Mit Abschluss des Frankreichfeldzugs am 25.6.1940 wuchs die Bedeutung der RBD Saarbrücken, der ab 1.7. d. J. die Verantwortung für den Verkehr in Lothringen und Luxemburg oblag. Die Strecken des Departements Moselle (57) und alle dazu gehörigen Einrichtungen (z. B. Bw Metz-les-Sablons, Metz marchandises = Güterbahnhof), unterstanden dieser Direktion mit dem neuen Präsidenten, Ludwig Frorath an der Spitze, direkt. Frorath, ein aus Wiesbaden stammender Eisenbahningenieur, saß vom 1.7.1940 bis 31.5.1944 auf dem Chefsessel in Saarbrücken und wechselte dann zur RBD Breslau. Unter seiner Regie fuhren die meisten Saarbrücker Todeszüge. Am 9. März 1945 erlitt der gebürtige Hesse in seinem Befehlshaberzug in Reichenbach / Oberlausitz eine tödliche Herzattacke. [1]
Das Ende der Synagogengemeinden im Gau Westmark 1940 [2]
Zwar erlosch das jüdische Leben an der Saar und in der Pfalz bereits mit den November-Pogromen von 1938, aber offiziell aufgelöst wurden diese Synagogengemeinden erst mit dem Deportationsbefehl von Gauleiter Josef Bürckel (Westmark, gest. 1944 an Lungenentzündung) vom 22. Oktober 1940, genauso wie diejenigen in Lothringen und Luxemburg.
Auf deutscher Seite waren 7.700 Juden, größtenteils aus dem Saargebiet und der Pfalz betroffen. Bei einem Schnitt von 20 zweiachsigen Viehwaggons pro Zug und 60 Häftlingen pro Waggon (laut Yad Vashem) ergibt dies rund 128 Güterwagen, verteilt auf 6 bis 7 Transporte in die Lager Gurs, Les Milles, Rivesaltes etc. am Rande der Pyrenäen.
Vor 1939 lebten im Departement Moselle rund 16.000 Menschen jüdischen Glaubens. Die Evakuierungen von 1939 (Räumung der Roten Zone) betrafen lediglich zwei größere israelitische Gemeinden (Thionville, Sarreguemines) und eine ganze Reihe kleinerer (Bitche, Bouzonville Grosbliederstroff etc.). Somit dürften bei der Besetzung Lothringens noch ca. 15.000 Menschen dieser Glaubensrichtung im Osten jener Grenzregion gewohnt haben. Das entspräche 250 Waggons ab Metz marchandises (Güterbahnhof), die mit 12 bis 13 Garnituren à 20 geschlossenen Zweiachsern gen spanische Grenze (s.o.) rollten. Hinzu kamen fast 1.500 Juden sowie rund 200 Sinti und Roma aus dem Großherzogtum, also 2 Transporte (Schnitt = ca. 1.000 pro Zug). Letztere gelangten via Rivesaltes und Drancy nach Auschwitz, wo sie alle in der Gaskammer starben.
Die Haftbedingungen in Gurs waren nach Aussagen französischer Zeitzeugen schlimmer als in Dachau. Mangels ausreichender Barackenplätze mussten viele Gefangene auch im tiefsten Winter unter freiem Himmel schlafen. Auch fehlte es an Decken. Für viele Menschen war dieses Lager nichts weiter als ein mit Stacheldraht umzäuntes Stück Lehmboden ohne Gras. Jedes Weidenvieh dürfte es besser gehabt haben. Da nicht genügend sanitäre Einrichtungen vorhanden waren, war der gesamte Boden mit Blut und Exkrementen bedeckt.
SS-Sonderlager Hinzert – Die Hölle im Hunsrück [3]
Einen kleinen Teil der Luxemburger Juden, aber auch eine Gruppe von Sinti und Roma, verschlug es ins KZ Hinzert / Hunsrück (bei Hermeskeil). Bahntransporte aus Lothringen (v. a. Raum Thionville) und dem Großherzogtum gingen über den Rangierbahnhof Ehrang und Ruwer nach Reinsfeld an der Strecke Trier – Hermeskeil [4] , wo die SS die Häftlinge für die restlichen 4 km auf Lkw umlud. Vor allem Züge mit NN-Häftlingen aus Frankreich rollten über die Ruwertalbahn in das offiziell als SS-Sonderlager bezeichnete KZ. Insgesamt waren es 3.000 Gefangene dieser Kategorie, die mit 40 Fahrten von Ehrang in diese Terrorstätte gelangten. Da dies einen Schnitt von nur 75 Opfern pro Zug ergibt, kann man davon ausgehen, dass jeweils 1 bis 2 Waggons an andere Transporte Richtung Hermeskeil angehängt wurden, zumal Ehrang auch Durchgangsstation für Ostarbeiter (v. a. ehem. UdSSR) mit Ziel Hinzert war. Der dortige Kommandant Paul Sporenberg war einer der brutalsten seiner Sorte. Grausamste Misshandlungen waren an der Tagesordnung, wobei es Juden, Sinti und Roma sowie Russen besonders hart traf. Ein 1950 in Basel zu lebenslanger Haft verurteilter Schweizer Kapo gestand, auf Befehl Sporenbergs Menschen in der Badewanne bzw. im Löschteich ertränkt zu haben. Viele, die den Sadismus dieses Lagerleiters überlebten, verfrachtete die RBD Saarbrücken 1944 nach Dachau.
