Der General und der Gefreite: Erich Ludendorff und sein Bund mit Hitler
Passionierte Kinogänger und Cineasten kamen in den vergangenen zwei Jahrzehnten um ein Genre kaum herum: Die Comic-Verfilmung, wobei Marvel mit grellbunten Materialschlachten aus dem Computer vorlegte und DC etwas unbeholfen mit trist düsteren Gewaltorgien nachlegte, von denen nur wenige beim Publikum auf Gegenliebe stießen. Erster Lichtblick des DCEU war für viele „Wonder Woman“ und so mancher Kinobesucher staunte nicht schlecht, wenn er erfuhr, dass der prominenteste, wenn auch nicht primäre Antagonist des Films eben kein Comic-Schurke wie Helmut Zemo war, sondern eine reale historische Persönlichkeit, die den preußischen Militarismus und Nationalismus so sehr verkörperte, dass sie tatsächlich wie deren von einem Autor erdachte Personifikation wirkte: Die Rede ist von General Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (1865 – 1937). Jenen, die sich ein bisschen über den Rand der Kinoleinwand hinaus mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt haben, ist Ludendorff vor allem wegen seines kläglich gescheiterten Putschversuches an der Seite Adolf Hitlers (1889 – 1945) in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1923 bekannt – auf den Tag genau fünf Jahre nachdem Ludendorff eine weit größere Niederlage hatte einstecken müssen.Erich Ludendorff wurde am 9. April 1865 in Kruszewnia in der Provinz Posen (heute Polen) als Sohn eines Rittergutsbesitzers geboren und schlug im Alter von gerade einmal 12 Jahren eine militärische Laufbahn im noch jungen Deutschen Kaiserreich ein. Er begann seine Ausbildung 1877 im Kadettenkorps Plön und setzte sie an der Hauptkadettenschule in Groß-Lichterfelde nahe Berlin fort. Von 1882 bis 1904 durchlief er dann die damals übliche Karriere eines Generalstabsoffiziers, zunächst bei der Marine, später an der Kriegsakademie in Berlin, wo er sich besonders der russischen Kultur und Sprache widmete. 1901 war Ludendorff bereits in den Rang eines Majors aufgestiegen und überarbeitete als dessen Gehilfe für Generalstabschef Helmuth Johannes Ludwig Graf von Moltke (1848 – 1916) den Schlieffen-Plan, welcher die Basis für die Strategie des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg darstellen würde. 1908 heiratete Ludendorff Margarethe Pernet (1875 – 1936, geb. Schmidt). Im selben Jahr erfolgte Ludendorffs Beförderung zum Oberstleutnant, 1911 zum Oberst. Nach der Versetzung als Regimentskommandeur nach Düsseldorf wurde Ludendorff 1914 dann zum Generalmajor befördert, womit seine steile Karriere aber noch lange nicht am Ende war.
Sechs Tage nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und drei Tage nach dem Einmarsch des Deutschen Reichs in Belgien nahm Ludendorff mit der ihm nach dem Tod des ursprünglichen Befehlshabers ad hoc unterstellten 14. Infanterie-Brigade die Zitadelle in Lüttich ein, die einen wichtigen Teil im Gelingen des überarbeiteten Schlieffen-Plans darstellte. Man zeichnete Ludendorff dafür mit dem Pour le Mérite aus. Ende August 1914 konnte Ludendorff die 2. Russische Armee bei der Schlacht bei Tanneberg vernichtend schlagen und besiegte zwei Wochen darauf die 1. Russische Armee in der Schlacht an den Masurischen Seen. Im September 1914 berief man Ludendorff zum Chef des Generalstabs der 8. Armee. So wurde General der Infanterie Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (1847 – 1934) Ludendorffs Vorgesetzter. Zusammen erhielten sie am 1. November 1914 das Oberkommando über alle deutschen Truppen der Ostfront (Ober-Ost). Hier konkurrierten die beiden Offiziere mit der Heeresleitung von Österreich-Ungarn um die Befehlshoheit. Gleichzeitig betrieb Ludendorff eine Kampagne gegen den Chef des Großen Generalstabes Erich Georg Sebastian Anton von Falkenhayn (1861 – 1922), dessen Absetzung er erwirken wollte. Der wehrte sich, indem er das Duo Ludendorff-Hindenbrug entzweite und Ludendorff an die Südfront versetzte.
Nach seinem Scheitern bei Verdun und dem Kriegseintritt Rumäniens wurde Falkenhayn 1916 dann tatsächlich abgesetzt. Die neue Oberste Heeresleitung (OHL) bildeten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Ludendorff als Erster Generalquartiermeister, ein speziell für ihn geschaffener Rang. Obgleich Hindenburg formal den Oberbefehl über die deutschen Truppen hatte, war der eigentliche Chef Ludendorff, dessen rigider Führungsstil mit dem eines Diktators verglichen wird. Hindenburgs einzige Funktion bestand im Wesentlichen darin, Ludendorffs Vorgehen zu decken und zu legitimieren. Zu den Forderungen Ludendorffs gehörten auch die wirtschaftliche Mobilmachung und eine Eskalation des U-Boot-Krieges. Er wollte sogar Menschen aus besetzten Gebieten deportieren und zur Zwangsarbeit heranziehen lassen.
