Der Schriftsteller Martin Walser wurde am 11. Oktober 1998 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, einem der bedeutendsten deutschen Literaturpreise, ausgezeichnet. Damit wurde sein Einsatz für die Einheit Deutschlands noch während der Teilung gewürdigt. In der Begründung hieß es, Walser hätte „den Deutschen das eigene Land und der Welt Deutschland erklärt und wieder nahegebracht”. Anlässlich dieser Verleihung hielt Walser eine Rede, in der er den Stellenwert der Erinnerung an den Holocaust im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung thematisierte. Die Rede mit dem Titel “Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede” fand in den historisch bedeutsamen Räumen der Frankfurter Paulskirche vor 1200 Gästen aus Kultur, Wirtschaft und Politik statt und wurde zunächst fast ausnahmslos mit stehenden Ovationen begeistert aufgenommen. Zu denjenigen, die nicht applaudierten, gehörte der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, der die Rede kurz danach als “geistige Brandstiftung” bezeichnete. Er warf Walser eine Schlussstrichmentalität vor, weil dieser vom Wegschauen und Wegdenken in Bezug auf die Verbrechen des Nationalsozialismus gesprochen hatte.
Nachdem Bubis diese Kritik anlässlich seiner Gedenkrede am 9. November wiederholte, entwickelte sich die eigentliche Kontroverse in den Medien. Sie führte zu einem Diskurs über die Normalität der deutschen Nation und über das deutsch-jüdische Verhältnis. Trotz dieser gesellschaftlichen Dimension hatte die Debatte den Charakter einer persönlichen Auseinandersetzung zwischen Walser und Bubis, in die sich auch Klaus von Dohnanyi einschaltete. Dohnanyi, früherer 1. Bürgermeister von Hamburg und Sohn eines von den Nationalsozialisten ermordeten Widerstandskämpfers, verteidigte Walser gegen Bubis‘ Kritik. Die gesellschaftliche Relevanz der Kontroverse machten indes die Politiker, Feuilletonisten und Wissenschaftler deutlich, die in Zeitungsartikeln und Leserbriefen die Debatte kommentierten. Grundtenor war die Überzeugung, dass Walser ein Problem der Erinnerungskultur in Deutschland ansprach. Bubis dagegen hätte ihn mit dem Vorwurf der Schlussstrichmentalität missverstanden, was auf Walsers vermeintlich unklare und zweideutige Formulierungen zurückgeführt wurde. Ein von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung organisiertes Versöhnungsgespräch zwischen den beiden Kontrahenten markierte den Schlusspunkt der Auseinandersetzung. Bubis nahm darin den Vorwurf der geistigen Brandstiftung zurück.
Da die Debatte angeblich auf Missverständnissen beruhte, erscheint es sinnvoll, einen Blick auf die Rede zu werfen und insbesondere die umstrittenen Teile näher zu betrachten. Ich werde diese Teile zitieren und den Konfliktstoff des Gesagten erläutern. Vor diesem Hintergrund werden die Reaktionen auf Walsers Rede dargestellt und die Argumente seiner Kritiker und Verteidiger zusammengefasst. Im Anschluss daran stelle ich die Kontroverse in einen Kontext des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den Jahren vor der Rede, um eventuelle qualitative Unterschiede in der Erinnerungskultur, die aus dieser Debatte resultierten, festzumachen.
Eine Rede als Auslöser der Walser-Bubis-Kontroverse
Der Konfliktstoff der Rede liegt in dem Umstand begründet, dass Walser einerseits diskussionswürdige Problematiken der Erinnerungskultur anspricht, wenn er zum Beispiel auf die Gefahr einer Ritualisierung aufmerksam macht. Andererseits zieht er daraus radikale Schlüsse, indem er das Erinnern auf den persönlichen Raum begrenzt und in dieser Konsequenz das Einstellen der Erinnerungsarbeit auf der öffentlichen Ebene fordert. Sein Zugang zu der Debatte über die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit erfolgt über die Frage nach seinem individuellen Umgang damit:
“Ich verschließe mich Übeln, an deren Behebung ich nicht mitwirken kann. Ich habe lernen müssen, wegzuschauen.”
Diese Umgangsformen rechtfertigt er im Folgenden:
“Unerträgliches muss ich nicht ertragen” und “Ich bin auch nicht der Ansicht, dass alles gesühnt werden muss. In einer Welt, in der alles gesühnt werden müsste, könnte ich nicht leben.”
