Vor fast drei Jahrzehnten begab sich die deutsche Regisseurin Sibylle Schönemann, die 1990 durch ihren Film „Verriegelte Zeit“ bekannt wurde, gemeinsam mit der russisch-jüdischen Schriftstellerin Lena Makarova und der israelischen Schauspielerin und Sängerin Viktoria Hanna Gabbay auf die Spurensuche des tschechischen Komikers Karel Švenk. Nun wird ihr Film „Diese Tage in Terezín“ nach der Premiere im Jahr 1997 auf den 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2024 erneut präsentiert. Bei dem gezeigten Material handelt es sich um eine vor kurzem in einem Archiv aufgetauchte 35-mm-Kopie.
Im vielfältigen Programm der diesjährigen Berlinale rückt „Diese Tage in Terezín“ angesichts der aktuellen Entwicklungen wie dem wieder aufflammenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und dem Erstarken der AFD ganz besonders in den Fokus. Der 1917 in Prag geborene Karel Švenk, ein bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in der damaligen Tschechoslowakei gefeierter Komponist, Autor und Kabarettist wurde im November 1941 mit dem ersten Transport, einem sogenannten Aufbaukommando, nach Theresienstadt (Terezín) deportiert. Im dortigen Ghetto traf Švenk auf den jüdischen Komponisten Rafael Schächter. Gemeinsam initiierten sie von da an kulturelle Aufführungen und wurden zu den wichtigsten Personen im anfangs verbotenen und nachher von den Nazis zu Propagandazwecken missbrauchten Kulturleben des Terezíner Ghettos. Dabei ist „Ghetto“ allerdings ein irreführender und mit Vorsicht zu genießender Begriff, denn er war in erster Linie dafür da, den eigentlichen Zweck des Lagers zu verschleiern und den Häftlingen einen längeren Aufenthalt zu suggerieren.
Bereits vor dem Krieg hatte der dem politisch linken Lager angehörende Švenk bei politischen Aufführungen erste Bühnenerfahrungen gesammelt – meist hatte er zusätzlich auch noch Regie geführt, sowie Texte und Musik verfasst. In seinem vermutlich ersten aufgeführten Stück „Ztratila se menážkarta“ ging es um eine verloren gegangene Essensmarke. Vor allem das Schlusslied „Všechno jde“ (Alles geht), machte ihn unter den Mithäftlingen schlagartig bekannt und entwickelte sich als „Theresienstädter Marsch“ zur heimlichen Hymne des Lagers. Im Oktober 1944 begann für Karel Švenk eine tödlich endende Odyssee. Erst wurde er in das KZ Auschwitz und von dort in das Zwangsarbeiterlager Meuselwitz bei Leipzig, ein Außenkommando des KZ Buchenwald, deportiert. Ein halbes Jahr später veranlassten heranrückende Truppen die Lagerleitung zur Evakuierung von Meuselwitz. Mit vielen anderen Gefangenen wurde Švenk in einen Viehwaggon verladen, in dem er schließlich unter unmenschlichen Bedingungen während der Fahrt nach Mauthausen völlig entkräftet verstarb. In der Nähe von Karlsberg soll der beliebte Kabarettist von seinen Kameraden direkt neben der Bahnstrecke beigesetzt worden sein.
Fünfzig Jahre später begeben sich Schönemann, Makarova und Gabbay, die den Dokumentarfilm gemeinsam erarbeiteten, auf eine intensive Spurensuche durch die Straßen von Terezín, auf der sie nach Hinweisen zum Leben und Schaffen von Karel Švenk, auch bekannt als der „Chaplin von Theresienstadt“, suchen. Viktoria Hanna Gabbay ist eine junge Schauspielerin und Sängerin aus Israel, Lena Makarova ist eine ursprünglich aus Russland stammende israelische Autorin und Historikerin, die sich auf den jüdischen Widerstand im Ghetto Theresienstadt in den Jahren 1941 bis 1945 spezialisiert hat. Auch die deutsche Regisseurin hat einen persönlichen Bezug zu Terezín. So waren es alte Erinnerungen an die langen Fahrten in den Ferien zwischen Berlin und Prag, bei denen ihre Eltern die tschechische Gemeinde Terezín stets gemieden hätten, die ihre Neugier weckten und sie schließlich zu dem Film motivierten.
Dabei fasziniert vor allem, wie mit jeder neuen Begegnung mit Menschen, die den Kabarettkünstler kannten, ein immer größeres Netzwerk entsteht. Hierbei wird nicht nur ein interkultureller Dialog in verschiedenen Sprachen (tschechisch, hebräisch, deutsch, englisch) geführt, sondern auch ein Austausch zwischen den Generationen gepflegt. Dies erinnert an das Lachen als Form des Widerstands, an die Lieder und nicht zuletzt an den „Theresienstädter Marsch“. Während der Dreharbeiten treffen die drei Frauen teilweise zufällig auf Überlebende des Ghettos wie zum Beispiel die im vergangenen Jahr einhundert Jahre alt gewordene Hana Fialová-Malka, die nach dem Krieg nach Haifa in Israel auswanderte und gemeinsam mit ihrer Tochter nach Terezín gekommen ist. Anfangs haben Schönemann, Makarova und Gabbay noch die Idee, aus dem gefundenen Material über Karel Švenk gemeinsam mit den Zeitzeugen eine seiner beliebten Kabarettnummern zu rekonstruieren. Am Ende des Films müssen sie jedoch erkennen, dass der einzigartige Humor des begnadeten Entertainers, der für viele Bewohner des Ghettos den unmenschlichen Alltag für kurze Momente erleichterte, nach so langer Zeit nicht mehr einzufangen ist. Lediglich 58 Sekunden originales Filmmaterial können sie noch auffinden und am Ende des Films auch zeigen.
Alles in allem ist „Diese Tage in Terezín“ ein äußerst bewegender und bedeutender Film, der es wahrlich verdient, gesehen zu werden. Durch seine kraftvolle Botschaft und seine einfühlsame Darstellung leistet er einen unverzichtbaren Beitrag zur Erinnerungskultur. Gerade in einer Zeit, in der Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder erstarken, fungiert der Film als dringende Mahnung zur Wachsamkeit und zum Handeln. Er erinnert uns eindringlich daran, dass es in unserer aller Verantwortung liegt, uns für die Werte von Toleranz, Vielfalt und Menschlichkeit einzusetzen, die das Fundament einer gerechten und friedlichen Gesellschaft bilden.