Ein richtiges (Partei)-Leben im Falschen?
Ein Mitschüler erzählte von ihm: „Wenn er mal Prügel bekam, hat er immer gelacht. Der Erich konnte nicht heulen“. Und Oskar Lafontaine formulierte zu dessen 75. Geburtstag im August 1987: „Es hat wenig Sinn, ihn immer wieder mit unseren Überzeugungen herauszufordern. Es sind nicht die seinen. Seine Werte sind die der kommunistischen Weltanschauung“. So war er: „unser“ Erich Honecker. Aber so ein Leben ist natürlich viel komplexer. Es verbietet sich daher, isoliert von den Utopien, Vernichtungsexzessen, Aufbauversuchen, Irrwegen, Neuanfängen und ihrem Scheitern, die dieses 20. Jahrhundert – geprägt, berührt, und zerrissen haben – auf das Leben von Erich Honecker zu blicken. Bemühen wir uns also um Fairness – auch wo es kritisch werden muss.
Geboren am 25. August 1912 im saarländischen Neunkirchen, dem Besuch einer achtklassigen Volksschule, fand Honecker nach abgebrochener Dachdecker-Lehre in der „Politik als Beruf“ (Max Weber) sein lebenslanges Betätigungsfeld. Zunächst im kommunistischen Jugendverband, später in der KPD, viel später in der SED, wo er schließlich als Chef-Bannerträger der realsozialistischen DDR enden sollte. Dazwischen lagen die Lenin-Schule in Moskau, illegaler Kampf gegen die Nazis, Zuchthaus, FDJ-Vorsitz, Gründung der DDR, Aufstieg in der Hierarchie von Partei und Staat, internationale Anerkennung der DDR, sein „West-Besuch“ 1987 und schlussendlich sein Absturz mit nachfolgender Abwicklung der DDR. Was für ein Leben, was für eine Tragik! So ein Leben provoziert, nicht nur zu diversen Jubiläen und Jahrestagen, immer neue Fragen. Er selbst lieferte nach seinem Sturz bestenfalls episodenhafte Erinnerungen, fern jeder selbstkritischen Fehleranalyse, geschweige denn, dass E.H. plausible Antworten anbot. Doch die nachfolgenden Generationen haben ein Recht auf Antworten, gerade wenn mit einer Person der Zeitgeschichte, wie im „Fall Honecker“, ein solch grandioses Scheitern verbunden ist.
Nun – Prof. Hans Mayer, marxistischer Literaturhistoriker, einst an der Leipziger Universität lehrend, später in den Westen Deutschlands vertrieben, schrieb in seinem „Turm zu Babel“ (1991): „Das schlechte Ende widerlegt nicht einen möglicherweise guten Anfang“. So war es auch mehr als legitim nach den bitteren Jahren der Hitler-Barbarei, etwas Neues, ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, auf die politische Bühne zu stellen. Der damalige Ober-Bühnenarbeiter, Walter Ulbricht, entblößte sich jedoch sehr schnell und meinte: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“. Die DDR wurde auf diese Weise schon vor ihrer eigentlichen Geburt etwas für den Maskenbildner, was in der Regel erst im vorgerückten Alter wichtig wird. Vor allem, wenn es ums kaschieren von Problemzonen geht…
Wenn man der Darstellung von Erich Honecker selbst glauben darf, ist es der politischen Weitsicht seines späteren Amtsvorgängers Walter Ulbricht zu danken, dass Honecker dem Osten Deutschlands erhalten blieb. Honecker wollte nämlich zurück ins heimatliche Saarland, aber der „Spitzbart“ meinte: „Bleib mal lieber hier. Das Saargebiet bekommen sowieso die Franzosen“. Auch über dieses Fehlurteil ist die Geschichte hinweggegangen. Nicht gerade traumhaft geriet sein Start in die neue Zeit – mit einer strengen Parteirüge, wo man ihm eine nicht abgesprochene Flucht aus dem Zuchthaus und die Verbindung zu einer Aufseherin zum Vorwurf machte.
