Bereits wenige Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914, in dem Russland eine kriegsführende Partei darstellte, wurde deutlich, dass Russland die Ansprüche dieses Krieges im Industriezeitalter nicht erfüllen konnte. Infolge der enormen Unzufriedenheit des russischen Volkes beendete dann die Februarrevolution 1917 zwar das russische Zarentum, führte aber keinesfalls zu einer Lösung der bedeutenden sozialen und politischen Probleme. Grund dafür sind vor allem die Großen Reformen und das damit verbundene „Europäisierungsprojekt“ Peters I. Dies zielte auf die Umerziehung der adligen Bevölkerungsschicht ab, nicht aber auf die der Bauern. Durch die wirtschaftliche Fokussierung auf die Agrarwirtschaft konnte Russland den Kriegsanforderungen einfach nicht standhalten, sodass Hungerrevolten und Streiks das tägliche Leben prägten. Die Bildung einer Provisorischen Regierung durch die Duma (dem russischen Parlament) und die Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten (den sogenannten Sowjets), die ebenfalls Russland regieren wollten, verschärfte den bestehenden Klassenkampf in Russland und trug weiter dazu bei, dass keine einheitliche politische Kontrolle stattfinden konnte. Eine verfassungsgebende Versammlung sollte gegen Ende des Jahres gewählt werden.
In dieser Situation prägten zwei politische Gruppierungen das öffentliche Bild: die Bolschewiki (zu dt.: Mehrheit) und die Menschewiki (zu dt.: Minderheit) – beides Fraktionen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Nachdem die Menschewiki im Sommer des Jahres 1917 schließlich in die Provisorische Regierung eintraten, verloren sie ihren ohnehin dürftigen politischen Einfluss nun gänzlich. Durch widersprüchliches Handeln zu ihrer revolutionären Rhetorik ermöglichten sie so den schnellen Aufstieg der Bolschewiki. Ihr Vorsitzender und die treibende Kraft der geplanten Oktoberrevolution war Wladimir Lenin. Seine im April 1917 veröffentlichten Aprilthesen über die Forderung nach Frieden, Brot und die Einführung des Sozialismus fanden im Gegensatz zu den Menschewiki, die den Aufbau eines katholischen Sozialismus in Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie forderten, bei der russischen Bevölkerung besonderen Anklang. Die Bolschewiki übernahmen schnell die Macht, da sie eine revolutionär-demokratische Diktatur der arbeitenden Klassen Russlands in den Sowjets (also Arbeiter und Bauern als Mitglieder zählten) bilden konnten.
Zwar wurde in Russland kurz nach der Februarrevolution die Republik ausgerufen und die Bildung eines Direktoriums verkündet, an dessen Spitze Alexander Kerenski stand, doch führte die geplante Abstimmung über die verfassungsgebende Versammlung weiterhin zu Streitigkeiten innerhalb der bolschewistischen Führung. Die Frage, ob sie an jener Wahl teilnehmen sollten oder nicht, wurde letztendlich verneint, sodass Leo Trotzki die Organisation der Oktoberrevolution übernahm. Auf Beschluss des Petrograder Sowjets (dem wohl wichtigsten Rat) wurde im Oktober 1917 gegen die Beteiligung an der Wahl entschieden und der bewaffnete Aufstand beschlossen, der vor dem geplanten „II. Allrussischen Sowjetkongress“ stattfinden sollte, um diesen zu rechtfertigen. Mehrere Versuche der Provisorischen Regierung, gewaltsam gegen die bolschewistischen Sowjets vorzugehen, blieben erfolglos.
