Afterwar, ein Film der dänischen Regisseurin Birgitte Stærmose, führt die Spätfolgen des Krieges vor Augen. Er tut das, indem er dem Zuschauer einen tiefen Einblick gibt in das Leben von vier jungen Menschen aus dem Kosovo, die während des Krieges vor 25 Jahren und in den folgenden Nachkriegsjahren aufgewachsen sind. Shpresim Azemi, Xhevahire Abdullahu, Gëzim Kelmendi und Besnik Hyseni, die als kleine Kinder Krieg, Vertreibung und Zerstörung erlebten, kämpften nach Kriegsende mit ihren Familien um ihr Überleben. Armut und Hunger trieben sie wie viele andere Kinder und Jugendliche auf die Straßen von Pristina, wo sie versuchten, durch den Verkauf von Zigaretten und Erdnüssen etwas Geld zu verdienen. Auf Birgitte Stærmose machten diese Kinder 2008 bei einem Aufenthalt im Kosovo einen tiefen Eindruck. Sie sprach mit ihnen, hörte sich ihre Geschichten an und filmte sie. Aus diesen Aufnahmen entstand 2009 der Kurzfilm Out of Love, der Vorläufer von Afterwar. Der Kurzfilm über die Kinder in den Straßen von Pristina wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.In den folgenden Jahren hielt Birgitte Stærmose zu einigen der Kinder Kontakt. Sie folgte ihnen auf Social Media und nahm Anteil an ihrer weiteren Entwicklung.
2017 kehrte die Regisseurin in den Kosovo zurück. Sie traf die Kinder von einst und entwickelte gemeinsam mit den inzwischen jungen Erwachsenen das Konzept zu Afterwar. Zwischen 2018 und 2023 drehte Birgitte Stærmose an ihrem Film. Die vier Hauptakteure waren an dem gesamten Entstehungsprozess eng beteiligt. Der Film wurde als Kooperation von Dänemark, Kosovo, Schweden und Finnland in albanischer Sprache mit englischen Untertiteln produziert. Er zeigt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunftsträume der vier Protagonisten.
Die ersten Szenen des Films führen zurück in das Jahr 1999, als im Kosovo der Krieg tobt. Wir sehen Bilder des von Krieg und Zerstörung gezeichneten Landes: brennende Häuser in dichtem Rauch, Menschen auf der Flucht durch unwegsame Gebirgslandschaften, ein totes Pferd auf einer staubigen Straße. Im Juni 1999 endet der Krieg, doch für die Menschen im Kosovo geht das Elend weiter. Viele leiden an Hunger und Not. Wie viele andere Kinder verbringen Shpresim, Xhevahire, Gëzim und Besnik viel Zeit auf der Straße und sprechen Passanten an, bitten sie, ihnen Zigaretten oder Erdnüsse abzukaufen. Aus den Kindern werden Erwachsene. Sie haben sich durchgekämpft und sie kämpfen weiter: um eine mögliche Zukunft für sich und ihre Kinder. Gëzim und Shpresim sind inzwischen verheiratet und haben jeweils zwei Kinder. Beide haben keine Ausbidung. Gëzim, der in seiner Jugend gerne Rap Songs schrieb und als Rapper in Bars auftrat, arbeitet heute als ungelernter Arbeiter im Baugewerbe. Shpresim übt mehrere Tätigkeiten aus und arbeitet hart. Beide wollen vor allem, dass ihre Kinder eine bessere Zukunftsperspektive haben.
Shpresims Traum wäre es, nach Deutschland zu gehen und dort zu arbeiten. Besnik verkauft noch immer Erdnüsse in Bars und Restaurants. Außerdem putzt er die Treppenhäuser von Wohnanlagen. Er wohnt bislang bei seinem älteren Bruder, baut aber gerade ein kleines Haus und möchte bald eine Frau finden und eine eigene Familie gründen. Xhevavire ist eine ausgesprochene Kämpfernatur. Sie hat viel erreicht: Sie spielte in der Fußballnationalmannschaft der Frauen, sie spricht zwei Fremdsprachen – Englisch und Deutsch – und sie hat einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft. Da sie im Kosovo keine geeignete Arbeitsmöglichkeit fand, lebt sie jetzt in Deutschland. Sie arbeitet in einem Restaurant und hat daneben eine Buchhalter-Ausbildung abgeschlossen. Ihre Familie im Kosovo unterstützt sie nach Kräften finanziell. Afterwar beleuchtet das Leben der Protagonisten auf der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion. Mal sprechen die Akteure in Monologen direkt in die Kamera, mal spielen sie zusammen mit Verwandten, aber auch zusammen mit professionellen Schauspielern Szenen, die den Zuschauer in ihre Lebenssituation und in ihr Lebensgefühl mitnehmen.
Angesichts des Krieges in der Ukraine, der blutigen Kämpfe im Gazastreifen und des weltweiten Anstiegs kriegerischer Konflikte ist die Botschaft von Afterwar von besonderer Bedeutung: Kriege sind nicht vorbei, wenn sie enden. Gerade Kinder, die zu Kriegs- und Nachkriegszeiten aufwachsen, sind besonders von Spätfolgen bedroht. Wer schon in jungen Jahren Vertreibung, Hunger und Gewalt erlebt, leidet meist ein Leben lang unter den traumatischen Erfahrungen. Kriege erschweren den Zugang zu Bildung und beeinträchtigen damit die Zukunftschancen von Kindern. Im Februar 2024 feierte Afterwar Premiere bei der Berlinale. Der Film war in der Sektion Berlinale Panorama zu sehen und hier bestens aufgehoben. Das Panorama ist dafür bekannt, dass es außergewöhnliche Filme zeigt – Filme, die etwas mitzuteilen haben, die das Publikum aufwühlen und die für Diskussionen sorgen. Zusammen mit 19 weiteren Filmen war Afterwar für den Berlinale Dokumentarfilmpreis nominiert. Es ist der Regisseurin Birgitte Stærmose und ihren Co-Creators Shpresim Azemi, Xhevahire Abdullahu, Gëzim Kelmendi und Besnik Hyseni zu wünschen, dass Afterwar für viele Menschen ein Denkanstoß ist. Dass er ein Bewusstsein dafür schafft, dass Kriege das Schicksal der Menschen, die ihn erlebt haben, für immer prägen.