Für immer verbunden wird Erich Honeckers Name mit dem Bau der Mauer im August 1961 bleiben. Als verantwortlicher ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen hatte er maßgeblich für die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“- wie es damals hieß – gesorgt. Dazu Willy Brandt in seinen „Erinnerungen“ (Verlag Ullstein, 1989): „Die DDR drohte leerzulaufen. Auf den Schreckensruf „Volk ohne Raum“ schien die Perspektive eines „Staats ohne Volk“ zu folgen“. Mit dem Abstand von diesem Ereignis und dem Scheitern der DDR muss man doch nach Gründen für das „leerlaufen“ fragen. Ferner sollte man rückblickend fragen, ob das Sicherheitsverständnis, wie es auch an der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik praktiziert wurde, nicht im Laufe der Zeit mal verändert, sprich humanisiert, hätte werden können. Wäre die DDR dann schon früher am Ende gewesen? Dann hätte der Bau der Mauer, wie auch ihr Fall am 9. November ´89, die DDR nicht retten können. Letztlich starben mit dem Mauerfall alle Hoffnungen auf einen reformierten demokratischen Sozialismus in der DDR.
Ein wichtiges Segment der Politik des SED-Generalsekretärs, Erich Honecker, war die auf dem VIII. Parteitag (1971) beschlossene Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Aufbauend auf Produktivitätssteigerungen in der Wirtschaft sollte der Lebensstandard erhöht werden. Manches gelang auch, ein Wohnungsbauprogramm wurde begonnen, die 40-Stunden-Woche wurde eingeführt und der bezahlte Schwangerschaftsurlaub wurde verlängert. Aber globale Ölkrisen sowie andere Defizite im Innern des DDR-Systems ließen sich nicht auf Dauer „wegmauern“. Immer weniger fehlte der DDR das wirtschaftliche Fundament für ihre hoch ambitionierte Sozialpolitik. Diese Erkenntnis dürfte nunmehr auch im bitteren Katalog der Ursachen für den Zusammenbruch des Sozialismus in den „Farben der DDR“ zu finden sein. Das frühere SED-Politbüromitglied, Werner Krolikowski, äußerte schon in den 70-ger Jahren gegenüber von Willi Stoph, „dass unsere Republik durch den Pump- und Pompsozialismus von Honecker und Mittag in den Abgrund geführt wird“- so in einer handschriftlichen Aufzeichnung Krolikowskis vom 16. Januar 1990 nachzulesen.
Die von den führenden Genossen um Erich Honecker mit dieser Politik erhoffte höhere politische Bindung an ihre DDR, stellte sich auch nicht ein. Das Volk wollte halt nicht nur sozial abgesichert sein, sondern auch demokratische Rechte in Anspruch nehmen. Und dass Sozialismus und Demokratie zusammengehören, haben die meist in der Illegalität politisch groß gewordenen und in der führenden Rolle der Partei alt gewordenen SED-Politbüromitglieder (von Ulbricht bis Honecker) nie gelernt. Waren sie vielleicht in der Illegalität stehengeblieben? Diese Lernen musste ihre Nachfolgepartei für sie nachholen. Für die DDR und damit auch für Erich Honecker war es aber zu spät. Am 18. Oktober 1989 musste er schließlich seine Schlüssel vom „Großen Haus“ abgeben und in die Hände eines Egon Krenz ( -„Falls“…) legen. Nach einem fragwürdigen Prozess, wegen der Mauertoten, gab es für ihn auch keinen „Sonderzug nach Pankow“ mehr, sondern nur noch einen Linienflug nach Chile, wo er am 29. Mai 1994 verstarb.
Gut ein Jahr vor seinem Tod schrieb die Essayistin Cora Stephan über sein untergegangenes Lebenswerk: „Die DDR war der Kirschkern, den der Atem der Weltgeschichte im Vorüberseufzen ausgespuckt hat“ (Kursbuch, Heft 111, Februar 1993). Ja – und Erich Honecker war einer der Kirschbäume, die das Urteil der Geschichte gefällt hat.
Autor: René Lindenau