Dort, wo heute die SPD-Parteizentrale steht, in der Wilhelmstraße 140, wurde 1897 in einer bürgerlichen und jüdischen Familie Erwin Blumenfeld geboren, der einer der innovativsten Modefotografen werden sollte. Literat, Collagist, Zeichner, Maler, Fotograf, Antifaschist, Anarchist, Atheist, all dies zugleich war Erwin Blumenfeld, klein von Statur und ganz groß in seinem Können. Und doch wollte er nie „Dichter sein, nie Künstler, nie Held, nur immer und immer Mensch“.
Bekannt ist Blumenfeld über die Karriere als Modefotograf für die Vogue und Harper’s Bazaar in Frankreich und den USA hinaus als Verfasser des literarisch faszinierenden „Einbildungsroman“ geworden, der erst postum erschien. Darin hatte er sein abenteuerliches Leben als Schelmenroman stilsicher im saloppen Ton niedergeschrieben. Bewusst parodierte er im Titel den klassischen Bildungsroman, denn sein Weg war keineswegs geradlinig und an akademischer Bildung orientiert und geriet oft auf produktive Nebengleise, die erst die in ihm schlummernden Talente weckten. „Mein Temperament galoppiert oft durch mit mir, dann fange ich an zu phantasieren und zu lügen, wie es gerade schön ist. Aber: ich lüge durchaus wahr!“ Blumenfelds Liebe gehört dem Pierrot, der Clownsfigur und Charlie Caplin ist für ihn das größte Talent überhaupt. Neben dem Schreiben und später dem Fotografieren begann Blumenfeld früh mit dem Zeichnen, das er allmählich mit dem Collagieren kombinierte. Die von Helen Adkins vor allem aus Privatbeständen sowie der der Berlinischen Galerie zusammengestellten Ausstellung macht deutlich, dass Blumenfelds Werk mit dem von George Grosz und John Heartfield verglichen werden kann. Im begleitenden Katalog – die umgearbeitete Dissertation Helen Adkins – werden die zeichnerischen Arbeiten und Collagen kunsthistorisch eingeordnet und mit der späteren Lichtmontage in Verbindung gebracht.
Durch seine bürgerliche Herkunft erhielt Erwin Blumenfeld eine breite Allgemeinbildung. Hier wurde seine Anlage zum Bücherwurm gelegt, angeblich verschlang er bis zu fünf Bücher täglich. Völlig areligiös ließ er sich auf die Bar-Mizwa nur ein, weil er sich 360 Bücher wünschen dufte. 1913 verlässt er das Gymnasium und absolviert eine Lehre als Damenkonfektionär. Er liebte die Welt der Frauen und war der Ansicht, dass beide Geschlechter ein stückweit androgyn seien. Den Ersten Weltkrieg erlebt Blumenfeld als Sanitätskraftwagenführer. Sein Plan zu desertieren wird von der Mutter verraten und Blumenfeld an die Front zurückgeschickt. Krieg, Militarismus, Parteien und Massenaufmärsche waren ihm immer verhasst. Über seinen Schulfreund Paul Citroen hatte er sehr früh Kontakt mit Walter Mehring, George Grosz, Else Lasker-Schüler und Mynona (Salomo Friedlaender). Im Dadaismus fand er genau die Verachtung für Krieg und Militarismus sowie den Mangel an Respekt vor dem ganzen Mumpitz der staatlichen Autoritäten vor, der ihm selber eigen war. Im Gegensatz jedoch zu Heartfield blieb Blumenfeld sein ganzes Leben lang skeptisch gegen Verbände, Parteien und Massenbewegungen.
Seine Werke – und das blieb sein ganzes Leben lang so – schuf er zum Privatvergnügen. Nie verstand er sich als Künstler und auch nicht einmal als Modefotograf, obwohl er dieses Medium so beherrschte, dass er davon ab Mitte der 30er-Jahre sein Leben finanzieren konnte. Allein dass er Autodidakt war, hielt ihn davon ab, sich am Kunstbetrieb zu beteiligen. Die Ausstellung zeigt Zeichnungen, mit humorvollem Strich, in denen sich Blumenfeld Themen wie Frauen, Erotik und Metropole spielerisch leicht nähert. Seine Liebe galt der modernen und großstädtischen Frau, selbstbewusst, aufreizend geschminkt mit Zigarette. Die Stadt als Häusermeer hat er immer wieder thematisiert und dann tauchen hier und dort Kaiser Wilhelm und Hitler als Repräsentanten von Krieg und Militarismus auf. Den einen hasste Blumenfeld, weil er einen mörderischen Krieg entfesselte, den anderen, weil er ihn sehr früh sowohl als Antisemiten und Militaristen erkannte. Was Hitlers Wahl 1933 bedeutete, brachte Blumenfeld in einer großartigen per Doppelbelichtung erzeugten Montage zum Ausdruck. Der völlig lädierte Schädel eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg verschmilzt deckungsgleich mit einem Hitler-Portrait. Aber auch dieses Motiv wurde erst lange nach seinem Tod durch einen Sohn veröffentlicht. Seine Skepsis gegenüber dem preußischen Militarismus ließ Blumenfeld vorwiegend in den Niederlanden und in Frankreich leben, wo er und seine Familie gerade noch rechtzeitig vor den Nazis in die USA entkommen kann.
1969 starb Erwin Blumenfeld in Rom.
Autor: Matthias Reichelt
Erwin Blumenfeld: Dada-Montagen. In Wahrheit war ich nur Berliner.
Berlinische Galerie
27. Februar – 1. Juni 2009, täglich außer Dienstag 10–18 Uhr
Katalog (Hatje & Cantz), 224 S., 227 Abb., 97 in Farbe, Paperback, 24,80 €