Die von ihm angesprochenen Übel definiert er anfangs noch nicht näher, erst später konkretisiert er sie zunächst als den rechtsextremen Terror und dann als die nationalsozialistische Vergangenheit. Obwohl Walser vorgibt, von seinen persönlichen Ansichten zu sprechen, äußert er schon am Anfang der Rede Standpunkte, die über seinen individuellen Umgang hinaus gehen: Das “ich habe lernen müssen” kann in zwei Richtungen verstanden werden. Einerseits als Ausweis Walsers eigener Sensibilität, andererseits als ein Bedrängt-Sein durch etwas, was von außen an ihn herangetragen wird. Im ersten Fall ist es eine Art Schutz-Reflex vor den Übeln, was seinem persönlichen Umgang damit entsprechen würde. In letzterer Deutung spielt er auf die Art an, in der diese Übel präsentiert werden, und weist somit schon über das Individuum hinaus. Walser vertritt hier Standpunkte, die für sich genommen Banalitäten darstellen. Dementsprechend kann der Zuhörer diesen Äußerungen zunächst vorbehaltlos zustimmen. Unerträgliches kann man, wie das Wort bereits ausdrückt, gar nicht ertragen. Walser meint jedoch, diese Selbstverständlichkeit aussprechen zu müssen, weil ihn jemand unter Zwang setzt, eben dies zu tun. Genauso wenig wie den Zwang, Unerträgliches ertragen zu müssen, gibt es die Welt, in der alles gesühnt werden muss. Walser schafft hier ein Bild, auf das er später zurückgreift. Er beschreibt Szenarien, die nicht real sind, die für ihn aber in Bezug auf die deutsche Vergangenheit existieren: demnach sühnt Deutschland für seine Vergangenheit. Diese individuelle Wahrnehmung bringt er mit gesellschaftlichen allgemeingültigen Forderungen in Verbindung, nämlich, dass nicht alles gesühnt werden muss. So wird sein Umgang zum einzig legitimen. Gleichzeitig macht er damit deutlich, dass es für ihn nur die Alternative zwischen Wegschauen und dieser Sühne gibt. Andere Umgangsarten als diese beiden Extreme existieren in seiner Welt nicht. Als nächstes kritisiert er den Umgang der Medien und einiger “schätzenswerter Intellektueller” mit den rechtsextremistischen Ausschreitungen im wiedervereinigten Deutschland Anfang der neunziger Jahre. Jene Intellektuelle hätten sich als “Treuhänder des Gewissens” betätigt, da sie die politische Kultur in Deutschland unverhältnismäßig angeprangert hätten. Als Beispiel führt er einen “bedeutenden Denker” an, der behauptet, dass “vor brennenden Asylantenheimen Würstchenbuden” aufgestellt wurden. Die Medien machen
“aus den Wörtern des Denkers fett gedruckte Hervorhebungskästchen, dass man das Wichtigste auch zur Kenntnis nehme.”
Nicht das Geschehen vor den Flüchtlingswohnheimen ist für Walser das Problem, sondern die Art und Weise seiner Darstellung in den Medien. Statt von Empörung ergriffen zu werden, kann Walser diesen Aussagen nicht “zustimmen”. Seine Reaktion ist vielmehr:
“Hoffentlich stimmt’s nicht, was uns da so krass gesagt wird.”
Und mit dieser Hoffnung hat Walser die brennenden Wohnheime für sich erledigt: Die Richtigkeit der Darstellung will er gar nicht prüfen, seine Abneigung gegen dieses Aufkommen der “dunklen” deutschen Vergangenheit ist ihm bereits Argument genug, das Geschehen für unglaubhaft zu erklären. Den Grund, warum diese Leute so reden, findet er in einer Art Sado-Masochismus:
“Die, die mit solchen Sätzen auftreten, wollen uns wehtun, weil sie finden, wir haben das verdient. Wahrscheinlich wollen sie auch sich selber verletzen. Aber auch uns. Alle. Eine Einschränkung: Alle Deutschen.”
Diese Pathologisierung der Motivation erinnert an zwanghaftes Verhalten aus der Psychiatrie. Walser behauptet, von seinem eigenen Gewissen zu sprechen, macht an dieser Stelle aber den Übergang von seinen individuellen Empfindungen zu den Empfindungen des nationalen Kollektivs (“wollen uns weh tun”). Walsers Gefühle und Wahrnehmungen werden zum alleinigen Maßstab der Realität, und die so geschaffene Realität bezieht er auf alle Deutschen. Alle, die diese Realität nicht akzeptieren, erscheinen als Störenfriede, bei ihm einige Intellektuelle und die Medien. Dann stellt er die Verbindung zur nationalsozialistischen Vergangenheit her:
“Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird.”
