Das serbische Fernsehen über nationalsozialistische Judenvernichtung
Das serbische Fernsehen (RTS) brachte 2007 zum Holocaust-Gedenktag eine Dokumentation, die Shoa.de hier in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Für Leser, die sich in der Geschichte des Holocaust mehr oder minder gut auskennen, enthält diese serbische Dokumentation nicht viel Neues. Dennoch ist es wichtig, eine solche Darstellung aus einem fernen Land zur Kenntnis zu nehmen – und sei es als wiederholte Erinnerung daran, dass der Holocaust auf Zeit und Ewigkeit mit dem deutschen „Namen“ verbunden bleibt. Die Übersetzung fertigte Wolf Oschlies an, der auch einige Bilder und Fußnoten zum besseren Verständnis für deutsche Leser beisteuerte.
Erinnerung ist eine Pflicht gegenüber den Millionen Opfern, die während des Zweiten Weltkriegs im Holocaust umkamen. Das ist das Ziel des Internationalen Gedenktags an den Holocaust am 27. Januar. An diesem Tag hat 1945 die sowjetische Rote Armee das nationalsozialistische Konzentrationslager Auschwitz befreit, die schlimmste Leidensstätte der Menschheitsgeschichte.

Anatolij Šapiro (1913-2005)
Sowjetische Truppen haben am selben Tag auch das benachbarte Lager Birkenau befreit. In beiden Lagern haben vorwiegend Juden gelitten, sie wurden zu Tode gemartert, sind verhungert, wurden erschossen, kamen in Gaskammern um. Daneben wurden ungezählte Männer, Frauen und Kinder anderer Völker getötet, auch sowjetische Kriegsgefangene, Behinderte, politische Gegner der Nationalsozialisten und viele andere.
Den Beschluss, den 27. Januar als Internationalen Gedenktag an den Holocaust zu würdigen, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen erst vor kurzer Zeit gefasst, nämlich im November 2005, also in dem Jahr, als exakt 60 Jahre seit der Befreiung von Auschwitz vergangen waren. Das Datum des 27. Januar ist ein besonderer Anlass, dass sich die Welt an den Schrecken des Holocaust erinnert, aber sich auch der Tatsache stellt, dass der Antisemitismus bis heute existiert und dass Intoleranz und Aufstachelung zum Hass bekämpft werden müssen.
„Ich möchte alle Menschen der Welt aufrufen, sich zu vereinen und nicht zu erlauben, dass sich das Geschehene jemals wiederholt“, sagte zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz der 92-jährige Anatolij Šapiro (1913-2005, Bild), vormals Kommandant der Armeeeinheit, die das Lager befreite.[1]
„Der Holocaust ist nicht nur eine Tragödie der Juden, sondern auch die Tragödie und Niederlage der Menschheit“, hieß es in der Abschlusserklärung eines Forums, das unter dem Motto „Lass mein Volk leben“ in Krakau veranstaltet wurde.
Wie alles anfing
Der Holocaust begann bald, nachdem in Deutschland 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren. Die Ausrottung der Juden war eins von ihren wichtigsten Programmzielen. Jeglichen Einfluss von Juden – in Politik, Wirtschaft und Kultur – auszuschalten, war die Absicht einer antijüdischen Kampagne. In den Schulen wurde „Rassenkunde“ als neues Pflichtfach eingeführt und es folgten zahlreiche antijüdische Bestimmungen, die 1935 mit Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ (Reichsbürgergesetz, Gesetz über den Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre) kulminierten.
Die Juden verloren die deutsche Staatsbürgerschaft, der gesamte öffentliche Dienst war ihnen versperrt, sogar der Aufenthalt an öffentlichen Plätzen war ihnen verboten. Zahlreiche Juden emigrierten. 1933 hatte in Deutschland rund eine halbe Million Juden gelebt, von denen bis 1939 über 300.000 auswanderten. Auf Initiative des damaligen US-Präsidenten Franklin Roosevelt hatte 1938 in der Schweiz eine internationale Konferenz über jüdische Flüchtlinge stattgefunden, die allerdings ergebnislos endete, da kein Land sie aufnehmen wollte, weswegen viele nach Palästina auswichen.