Auch in politische Prozesse mischte Ludendorff sich ein und war so maßgeblich für den Sturz des amtierenden Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg (1856 – 1921) verantwortlich. Im Grunde kontrollierte er das Deutsche Reich und Hindenburg, der jeweilige Reichskanzler und Wilhelm II. (1859 – 1941) dienten allenfalls noch als Fassade. Als es in Bukarest und Brest-Litowsk zu Friedensverhandlungen mit Russland kam, strebte Ludendorff noch immer eine Expansion des Deutschen Reichs nach Osten und die Abspaltung verschiedener Länder wie Estland, Finnland, Livland und der Ukraine vom russischen Großreich an.
Im Herbst 1918 dann zeichnete sich ab, dass das Deutsche Reich den Krieg nicht mehr gewinnen konnte, wofür Ludendorff die Schuld nicht etwa bei sich und dem Militär suchte, sondern bei den Politikern der Mehrheitsparteien. Damit begründete er die sogenannte Dolchstoßlegende, nach der die Politiker dem deutschen Heer in den Rücken gefallen wären und so die Niederlage des Reichs herbeigeführt hätten. Die OHL forderte Ende September 1918 die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen und die Bildung einer parlamentarischen Regierung, deren Hauptfunktion es sein sollte, als Sündenbock für den verlorenen Krieg herzuhalten. Am 24. Oktober 1918 gelangte die OHL zu der Einschätzung, dass die Alliierten keinen „ehrenvollen Frieden“ gewähren würden, weshalb die Anordnung an die Soldaten erging, „den Widerstand mit äußersten Kräften fortzusetzen“. Zwei Tage später wurde Ludendorff aus dem Dienst entlassen und floh bald darauf vor den revolutionären Kräften in der Heimat nach Schweden, wo er den ersten Band seiner Autobiografie, „Meine Kriegserinnerungen“ verfasste.
Auch nach seiner Rückkehr ins Deutsche Reich 1919 verfasste Ludendorff Texte rund um das Thema Krieg, wobei er diesen als Naturgesetz einstufte, aber auch Position gegen die seiner Ansicht nach überholten Thesen von Carl von Clausewitz (1780 – 1831) einnahm. Ludendorffs Haltung lässt sich vermutlich am besten in einem Zitat seines Mentors Helmuth Graf von Moltke zusammenfassen: „Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ist ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.“ Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Hindenburg am 18. November 1919 attackierte Ludendorff offen die Weimarer Republik. Beide Generäle sollten noch für das Amt des Reichspräsidenten kandidieren, Hindenburg auch mit Erfolg. Obgleich Hindenburg auch ein Kind des Kaiserreichs war, sollte er seine Aufgabe, die Republik, zu deren Oberhaupt er gewählt worden war, zu schützen, durchaus ernst nehmen. So erwehrte er sich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, so lange er konnte: Wenn man also Hindenburg Hitlers Aufstieg anlastet, lässt man dabei all die vorangegangenen Jahre, in denen er Hitler bekämpfte, ebenso außer Acht, wie seine an Hitler gerichtete Bedingung, der Reichstag müsse das Ermächtigungsgesetz demokratisch legitimieren.
Ludendorff hingegen suchte bald die Nähe des aufstrebenden rechtsextremistischen Politikers Hitler und seiner Partei. Oberleutnant Max Erwin von Scheubner-Richter (1884 – 1923) hatte Hitler und Ludendorff bekannt gemacht, wobei Ludendorff zunächst wenig Interesse für den im Rang weit unter ihm stehenden Gefreiten Hitler zeigte, was sich jedoch ändern sollte. Am 9. und 10. November 1923 marschierte Ludendorff gleichberechtigt neben Hitler, als dieser bei seinem Putschversuch die Regierung stürzen wollte. Der groß angelegte „Marsch auf Berlin“ schaffte es jedoch nur einige Hundert Meter weit und wurde noch in München gestoppt, wobei Scheubner-Richter und andere Nazis, aber auch Polizisten ums Leben kamen. Hitler und Ludendorff, Rudolf Heß (1894 – 1987), SA-Chef Ernst Röhm (1887 – 1934) und weitere NS-Funktionäre wurden des Hochverrats angeklagt. Ludendorff wurde anders als Hitler, der zu mehreren Monaten Festungshaft verurteilt wurde, freigesprochen. Da Hitler sich jedoch als Hauptverantwortlichen und Führer der Bewegung sah, wurde das Verhältnis zwischen Ludendorff und ihm bald problematisch. Nach dem Verbot der NSDAP saß Ludendorff für die Nationalsozialistische Freiheitspartei (NSFP) von 1924 bis 1928 im Reichstag. 1925 kandidierte er dann auch als Reichspräsident und erhielt im ersten Wahlgang 1,1 % der Stimmen – Karl Jarres (1874 – 1951) von der DVP 38,8 %, Otto Braun (1872 – 1955) von der SPD 29 %, Wilhelm Marx (1863 – 1946) vom Zentrum 14,5 %, Ernst Thälmann (1886 – 1944) von der KPD 7 % und Willy Hellpach (1877 – 1955) von der DDP 5,8 %. Im zweiten Wahlgang einigten sich das republikanische, das anti-republikanische und das kommunistische Lager je auf einen Kandidaten: Wilhelm Marx trat für die republikanischen Parteien an, die rechten Parteien einigten sich auf Paul von Hindenburg, der die Wahl auch gewann, und Thälmann trat für das linke Lager an.