Walser sieht die Deutschen jeden Tag mit dem Nationalsozialismus konfrontiert, und zwar in einer moralischen, anklagenden Weise. Dann beschreibt er ein weiteres Motiv neben der Pathologisierung:
“Könnte es sein, dass die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, dass sie uns die Schande vorhalten, eine Sekunde lang der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern?”
War das Zufügen von Schmerzen bisheriger Grund für solches Handeln, wird es jetzt von Walser mit einer psychologischen Komponente ergänzt: Die Handelnden wollen durch ihre Nähe zu den Opfern sich selbst entlasten. Als Angehörige bzw. Nachkommen der Tätergeneration tun sie nach dieser Interpretation eine Art Buße, die an die Praktiken der mittelalterlichen Flagellanten erinnert. Die Flagellanten praktizierten als religiöses Ritual öffentliche Selbstgeißelungen (sie tun sich selber weh wie die Intellektuellen bei Walser), um vor Gottes Augen Gnade zu finden und forderten auch ihre Mitmenschen auf, dies zu tun (bei Walser wollen die Intellektuellen auch alle Deutschen verletzen). Der Bezug auf die Vergangenheit ist für Walser gleichbedeutend mit dem Akt der Selbstgeißelung. Deutlich wird hier weiterhin, dass Walser genau weiß, was er macht: Er bricht den allgemeinen gesellschaftlichen Konsens. Deshalb formuliert er vorsichtig als Frage, einschränkend durch “eine Sekunde lang” und “ein wenig”, “für einen Augenblick”. Zu seiner Entlastung redet er sich ein:
“[…] in den Medien sei auch eine Routine des Beschuldigens entstanden.”
An dieser Stelle bezieht er seine Umgangsform, die er am Anfang beschrieben hat, auf die nationalsozialistische Vergangenheit:
“ […] wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt.”
Er suggeriert wieder ein Bild, das in der Realität nicht vorliegt:
“Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation der Schande, fange ich an wegzuschauen.”
Für die Präsentation einer Schande kann man nicht dankbar sein, als Masochist oder als zwanghafter Büßer vielleicht schon. Walser stellt sich mit seinem gesunden Empfinden gegen das zwanghafte Selbstgeißeln. Seine Reaktion des Wegschauens erscheint vor dem Hintergrund dieser Behauptung als eine natürliche Reaktion, die umso einfacher nachzuvollziehen ist. Die Kritiker betreiben laut Walser eine
“Instrumentalisierung der Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung.”
Worin diese “guten Zwecke” der Instrumentalisierung bestehen, verrät er nicht. Auschwitz eigne sich jedoch nicht dafür
“Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität eines Lippengebets.“
Was sich hier noch wie eine Kritik an der Erinnerungskultur liest, die, abgesehen von der Verwendung von Ausdrücken, die an die “Auschwitzkeule” rechtsextremer Agitatoren erinnern, durchaus konstruktiv sein kann und für eine neue Form der Erinnerung plädiert, wird im darauffolgenden Satz deutlich, dass diese Intention von Walser nicht beabsichtigt ist:
“Aber in welchen Verdacht gerät man, wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein ganz normales Volk, eine ganz gewöhnliche Gesellschaft?”
In diesem Satz offenbart Walsers seine eigentliche Motivation: Er will sich auf Deutschland berufen und die “Schande” der nationalsozialistischen Verbrechen dabei ausklammern. Sie stehen der von ihm angestrebten Normalität im Wege. Das Gewissen ist in Walsers Rede eine wichtige Kategorie. Er zitiert Heidegger, Hegel, Kleist und Thomas Mann, um zu verdeutlichen, dass jeder mit seinem Gewissen allein sei und es dementsprechend nicht delegierbar ist. Daraus leitet er eine Kritik an öffentlichen Gewissensakten ab, die
“in der Gefahr [sind], symbolisch zu werden.”
Bei dem Holocaust-Mahnmal in Berlin handelt es sich für ihn konsequenterweise um eine
“Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande.”
Motiv hierfür sei ein “negativer Nationalismus”, wie ihn der Historiker Heinrich August Winkler bezeichnet. Walser spricht in Anlehnung an die “Banalität des Bösen”, mit der Hannah Arendt die Person Adolf Eichmanns während seines Prozesses in Jerusalem umschreibt, von einer “Banalität des Guten”. Aus den “schätzenswerten Intellektuellen”, von denen am Anfang als Betreiber der Instrumentalisierung die Rede war, werden zum Ende der Rede
“Gewissenswarte der Nation” bzw. “Meinungssoldaten”, die mit “vorgehaltener Moralpistole den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen.”