Vom Saar-Kohlenkanal über Saarbrücken nach Dachau [5]
Ein beeindruckendes Zeitzeugnis des Schicksals der Opfer der Saarbrücker Todeszüge sind die Memoiren des lothringischen Abbés François Goldschmitt aus Rech-les-Sarralbe (Moselle). Ende 1942 verhaftete ihn die Gestapo wegen „antideutscher Propaganda“, „Fluchthilfe für Gefangene“ und „Beihilfe zur Wehrdienst-Entziehung“ (zwangsweise rekrutierte Lothringer). Nach kurzem Verhör im Polizeihauptquartier Sarrebourg brachte man ihn per Pkw zum berüchtigten Gestapo-Gefängnis „Goldene Bremm“ in Saarbrücken. Diese Haftanstalt war eine wichtige Durchgangsstation für Opfer aus dem Departement Moselle, die überwiegend nach Dachau, Buchenwald, Ravensbrück (v. a. Frauen), etc. geschickt wurden.
Am frühen Morgen des 8. Dezember 1942 ließen die Wärter eine Reihe von Insassen, darunter Goldschmitt, zum Appell antreten. Ohne Frühstück karrte man die Betroffenen zum Saarbrücker Verladebahnhof, wo ein aus ca. 12 Wagen bestehender Zug wartete. Aber es waren nicht die üblichen Viehtransporter, sondern richtige Gefängniswaggons, die in drei vergitterte Zellen mit Metallstäben an den Fenstern, unterteilt waren. Wahrscheinlich handelte es sich um umgebaute Dienstwagen von Rottenarbeitern.
Die einzelnen Kammern waren nur für 3 Personen zugelassen, aber der Priester und seine Landsleute wurden zu neunt oder zehnt reingequetscht, insgesamt 365 Menschen, eingepfercht wie die Ölsardinen. Der von einer Lok des Bw Saarbrücken bespannte und von saarländischen Eisenbahnern geführte Zug fuhr ohne Halt via Homburg/Saar und Kaiserslautern nach Ludwigshafen. Dort luden die SS-Männer die Insassen aus und ließen sie auf Strohballen im Güterbahnhof übernachten. Die letzte Mahlzeit hatten die bedauernswerten Lothringer am Abend vorher auf der Goldenen Bremm zu sich genommen. Der große ostpfälzische Verkehrsknotenpunkt gehörte seit Auflösung der RBD Ludwigshafen zum 1.4.1937 zur Bahnverwaltung Saarbrücken und war somit Direktionsgrenze.
Je nach weiterer Route übergaben die Saarländer dort die Todeszüge an die Kollegen aus Karlsruhe, Frankfurt oder ggf. auch Mainz.
In den frühen Morgenstunden des 9. Dezember 1942 steckten Himmlers Schergen den Pastor und seine Freunde erneut in die besagten Waggons, wohlgemerkt ohne Frühstück. Nächstes Etappenziel war das Gefängnis von Würzburg, wo immerhin ein Bett, und endlich auch eine warme Mahlzeit, zur Verfügung standen. Doch das Schlimmste dieser Horrorfahrt stand noch bevor.
Der Todeszug lief am folgenden Tag in Nürnberg ein und es hieß für die Deportierten erneut, aussteigen. In einer nur für 500 Personen zugelassenen Sporthalle fanden sich die 365 Franzosen zusammen mit ca. 1.200 anderen Verschleppten, größtenteils aus anderen deutschen Regionen, wieder. Als Toiletten dienten Hygienekübel, große schwarze Plastikeimer, die am Rand der Halle aufgestellt waren. Wer dorthin wollte, musste zwangsläufig auf den dichtgedrängten Mithäftlingen herumtrampeln. Tagsüber konnten diese Behältnisse problemlos entleert werden. Aber nachts quollen sie relativ schnell über und die Inhaftierten mussten ihre Notdurft auf dem Boden verrichten, auf dem sie schliefen. Ein unerträglicher Gestank machte sich breit, so dass den Aufsehern schon beim Öffnen der Hallentür übel wurde.
In den folgenden Tagen selektierten SS-Ärzte die Opfer. Alle Arbeitsfähigen nach Dachau, alle anderen (Kranke, Frauen, Kinder, Alte) erwartete ein grausames Schicksal. Ihr Ziel hieß Auschwitz, Majdanek, Theresienstadt oder Mauthausen.
