Die letzten Monate der DDR bis September 1990 bilden das Setting von Anna Zetts Kurzfilm „Es gibt keine Angst“. Die junge Berlinerin – selbst in der DDR aufgewachsen – bedient sich dabei eines geschickten Stilmittels. Ihr auf der Berlinale uraufgeführter Film ist ein temporeicher kurzer Thriller in Montagetechnik. Im Mittelpunkt: Ein Kind, welches die Zwänge des Polizeistaats aus seiner Warte miterlebt und interpretiert. Doch Ziel ist es nicht, in traumatisierenden Erlebnissen von Verlust und Zerstörung, Unterdrückung und Gewalt hängenzubleiben! Der Autorin und Regisseurin geht es vielmehr um die Infragestellung von Kontrollsystemen.
Wie nähert sich die Berliner Autorin und Regisseurin dem sensiblen Thema an? Zett reflektiert den Polizeistaat der ausgehenden DDR mittels einer filmischen Collagetechnik. Sie verwertet dabei Videos und Audiomaterial aus den Archivbeständen der ehemaligen DDR-Opposition. Das Besondere dabei: Zett betrachtet und ordnet das Material aus der Sichtweise eines sensiblen Kindes. Es ist noch nicht Teil der Erwachsenenwelt und erfährt strikte, gewaltsame Strukturen durch oppositionelle Aktionen Erwachsener. Dieses Kind beobachtet. Es erlebt Erwachsene, die politisch aufbegehren, befindet sich aber parallel in einer persönlichen Entwicklung. Das Kind hätte sich ohne das Miterleben sublimierter und offener Gewalt sowie oppositionelles Aufbegehren anders entwickelt.
Mittels dieser Collage-Technik dokumentiert die Künstlerin eine bewegende Phase, bei der es zuletzt in der DDR um Selbstverantwortung, Eigenbestimmung, spontanes Handeln und Widerstand ging. Wie das Kind wird der Zuschauer in einen intimen Akt dieser bisher wenig dokumentierten Phase einer oppositionellen Selbstermächtigung hineingezogen. Er erlebt, fühlt, reflektiert mit. Wird selbst Teil einer immer öffentlicher werdenden Opposition, auf dem Weg vom Küchentisch zu Großdemonstrationen. Dies ist bewegend und schafft ein Gefühl von Beklemmung. Auch ein Gefühl von Betroffenheit, weil der Zuschauer in assoziativer Weise in das Geschehen miteinbezogen wird. Anders ausgedrückt: Die Erfahrung von Gewalt wird sinnlich fühlbar.
Interessant ist, wie es die Regisseurin schafft, ihre eigene Gefühlswelt Jahrzehnte später zu rekonstruieren. Als „erwachsenes Kind“ bezeichnet, besitzt die erzählende Figur selbst keine eigene Stimme. Das kindliche Erleben wird etwa in einer Lesung poetischer Texte wiedergegeben, die 1986 im Osten Berlins stattgefunden hat. Diese Vielstimmigkeit vorgetragener Lyrik bündelt sich in der Perspektive des sprachlosen Kindes, das zum Zeugen wird. Intensität, Puls und Rhythmus werden durch das Unterlegen von Musik fühl- und hörbar gesteigert. Konkret gesagt von Untergrundmusik, die der Polizeistaat erst entstehen ließ. Einer Musik, die zu kritisch reflektierenden Stimmen das Ende der DDR ebenso mit bedingte.
„Es gibt keine Angst“ stellt die Kommunikation, den Dialog in den Fokus. Der Polizeistaat ist Vergangenheit. An ehemaligen Orten der Gewalt können und entstehen neue Räume für Gespräch und Kontakt. Immer wieder thematisierte die Regisseurin das Toxische, welches sich in Nachwehen auch nach dem Zerfall eines Polizeistaats zeigt. Die Regisseurin spannt dabei einen weiten, vielstimmigen Bogen. Spannend daran ist: Sie zeigt eine Perspektive auf, wie diese Gewalt überwunden werden kann. Als Grundlagen dienen private Videos, Material aus der Umweltbibliothek und journalistische Aufzeichnungen. Diktatur-Zusammenbruch und Veröffentlichung der Stimmen zeigen sich kulminierend in der zweiten Besetzung der Stasi-Zentrale.
Damals im September 1990 – es gab schon eine Stasi-Besetzung im Januar – zeigte sich die Handlungsbereitschaft der Opposition. Der Sturm, die Besetzung und auch ein Hungerstreik im September dienten dazu, die Vernichtung von Stasi-Unterlagen zu stoppen. Die Opposition bekam eine eigene, klare Stimme, bestehend aus Künstlern, Oppositionellen und Wissenschaftlern. Sie wurde öffentlich wahrgenommen. Als Slogan diente der Ruf nach Fantasie und die Vermeidung von Gewalt. Ein Credo, das bei der ersten Besetzung aufgrund der angeheizten Situation nicht eingehalten werden konnte. Weitere Demos, Mahnwachen und Streiks waren ebenso bestimmend für die zweite Besetzung der Stasi-Behörde wie informelle Gespräche unter Vertrauten am Küchentisch. Spannend ist, wie dem Aufbegehren einer linken Opposition unerwartet friedlich von staatlicher Seite begegnet wurde. Weltweit kam es zu Solidaritätsbekundungen, und diese begleiteten in der Folge weitere medienwirksame Veranstaltungen.
Die Berlinerin Anna Zett hat ihren Film „Es gibt keine Angst“ selbst produziert, Regie geführt und das unterschiedliche Material montiert. Ihren explizit künstlerisch-feministischen Blick auf Geschichtsthemen präsentiert die Künstlerin seit 2014 in Videos und Kurzfilmen. Ihr nur 31 Minuten langer Film erhält seine Dichte und emotionale Wucht nicht nur durch die Montagetechnik. Auch die Musik von Matti Gajek und die perfekt abgestimmte Soundtechnik von Jochen Jezussek lassen das Werk zum eindringlichen Statement für selbstverantwortliches Handeln und Befreiung werden.
Die Weltpremiere auf der Berlinale 2023 von „Es gibt keine Angst“ kann als vierter Film von Anna Zett auch als Fortschreibung ihres Engagements anderer Formate angesehen werden: Mit der Produktion „Resonanz Versammlung“ hatte die Künstlerin im Juli 2022 ein Spielformat für offene Gruppen inszeniert. Im Wechselspiel von Dialog und nonverbaler Handlung ließ sie einen energiegeladenen Prozess in Gang setzen, der sich als postsozialistischer, künstlerischer Erinnerungs-Ausdruck versteht. In diesem Sinne schreibt ihr Film Geschichte fort: von spontanem, an unterschiedlichen Orten stattfindendem Protest zu stringenter Handlung im September 1990, die neue Wege einläutet.