Wie die Rede gezeigt hat, gibt es für Walser in Bezug auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit nur die Alternative zwischen Wegschauen und allumfassender Sühne. Da letzteres nicht vorstellbar ist, wird seine Reaktion des Wegdenkens zum einzig nachvollziehbaren Umgang. Mit dieser Vereinfachung disqualifiziert er seine Kritik an der Erinnerungskultur, die in ihrer Konsequenz nur auf einen Schlussstrich hinauslaufen kann. Sobald die Verbrechen öffentlich thematisiert werden, liegt für Walser eine Instrumentalisierung vor. Seine Auffassung von Gewissen, das nur individuell vorstellbar sei, erscheint zunächst schlüssig, ist aber auch widersprüchlich. Öffentliche Erinnerungskultur, die für ihn gleichbedeutend mit öffentlichen Gewissensakten ist, seien der Gefahr einer Ritualisierung ausgesetzt, da sich einige “für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlen”. Allerdings kümmert sich Walser selbst auch um das Gewissen anderer, nämlich um das der Deutschen. Dieses sieht er durch die “Moralkeule Auschwitz” überstrapaziert. Walser spricht zwar in diesem Zusammenhang von seinen individuellen Reaktionen, es geht ihm aber gerade nicht um seinen persönlichen Umgang, sondern dieser ist von ihm kollektiv gemeint. Indem er von “uns”, d.h. den Deutschen spricht, erhebt er indirekt den Anspruch, die Empfindungen aller Deutschen auszudrücken. Er fühlt sich ungerechtfertigt beschuldigt, wenn von nationalsozialistischen Verbrechen die Rede ist, und unterstellt den anderen Deutschen, auch so zu fühlen. Er konstruiert so ein Kollektiv, das sich u.a. durch den Umstand zusammensetzt, beschuldigt zu werden. Diejenigen, die sich zur historischen Schuld in Beziehung setzen, stehen außerhalb dieses Kollektivs, weil “sie sich den Opfern näher fühlen” und so die “Seite der Beschuldigten” verlassen. Dieses Muster, das Deutschland als Opfer der Instrumentalisierer sieht, ist konstitutiv für Walsers Rede und wird auch an anderen Stellen deutlich. Walser bezeichnet die Verbrechen des Nationalsozialismus als “Schande”. Schande ist negativ konnotiert, das heißt aber nicht, dass sie automatisch von Verbrechen zeugt. Schande setzt keine Tat voraus, sie ist im Zweifelsfall üble Nachrede, die von außen auf eine Person oder Gruppe projiziert wird. Dies entspricht genau Walsers Interpretation von der Beschuldigung, der er als Deutscher ausgesetzt sei. Die Opferrolle, in der sich Walser nicht nur selbst, sondern alle (nichtjüdischen) Deutschen sieht, wird auch in seiner Auswahl der rhetorischen Mittel deutlich: “Aber ist die vorhersehbare Wirkungslosigkeit ein Grund, etwas, was du tun solltest, nicht zu tun?” Sein Standpunkt wird zu einer Außenseiterposition in der Öffentlichkeit, deren Vertreter sich aber nicht entmutigen lässt. Walser sieht sich selbst in einer Art Märtyrer-Position. Gleichzeitig glaubt er, für eine in der Öffentlichkeit unterrepräsentierte Mehrheit zu sprechen, die durch Kritikverbote in ihrer Gewissensfreiheit behindert ist. So wird er zu einem vermeintlichen Tabubrecher. Die von Walser geübte Kritik an dieser Erinnerungskultur ist also eine destruktive, die eine Einstellung dieser Erinnerung logisch zur Folge hätte, da sie sie dem begrenzten Raum des persönlichen Gewissens zuschreibt. Andernfalls würde sie laut Walser zur Ritualisierung verkommen. Zwar spricht Walser nur von der Möglichkeit, wenn er vor der Gefahr einer Ritualisierung warnt. Aus seinem Gedankengebäude, das nur die Extreme Wegdenken oder Sühne kennt, ergibt sie sich aber zwingend. Eine konstruktive Kritik hätte zum Beispiel geklärt, wo die Vorhaltung der Vergangenheit als Schande beginnt und wo berechtigte Auseinandersetzungen enden. Dies geschah bei Walser nicht.
