte nach der Vorherrschaft in Europa vor allem auch auf dem Balkan, dem Konflikt Österreichs-Ungarns mit Serbien und der damals vorherrschenden Meinung den Krieg eher früher als später zu beginnen, zur Explosion brachte. Dabei waren in Europa die Verantwortlichen davon überzeugt, dass ein Krieg zur Verwirklichung nationaler Interessen und Ziele gerechtfertigt sei. Es ging nur noch um die Frage, wann der richtige Zeitpunkt und ein passender Anlass für einen Krieg gekommen ist. Dabei sind die verantwortlichen Personen immer davon ausgegangen, dass ein Krieg, wie in den Jahrhunderten zuvor, zeitlich und geographisch begrenzt bleibt. Die Folgen und die Tragweite durch das Attentat konnten alle beteiligten Mächte nicht absehen.
Autor: Christoph Dollar
Literatur
Aichelberg, Wladimir: Sarajevo 1914. Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich.
Bled, Jean-Paul: Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger, Wien 2013
Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Krieg zog, 2. Auflage, München 2013,
Gerbert, Frank: Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand. Eine Spurensuche von Böhmen nach Bosnien, Wien 2014
Gutsche, Willibald: Sarajevo 1914. Vom Attentat zum Weltkrieg, Berlin 1984
Hannig, Alma: Franz Ferdinand. Die Biographie, 2. Auflage, Wien 2013,
Polatschek, Max: Franz Ferdinand. Europas verlorene Hoffnung, München 1989
Scholler, Christiane/Hohenberg, Anita: Er war mein Urgroßvater. Anita Hohenberg über Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, Wien 2013
Weissensteiner, Friedrich: Franz Ferdinand: Der verhinderte Herrscher, Wien 1983
Würthle, Friedrich: Die Spur führt nach Belgrad. Die Hintergründe des Dramas von Sarajevo 1914, München 1982