
Der Titel klingt wie ein Spionage-Thriller im Stil von James Bond: Yosi, the Regretful Spy (Yosi, der Spion, der bereute). Doch die Serie, vom argentinischen Regisseur Daniel Burman im Februar 2022 auf der Berlinale als Weltpremiere präsentiert, ist alles andere als Satire. Die Serie mit 1 Staffel und 8 Episoden thematisiert ein düsteres und bedrückendes Kapitel der jüngeren Geschichte Argentiniens: Ein junger Geheimagent namens José wird irgendwann in den 1970ern als angeblicher Jude Yosi in die jüdische Gemeinde von Buenos Aires eingeschleust. Seine Aufgabe: mögliche Kontakte der Gemeinde zu Israel ausspionieren. Angeblich will Argentinien so die Entstehung eines „2. Staates Israel“ in dem südamerikanischen Land verhindern. Was der etwas naiv wirkende Jungspion nicht ahnt: Seine an den argentinischen Geheimdienst durchgestochenen Berichte leisten 20 Jahre lang die Vorarbeit für antijüdische Terroranschläge: auf die israelische Botschaft in Buenos Aires 1992 und auf ein jüdisches Zentrum zwei Jahre später, beide mit vielen Toten und Verletzten. Nach und nach dämmern José die Zusammenhänge, er fühlt sich hintergangen, ist von Reue innerlich zerfressen und versucht Jahre später, die wahren Schuldigen ausfindig zu machen. Ob und wie ihm das gelingt, davon handelt diese zunehmend düster und bedrückender werdende Serie.
Da die Hintergründe der beiden Terroranschläge auf jüdische Einrichtungen in Argentinien bis heute nicht restlos aufgeklärt sind, bleibt auch im Film so manches Hypothese und Spekulation. Die Figur des José bzw. Yozi ist keine 1:1 Abbildung einer realen Person, obwohl es ein noch lebendes Vorbild geben soll, und die thematisierten Geschehnisse behandelt der Regisseur als eine Mischung aus Doku-Fiction und Polit-Thriller. Ob tatsächlich der argentinische Geheimdienst im Auftrag von ganz oben dahinter steckte, argentinische Altnazis, der Iran oder die libanesische Hisbollah, muss daher in letzter Konsequenz Spekulation bleiben. Gesichert ist, dass Argentinien in den 1980er und 1990er Jahren lukrative Geschäfte im Bereich Kernenergie mit dem Iran, einem Erzfeind Israels, abwickeln wollte. Das Drehbuch deutet solche Verbindungen an und schickt den von Skrupeln geplagten Ex-Agenten als einsamen Wolf auf seinen Weg der Aufklärung. In der Realität haben sich allerdings die eigentlichen Drahtzieher hinter den Terroranschlägen von Buenos Aires bis heute nicht ermitteln lassen. Es gab zwar immer mal wieder Festnahmen bis in höchste argentinische Kreise, letztendlich verlief die Aufklärungsarbeit jedoch im Sande. Da ist die Macht von Staatsapparat, Geheimdienst und alten Seilschaften in einem Land wie Argentinien dann doch wohl stärker als der Aufklärungswille eines engagierten Filmemachers.
Regisseur Daniel Burman, der auch Drehbuchautor und Produzent seiner Filme ist, hat diese anspruchsvolle Serie gemeinsam mit den Amazon Studios im kalifornischen Santa Monica und in seiner Heimatstadt Buenos Aires gedreht. Auf der Berlinale ist der 1973 geborene Argentinier kein Unbekannter und war jetzt bereits zum fünftem Mal mit einem seiner politisch und künstlerisch ambitionierten Werke an der Spree vertreten. Vor allem mit seiner Tragikomödie El Abrazo Partido (Die verschwundene Umarmung) erregte Daniel Bruman 2004 Aufmerksamkeit und konnte dafür sowohl den Großen Preis der Jury als auch einen Silbernen Bären abräumen. Jetzt meldete sich der studierte Jurist, der seit Anfang der 1990er im Filmgeschäft ist, mit seiner beklemmenden Polit- und Spionage-Thriller-Serie fulminant auf der Berlinale-Bühne zurück. Die Befindlichkeiten vor allem jüdischer Argentinier sind ihm dabei wieder einmal mehr eine Herzensangelegenheit.
Im Berlinale-Gespräch mit Journalisten erzählt Daniel Burman, wie es zu der Verfilmung dieses für jüdische und nichtjüdische Argentinier bis heute heiklen Stoffs kam: Selber im Umfeld der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires aufgewachsen, erlebte der Filmemacher mit Anfang 20 beide Anschläge hautnah mit und wurde davon traumatisiert. Erst fast 30 Jahre später, erzählt Bruman, fand er die Kraft einen Film daraus zu machen. Auslöser war ein Enthüllungsbuch eben jenes José alias Yosi, das er zufällig in einer Buchhandlung entdeckt hatte. Der Autor, dessen wahre Persönlichkeit und Name sich nicht überprüfen lassen, soll seit Jahren unter falscher Identität im Ausland leben. Im Film wird der nichtjüdische Argentinier, der nach dem Terror gegen seine jüdischen Mitbürger zum reumütigen Spion und Wahrheitssucher mutiert, eindrucksvoll verkörpert von Gustavo Bassai.
Im Film lernt der falsche Yosi fleißig Hebräisch und eignet sich jüdische Bräuche an, arbeitet in einem jüdischen Textilgeschäft, befreundet sich mit jüdischen Altersgenossen und gewinnt das Vertrauen des obersten Gemeindevorstehers. Gleichzeitig wird er immer wieder bei antisemitischen Aktionen gezeigt wie der Schändung des jüdischen Friedhofs. Als er sogar offiziell als Mitglied des jüdischen Chores in der israelischen Botschaft auftreten darf, erregt er durch seltsames „unjüdisches“ Verhalten das Misstrauen des israelischen Botschafters. Wie dieses Misstrauen auf der einen Seite und Skrupel auf der anderen Seite wachsen und sich daraus ein Katz- und Maus-Spiel von Folge zu Folge thrillerartig steigert, das zeigt Daniel Burman in seinem neuesten Werk meisterlich. Aktuell zu sehen ist die Serie „Yosi, the regretful Spy“ auf Spanisch mit englischen Untertiteln als 1 Staffel mit 8 Episoden derzeit über Amazon Prime.
Regie: Daniel Burman und Sebastián Borensztein
Argentinien 2022
Berlinale – Sektion Berlinale Series