Reaktionen
Bubis hat Walsers Rede schon zwei Tage später als geistige Brandstiftung bezeichnet. In den Medien wurde sie zunächst überwiegend positiv aufgenommen. Bubis‘ Kritik wurde als eine verständliche Empfindsamkeit der Opfer eingestuft, während Walser Bubis vorwarf, “aus dem Dialog zwischen Menschen” ausgetreten zu sein. Die eigentliche Debatte begann, als Bubis seine Kritik am 9.11.1998 anläßlich des 60. Jahrestages der “Reichspogromnacht” wiederholte. Walsers Rede sei der Versuch, “Geschichte zu verdrängen beziehungsweise die Erinnerung auszulöschen”. Die Kontroverse dynamisierte sich in den öffentlichen Reaktionen auf Bubis‘ Rede – sie wurde zum Skandal erklärt, und nicht die von Walser. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog versuchte – ohne Erfolg – den Konflikt zu entschärfen. Die Debatte entwickelte sich zu einem Streit über deutsche Normalität und zu einem Diskurs über das deutsch-jüdische Verhältnis. Bubis‘ Motiv, anfangs noch als ein “Reflex” des Opfers dargestellt, wurde jetzt als Böswilligkeit charakterisiert. Klaus von Dohnanyi sorgte für eine weitere Eskalation der Auseinandersetzung, als er in einem Zeitungsartikel schrieb: “Allerdings müssten sich natürlich auch die jüdischen Bürger in Deutschland fragen, ob sie sich so sehr viel tapferer als die meisten Deutschen verhalten hätten, wenn nach 33 “nur” die Behinderten, die Homosexuellen oder die Roma in die Vernichtungslager geschleppt worden wären.” Außerdem behauptete Dohnanyi, dass Bubis aufgrund seines Jüdisch-Seins Walser nicht verstehen könne. Bubis erklärte diese Behauptungen als “bösartig”. In Reaktion darauf verlangte Dohnanyi, dass Bubis mit seinen “nicht-jüdischen Landsleuten etwas behutsamer umgehen [könnte]; wir sind nämlich alle verletzbar”. Die Kontroverse wurde inzwischen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Grundsatzdebatte der neuen Berliner Republik erklärt.
Auch Richard von Weizsäcker versuchte, den Konflikt zu befrieden. Für ihn hatte Walser provoziert, aber Bubis sei mit dem Vorwurf der geistigen Brandstiftung Walser zu nahe getreten. Bei den Duisburger Universitäts-Tagen behauptete Walser in seinem Festvortrag, dass in tausend Briefen seine Rede als “befreiend empfunden wurde. Das Gewissen befreiend”. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” unterstellte Bubis Walser und Dohnanyi latenten Antisemitismus. Daraufhin wurde er als “Gewissenswart” (Berliner Zeitung vom 01.12.1998) bezeichnet und ihm wurde vorgeworfen, den Streit weiter zu eskalieren. In der gleichen Ausgabe des Spiegels konkretisierte Rudolf Augstein die Walserschen Instrumentalisierer als “New Yorker Anwälte”, “New Yorker Presse” und “Haifische im Anwaltsgewand” und spielte damit auf die Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter an. Walsers Konstrukt, in dem Deutschland Opfer der “Moralkeule Auschwitz” ist, wurde oft unzweideutig von den Medien übernommen.
Obwohl die Verteidiger Walsers überwogen, gab es in der Debatte auch Stimmen, die ihn für sein Verlangen nach einem “ungetrübten Nationalgefühl” (Der Tagesspiegel vom 10.11.1998) angriffen. Die Debatte wurde aber größtenteils als ein Missverständnis zwischen zwei älteren Herren aufgefasst, das durch eine Aussprache zwischen den beiden bereinigt werden könne. Dieses persönliche Gespräch diente der symbolischen Befriedung des gesellschaftlichen Konfliktes, der dadurch zu einem Missverständnis herabgestuft wurde: Bubis habe Walser falsch interpretiert und ihn somit ungerechtfertigt kritisiert. Das Versöhnungsgespräch zwischen den beiden markierte den Schlusspunkt der Debatte. Bubis nahm dabei den Vorwurf der geistigen Brandstiftung zurück, obwohl Walser ausdrücklich darauf hinwies, dass er nicht missverstanden worden war. In den Medien wurde dieses Gespräch überwiegend positiv rezipiert. Einige kritische Stimmen sahen darin einen “deutschen Trauerfall” (Frankfurter Rundschau vom15.12.1998).