Juden verließen die Länder, die Deutschland besetzte, denn in diesen traten umgehend die berüchtigten Nürnberger Gesetze in Kraft. Die daheim blieben, verloren ihre Habe, wurden in Ghettos gepfercht und später in Todeslager deportiert. Dort wurden die Arbeitsunfähigen sofort getötet, die restlichen mussten Schwerstarbeit leisten oder wurden medizinischen Experimenten unterzogen. Viele starben an Erschöpfung, wurden in Massen erschossen oder in Gaskammern durch das tödliche und rasch wirkende „Zyklon B“ liquidiert.
Die nationalsozialistische „Endlösung“
Die meisten Lager wurden auf dem Gebiet des okkupierten Polens errichtet: Auschwitz (Oświęcim), Birkenau, Treblinka, Mauthausen[2], Sobibor… Die Pflicht, auf der Kleidung gewisse Symbole zu tragen, einen gelben Davidstern, wurde erstmalig 1939 für Juden in Polen verfügt, später auch in Deutschland und in anderen Ländern.
In Polen wurden 85 Prozent der jüdischen Bevölkerung liquidiert, etwa 2,8 Millionen Menschen. Im Holocaust wurden mindestens 1,5 Millionen Kinder getötet. Man nimmt an, dass lediglich 11 Prozent der jüdischen Kinder, die 1933 am Leben waren, den Holocaust überlebten.

Todeslager Jasenovac
Allerdings regte sich in vielen besetzten Ländern Widerstand gegen solche Maßnahmen. Am nachdrücklichsten geschah das in Dänemark, wo sogar der König im Rundfunk erklärte, dass er persönlich einen Davidstern tragen werde, falls gewisse Bürger seines Landes dazu gezwungen würden. Im Herbst 1941 begann die Umsetzung des deutschen Plans, alle Juden aus Deutschland und den okkupierten Ländern Westeuropas in den Osten zu deportieren. So begannen die Todestransporte in Viehwaggons. Bereits auf der Fahrt sind Tausende umgekommen. In einzelnen Ländern gab es auch dagegen Widerstand: Die Dänen organisierten eine heimliche Überfahrt von Juden, die mit Schiffen nach Schweden geschafft wurden. In Holland wurde 1941 ein Generalstreik ausgerufen, um eine Deportation von Juden zu verhindern. Sogar in Italien und in Österreich begegnete die Vertreibung von Juden einem massiven Widerstand, man setzte Ausnahmeregelungen für gewisse prominente Juden durch, jüdische Flüchtlinge aus Frankreich und vom Balkan fanden Unterschlupf.
Symbol eines Einzelnen, der Widerstand leistete und unter Verletzung von Vorschriften Juden rettete, wurde Oskar Schindler, ein deutscher Industrieller, der Juden gefälschte Dokumente verschaffte und ihnen Arbeitsplätze gab. Der jüdische Staat Israel hat später solche tapferen Individuen mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet und tut das auch weiterhin. Diese Auszeichnung wurde auch vielen Serben zuteil[3], die Juden während der nationalsozialistischen Okkupation retteten und ihnen halfen.
Zu den schlimmsten Todeslagern im damaligen Jugoslawien gehörten Jasenovac (Bild: Eingangstor), auf dem Territorium des heutigen Kroatiens, und Sajmište bei Belgrad. Rund 600.000 Menschen wurden in Jasenovac getötet[4], vor allem Serben, Juden, Roma und Gegner des Ustaša-Regimes.[5] Die Zahl der jüdischen Opfer lag zwischen 20.000 und 25.000, von denen die meisten im August 1942 getötet wurden, als die Deportation kroatischer Juden nach Auschwitz begann, wo sie liquidiert werden sollten. Aus allen Regionen Kroatiens und Bosnien-Hercegovinas wurden Juden nach Jasenovac gebracht. Die Mehrheit von ihnen wurde sofort nach ihrer Ankunft in einer der Vernichtungsstätten in der Nähe des Lagers – Granik, Gradina etc. – getötet.