Ludendorffs Blamage war Hitlers Gewinn, denn er war nun der unangefochtene Kopf der rechtsextremistischen Parteien der Weimarer Republik, während Ludendorff sich dagegen wehrend in die Bedeutungslosigkeit abdriftete. Er gründete 1925 den Tannenbergbund, der das Deutsche Reich wieder wehrhaft machen sollte, und 1930 den christlich-völkischen Verein Deutschvolk. Beide wurden von den Nazis wenige Monate nach der Machtergreifung wegen Ludendorffs offenen Angriffen auf die Nazis verboten, obgleich Hitler Ludendorff 1937 noch die Neugründung des Deutschvolks als Bund für Deutsche Gotterkenntnis genehmigen sollte. Ferner verlor Ludendorff sich in einem Gestrüpp wahnhafter Verschwörungstheorien, bei denen er sich trotz ihres antisemitischen Tenors der Kabbala bediente. So war Ludendorff etwa davon überzeugt, der Zweite Weltkrieg würde vom Weltjudentum am 1. Mai 1932 oder 1941 ausgelöst werden, weil die Quersumme der Jahreszahlen 15 wäre. Den Höhepunkt bildete aber wohl Ludendorffs Vorwurf an Hitler, die Juden nicht stark genug zu bekämpfen. Man kann sich, auch wenn man es nicht will, wohl ausmalen, was im Kopf eines Menschen vorgehen muss, dem Adolf Hitler nicht antisemitisch genug ist. Privat erging es Ludendorff auch nicht gut. 1925 ließ er sich von seiner ersten Frau Margarethe scheiden und heiratete ein Jahr später deren Ärztin Mathilde von Kemnitz (1877 – 1966, geb. Spieß), die Ludendorffs Wahnvorstellungen und Kritik an Hitlers angeblich mangelnder Härte nur noch mehr befeuerte. Ludendorff kam mit alledem auch nur davon, weil die NS-Propaganda ihn als Kriegshelden hofierte, weshalb er entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch auch ein Staatsbegräbnis erhielt, nachdem er am 20. Dezember 1937 an Lungenkrebs verstorben war.
Literatur
Gert Borst: Die Ludendorff-Bewegung 1919–1961. Eine Analyse monologer Kommunikationsformen in der sozialen Zeitkommunikation. (phil. Diss. 1967) München 1969 [Auswertung des Nachlasses des Tannenbergbund-Führers Herbert Frank].
Konrad Fuchs: Erich Ludendorff. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 14, Bautz, Herzberg 1998, ISBN 3-88309-073-5, Sp. 1191–1195.
Jay Lockenour: Dragonslayer. The Legend of Erich Ludendorff in the Weimar Republic and Third Reich. Cornell University Press, Ithaca/London 2021, ISBN 978-1-5017-5461-6.
Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg. Siedler, München 2011, ISBN 978-3-88680-965-3.
Markus Pöhlmann: Der moderne Alexander im Maschinenkrieg. In: Stig Förster (Hrsg.): Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Porträts. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54983-7, S. 268–286.
Andreas Schwab: Vom totalen Krieg zur deutschen Gotterkenntnis. Die Weltanschauung Erich Ludendorffs (= Schriftenreihe der Eidgenössischen Militärbibliothek und des Historischen Dienstes. Nr. 17). Bern 2005 (basierend auf einer Lizenziatsarbeit bei Stig Förster).
Bruno Thoß: Der Ludendorff-Kreis 1919–1923. München als Zentrum der mitteleuropäischen Gegenrevolution zwischen Revolution und Hitler-Putsch (= Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München.Band 98). Wölfle, München 1978, ISBN 3-87913-087-6.
Bruno Thoß: Ludendorff, Erich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 15, Duncker & Humblot, Berlin 1987, ISBN 3-428-00196-6, S. 285–290 (Digitalisat).
Phillip Wegehaupt: Ludendorff, Erich. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 2: Personen. De Gruyter Saur, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-44159-2, S. 494 ff. (abgerufen über De Gruyter Online).