Allerdings ist festzustellen, dass die anfängliche Begeisterung für Walsers Rede bei einigen seiner Verteidiger einem differenzierterem Blick wich. Besonders gegen Ende der Debatte, als die Angriffe auf Bubis immer schärfer wurden, wuchs gleichzeitig die Kritik an Walser. Das mag mit seinen unklaren Formulierungen zusammenhängen. Walsers Warnung vor der Ritualisierung des Gedenkens wurde oft als ein Diskurs über die Erinnerungskultur missverstanden. Als er seine Positionen aber immer expliziter darstellte, wurde deutlich, dass er sich nicht für eine andere, sondern gegen jedwede Erinnerung ausgesprochen hat. Davon rückten einige seiner Verteidiger wieder ab. Trotzdem wurde die Kontroverse allgemein als ein Diskurs über die Erinnerungskultur in Deutschland bezeichnet. Auch für Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Walser “auf ein doch bestehendes Problem […] hinweisen wollen”. Walser ging es aber nicht um das Wie des Erinnerns, sondern ob überhaupt erinnert werden soll. Die Parameter der Diskussion waren “Erinnern oder Vergessen”. Die Kontroverse kann man daher eher als eine Normalisierungsdebatte bezeichnen, weil mit dem Wunsch nach Normalisierung Walsers Intention im wesentlichen beschrieben wird: Er will sich auf Deutschland beziehen, ohne die störende “dunkle Vergangenheit” mit einbeziehen zu müssen.
Argumente der Kritiker:
Walsers Gegner kritisierten, dass seine Rede mit dem Konstrukt des nationalen Kollektivs strukturellen Antisemitismus enthalte, weil Walser denen, die an die Vergangenheit erinnern, unterstellt, sie zu instrumentalisieren und gegen Deutschland einzusetzen. Bei Walser wird jede öffentliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu einer Instrumentalisierung. Juden in Deutschland würden so automatisch zu diesen Beschuldigern, da sie durch ihre bloße Existenz auf die Geschichte des Nationalsozialismus verwiesen. Walsers Muster sei somit offen für antisemitische Deutungen. In der Rede nahm Walser diese Deutungen selbst aber nicht vor. Diese strukturell vorhandene Tendenz konkretisierte sich allerdings später in der Debatte, als Walser im “Versöhnungsgespräch” Bubis vorwarf, dass man sich durch dessen Anwesenheit in Rostock-Lichtenhagen nach den Ausschreitungen sofort an 1933 erinnert gefühlt habe. Nicht die Ereignisse selbst gleichen für Walser der Vergangenheit, sondern erst Bubis als Jude stellt diese Verbindung allein durch sein Vor-Ort-Sein her.
Das ist jedoch die einzige Stelle, an der sich Walser “verriet” und die Instrumentalisierer näher bestimmt hat, die er in seiner Rede weder benannte noch den Zweck ihres Schaffens mitteilte. Einige seiner Verteidiger nahmen diese Bestimmung schon früher vor. Sie fanden die Instrumentalisierer im In- und Ausland, die auf Kosten der Deutschen mit dem Verweis auf Auschwitz moralische und materielle Zwecke verfolgten. Besonders aufgrund dieses inhaltlichen Füllens der Walserschen Kategorien lag für einige Kritiker in der Debatte eine Verschiebung der Diskursgrenzen in Bezug auf den Antisemitismus vor. So erfolgte z.B. keine politisch-mediale Sanktionierung von Augsteins Äußerungen. Es blieb meistens Bubis selbst überlassen, den Antisemitismus zu thematisieren, wofür er sich wiederum den Vorwurf des Gewissenswartes gefallen lassen musste. Weiterhin wurde ein Einschnitt in das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland und der gemeinsamen Erinnerungskultur konstatiert. Walser selbst wurde Abwehrrhetorik, Nationalismus und latenter Antisemitismus vorgeworfen.
Einige Kritiker brachten die Walser-Bubis-Kontroverse mit dem Historikerstreit in Beziehung, da Walsers Rede als Versuch gesehen werden kann, die Erinnerung an Auschwitz aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, um sich positiv auf die deutsche Geschichte beziehen zu können. Der Historikerstreit war Höhepunkt dieser Bemühungen und endete damals mit einer Niederlage der Relativierer. Im Gegensatz dazu stieß der Versuch Walsers nicht auf Kritik, sondern im Gegenteil auf breite Zustimmung. Bezog sich der Historikerstreit auf akademische Schichten, reiche die Walser-Bubis-Kontroverse dagegen weit in die Gesellschaft hinein. Die positive Reaktion der Medien auf Walsers Rede habe diese wie einen “Befreiungsschlag” erscheinen lassen, der quer durch die Gesellschaft ginge. Allerdings ist hierzu festzustellen, dass die Debatte in erster Linie von der älteren Generation geführt wurde. Wie schon beim Historikerstreit zu beobachten war, hielt sich die jüngere Generation auch hier zurück. Eine weitere Kritik bezog sich auf die positiven Reaktionen auf Walser in der rechten Presse: Unterstützer solcher Ideologien sähen sich jetzt nicht nur von rechtsextremen Politikern oder Zeitungen in ihrer Meinung vertreten, sondern von einem angesehenen Repräsentanten der gesellschaftlichen Mitte. Rechtskonservative Geschichtsschreibung werde so wieder hoffähig gemacht. Besonders die Wortwahl der “Moralkeule Auschwitz” und die Bezeichnung der Verbrechen der Nationalsozialisten als “Schande” wurden in diesem Zusammenhang genannt. Der Anschlag auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, wurde von einigen Kritikern in Zusammenhang mit dem durch Walsers Rede erzeugten geistig-politischen Klima gebracht.