Laut Angaben aus verschiedenen Quellen, die alle im Internet nachzulesen sind, liegt die Gesamtzahl der Juden, die Opfer der nationalsozialistischen „Endlösung“ wurden, zwischen mindestens 4.194.000 bis hin zu 5.820,960. Die Zahl führt die „Encyklopedia Judaica“ an, und das wäre ein Drittel aller Juden, die es nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs in der Welt gab. Die Gesamtzahl der Holocaust-Opfer, nicht nur der jüdischen, wird auf 9 bis 11 Millionen geschätzt, wobei nicht wenige sogar von 26 Millionen ausgehen.
Autor: Radio televizija Srbije (RTS). Übersetzung und Ergänzungen: Wolf Oschlies
Anmerkungen
[1] An der Befreiung waren 230 Rotarmisten beteiligt, die Anatolij Pavlovič Šapiro – „Evrej po nacional’nosti“ (russisch: Jude von Nationalität) und damals im Rang eines „kapitan“ (Hauptmann) – befehligte. Später wurde er zum Major befördert und nach dem Krieg hat er einige Bücher über den Holocaust geschrieben. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Šapiro häufiger Gast bei ausländischen Veranstaltungen und 2005 zeichnete Polen ihn mit dem „Offizierskreuz für Verdienste um die Republik“ aus. Im selben Jahr starb Šapiro und wurde am 25. Oktober 2005 auf dem New Yorker jüdischen Friedhof beigesetzt.
[2] Das KZ Mauthausen (KLM) bestand von März 1939 bis 1945 in Österreich und war das einzige KZ der Kategorie III („Vernichtung durch Arbeit“) auf dem Gebiet des Reichs, Anm. d. Übersetzers
[3] Zum 1. Januar 2007 wies die israelische Gedenkstätte Yad Vashem insgesamt 21.758 „Righteous among the Nations aus“, die meisten in Polen (6.004), den Niederlanden (4.767), Frankreich (2.740), der Ukraine (2.185) und Belgien (1.443). In Deutschland waren 443, in Serbien 124 verzeichnet.
[4] Diese Opferzahl – die vermutlich noch weit höher ausfiel, in diesem Umfang aber von der internationalen Holocaustforschung akzeptiert ist – wurde und wird in Kroatien vehement bestritten. Den Anfang damit machte der kroatische „Staatsgründer“ Franjo Tudjman (1922-1999) 1991 mit seinem antisemitischen Pamphlet „Irrwege historischer Realität“. Die Kroaten wissen natürlich, welche Verbrechen in Jasenovac begangen wurden und propagieren deshalb die Geschichtsklitterung des „kroatischen Golgatha von Bleiburg“. In diesem Kärtener Städtchen, das Ende des Zweiten Weltkriegs unter britischer Besatzung stand, sollen im Mai 1945 Titos Partisanen „Hunderttausende wehrlose und unschuldige Kroaten“ getötet haben. Diese Lüge erdachte eingangs der 1950-er Jahre der Ustaša-Emigrant Nikica Martinović und im späteren souveränen Kroatien wurde sie Teil der nationalen Rechtfertigungsideologie.
[5] „Ustaša“ (Aufständischer) nannte sich eine terroristische Geheimorganisation, die der Zagreber Advokat Ante Pavelić (1889-1959) 1929 nach dem Muster der italienischen Faschisten gegründet hatte. Im April 1941, nach der Niederlage Jugoslawiens gegen Deutschland und Italien, übernahmen die Ustaše (Plural) die alleinige Macht in der ehemaligen „Banschaft Kroatien“ und bildeten diese (zu der auch Bosnien-Hercegovina gehörte) zum sog. „Unabhängigen Staat Kroatien“ (NDH) um. Die kroatische „Unabhängigkeit“ war nur von Hitlers und Mussolinis Gnaden und musste mit der sehr verlustreichen kroatischen Beteiligung an Hitlers Kriegen vergolten werden. Für den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman war der NDH noch 1990 „die Erfüllung der historischen Sehnsüchte der Kroaten“.