Am 25. Oktober 1917 begannen aufständische Truppen (unter ihnen Soldaten, Matrosen und Rotgardisten) strategisch wichtige Stellen in der russischen Hauptstadt zu besetzten – dazu gehörte neben dem Hauptpostamt und den Bahnhöfen der Stadt auch das Winterpalis, das als Sitz der Provisorischen Regierung diente. Der Panzerkreuzer „Aurora“ gab durch einen Platzpatronenschuss dann das Signal für den Sturm des Palasts. Dies geschah wie von Lenin geplant nachdem der Kongress bereits begonnen hatte. Kurz nach dem Überfall auf den Winterpalast kapitulierte die bürgerliche Regierung um Kerenski. Sämtliche Mitglieder erklärten ihren Rückzug aus der Politik des Landes, und wurden in der Nacht zum 26. Oktober durch ein sozialistisches Regime unter Lenin ersetzt. Kerenski selbst war zuvor geflohen.
Neben der Machtübertragung auf die russischen Sowjets, bildete der Rätekongress nach der Oktoberrevolution den „Rat der Volkskommissare“ als neue Regierung. Dessen Vorsitz übernahm Lenin; Trotzki war für die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich; Iosef Stalin war für Nationalitätenfragen zuständig. Zudem wurde das „Dekret über den Frieden“ als eines der drei Umsturzdekrete (neben dem „Dekret über den Grund und Boden“ und dem „Dekret über die Rechte der Völker Russlands“) der neuen Regierung erlassen. Diese Verordnung forderte sofortige Friedensverhandlungen mit Deutschland und ermöglichte letztendlich den Friedensvertrag von Brest-Litowsk im folgenden Jahr. Dies festigte die Macht der bolschewistischen Partei, die sich nun KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) nannte.
So sicherte die Oktoberrevolution den Bolschewiki zunächst zwar die Macht in Petrograd, doch erwiesen sich die sozialen und politischen Probleme, die bereits zuvor bestanden hatten, weiterhin als ungelöst. Besonders die Versprechen, welche die Bolschewiki den Bauern des Landes gemacht hatten, wurden nicht eingelöst. Um dem aufkeimenden Widerstand entgegenzuwirken, schränkte die Regierung um Lenin die Pressefreiheit ein, liquidierte das Gerichtswesen und unterband den freien Handel. Streikende Arbeiter und Bauern wurden niedergeschossen. Obwohl Friedensverhandlungen in Bezug auf den Ersten Weltkrieg stattgefunden hatten, folgte auf die russische Oktoberrevolution eine Zeit des Terrors. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die Rotgardisten mündete schließlich in einem zweijährigen Bürgerkrieg.
Die bestehende Doppelherrschaft durch politische Unentschlossenheit sowie die Weiterführung des Krieges stellten die Grundvoraussetzungen dar, die zu dem großen Anklang der Bolschewiki innerhalb der russischen Bevölkerung fand. Laut Baberowski mangelte es an einer gemeinsamen bzw. zentralen Gesellschaft und damit an einer zentralen Kontrolle, welche die sich aufbauende Revolution hätte kontrollieren können.
Autorin: Sandra Cierpka
Literatur
Jörg Baberowski: „Was war die Oktoberrevolution?“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Hrsg.): „Oktoberrevolution“. Bundeszentrale für politische Bildung. Heft 44-45/2007. S. 7-13.
Leonid Lukes: „1917 und 1991 – zwei Revolutionen im Vergleich“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Hrsg.): „Oktoberrevolution“. Bundeszentrale für politische Bildung. Heft 44-45/2007. S. 3-6.
Alexander Rabinowitch: „Die Sowjetmacht: Die Revolution der Bolschewiki 1917“ Mehring Verlag, 2012.
„Geschichte der UdSSR in drei Teilen“, Teil II – Von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bis zum Großen Vaterländischen Krieg. Paul-Rugenstein Verlag, 1977. S. 5-75.
Manfred Hildermeier: „Russische Revolution. Fischer Kompakt“ Fischer Taschenbuch Verlag, 2004.
Manfred Hellmann (Hrsg.): „Die russische Revolution 1917. Von der Abdankung des Zaren bis zum Staatsstreich der Bolschewiki“ Deutscher TB Verlag, 1984.
„Illustrierte Geschichte der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“. Dietz Verlag, 1972.