Argumente der Verteidiger:
Die Verteidiger Walsers teilten seine Vorstellung einer deutschen Opferrolle. Sie sahen sich Beschuldigungen ausgesetzt und fanden in Walser jemanden, der sich gegen vermuteten Gesinnungsdruck und Meinungskonformismus ausspreche und so das Gewissen befreie. Für andere seiner Verteidiger hat Walser auf die Gefahr der Ritualisierung der öffentlichen Erinnerung aufmerksam gemacht und sich als Individuum gegen abstrakte Ansprüche dieser Gedenkkultur gewehrt. Seinen Kritikern wurde vorgeworfen, in einer angeblich antifaschistischen Haltung einer vereinfachenden Schwarz-Weiß-Malerei zu erliegen, wie sie Walser bei den Instrumentalisierern kritisierte. Diese Vereinfachung ist teilweise auch auf dieser Seite festzustellen, aber gerade Walser verfällt ihr in seiner Auffassung, dass es nur die Alternative zwischen Wegschauen oder Präsentation der Schande gebe. Diese Verteidiger haben Walsers Rede als einen Beitrag zur Erneuerung der Erinnerungskultur missverstanden. Eine weitere, vorsichtigere Verteidigung begrüßte Walsers Rede als einen Anlass, der eine wichtige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Öffentlichkeit provoziert habe. Kritisiert wurden allerdings seine sprachlichen “Entgleisungen”, die als solche freilich nicht bezeichnet werden können, da sie seiner Intention durchaus entsprechen. Außerdem scheint es gerade bei einem Schriftsteller von solchem Rang unwahrscheinlich, dass er sich in der Wortwahl vergreift oder die Bedeutung einiger Worte unterschätzt.
In diesem Zusammenhang muss auch der Hinweis auf den literarischen Charakter seiner Rede genannt werden, der ihre gesellschaftspolitische Bedeutung relativieren soll. Walsers dichterische Rede steht so außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses. Entscheidend sind aber die Intentionen, die auch im Dichten zum Tragen kommen. Walser bewegt sich in dieser Interpretation als Dichter zwischen Teilnahme am politischen Meinungsstreit und dichterischer Freiheit. Er kann so politische Standpunkte äußern, die auch als solche verstanden werden, und sich gleichzeitig einer inhaltlichen Kritik entziehen. Dieser Verweis auf den Dichter Walser macht allerdings deutlich, dass sich auch seine Verteidiger des aggressiven Potenzials seiner Aussagen als nichtjüdischer Deutscher bewusst sind. Ein weiteres Argument, das Walser verteidigt, aber das “Provozierende” seiner Rede erkennt, weist auf Walsers Funktion hin. Im Gegensatz zu Bubis habe Walser als Privatperson gehandelt. Als solche sei er nur vor seinem eigenen Gewissen verantwortlich. Bubis dagegen sei Repräsentant einer Gruppe und habe neben seinem eigenen auch die Interesse dieser Gruppe zu berücksichtigen. Wie die Analyse der Rede aber deutlich gemacht hat, wollte Walser sie nicht als seinen persönlichen Umgang verstanden wissen.
Kontext der Rede
Walsers Rede ist ein weiterer Versuch, die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht zu leugnen, wohl aber zu relativieren, um sich positiv auf Deutschland und seine Geschichte beziehen zu können. Damit reiht er sich in zahlreiche andere solcher Versuche ein, deren herausragendes Beispiel der Historikerstreit war. Seine Behauptung, die nationalsozialistische Vergangenheit werde als “Schande” vorgehalten, um moralische und materielle Vorteile zu erpressen, trifft nicht zu. Zwar ist zu beobachten, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten trotz des zeitlichen Abstandes zur NS-Diktatur in den 90er Jahren oft Gegenstand der politischen und öffentlichen Diskussionen sind, was u.a. mit dem Generationswechsel zusammenhängt, der eine indirekte Informationsweitergabe über die Geschehnisse durch die Medien notwendig macht – wie diese Weitergabe aussehen soll, ist oft Gegenstand des Streites. Allerdings geschieht dies nicht jeden Tag und schon gar nicht in Form einer Schande. Dieser Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit steht also nicht einer Normalisierung im Wege, wie Walser es beklagt. Im Gegenteil: Die Normalität wird gerade dadurch betrieben.