Damit liefern die Memoiren des Abbé Goldschmitt den Beweis, dass der Ludwigshafener Güterbahnhof bereits Ende 1942 Durchgangsstation für Deportationen nach Auschwitz war. Der lothringische Pastor und seine Freunde kamen in der Nacht des 16. Dezember 1942, nach 8 Tagen unter unmenschlichen Bedingungen und ca. 600 km in Gefangenenwaggons der RBD Saarbrücken, in Dachau an, wo sie von bewaffneter SS empfangen und sogleich in den Isolierblock für Neuankömmlinge gebracht wurden.
Abbé Goldschmitt überlebte die Schrecken des KZ und war im Dachauer Kriegsverbrecher-Prozess 1945-46 einer der Hauptzeugen der Anklage.
1946-48 verfasste der Priester insgesamt 6 Broschüren unter dem Obertitel „Elsässer und Lothringer in Dachau“. Von den insgesamt 1.065 Häftlingen aus dem Departement Moselle, die 1941-45 in diesem Lager inhaftiert waren, hat der lothringische Pastor 650 in seinen Werken erfasst und ihren Leidensweg jeweils kurz geschildert. Seine detaillierten Beschreibungen ermöglichen es sogar, einzelne Durchgangsstationen im Gebiet der Reichsbahndirektion Saarbrücken ausfindig zu machen. Auch lassen sich Daten der Transporte Saarbrücken Vbf. bzw. Metz (Häftlinge des Fort Queuleu) – Dachau bzw. nach dem KZ Struthof (Elsass) herausfinden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Gruppe der „133.000“, Opfer des Todeszugs vom 23.11.1944 von Saarbrücken Vbf. nach Dachau, deren Registriernummern im KZ mit „133“ anfingen. Von allen Häftlingsgruppen, die jene Terrorstätte zu Gesicht bekamen, hat diese mit 50 % die höchste Todesrate überhaupt. Es handelte sich größtenteils um politische Gefangene aus Lothringen, die zunächst auf der Goldenen Bremm eingekerkert waren.
Autor: Hendrik Ernst, DIG Saar. Weitere Informationen über Todeszüge und NS-Verbrechen mit saarländischer Beteiligung auf den Webseiten des Autors.
Literatur
Harrer, Kurt: Eisenbahnen an der Saar (1984) und Engelbert Zimmer: Die Eisenbahnverwaltung Saarbrücken im Wandel der Zeiten (1959)
Neigert, Marcel: Internements et déportations en Lorraine; Adolf-Bender-Zentrum St. Wendel (centre de d o cumentation des crimes des nazis) : Was geschah am 9. November 1938; Christian Bernardac : L’Holocauste oublié : Le Massacre des Tsiganes ; Akten Deportation + WK II Stadtarchiv Sarreguemines ; Léon Sidot : L’identité française dans la Lorraine annexée et nazifiée ; Yad Vashem (Homepage + Mitteilungen von Shaul Ferrero) ; Statistiken Departement Moselle, 20er und 30er Jahre ; Akten Evakuierung 1939, Stadtarchiv Sarreguemines
Landeszentrale für Politische Bildung, Rheinland-Pfalz (Mail von Fr. Dr. Beate Weber + Homepage KZ Hinzert) ; Marcel Neigert : Internements et déportations en Lorraine ; Chronik : 1000 Jahre Reinsfeld
Goldschmitt, Abbé François: Alsaciens et Lorrains à Dachau, 6 Broschüren, 1946-48 verfasst ; Henri Hiegel / Louis Serpe: François Goldschmitt – Son Combat singulier de prêtre et de Lorrain
Anmerkungen
[1] Kurt Harrer: Eisenbahnen an der Saar (1984) und Engelbert Zimmer: Die Eisenbahnverwaltung Saarbrücken im Wandel der Zeiten (1959)
[2] Marcel Neigert : Internements et déportations en Lorraine; Adolf-Bender-Zentrum St. Wendel (centre de d o cumentation des crimes des nazis) : Was geschah am 9. November 1938; Christian Bernardac : L’Holocauste oublié : Le Massacre des Tsiganes ; Akten Deportation + WK II Stadtarchiv Sarreguemines ; Léon Sidot : L’identité française dans la Lorraine annexée et nazifiée ; Yad Vashem (Homepage + Mitteilungen von Shaul Ferrero) ; Statistiken Departement Moselle, 20er und 30er Jahre ; Akten Evakuierung 1939, Stadtarchiv Sarreguemines
[3] Landeszentrale für Politische Bildung, Rheinland-Pfalz (Mail von Fr. Dr. Beate Weber + Homepage KZ Hinzert) ; Marcel Neigert : Internements et déportations en Lorraine ; Chronik : 1000 Jahre Reinsfeld
[4] ex-KBS 625 DB, Personenverkehr 1981 eingestellt, Gesamtverkehr 1997, mittlerweile vollständig abgebaut
[5] Abbé François Goldschmitt: Alsaciens et Lorrains à Dachau, 6 Broschüren, 1946-48 verfasst ; Henri Hiegel / Louis Serpe: François Goldschmitt – Son Combat singulier de prêtre et de Lorrain