Besonders seit der Wiedervereinigung ist zu beobachten, dass die Politik die nationalsozialistische Vergangenheit nicht als einen “Hemmschuh” für eine neue deutsche Identität behandelt, sondern sich ausdrücklich auf sie bezieht und sie öffentlich reflektiert. So wird aus den Verbrechen eine gewachsene Verantwortung gezogen, die sich z.B. in der Begründung niederschlägt, dass Deutschland ohne Einschränkung in der Solidargemeinschaft des Westens zu handeln habe. Eingeleitet wurde diese Entwicklung vom ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes, in der er den 8. Mai als Tag der Befreiung bezeichnete. Aber erst nach der Wiedervereinigung wurde das Verhältnis der neuen Berliner Republik zur Vergangenheit von der gesamten politischen Elite neu bestimmt. Die Bonner Republik liegt seitdem als eine Art “Pufferstaat” (Heinz Bude) zwischen der nationalsozialistischen Vergangenheit und der neuen Berliner Republik. Im wiedervereinigten Deutschland kann so eine Normalität betrieben werden, die in der alten Bonner Republik nicht möglich gewesen wäre. Der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo veranschaulicht dies. Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz müsse Deutschlands außenpolitisches Engagement wachsen, um ähnliche Katastrophen in der Zukunft zu verhindern.
Walsers Wunsch nach Normalisierung wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Anachronismus. Die Normalität, die Walser im geteilten Deutschland vermisste, ist durch die Wiedervereinigung erreicht. Allerdings wird sie von der politischen Elite mit ausdrücklichem Verweis auf die Vergangenheit betrieben. Dementsprechend hat die Erinnerungskultur einen gegenwartspolitischen Bezug, und in dieses Konzept passt eine Erinnerungsverweigerung, wie sie Walser betreibt, nicht hinein. Trotzdem wurde er auch von Betreibern der Normalisierung, z.B. Gerhard Schröder, verteidigt. Walser hat offensichtlich ausgesprochen, was viele empfinden. Der Grund dafür mag in den vorangegangenen Debatten in der deutschen Öffentlichkeit zu suchen sein: Goldhagens Thesen von “Hitlers willigen Vollstreckern” und die Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter wurden von außen an die deutsche Gesellschaft herangetragen. Walser, der über eine immer noch ausbleibende Normalität klagt, sah sich so immer in der Defensive und musste sich vermeintlichen Anschuldigungen erwehren. Für das Klientel, das so denkt wie er, wirkte die Rede tatsächlich wie ein Befreiungsschlag.
Aber auch diejenigen, die eine öffentliche Reflexion des Nationalsozialismus vertreten, fühlten sich angegriffen: Goldhagen wurde mit ungewöhnlicher Vehemenz wissenschaftlich und populistisch abgelehnt und die Bundesregierung stellte sich schützend vor die deutsche Wirtschaft. Die offiziellen Vertreter sahen die von ihnen betriebene Normalität in Gefahr. Vor diesem Hintergrund war Walsers Klage übereinstimmend mit ihren Motiven der Normalisierung. Festzustellen bleibt, dass die Debatte trotz gegenteiliger Bekundungen die Erinnerungskultur nicht bereichert hat. Die Standpunkte der Kontrahenten waren wie selbstverständlich nach ihrer Herkunft bzw. Religion aufgeteilt: Walser sprach von sich aus für “die Deutschen”, Bubis sprach für viele automatisch für “die Juden”, obwohl er ausdrücklich darauf hinwies, dass dies seiner Intention zuwider laufen würde. Das Vergegenwärtigen der Vergangenheit wurde oft als eine jüdische Angelegenheit dargestellt. Und das ist einer “gemeinsamen Sprache der Erinnerung”, wie sie von offizieller Seite angestrebt wird, abträglich.
Autor: Karsten Luttmer
Literatur
Brumlik, Micha/Funke, Hajo/Rensmann, Lars, Umkämpftes Vergessen: Walser-Debatte, Holcaust-Mahnmal und neue deutsche Geschichtspolitik, Berlin 2000.
Klotz, Johannes und Wiegel, Gerd (Hrsg.), Geistige Brandstiftung? Die Walser-Bubis-Debatte, Köln 1999.
“Mit bloßem Dagegensein ist es nicht getan”, Hartmut Kuhlmann im Gespräch mit Antonia Grunenberg, in: Universitas, Dezember 1998.
Rohloff, Joachim, Ich bin das Volk. Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik, Konkret Texte 21, Hamburg 1999.
Schirrmacher, Frank (Hrsg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt/M. 1999.